How to Blow Up a Pipeline – Eine Filmkritik

HOW TO BLOW UP A PIPELINE  – Eine Filmkritik

Am 26.9.2022 werden in der Ostsee, nahe der Insel Bornholm, in schwedischen und dänischen Hoheitsbereichen, zwei deutsch-russische Pipelines, die Nordstream-Gas-Pipelines gesprengt. Das austretende Gas wird gefilmt und in den internationalen Medien weltweit gezeigt. Die Behörden der zwei skandinavischen Länder nehmen die Untersuchungen auf und schnell wird klar, es war kein Unfall, es war Sabotage. Die Sprengungen lösten seismisches Beben aus, das auf Detonationen von mindestens jeweils 500 kg Sprengstoff hinweisen. Eine der insgesamt vier Stränge der Nordstream 1 und 2 Pipelines blieb allerdings unversehrt. Dort hat die Zündung versagt. Die anderen Bomben konnten von den Schweden geborgen und analysiert werden. Was sie genau gefunden haben, halten sie aber geheim. Die schwedischen Ermittler gehen davon aus, dass es sich um staatliche Akteure gehandelt habe. Russische Ermittler wurden vor Ort nicht zugelassen, die deutschen Ermittler kamen zu spät. Aber schnell wurde in Umlauf gesetzt, es müsse sich um russische Täter gehandelt haben, Putin sei schuld.

Der international renommierte Investigativjournalist Seymour Hersh, der seit Jahrzehnten insbesondere Verbrechen US-amerikanischer Akteure, darunter das Massaker im vietnamesischen My Lai vom 16. Mai 1968 mit ca. 500 ermordeten Zivilisten, aufgedeckt hat, beschrieb fünf Monate nach der Pipelinesprengung, im Frühjahr 2023, wie US-Navy-Spezialisten aus Panama-City im Staate Florida mit norwegischer Unterstützung die Tat begangen haben. Er stützte sich auf Whistleblower aus amerikanischen Regierungskreisen, die er aber nicht namhaft machen kann, um sie vor Gefängnisstrafen zu bewahren, die wie Chelsea Manning, Edward Snowden oder Julian Assange erdulden mussten bzw. zu erwarten hätten. Demnach hat das führende NATO-Mitglied, die USA, ein anderes NATO-Mitglied, die Bundesrepublik Deutschland mittels eines terroristischen Akts angegriffen, das nach Völkerrecht einem Kriegsakt gleichkommt. Weder die USA noch die angegriffene Bundesrepublik konnten das aus unterschiedlichen Gründen eingestehen. Also musste weiter behauptet werden, Putin stecke dahinter oder eine andere Spur musste gefunden werden.

Da die Russenspur inzwischen immer wackliger wurde, wer schmeißt so mir nichts dir nichts einfach ein paar Milliarden Dollar in die Mülltonne, um einen Geschäftspartner zu ärgern, wurde eine neue Täter-Theorie in Umlauf gesetzt. Die zuständigen deutschen Behörden legten sich auf eine Gruppe von sechs nichtstaatlichen Ukrainern fest, die ein 15 Meter langes Segelboot namens Andromeda gemietet hätten, mit dem sie von deutschen Häfen aus quer über die Ostsee zur Insel Bornholm geschippert wären, um dort in ca. 80 bis 90 Metern Tiefe die Sprengsätze an die weit voneinander entfernt liegenden Pipelines anzubringen. Am 2. Juni 2023 wurde die Wohnung einer Frau in Frankfurt/Oder von der deutschen Kripo durchsucht, deren verschwundener Lebensgefährte ein Ukrainer ist und mit der sie ein gemeinsames Kind hat. Es wurde Beweismaterial sichergestellt, darunter Haare des Kindes, um Mittels einer DNA-Analyse feststellen zu können, ob DNA-Material, das auf der Andromeda gefunden wurde, mit dem des tatverdächtigen Ukrainers aus Frankfurt/O identisch ist. Ein Ergebnis wurde bislang nicht veröffentlicht.  

Einen Tag nach der Razzia bei der Frau in Frankfurt/Oder, am 3.6.2023, lud Fugu-Filmverleih im „Atelier Gardens“ zur Voraufführung des US-Films „How to Blow Up a Pipeline“ ein, der am 8. Juni in die deutschen Kinos kommt. Die Frage stellt sich naturgemäß, hat der Film irgendetwas mit der realen Sprengung in der Ostsee zu tun? Die Macher des Films behaupten „nein“, obwohl die Parallelen auf der Hand liegen. Der Regisseur, Daniel Goldhaber, antwortet auf meine Nachfrage, die Motive seien völlig andere. Damit ließ er es bewenden. Die Ähnlichkeiten interessierte ihn nicht.

Gut, gehen wir sowohl den Unterschieden als auch den Ähnlichkeiten nach. Bei den Nordstream Pipelines handelt es sich um ein sehr wichtiges Infrastrukturobjekt, das die deutsche und westeuropäische Industrie mit billigem Gas versorgt hat, um international wettbewerbsfähig sein zu können. Die Sprengung hat hauptsächlich Nachteile für Deutschland, da Alternativen wesentlich teurer und bezüglich des Umweltschutzes wesentlich dreckiger sind. Die Nachteile für Russland sind weniger gravierend, da perspektivisch andere Abnehmer des Gases bereits bereitstehen. Die Sprengung im Film findet nicht unter Wasser statt, sondern in der texanischen Wüste, eine Sprengung in zwei Meter Höhe, die zweite zwei Meter unterhalb des Wüstensandes. Die Filmakteure bezwecken mit ihrer Sprengung keinen Dauerschaden, sondern wollen schlicht Aufmerksamkeit erreichen für die von ihnen gesehene Gefahr des Klimawandels durch zu hohe CO2 Emissionen, die durch das Verbrennen von Öl verursacht werden. Unterschiedlich sind die verursachten Kosten. Die Reparatur der Nordstream-Pipelines kostet vermutlich Milliarden, die Texas Pipeline im Film könnte relativ schnell und einfach für vielleicht eine Million Dollar repariert werden. Ein anderer Unterschied liegt in der Qualität der Akteure. In der Ostsee handelt es sich, gemäß Seymour Hershs Erkenntnissen, um staatliche Profis, im Film um Amateure. Im Film geben sich zwei Beteiligte als Täterinnen zu erkennen, von den Ostsee-Terroristen gibt es kein Täterbekenntnis.

Was sind nun die Ähnlichkeiten? Beide Fälle richten sich gegen teure Infrastrukturobjekte für die Energieversorgung. Gas der Nordstream und Öl aus der texanischen Wüste verursachen bei ihrer Verbrennung CO2 Emissionen, die den Klimawandel bewirken. Die Sabotage dieser Infrastruktur liegt deshalb im Interesse von Teilen der Klimawandel-Bewegung. Nicht von ungefähr klatschte die angeblich grüne Regierungspartei in Deutschland Beifall, wenn auch verbrämt als Maßnahme gegen das zu „ruinierende“ Russland, das sich durch eine eventuelle NATO-Mitgliedschaft der Ukraine bedroht fühlt und deshalb einen von ihr so bezeichneten „Präventiv-Krieg“ führt. Beide Aktionen sind also in diesem Sinne erfolgreich, nicht nur in der Sprengung, sondern zum Teil auch in ihren Zielen. Dass mit den für Deutschland benötigten Energiealternativen, Kohle und Fracking Gas, nunmehr viel mehr CO2 erzeugt wird als mit dem eher sauberen „Russen-Gas“, spielt für die angebliche Öko-Regierungspartei dabei keine Rolle.

Eine weitere Ähnlichkeit der beiden Fälle liegt mehr im fiktiven Bereich. Da die Täterschaft der US-Navy-Spezialisten nicht zugegeben werden darf, die Folgen wären dann politisch dramatisch, muss eine fiktive Lösung des Problems herhalten. Die Razzia in Frankfurt/Oder weist auf das Szenario hin, das von deutschen Behörden favorisiert wird. Die Gruppe von sechs Amateuren, vermutlich aus der Ukraine stammend, findet sich zusammen, um drei bzw. vier äußerst schwere Sprengladungen an die vier Pipelinestränge anzubringen, die mit einem Betonmantel umgeben sind, also besonders schwierig zu sprengen sind. Angeblich wurden auf der Andromeda Sprengstoffspuren gefunden, was bedeutet, dass sie den Sprengstoff dort irgendwie gemixt haben müssten. Von den sechs Tätern weiß man nicht viel, nur dass unter ihnen ein Kapitän ist, eine Ärztin, eine Arzthelferin, und drei Taucher. Woher man das weiß, ist unklar. Bei Anmietung der „Andromeda“ wurde mit gefälschten Pässen operiert, von denen zwei von den Behörden gefunden worden seien. Welche politischen oder sonstige Gemeinsamkeiten sie vor der Tat hatten, ist unbekannt. Der Mann aus Frankfurt/O gilt als verschwunden, wie die fünf anderen auch.

Die Gruppe im Film besteht aus acht Aktivisten, vier Frauen und vier Männern, ethnisch und gendermäßig fein gemischt, zwei Afro-Amerikaner, ein Sioux aus Süd-Dakota, ein gemischtes Lesbenpärchen, ein weißes Kokser-Freakpärchen, und ein junger weißer Mann, dem durch „Eminent Domain“ ein Teil seines Bauernhofs für die Verlegung einer Pipeline konfisziert worden war. Die eine Frau befand sich im Endstadium von Leukämie, die sich entwickelt hatte, weil sie jahrelang neben einer Luftverpestende Öl-Raffinerie gelebt hatte. Ihre Lebensgefährtin machte aus Solidarität zu ihr mit. Eine andere Frau protestierte vorher gegen zu hohen Benzinverbrauch durch SUVs und Bootsyachten, indem sie Reifen zerstach bzw. die Elektronik von Yachten zerstörte. Bei dem freakigen Pärchen blieb der Zusammenhang mit der Ökobewegung unklar, es war irgendwie gegen alles, außer Kokskonsum. Der Afro-Amerikaner war mit der Reifenstecherin befreundet und verteilte gelegentlich Flugblätter für nicht näher erkennbare Gruppen. Er agitierte das Freak-Pärchen mitzumachen und brachte die ganze Gruppe irgendwie zusammen. Der Native-American war von seinem Leben in South-Dakota so frustriert, dass er sich ständig mit fremden Leuten anlegte. Er entpuppte sich als der Bombenspezialist. Einig waren sich aber alle, dass niemand direkt zu Schaden kommen sollte. Es sollte eine friedliche Sabotage sein und Aufsehen erregen, um die Bevölkerung zum Nachdenken zu bewegen. Sie verstehen sich daher nicht als Terroristen, obwohl ihnen eine mögliche Zuweisung als solche egal gewesen wäre. Jeder, der sich auflehnt, würde von den Herrschenden ohnehin als solcher bezeichnet werden, meinten sie.

Diese acht Amateure finden eher zufällig zueinander, waren vorher nicht gemeinsam in der Green Party oder sonst wo organisiert. Die Sprengladungen hat der Sioux aus Süd-Dakota in einem eigens angemieteten Schuppen selbst zusammengemixt, in riesengroße Fässer gestopft, und am Sprengungsort mit Zündern Marke Eigenbau versehen. Die Fässer waren fast zu schwer, um sie bewegen zu können, insbesondere an dem zwei Meter hohen, nicht mit Beton ummantelten Pipeline-Strang zu befestigen. Für die andere Sprengung musste ein zwei Meter tiefes Loch in den Sand gebuddelt werden.

Seymour Hersh weist auf das Skript zur Nordstream-Sprengung hin, das von Victoria Nuland, stellvertretende Außenministerin und Jake Sullivan, Sicherheitsberater von J. Biden, stammt. Beide hätten ein Team zusammengestellt, das den Plan in langer Vorbereitungszeit akribisch ausgearbeitet habe. Biden hätte nur noch den Termin festlegen und auf den Knopf drücken müssen.

Das Skript zum Film stammt von einem Buch des schwedischen Assistenzprofessors und Öko-Aktivisten Andreas Malm, das auch auf Deutsch erschienen ist: „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt – Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“. Im Text seines Berliner Verlages, Matthes & Seitz, wird Malms Intention so beschrieben: „…. Ist es also an der Zeit, das kaputt zu machen, was uns kaputt machen wird? In diesem mitreißen­den Manifest fordert Andreas Malm nichts weniger als die Eskalation: Wir müssen die Förderung fossiler Brennstoffe zum Stillstand bringen – mit unserem Handeln, unseren Körpern, mit allem, was uns zur Verfügung steht…. Mit der Leidenschaft eines Aktivisten und dem Wissen eines Forschers diskutiert Andreas Malm das Spannungsfeld zwischen Gewaltfreiheit und direkter Aktion, Strategie und Taktik, Demokratie und sozialer Veränderung. Und zeigt uns, wie wir in einer Welt kämpfen können, die längst in Flammen steht.“ In vergangenen Kämpfen, Frauenrechte und Apartheid werden genannt, wurde auch „Eigentum zerstört, Infrastruktur angegriffen. Nur so konnte der notwendige Druck aufgebaut werden, um Veränderung voranzutreiben“, schreibt der Verlag.

Der große Saal im ehemaligen UfA-Gelände war mit ca. 300 Zuschauern vollgefüllt. Der Film wurde im Original mit deutschen Untertiteln gezeigt. Der Regisseur diskutierte im Anschluss zusammen mit einem Panel wie der Film zu interpretieren sei. Der Film wurde im September 2022 in den USA fertig gestellt, also zum gleichen Zeitpunkt der Bombardierung der Nordstream-Pipelines. Diese Koinzidenz spielte in der Diskussion keine Rolle, so wie auch die Sprengung der Nord Stream weder vom Regisseur, noch vom Panel oder einem Diskutanten aus dem Publikum je erwähnt wurde.

Die Panelteilnehmer und das Publikum waren alle ziemlich jung. Der älteste im Panel war ein Mann, der bei den WTO-Protesten in Seattle in den 90igern dabei war und seitdem aktiv ist. Es fiel daher niemanden auf, dass es eklatante Ähnlichkeiten zu Bewegungen in den 60igern bzw. den 70igern gibt. Der Unterschied liegt natürlich in der Motivlage, aber nur zum Teil in der Art der Durchführung. Damals gab es ein antiimperialistisches Vorverständnis, heute ein grünes Vorverständnis. Anfänglich erzielte sogar die RAF eine, wenn auch verhaltene, Zustimmungsrate in der Bevölkerung, die man sich heutzutage nicht mehr eingestehen will. Im Juli 1971 ermittelte Allensbach eine Sympathierate von 20% bei unter 30-Jährigen. Heute hat sich ein grünes Vorverständnis bis in die Regierungs- und Oppositionsparteien entwickelt. Das Filmpublikum reagierte entsprechend. An mehreren Stellen gab es großen Applaus bei den mehrheitlich jungen Zuschauern, insbesondere als die Sprengung erfolgreich war und die Pipeline an den zwei präparierten Stellen in die Luft flog. Öl wurde dabei nicht emittiert, da es dem Freakpaar gelang, den Hahn kurz vor der Sprengung abzudrehen.

Der Film, der außer der Sprengung, wenig Action beinhaltete, kam also gut an beim Publikum. Er transportierte demnach die beabsichtigte Message. Er war in diesem Sinne also erfolgreiche Agitation, ganz im Sinne des Regisseurs und der Panelteilnehmer. Die Messerstechereien und andere Sabotageaktionen wurden in keiner Weise infrage gestellt, auch nicht vom Publikum. Die Parole wurde ausgegeben: Sabotage als Selbstverteidigung. Der Film solle Aufmerksamkeit in den Medien erzeugen und zum Dialog anregen. Das Publikum klatschte begeistert Beifall. Deutsche Rezensenten in „Die Zeit“ und in der evangelischen Zeitung „Chrismon“ kommentieren sehr positiv, ohne die Parallelen zu Nordstream zu erwähnen. Das fast Gleiche in Springers Welt, wo immerhin auf die Problematik des propagandistisch gelungenen Sabotageaufrufs hingewiesen wird. Nur der Bezug zu den Klimaklebern wird hergestellt. Ich fühlte mich in die Endsechziger zurückversetzt und erinnerte mich an Holger Meins mit seinem Film, „Wie baue ich einen Molotov-Cocktail“, der im vollgefüllten Audimax der TU in Berlin am 1. Februar 1968 während der Vorbereitung eines geplanten Springertribunals gezeigt wurde, woraufhin ein Strafprozess gegen ihn eröffnet wurde. Damals fand sich kein Film-Professor bereit, den Film als abstraktes, nicht zur Gewaltanwendung aufrufendes Kunstwerk zu deklarieren. Der Prozess wurde eingestellt, nachdem er sich im Gefängnis als Gefangener der RAF zu Tode gehungert hatte.

8.6.2023, Günter Langer