Fischer, die CIA und die Aktenlage

Mehr als 17 Jahre nach seinem Einzug in den Bundestag im Frühjahr 1983 wird Joschka Fischer noch einmal durchleuchtet – als ob in dieser Hinsicht seinerzeit rein gar nichts geschehen wäre. Gab es damals nicht besorgte Anfragen aus drei Fraktionen bei Bundestagspräsident Rainer Barzel, ob man denn Fischer und seine dubiosen Freunde, einige von ihnen Ex-Maoisten, in den Verteidigungsausschuss lassen könne oder gar in das Gremium, das die Geheimdienste kontrolliert?Als die Grünen in den Bundestag kamen, durchforstete man alle verfügbaren Akten über die linksradikale Szene, vor allem auch Dossiers der CIA über die Frankfurter Gruppen, zu denen Joschka Fischer bis Mitte der siebziger Jahre gehört hatte. Das Kanzleramt leistete durch seinen Chef Waldemar Schreckenberger Hilfe.Es kam ziemlich rasch eine ausreichende Entwarnung hinsichtlich Joschka Fischers. Bei zwei anderen Grünen gab es starke Bedenken. Einer der beiden war der später durch Freitod verstorbene Bundeswehrgeneral a. D. Bastian, der nie ganz geklärte Verbindungen zu sowjetischen Militärs hatte, die in der Kampagne “Gegen den Atomkrieg” mitmachten – auf Veranlassung des von Helsinki aus arbeitenden Weltfriedensrats.Die Frankfurter Szene hatte die Amerikaner und Israelis schon von 1965 an so interessiert wie die Berliner Linke, denn zu den Angriffszielen zählten Anlagen der US-Armee, und ab 1972 gab es in Frankfurt zunehmend Verbindungen zwischen palästinensischen und deutschen Terroristen. Diesen Verbindungen galt zeitweise sogar das Hauptinteresse der CIA.US-Kasernen wurden damals blockiert, publizistische Verteidiger der USA gerieten unter Telefonterror und andere Bedrohungen. Außerdem war durch Austausch zwischen den Nachrichtendiensten des Westens bekannt geworden, dass die DDR Millionendevisenbeträge in die Apo schleuste. Ich höre noch 1967 Innenminister Paul Lücke fluchen: “Das bezahlen wir alles mit unseren Autobahngebühren!” Die DDR bezahlte auch eines der wichtigsten Szeneblätter, “Konkret”. Die Stasi zog Fäden im sozialistischen Studentenverband SDS und in zeitweise rund 15 universitären Studentenvertretungen.Die deutschen und alliierten Geheimdienste hatten die Linksradikalen immer aus zwei Gründen im Fadenkreuz: wegen der Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Alliierten und wegen der Instrumentalisierung eines Teiles linksradikaler Gruppen durch die DDR. Deutsche, Amerikaner und Israelis hatten und haben daher zum Beispiel riesige Foto- und Videoarchive von Straßenkämpfen, gegen welche die Fotos, die nun seit Wochen herumgezeigt werden, nur Schnipsel sind. Gerade in Frankfurt wurde gesammelt, mit und ohne Zusammenarbeit mit dem damaligen Polizeipräsidenten Knut Müller.Die Analytiker waren schon 1975 davon überzeugt, dass sich vor allem Fischer und Daniel Cohn-Bendit “unter Selbstgefährdung” von der Gewalt verabschiedet hatten. Derselben Meinung waren schon früher die Franzosen, welche Daniel Cohn-Bendit jahrelang Tag und Nacht beschattet hatten. Sie kamen zu der klugen Erkenntnis, dass bei den Prominenten der Sorbonne-Szene stets nur Jean-Paul Sartre und dessen Clique Gewalt predigte, nicht aber Cohn-Bendit, jedenfalls nach der Besetzung des Odéon-Theaters.Vor den Ex-Spontis und Ex-Genossen Fischers, die jetzt mit “Material” vorstellig werden (und zum Teil fettes Honorar fordern), hat Peter Boenisch mit Recht gewarnt. Als Fischer 1985 Minister in Wiesbaden wurde, gab es durchaus die gleichen “Erkenntnisse” wie heute. Holger Börner stand vor der Vereidigung Fischers dieselbe präzise Aufklärung über Fischer zur Verfügung wie 1983 den Spitzen des Bundestages.Warum schweigen so viele, die längst wissen, wie das Leben des Joschka Fischer ablief? Sie sind ja nicht alle tot wie Ignatz Bubis, der mir drei Jahre vor seinem Tod sagte, Fischer habe total mit seiner Vergangenheit gebrochen. Bubis war als Immobilienmakler Angriffsziel von Fischers “Putzgruppe” im Westend gewesen.Man muss es deutlich sagen: Ein Teil der linksradikalen Frankfurter ließ sich seit Apo-Tagen von der palästinensischen Connection am Main gegen deutsche und amerikanische Juden aufhetzen. Der Ausstieg Fischers aus der Gewalt und seine Freundschaft mit “Danny” Cohn-Bendit hat auch hier seine Gründe, und es ist gewiss kein Zufall, dass der Kontakt zu dem in Frankreich untergetauchten Terroristen Hans-Joachim Klein über den französischen jüdischen Publizisten und Philosophen André Glucksmann lief. Fischer sagte öffentlich, wie entsetzt er war, als deutsche Terroristen die Passagiere eines entführten Flugzeuges in Juden und Nichtjuden “selektierten”. Kann das ein FDP-Fraktionsführer wie Wolfgang Gerhardt, der Bubis gut kannte, mit kühlem Verstand richtig einordnen?Es waren Experten, die Fischers Ausstieg observierten und besorgten Bonnern bestätigten, ihr “Objekt” sei “clean”. Zwei Beamte der gut besetzte Bonner CIA-Gruppe, die nach 1966 die linke Szene observieren ließen, waren übrigens überaus deutschfreundliche Juden. Da sie zum Thema Fischer nicht selbst reden können und dürfen, muss man heute als einer sprechen, der mit ihnen von einer deutschen politischen Position aus vertrauensvoll zusammenarbeiten konnte.

Jürgen Wahl, Publizist, war von 1966 bis 1968 Persönlicher Referent des CDU-Bundesgeschäftsführers und späteren CDU-Generalsekretärs Bruno Heck. 

Quelle: Welt 5.2.01