„Feindbild Israel – Antisemitische Stereotype im Nahostkonflikt“

Am Abend des 15. Mai referierte Dr. jur. Tilman Tarach in den Räumen der Universität Rostock zum Thema: „Feindbild Israel – Antisemitische Stereotype im Nahostkonflikt“. Den rund 50 Teilnehmern an unserer Veranstaltung legte der Autor des Bandes „Der ewige Sündenbock“ (4. Aufl. 2011) in anschaulicher Weise das Fortleben des Antisemitismus in Gestalt des Antiisraelismus dar.


Seitdem sich vor 64 Jahren die neugegründete israelische Republik – durch „die beiden bedeutsamsten Beteiligten der Anti-Hitler-Koalition, nämlich die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten“ am 15. Mai 1948 diplomatisch anerkannt – ihre Souveränität gegen die Aggressionshandlungen fünfer arabischer Staaten erfolgreich verteidigte, gebe es – so Tarach – in Deutschland keine Antisemiten mehr, sondern „nur noch Israelkritiker“. So würde Hitler heute durchaus „keine NSDAP gründen, sondern möglicherweise ein Palästina-Solidaritäts-Komitee, und Goebbels würde nicht den totalen Krieg proklamieren, sondern den totalen Frieden mit dem iranischen Mullah-Regime“, so wie Günter Grass es kürzlich getan habe. In diesem Kontext erinnerte Tarach daran, dass bereits Hitler „nicht nur bekennender Antisemit war, sondern auch bekennender und praktizierender Antizionist, im Grunde ein Israelkritiker ante datum“, und dass sich der Schulterschluss zwischen Nazis und Muslimbrüdern 1948/49 in dem ersten arabischen Versuch, Israel auszulöschen, fortsetzte. 1941 hatte Hitler postuliert: „Der Versuch, einen Judenstaat zu gründen, wird ein Fehlschlag sein“.


Über das Verhältnis der zeitgemäßen Antisemiten zu ihrem aktuellen Hoffnungsträger, der Islamischen „Republik“ Iran, deren Repräsentanten offen und unverhüllt die Vernichtung der jüdischen Republik propagieren, führte Tarach aus:


„Mit Gleichgültigkeit oder mit klammheimlicher Freude akzeptieren sie eine Atomwaffe für ein Regime, das schon bisher europäische Staatsbürger mit dem Tode bedroht – wie den britischen Staatsbürger Salman Rushdie, dessen japanischer Übersetzer in Folge der Fatwa ermordet wurde; ein Regime, welches iranische Oppositionelle auch im Ausland ermordet, unter anderem im Berliner Restaurant Mykonos; ein in Köln lebender iranischer Musiker musste wegen einer Morddrohung per Fatwa aus dem Iran erst vor einigen Tagen untertauchen, weil der deutsche Staat ihn im Stich lässt; ein Regime, das jede Freiheitsbewegung im eigenen Land niederknüppelt, Schwule aufhängt, und die etwa 300.000 iranischen Angehörigen der Bahai-Religion in einer Art und Weise verfolgt, die tatsächlich vergleichbar ist mit der Verfolgung der Juden unter den Nazis in den 1930er Jahren. Ein Regime, das beispielsweise 1994 den mörderischen Anschlag auf ein jüdisches Zentrum in Buenos Aires zu verantworten hat, der 85 Menschen das Leben kostete. Ein Regime schließlich, welches die Hisbollah und die Hamas mit Geld und Waffen ausstattet, damit das Ziel eines judenfreien Nahen Ostens Wirklichkeit wird.“


„Was meinen Sie“, gab Tarach zu bedenken, „wie diese Finsterlinge und ihre Stellvertreter erst agieren werden, wenn sie Nuklearwaffen haben?“


Als eine „besonders üble Verleumdung“ wertete Tarach Grass‘ Insinuation, Israel erwäge einen nuklearen Angriff auf den Iran. Diese Lüge entspreche „der klassischen antisemitischen Vertauschung von Opfer und Täter. Es gehört zum uralten Standardrepertoire der Judenhasser, die Juden als Angreifer zu halluzinieren, wie beispielsweise auch die Nazi-Parole ‚Wehrt Euch, kauft nicht bei Juden‘ zeigt.“ Sodann dekonstruierte Tarach am Beispiel der Äußerungen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Norbert Nieszery, der Grass‘ Verleumdung als „sachliche Kritik an Israel“ bezeichnet hatte, zwei Propagandaschlagwörter: das des ‚Rechtes auf Israelkritik‘ und jenes der ‚besonderen deutschen Verantwortung‘ für die Lösung des Nahostkonflikts. Das ‚Recht auf Israelkritik‘ erweise sich „als Forderung, üble Verleumdungen gegen den jüdischen Staat verbreiten zu dürfen. Und zwar unwidersprochen verbreiten zu dürfen, denn wer das Wort erhebt gegen diese sich als verfolgte Unschuld präsentierenden Leute, der will ja, so heißt es dann, Israelkritiker mittels der Antisemitismuskeule zum Schweigen bringen.“ Im Hinblick auf Nieszerys Postulat, „auch – vielleicht sogar besonders – als Deutscher“ vor einer israelischen Bedrohung des Weltfriedens zu warnen, wie Grass es tat, bemerkte der Referent:


„Diese Leute erinnern an Familienväter, die ihre Kinder prügeln und dabei stets betonen, nur das Beste zu wollen. Glücklicherweise sind die Deutschen aber nicht die Erziehungsberechtigten des jüdischen Staates, auch wenn sie sich oft so aufführen.“ Unter Berufung auf die „besondere deutsche Verantwortung für Israel“ sei „noch selten etwas Vernünftiges gesagt worden. Haben Sie schon mal einen dieser deutschen besonders Verantwortlichen davon reden hören, gerade wir als Deutsche dürften zum palästinensischen Judenhass nicht mehr länger schweigen? Es wäre geradezu erfrischend zu hören, man sei doch nur Palästinakritiker, habe aber nichts gegen Muslime, und gerade als Deutscher müsse man schließlich die palästinensische und insgesamt arabische Politik doch wohl noch kritisieren dürfen, ohne deswegen gleich in die philosemitische Ecke gestellt zu werden.“


Summa summarum: „Der besonders verantwortliche Deutsche demonstriert zwar möglicherweise im Rahmen eines ‚Aufstandes der Anständigen‘ gegen die NPD, doch die vom iranischen Regime geförderten Gruppen wie Hamas oder Hisbollah, die den Holocaust mitunter keineswegs leugnen, sondern die ihn nicht selten feiern und erklären, ihn vollenden zu wollen, die lassen ihn kalt. Wer aber über Ahmadinedschad, über die Hamas und die Hisbollah nicht reden will, der sollte zur NPD dann doch besser schweigen.“


In Anbetracht eines „Palästina“-Lobbyismus, der – etwa in Gestalt der antiisraelischen Ausstellung „Nakba“ – mit Unterstützung gerade der deutschen Amtskirchen „einen regelrechten Heimatvertriebenen-Kult“ betreibe, ging Tarach ausführlicher auf den Mythos von einer durch die israelische Staatsgründung verursachten Entrechtung der arabischen Palästinenser ein. Hierbei stellte er heraus, dass die unerfreuliche Situation der außerhalb Israels lebenden Palästinenser „Folge des Angriffskrieges ist, den die arabische Seite 1948 gegen Israel begonnen hatte, mit dem erklärten Ziel, den neugegründeten Staat zu zerstören und die Juden zu töten oder zu vertreiben“. In diesem Zusammenhang machte Tarach darauf aufmerksam, dass der Staat Israel zur neuen Heimat auch für etwa eine Million Juden wurde, die den Judenverfolgungen in den arabischen Staaten entkamen. Über diese „vergessene jüdische Nakba“ stellte er fest:


„Die Gesamtfläche der entschädi­gungslos zurück­gelassenen Grundstücke der Juden in den arabischen Staaten beträgt nach Schät­zungen orientalischer Juden das Vier- bis Fünffache der Fläche Israels. Das mag überraschen, aber bedenken Sie bitte, dass die Fläche Israels gerade einmal 1,5 Promille der Fläche aller Staaten der Arabischen Liga ausmacht.


Den Angriffen auf die Juden der arabischen Welt gingen keine Provokationen voraus; die Juden hatten auch durchaus keinen Krieg gegen diese arabischen Staaten geführt oder propagiert.


Und einige der von der Arabischen Liga koordi­nierten gesetzlichen Maßnahmen lassen sich durchaus mit den Nürnberger Gesetzen vergleichen, was den besonders verantwortlichen Deutschen jedoch nicht weiter kümmert, ebenso wenig wie die UNO.


Seit 1947 wurden zum Nahostkonflikt etwa 700 UN-Resolutionen verabschiedet, mehr als einhundert davon befassen sich direkt oder indirekt mit der angeblichen oder tatsächlichen Not der palästinensischen Flüchtlinge. Nicht eine einzige thematisiert ausdrücklich das Schicksal jüdischer Flüchtlinge aus den arabischen Ländern.“


Tarach verwies auf die Tatsache, dass die über eine Million arabischer Nichtjuden in Israel bürgerliche Rechtsgleichheit genießen, wohingegen Jordanien, der Gazastreifen und die palästinensischen Autonomiegebieten „judenfrei“ seien, was die sogenannten Nahostexperten in Europa nicht kümmere und wogegen wahrscheinlich auch Nieszery, gerade als Deutscher, nichts habe. Nachdem der Referent auch am Beispiel der etwa 680 Raketen und Mörsergranaten, die im Jahr 2011 auf Gemein­den in Südisrael abgefeuert wurden, vor Augen führte, dass der vielfach als Maulheldentum verniedlichte antijüdische Djihadismus fortlaufend das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Juden (aber auch von nichtjüdischen Israelis) bedroht, schloss er mit den Worten:


„… es ist die oft so übel verleumdete israelische Armee, die sich dem entgegenstellt. Ihr Wesen und ihre Aufgabe besteht darin, zu verhindern, dass die Gegner Israels diesem Ziel eines judenfreien Palästinas näherkommen.“


In unmittelbarem Anschluss an den Vortrag kam es zu einer Reihe interessierter, auch kritischer Nachfragen sowie zu einem regen Gedankenaustausch, in dessen Rahmen die Themenkomplexe der Einwanderungs- und Integrationspolitik Israels, die gegenüber Israel seitens einer ‚antinationalistischen‘ Linken an den Tag gelegten Doppelstandards sowie die den Nahostkonflikt und dessen Ideologisierung maßgeblich beeinflussenden Traditionen des islamischen wie des christlichen Antijudaismus erörtert wurden.


Unsere Rostocker Hochschulgruppe betrachtet ihre erste öffentliche Veranstaltung auf dem Campus der Universität Rostock als einen Erfolg, der für uns ein entscheidender Ansporn ist für die Planung von Veranstaltungen in ähnlichem Rahmen noch im Laufe dieses Sommersemesters.


Daniel Leon Schikora


Sprecher der Hochschulgruppe Rostock der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG)







Charlie Hebdo is doing what it is supposed to do: satire.


The Financial Times Deutschland on Thursday, 9/20/2012, writes:



“With the publication of the Muhammad caricatures, the French satirical magazine Charlie Hebdo did what a satirical magazine is supposed to do: satire. The magazine’s mission is to explore the limits of politics, taste and society and, when necessary, to transgress those limits…. Such limits are very much present when it comes to addressing Islam. The fact that this transgression comes from the center-left of the political spectrum instead of, as usual, from the right-wing populists, makes it all the more important.”


“Since Islam has become starkly polarized — spurred on by Iran and Saudi Arabia — the fear of religious fundamentalists has grown in the West. It is the fanatics that perpetrate violent acts, not mere caricatures. As such, people in the West have become fearful of saying, drawing or, in the case of the controversial Muhammad film, making available the wrong thing.”


“In any case, very few people have actually seen the film — only the trailer is widely available. And in some Muslim countries, Internet access to the trailer has been blocked. Nevertheless, fanatics who are fighting for power and followers — or are eager to distract attention from their own misdeeds — took to the streets. And had it not been because of some obscure film or caricatures, some other excuse would have been found. The film and caricatures merely provide an opportunity for violence, but they are not its cause.”

Henryk M. Broder: Wie unerzogene Kinder aus dem 7. Jahrhundert


Die Demonstranten benehmen sich wie Kinder



Der Infantilismus der Demonstranten, die untereinander mit Handys kommunizieren, ansonsten aber in der steinigen Welt des 7. Jahrhunderts leben, färbt auf deren Versteher ab. Hieß es nach der Fatwa gegen Salman Rushdie, die “Satanischen Verse” seien kein literarisches Meisterwerk, sondern vor allem dazu bestimmt, die Gefühle der Moslems zu verletzen, hat man die Mohammed-Karikaturen, die in der dänischen Zeitung “Jyllands Posten” erschienen sind, als “primitiv” und “künstlerisch wertlos” abgetan, so ist es “diesmal ein dumm-dreister Film, in dem der Prophet Mohammed und der Islam auf ideologisch üble und dazu noch handwerklich billige Weise verächtlich gemacht werden” – als ob die Qualität des Film das wäre, was die Moslems zur Rage treibt. Nimmt jemand an, die Söhne Allahs würden begeistert Beifall klatschen, wenn es nicht “ein dumm-dreister” und “handwerklich billiger” Film wäre, sondern ein Meisterwerk von Pasolini oder Tarantino?


Man könne, so sagen es die Völkerpsychologen und Islam-Experten, den Moslems so etwas nicht zumuten, die wären noch nicht so weit, Häme und Spott gegenüber ihrer Religion auszuhalten, ohne aus der Haut zu fahren. Man müsse ihnen noch etwas Zeit lassen. Wer so argumentiert, ist nicht nur ein Kulturrelativist, er ist ein subtiler Rassist. Er müsste konsequenterweise den Moslems auch raten, längere Strecken mit dem Kamel statt mit dem Flugzeug zurückzulegen und ihnen den Zugang zum Internet verbieten. Denn: Die sind noch nicht so weit.


Wer aber eine Reise im Internet bucht und dann nach München oder Zürich fliegt, um sich dort in einer Klinik behandeln zu lassen, dem kann auch zugemutet werden, dass er nicht ausrastet, wenn seine Religion ins Lächerliche gezogen wird.



Die Papst-Satire wäre unbemerkt geblieben



Erst vor ein paar Wochen hat die “Titanic” eine geschmacklose, dumm-dreiste und handwerklich billige Satire auf den Papst veröffentlicht, die unbemerkt geblieben wäre, wenn der Papst nicht versucht hätte, die Verbreitung des Heftes zu verhindern. Aber: Der Pontifex schickte weder die Schweizer Garde los, um die Redaktion abzustrafen, noch hat er seine Anhänger – immerhin über eine Milliarde Menschen – aufgerufen, Botschaften zu stürmen. Er ließ über seine Anwälte den Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung stellen. Einen Tag vor dem angesetzten Termin zur Verhandlung, zogen die Anwälte den Antrag zurück. So hatten die Papstkritiker gleich zweimal Grund zur Freude. Dennoch hat kein katholischer Dschihadist zum Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen aufgerufen. Und das ist nicht die Ausnahme, das ist die Regel.


Der Film “Paradies: Glaube”, eine Co-Produktion von WDR und arte mit Unterstützung etlicher Filmfonds, wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. In dem Film geht es um eine “missionarische Krankenschwester” namens Anna Maria, “die ihre Liebe zu Jesus bis ins Extrem treibt”. Soll heißen: Anna Maria masturbiert mit einem Kruzifix.


Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie die Reaktionen in der moslemischen Welt ausgefallen wären, wenn Anna Maria nicht ein Kruzifix sondern einen den Moslems heiligen Gegenstand benutzt hätte. Keine Jury der Welt hätte es gewagt, einen solchen Film auch nur ins Programm zu nehmen. Und man braucht noch weniger Fantasie, um sich die Reaktionen von Claus Kleber und der Kommentatoren beim “Stern”, bei der “SZ” und der “FR” vorzustellen: “Dumm-dreist, primitiv, eine Provokation”.



Der Westen misst mit zweierlei Maß



Insofern misst der Westen, der seine Freiheit nicht daheim, sondern am Hindukusch hinter den Karawanken verteidigt, mit zweierlei Maß. Wir sind moralisch dermaßen gefestigt, dass wir solche Provokationen aushalten können. Sie, die Moslems, müssen es noch lernen. Und weil das noch eine Weile dauern kann, sollten wir uns zurücknehmen. Innenminister Friedrich hat bereits angekündigt, er werde “mit allen rechtlich zulässigen Mitteln” eine Vorführung des Films “Die Unschuld der Muslime” verhindern, nicht etwa um das deutsche Publikum vor einem billigen Machwerk zu schützen, sondern damit nicht noch mehr “Öl ins Feuer” gegossen werde. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, will sogar den Paragrafen 166 des StGB angewandt wissen, der die Störung des “öffentlichen Friedens” unter Strafe stellt.


Da hilft nur eines: Der Besuch in einer Oase der Vernunft, dem arabischen Sender Al-Jazeera. Der meldet, immer mehr Syrer wunderten sich darüber, dass ein Video über Mohammed in der islamischen Welt für mehr Aufregung sorgt als das Blutbad in Syrien. “Liebe Moslems”, schreibt ein Leser, “unser Prophet wäre über die Morde, die Assad in Syrien begeht, viel mehr beleidigt als über irgendeinen respektlosen Film”.

Source: Die Welt, 17.9.2012

Ayaan Hirsi Ali: “Der Westen sollte endlich seine Werte verteidigen”


Die Welt: Eine neue Episode der weltweiten Gewalt und Proteste gegen die Beleidigung des Propheten Mohammed hat begonnen – diesmal ausgelöst durch ein unbedeutendes Youtube-Video. Es gab in der Vergangenheit bereits eine Fatwa (islamisches Rechtsgutachten) gegen den Autor Salman Rushdie, gewaltsame Proteste gegen dänische Mohammed-Karikaturen und Ihren eigenen Fall – Ihren Film über Frauen im Islam, nach dessen Veröffentlichung ihr Filmpartner Theo van Gogh von militanten Muslimen umgebracht wurde und Sie untertauchen mussten. Ist bei den Protesten diesmal etwas anders als bei den vorherigen?


Ayaan Hirsi Ali: Ich würde sagen, dass diese Ausschreitungen alle aus einem Guss sind, denn sie haben alle den selben Ursprung: eine politische Ideologie eingebettet in eine 1400 Jahre alte Religion und Kultur, die keinen Platz bietet für Kritik an ihrem kulturstiftenden Vater und den heiligen Texten. Sobald es um den Koran geht und den Propheten, fühlen sich Muslime beleidigt durch jegliche Arbeit, die sie diesen beiden Symbolen gegenüber als respektlos empfinden: vom aktuellen Koran-Projekt in Deutschland, das eine ernsthafte wissenschaftliche Arbeit darstellt, bis hin zum berüchtigten Video auf Youtube. Für den Durchschnitt der Muslime ist das alles gleichermaßen ein Angriff auf ihren Glauben.


Die Welt: Ein Unterschied zu den Protesten in der Vergangenheit ist, dass sie diesmal in der Folge des “arabischen Frühlings” stattfinden. Mittlerweile können die Massen ihre Meinung frei äußern und haben Führungen wie die Muslimbrüderschaft in Ägypten gewählt. Jetzt sind die Islamisten der Mainstream und sie sind so wütend wie die Menschen, die der Westen sonst als militanten Rand bezeichnet hat. Wie schätzen Sie das ein?


Ayaan Hirsi Ali: Was wir in der Folge der Proteste in der arabischen Welt sehen, ist eine Abneigung gegenüber tyrannischer Herrschaft – egal, ob es ein säkularer Diktator oder eine religiöse Monarchie ist. Dort, wo die Diktatur gestürzt wurde, sehen wir – und das habe ich immer gesagt – eine starke Unterstützung für Regierungen, die sich auf dem politischen Islam gründen. Die Hauptströmung der Bruderschaft hat nie ein Geheimnis aus ihrer Zustimmung zu einem politischen und moralischen Rahmen gemacht, der auf islamischen Rechtsgrundsätzen basiert. Deswegen sollte es uns nicht überraschen, dass die Führer der Muslimbrüderschaft sich durch die negative Darstellung ihrer moralischen Richtlinien beleidigt fühlen.


Die Welt: Während US-Präsident Barack Obama nach den Ausschreitungen an der Meinungsfreiheit festhält, sagt der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, die Beleidigung des Propheten könne nicht als Meinungsfreiheit angesehen werden. Lassen sich diese konträren Positionen vereinbaren?


Ayaan Hirsi Ali: Für mich symbolisiert das den “Kampf der Kulturen”, den Samuel Huntington im Jahr 1993 beschrieben hat. Es ist eine unangenehme Realität, der sich beide Kulturen gegenüber sehen: Es gibt gewisse Werte, bei denen können ihre Träger keinen Kompromiss eingehen. Premierminister Erdogan ist unermüdlich damit beschäftigt, Initiativen im Namen der islamischen Nationen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit für eine Gesetzgebung durch die Kanäle des internationalen Gesetzes zum Verbot der Blasphemie voranzubringen.


Präsident Obama hat der islamischen Welt unermüdlich mitgeteilt, dass Amerika Freundschaft und Frieden mit den Muslimen auf der ganzen Welt anstrebt. Er hat gelobt, die amerikanischen Truppen aus dem Irak und aus Afghanistan abzuziehen. Er stand auch dem Sturz von Diktatoren, die Verbündete der USA waren, nicht im Weg. Und er hat Israel und einem Teil der jüdischen Bevölkerung in den USA vor den Kopf gestoßen, indem er versucht hat zu zeigen, dass die Palästinenser ebenso ein Partner der USA seien wie die Israelis.


In Wirklichkeit ist keiner der beiden Anführer oder der Menschen, die ihn gewählt haben, darauf vorbereitet, dem anderen zu geben, was er möchte: Präsident Obama oder irgendein anderer amerikanischer Präsident wird keinen Kompromiss bei der Meinungsfreiheit eingehen. Und Ministerpräsident Erdogan oder irgendein anderer muslimischer Führer wird sich nicht zurücklehnen und Blasphemie gegen islamische Symbole akzeptieren.


Die Welt: Die Demokratisierung der Medien bedeutet, dass jeder auf der ganzen Welt Videos versenden kann – und diese auch von jedem gesehen werden können. Das birgt gewisses Konfliktpotenzial…


Ayaan Hirsi Ali: Genauso ist es. Westliche Staaten beruhen auf dem Prinzip, dass der freie Meinungsaustausch von der Verfassung geschützt ist. So ist den Filmemachern in Hollywood oder den großen Verlagshäusern in New York nichts heilig: Wenn ein Film gut ist, erhält er einen Oscar. Ist er schlecht, wird er in den Rezensionen zerrissen. Dabei ist kein Thema tabu, ob es nun um Jesus Christus, Sex, Geld, Schwule, Juden oder Frauen geht.


Erdogan und der ägyptische Präsident Mohammed Mursi wollen offenbar nicht verstehen, dass in einer Verfassungsdemokratie der Premier oder Präsident gar nicht die Macht und das Recht haben, die freie Meinungsäußerung einzuschränken. Wenn Obama sagt, der islamfeindliche Film sei unwürdig und repräsentiere nicht die Meinung der US-Regierung, ist das eben nur seine Privatmeinung – und nicht das Gelöbnis, die Macher des Films zu bestrafen.


Die Welt: Was soll der Westen also tun?


Ayaan Hirsi Ali: Als die einzig verbliebene Supermacht stehen die USA vor der großen Herausforderung, so weit es geht Konflikte zu vermeiden. Das ist umso schwieriger, als der amerikanische Einfluss abnimmt und der seiner Feinde wächst. Im Verhältnis zur muslimischen Welt hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten Folgendes gezeigt: Zu propagieren, dass sich gegenseitig ausschließende Moralvorstellungen vereinbaren lassen, löst das Problem nicht – ganz im Gegenteil, es verzögert nur die unausweichliche Auseinandersetzung in diesem ideologischen Streit.


Amerika wird genauso wenig von der Meinungsfreiheit abweichen, wie die Muslime nicht akzeptieren werden, dass eine Beleidigung ihrer religiösen Ikonen straffrei bleiben darf. Von daher ist der einzige Ausweg eine wahrhafte Auseinandersetzung, bei der jede Seite versucht, der anderen zu beweisen, dass die jeweiligen Wertvorstellungen überlegen sind. Mit anderen Worten: Der Westen sollte endlich aufhören mit der moralischen Relativierung und damit beginnen, seine Werte zu verteidigen. Das wird im Endeffekt weniger Leben kosten, als sich vorübergehend mit Diktatoren und Tyrannen zu verbünden.

Source: Die Welt, 17.9.2012

Erich Mühsam: Bismarxismus


Freiheit ist ein religiöser Begriff. Wer mit dem Ziele der Freiheit Revolutionär ist, ist ein religiöser Mensch, Revolutionär sein ohne religiös zu sein, heißt mit revolutionären Mitteln andre als freiheitliche Ziele ansreben. Anders gesagt: Revolutionäre Entschlossenheit kann aus einer seelischen Not stammen, aus dem Empfinden der Unerträglichkeit von Zwang, Gesetz und Entpersönlichung – dann ist sie religiös; sie kann auch stammen aus der nüchternen Errechnung von Zweckmäßigkeit, wenn sich unter ihren Faktoren die Revolution als unumgängliches Mittel erwiesen hat – dann ist sie positivistisch. Der Positivist, – das ist der kirchliche Mensch im Gegensatz zum religiösen, der Leugner der Wildheit, des Rausches und der Utopie: der Dogmatiker und Fatalist, dem die Freiheit eine Kleinbürger-Phantasie und der Kampf ums Dasein eine Bestimmungs-Mensur scheint.

Hier wird zu Revolutionären gesprochen, deren revolutionäres Ziel die Freiheit ist. Freiheit ist ein gesellschaftlicher Zustand, dessen Fundament die freiwillige Vereinbarung der Menschen zu gemeinsamer und einander ergänzender Arbeit und zur gegenseitigen Verbürgung des Lebens und seiner Güter bildet. Der gesellschaftliche Zustand der Freiheit beruht auf der Freiheit der Persönlichkeit, die Freiheit des Einzelnen aber findet ihre Grenze an der Freiheit der Gesamtheit; denn wo nicht alle Menschen frei sind, kann keiner frei sein. Das Ringen um diese Freiheit, die unvereinbar ist mit irgend welcher Art Obrigkeit, gesetzlichem Zwang, angeordneter Disziplin oder staatlicher Gewalt, ist die religiöse Idee der Anarchie. Zu ihrer Verwirklichung bedarf es der revolutionären Umwälzung der Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen, will sagen der Schaffung der materiellen Basis, auf der allein Freiheit möglich ist: das ist ökonomische Gleichheit. Wir Anarchisten sind Sozialisten, Kollektivisten, Kommunisten, nicht weil wir in der gleichmäßigen Regelungen von Arbeitsleistung und Produktenverteilung die letzte Forderung menschlicher Glückseligkeit erfüllt sähen, sondern weil uns kein Kampf um geistige Werte, um Vertiefung und Differenzierung des Lebens möglich scheint, – und eben dieser Kampf ist der Sinn der Freiheit –, solange die Menschen unter ungleichen Bedingungen geboren werden und heranwachsen, solange geistiger Reichtum in materieller Armut ertrinken, geistige und seelische Armseligkeit im Glanze erkaufter Macht und Bildung als Reichtum strahlen kann.

Gleichheit hat mit dem, was heute Demokratie heißt, nicht das mindeste zu schaffen. Die Gleichheit der bürgerlichen Demokratie beschränkt sich auf die Anerkennung, daß jede zur Stimmabgabe zugelassene Person als eine Stimmeinheit zu zählen sei. Dabei ist die Mehrheit der Stimmen selbstverständlich immer der Klasse verbürgt, die durch ihre wirtschaftlichen Privilegien fast den gesamten Beeinflussungsapparat beherrscht; überdies sind aber die Institutionen, für die gewählt werden darf, ihrer Art nach nur geeignet, Bestehendes zu erhalten und zu verwalten. Mag die Mehrheit der Wähler immerhin mit revolutionären Absichten votieren, die Gewählten, welcher Programmrichtung sie auch angehören mögen, können in ihren Körperschaften niemals anders als konservativ handeln. Sozialismus und Freiheit ist auf dem Wege der Demokratie nicht zu erlangen; Demokratie aber im Sinne von Freiheit und Gleichheit ist nur auf dem Boden des restlos verwirklichten Sozialismus möglich. Diese eigentliche Demokratie, die die Herrschaft der Gesamtheit über sich selbst, das ist die Selbstbeherrschung jedes Einzelnen im Bewußtsein seiner gesellschaftlichen Mission, bedeutet, bedingt wirtschaftliche und rechtliche Gleichheit, die die Voraussetzung aller Freiheit ist.

Nirgends in der Welt steht der religiöse Drang nach Freiheit tiefer im Ansehn als bei den Deutschen. Der Positivismus, als philosophisches Prinzip von dem Franzosen Comte aufgerichtet, fand seinen realen Nährboden in dem Lande, das schon den Sieg des brutalen Rationalisten Martin Luther über den glühenden Weltstürmer Thomas Münzer erlebt hatte. Das ist die ganze Geschichte Deutschlands: immer und überall zertrampelt das Schema und die Formel den lebendigen Geist, die Schulweisheit den Impuls des Inneren Wissens, die Kirche die Religion. Der stärkste Geist der deutschen Geniezeit, Goethe, imponiert den Deutschen nicht durch seine apollinische Natur, sondern durch seine robuste Lebensauffassung, und sie verehren ihn, weil er seinen phänomenalen Verstand so gut bürgerlich zu kleiden wußte und weil er den Oberlehrern die bequeme Phrase des gesättigten Appetits geliefert hat, daß, wo Gleichheit sei, keine Freiheit bestehn könne. Von den innigsten Geistern jener Zeit, Hölderlin und Jean Paul, weiß der Deutsche wenig, und warum der Versuch der Romantiker, vor den Stiefeltritten des Preußenschneids in Mythologie und Mystizismus zu flüchten, in fade Sentimentalität umschlug, um endlich vom Literatentum der Börne und Laube im Positivismus begraben zu werden – darüber machen sich die Leute keine Gedanken. Das junge Deutschland – das war literarischer Positivismus, verschärft mit Hegelei.

Der Positivismus, die Philosophie der nüchternen Gegebenheiten, die letzten Endes Gelehrsamkeit mit Wirklichkeit verwechselt, und der Hegalinianismus, das uniforme Metternichtum des Geistes, dessen apodiktische Abstraktionen und dialektische Gaukeleien den Irrsinn produzieren, alles Wirkliche vernünftig zu finden, – diese beiden Denkfesseln mußten sich gleichzeitig um die Willensgelenke der Deutschen legen, um ihre beste Eigenschaft, den Kosmopolitimus, zu vernichten und an seiner Stelle im Geistigen, wie im Politischen den Zentralismus, das natonale Reglement, das „;Staatsbewußtsein“; wachsen zu lassen. Das Preußentum, das Luthertum – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als der Kapitalismus Deutschland zu industrialisieren begann, gebar es aus der Banalität der konkretesten und der Verschrobenheit der abstraktesten aller Philosophien die Theorie seiner Geistverlassenheit und der in kapitalistischen Formen entbrannte Klassenkampf in Deutschland sah die Gegner auf beiden Seiten den gleichen philosophischen Strick ergreifen, – nur faßten ihn beide am entgegengesetzten Ende an. Bismarck spaltete Deutschland und schuf das zentrale Reichsgebilde mit dem Preußenkönig als Kaiser an der Spitze, so den Boden bereitend für die hemmungslose Entfaltung des kapitalistischen Besitzmonopols; Karl Marx spaltete die Arbeiter-Internationale, warf Bakunin und alle Revolutionäre hinaus, die der Selbstverantwortlichkeit des Proletariats, seinem Freiheitswillen und seiner Entschlußkraft mehr zutrauten als den Rechenkünsten festbesoldeter Revolutions-Manager und machte aus der Religion des Sozialismus die Kirche der Sozialdemokratie. Bismarck arrangierte drei Kriege, um den Agrar-, Industrie-, und Börsenkapitalisten die nötige Ellenbogenfreiheit für die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft zu schaffen; Marx schrieb eine für die Zeit ihres Entstehens meisterhafte, aber sehr professorale Analyse des Kapitals, die er mit einer von Hegel entlehnten abstrakten Philosophie garnierte, wonach der Kapitalismus die naturnotwendige Konsequenz der sich am Faden der historischen Dialektik abspulenden Menschheits-Entwicklung sei und der historische Materialismus sein Aufschwellen bis zu der Überfülle bedinge, die ihn unter Nachhilfe der unausweichlichen proletarischen Revolution von selber platzen lassen werde. Bismarck praktizierte den Obrigkeitsstaat, dessen Machtfundament von der Kommandogewalt des Unteroffiziers über den Rekruten gestützt wurde; Marx kopierte in Partei und Gewerkschaft die Disziplin und den Drill, die Subordination und Schnauzerei des Kasernenstaates und übernahm dazu von der katholischen Kirche die Unfehlbarkeit des Papstes und Avancement-Stufenfolge nach dem Grade ergebener Frömmigkeit. Bismarck endlich ordnete seinen Staat nach dem Prinzip des autoritärsten Zentralismus, wie es den Wünschen und den Interessen der ausbeutenden Bourgeoisie entsprach, und Marx proklamierte diese Organisationsform als die dem Proletariat nach der Machtergreifung ebenfalls gemäße des „;Arbeiterstaates„;.

So wuchsen im neuen Deutschen Reich zwei feindliche Stämme aus derselben Wurzel, einer öden und phantasielosen Autoritätslehre; genährt von den gleichen Kräften, gedanken- und begeisterungsloser Disziplin und anspruchsvollem und gänzlich unfruchtbarem Bürokratismus; beide entschlossen, jede Konkurrenz mit allen Mitteln der Macht oder doch des Machtwillens niederzuschlagen: Bismarck den nationalen Kapitalismus anderer Länder, Marx die revolutionären Sozialisten, die weder von Marxens fatalistischer Theorie noch von Bismarcks allgemeinem Wahlrecht Gebrauch zu machen wünschten und keine Staaten zu erobern sondern alle zu zerstören trachteten, um statt ihrer die von keinen Staatsgrenzen getrennt arbeitenden Menschen nach eigenen Ratschlüssen produzieren und konsumieren zu lassen. Die peinlichste Ähnlichkeit der beiden Stämme, die in Deutschland als bismarcksche kapitalistische Staatsmacht und als marxsche doktrinäre Arbeiterbewegung zu den Sternen strebte, die ihnen nicht leuchteten, war der völlige Mangel an jeder schöpferischen Originalität, die völlige Abwesenheit aller religiösen Inbrunst, in Wesen und Ziel der völlige Verzicht auf jedwede Freiheit. Dieser Mangel, verbunden mit Anmaßung, Pedanterie, Bürokratendünkel, Paragraphenbesessenheiten und Schulmeisterei – das ist der deutsche Kujonengeist, dem die herrschende Klasse ihren stumpfsinnigen Aufstieg von gepflegter alter Kultur zur Geldmacht und einem komfortablen Stande auf dem internationalen Sklavenmarkt verdankt, und der die deutsche Arbeiterbewegung immer weiter vom Sozialismus weg auf den Weg der Resignation und zur inneren Fäulnis und Kampfunfähigkeit geführt hat. Es ist das, was ich, den ganzen Jammer unsrer Zeit umfassend, Bismarxismus nenne.

Die Parallele von Bismarcks untheoretischer Praxis und Marxens unpraktischer Theorie hat schon vor 5 1/2 Jahrzehnten Michael Bakunin gezogen, der von oberflächlichen Beurteilern vielfach als Antisemit und Deutschlandfeind ausgegeben wird. Er war beides nicht und hat sich ausdrücklich dagegen verwahrt, für das Eine oder das Andere gehalten zu werden. Dennoch tobt er in seinen Polemiken immer wieder mit wütendem Haß gegen „die Deutschen“ und „die Juden“. Mögen unsere Hakenkreuz-Teutonen wissen, daß Bakunin beide Ausdrücke gebrauchte, um ein und dieselbe Eigenschaft damit zu bezeichnen, eben die, für die ich das Wort Bismarxismus vorschlage. Bakunin schimpfte auf die deutschen Juden und auf die jüdischen Deutschen und meinte den von dem Deutschen Bismarck und von dem Juden Marx in gleicher Feindschaft gegen Menschenwert und Freiheit geübten Geist der Despotie und der zentralistischen Autorität; unter diesem Gesichtspunkt identifizierte er die Begriffe Deutschtum und Judentum volständig, selbstverständlich in vollem Bewußtsein dessen, daß er damit nur eine einzige Untugend charakterisiere, für die ihm eine bestimmte Art Deutsche und eine bestimmte Art Juden repräsentativ schienen.

Michael Bakunin ist nun über 50 Jahre tot. Die trostlosen Prophezeiungen, die er der proletarischen Revolution für den Fall hinterließ, daß die Bismärckerei Europa und die Marxerei die Arbeiterbewegung verseuche, sind in fürchterlichem Maße Wahrheit geworden. Aber schon neigen sich die Schatten des Untergangs über beide Infektionsgebiete. Wenn ich hier einmal das Wort von der „Todeskrise des Kapitalismus“ übernommen habe, so irrt der Genosse, der mich darum angriff, wähnend auch ich hätte mich nun der fatalistischen Ideologie des Marxismus ergeben, die die Weltgeschichte nach ehernen Gesetzen und unabhängig vom aktiven Tatwillen der Menschen in „naturnotwendiger“ Entwicklung dialektisch ihr Pensum erledigen sieht. Im Gegenteil: Ich stimme vollständig überein mit der Ansicht Gustav Landauers, daß jederzeit und überall die Beseitigung des Kapitalismus und die Aufrichtung des Sozialismus möglich ist, wenn die Menschen das Notwendige veranstalten, um die revolutionären Bedingungen dazu zu schaffen. Die „Todeskrise des Kapitalismus“ ist für mich nicht eine Erscheinung der göttlichen Vorsehung, die uns berechtigen könnte, geruhsam zuzusehen, wie jetzt das bestehende Wirtschaftssystem automatisch zusammenkrachen und an seiner Stelle ebenso gottgewollt und unausbleiblich ein neues sozialistisches und in der Reihenfolge marxistisch errechneter „Phasen“ aufblühen werde. Von dieser Krise nehme ich aber untrügliche Erscheinungen wahr, deren erste und verständlichste der Weltkrieg mit seinen für die kapitalistische Maschinerie unreparierbaren Folgen war; das Erkennen dieser Krise hat mit Fatalismus nichts zu tun, sondern verpfichtet zum Eingreifen, damit die krepierende Bestie nicht in der Agonie die Keime vernichtet, aus denen Revolution, Sozialismus und Freiheit erwachsen sollen. Das Verrecken des Kapitalismus in seiner bisherigen Form bedingt keineswegs das Entstehen des Sozialismus an seiner Stelle. Ein andrer, vielleicht besser organisierter Kapitalismus kann, wenn die revolutionären Sozialisten die Todeskrise nicht durch den Todesstoß beschleunigen, sehr wohl der Ausbeutung in veränderten Formen neue und noch erweiterte Möglichkeiten schaffen. Bleibt der Staat in irgend einer Gestalt am Leben, dann hat der Kapitalismus und mit ihm der Positivismus, das Kirchentum des Lebens, mit einem Wort der Bismarxismus freies Feld.

Die Todeskrankheit des Kapitalismus ist aber zugleich die Todeskrankheit des Marxismus. Heute steht ja, zumal in Deutschland, die Arbeiterbewegung fast ausnahmslos auf dem Boden dieser fatalistischen Lehre, und Sozialdemokraten und Unabhängige, rechts- und linksbolschewistische Kommunisten, KAPisten und Unionisten aller Schattierungen sieht man sich unter Aufwand haarsträubender Rabulistik gegenseitig die Bibel des garntiert wissenschaftlichen Sozialismus, die Marxdoktrin, auslegen. Am Bibelwort selbst zu rühren, die Heilswahrheit des gesamten Marxismus anzuzweifeln, das wagt keiner von ihnen allen, das ist unter Sozialisten ein solche Verbrechen, wie bei den Bismarck-Epigonen die Verneinung der Notwendigkeit des großpreußischen Deutschen Reiches. Und siehe: die Bejahung dieser Notwendigkeit geschieht nirgends so überzeugungsvoll wie bei den sozialdemokratischen und kommunistischen Marxisten. Jene 1918/19, diese 1923: Bismarxismus auf der ganzen Linie

Ist das zu verwundern? Der Marxismus – Landauer weist in seinem herrlichen „Aufruf zum Sozialismus“ nachdrücklich darauf hin – beschäftigt sich in allen seinen theoretischen Schriften nirgendwo mit dem Sozialismus, er erschöpft sich in der Analyse und Kritik des Kapitalismus. Indem er aber ausgeht von der Hegelschen Lehre der Vernünftigkeit alles Seienden und die unausweichliche Notwendigkeit der kapitalistischen Periode behauptet, ja, ihre Fortentwicklung bis zum Kulminationspunkt in die Zukunft hinein zur Grundlage seiner Revlutionslehre macht, bejaht er zunächst alle Voraussetzungen des Kapitalismus, und so bejaht er den Staat, den Zentralismus, das Autoritätsprinzip, alles, worauf der Kapitalismus ruht. Das Proletariat kann nicht zu Freiheit und Sozialismus kommen, ehe es nicht auch in der Idee vom Staat losgekommen ist. Es kann nicht vom Staat loskommen, ehe es nicht in seinem eigenen Befreiungskampf die Lehren verwirft, die die Stützen jedes Staatsglaubens sind: Autorität und Disziplin, Zentralismus und Bürokratismus, Positivismus und Fatalismus. Die Wissenschaft, sagt Bakunin, hat das Leben zu erhellen, nicht zu regieren. Führerin im Kampf sei dem revolutionären Proletariat nicht die anfechtbare Wissenschaft des Marxismus, der nicht andres ist als Bismarxismus, sondern der unanfechtbare religiöse Glaube an sein Recht und seine Kraft, der Haß gegen die Ausbeutung und der Wille zur Freiheit!


Aus „Fanal, Anarchistische Monatszeitschrift“, Jg. 1, Nr. 5, Februar 1927

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Gegen die Delegitimierung Israels!

Am Ende des 20., Anfang des 21. Jahrhunderts wurde deutlich, dass das Volk und der Staat Israel, trotz seiner wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Erfolge im jetzigen Stadium der modernen Geschichte eine schreckliche Niederlage im globalen Informationskrieg erlitt. Diese Niederlage in der Schlacht um das Recht der Juden und ihres Staates auf eine Existenz, gegen das erneut erhobene Haupt des Nationalsozialismus und des Islamismus, kann der Vorbote einer globalen Katastrophe werden. Bertolt Brecht schrieb prophetisch 1941 im Epilog seines Dramas «Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui»:

«Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert und handelt; statt zu reden noch und noch. So was hätt’ einmal fast die Welt regiert! Die Völker wurden seiner Herr, jedoch daß keiner uns zu froh da triumphiert – der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.»


Die Realitäten der Politik des Westens haben sich nun verschoben. In der modernen Geschichte gaben der jüdische Staat und das Volk Israels dem Nachkriegs-Deutschland bei verschiedenen Gelegenheiten eine neue Legitimation in der Familie der zivilisierten Völker der Welt. Dies geschah 1952 durch den Beginn der Entschädigungszahlungen an jüdische Opfer des Holocaust in aller Welt und auch im Jahr 1960 nach dem historischen Treffen des israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion mit dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer im New Yorker Hotel Waldorf Astoria, als eine Vereinbarung über Reparationen und massive militärische Hilfe für den jungen jüdischen Staat erreicht wurde. Ohne diese Hilfe hätte Israel den ständigen Aggressionen der arabischen Länder nicht standhalten können. Nach der deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 unterstützte das jüdische Volk den nationalen und demokratischen Prozess und Deutschland ist immer noch der zuverlässigste Partner und Verbündete Israels.


In keinem anderen Land der Welt war Deutschland in der Lage seinen internationalen Ruf so zu verbessern, wie es im jüdischen Staat geschah. Andererseits, trotz mündlicher Zusicherungen, gibt es eine gewisse politische Müdigkeit und Erosion in Bezug auf die wichtige Frage der Existenz des jüdischen Staates, die Bundeskanzlerin Angela Merkel gar zur «Staatsräson» erklärte. Deutschland schloss zuversichtlich seine Legitimität unter den Demokratien des Westens ab und Israel spielt in diesem Prozess nicht mehr die alte Rolle eines ehemaligen moralischen Garanten. Man braucht offensichtlich nicht den Umfang der alten Harmonisierung der Beziehungen in der Innen- und Außenpolitik der EU mit den Lebensinteressen Israels aus den Tagen des Kalten Krieges. Heute gehören dazu auch laute und sehr eindringliche antiisraelische und sogar antisemitische Stimmen. Man bekommt den Eindruck, dass einige durch arabische Petrodollars bezahlte Medien, aber auch westliche Politiker nun bereit sind, Israel und das jüdische Volk zu opfern und unter die Räder des Zuges von Antiisraelismus und Antisemitismus zu werfen. In Europa und den Vereinigten Staaten wächst die Zahl der antisemitischen Vorfälle und der Übergriffe auf Juden, Synagogen und die jüdischen Gemeinden, sogar vor Morden wird nicht mehr zurückgeschreckt, wie etwa im März 2012 das Massaker an jüdischen Kindern durch einen französischen Islamisten in einer Schule in Toulouse. Der Bericht des unabhängigen Expertenkreises «Antisemitismus», der bereits im Herbst letzten Jahres erschien, wurde Ende Januar auf Einladung des Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse im Bundestag vorgestellt. Als neue führende Kraft des Antisemitismus in Deutschland erwies sich der radikale Islamismus mit über 37.000 Anhängern. Der Rechtsradikalismus mit seinen laut Verfassungsschutz etwa 26.000 Anhängern rangiert auf der zweiten Stelle in dieser Liste. Unsere Weisen des Altertums schrieben: «Wer ein Leben zerstört, zerstört die ganze Welt, und wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.» (Mischna, Traktat Sanhedrin, 4:5).


Seit einem beträchtlichen Zeitraum hören sie nicht auf, sondern im Gegenteil; unter dem Druck des islamischen Blocks verstärken sich die Bemühungen einiger Amerikaner und Europäer, Israel zu delegitimieren und seine Souveränität über das Gebiet von Erez Israel zu begrenzen. Der Westen betreibt aktive Einmischung in die Innenpolitik Israels, einem UN-Mitglied seit 1948. Was früher die Beschäftigung der Neonazis und islamischen Fanatiker war, wächst heute zu einer gut bezahlten internationalen Bewegung. Durch arabisches und iranisches Öl werden Gehirnwäsche und antiisraelische, antisemitische Propaganda in den Medien der ganzen Welt massiv finanziert.


Heute leugnet der katholische Bischof Richard Williamson, Mitglied der traditionalistischen Priesterbruderschaft St. Pius X., den Holocaust; Baroness Catherine Ashton, seit 2009 Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Erste Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, vergleicht die Situation in Gaza mit dem Mord an jüdischen Kindern in Toulouse. Ein «Sahnehäubchen» gab auch der SPDParteivorsitzende Sigmar Gabriel. Beim Besuch in Israel nannte er sein Gastland einen «Apartheid-Staat». Zur Ehrenrettung der Berliner Jusos muss man betonen, dass sie gegen Ihren Parteivorsitzenden auftraten.

Alle übertraf zuletzt der Literaturnobelpreisträger, Günter Grass, der in seinen jungen Jahren Mitglied der Waffen-SS war und, wie es sich herausstellte, ein ewiger Antisemit ist. Einst wollte er den Nationalismus vermeiden, in dem er die Wiedervereinigung Deutschlands verhindern wollte. In seinem Pasquill-Gedicht «Was gesagt werden muss», das gleichzeitig in der «Süddeutschen Zeitung», «El País» und «La Repubblica» veröffentlicht wurde, griff er «gealtert und mit letzter Tinte» Israel wegen seiner vermeintlich vorbereiteten nuklearen Attacke auf die Atombomben-Produktionsstätte des hochgerüsteten Mullah-Regimes im Iran scharf an. Wie vor einigen Jahren bei der «Auschwitz-Moralkeule» von Martin Walser offenbart sich der Hass auf Israel – und natürlich gegen die Juden allgemein – in diesem «Gedicht» in Umkehrung und Verkennung der längst bekannten Tatsachen. «Ich schweige nicht mehr…», schrieb mutig der erwachte greise Literaturnobelpreisträger, nach dem er 60 Jahre seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS eisern verschwiegen hatte. Selbstverständlich ist es ein reiner Zufall, dass nach dieser Publikation von Grass ein neues Buch erscheinen muss und der Skandal um das «Gedicht» die Verkaufszahlen ankurbelt.

Einige westliche Verbündete und internationale Organisationen, zuletzt die Vereinten Nationen, versuchen, Israel die Kontrolle über seine noch aus den Zeiten der Balfour-Deklaration 1917, der San-Remo- Konferenz 1920 und des Völkerbundes erklärten Hoheitsgebiete und über die Innenpolitik des Staates zu entziehen. So wollen sie entgegen internationaler Vereinbarungen über die Baupolitik im Land mitentscheiden. Fast alle Antisemiten sagen heute, dass sie die «wahren Freunde Israels» seien. Der beliebte deutsche Journalist und Politik-Experte Henryk M. Broder referierte im Juni 2008 vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages über die neuen Formen des «Antisemitismus ohne Antisemiten »: «Nach 1945 gab es dann aus den bekannten Gründen einen Antisemitismus ohne Juden, und heute haben wir es wieder mit einem neuen Phänomen zu tun: einem Antisemitismus ohne Antisemiten.»


Israel ging auf die Forderungen der Europäer und der Amerikaner ein, verließ die Halbinsel Sinai, gab sie an Ägypten ab; unter der Verheißung des Friedensprozesses erkannten die Israelis sogar ohne Gegenleistung die Palästinensische Autonomiebehörde an, zogen die Armee aus dem Südlibanon und aus dem Gazastreifen zurück. Israel hat sich akribisch an die Bestimmungen der Osloer Verträge gehalten, die 1993 in Washington unterzeichnet wurden. Als Antwort erhielt Israel die arabische Ablehnung des Friedensprozesses im Allgemeinen, keine Anerkennung des jüdischen Staates und Unterstützung der tollwütigen extremistischen Bewegungen wie Hamas und Hisbollah seitens der arabischen Welt. Raketenangriffe auf Sderot und Stadtgebiete Aschkelons, Aschdods, Beer Schewa, zusammen mit dem Beschuss des Nordens Israels sind heute auf der Tagesordnung und gelten als ein «normaler » Zustand. Täglich erreichen uns Berichte über Terroranschläge und Morde an Juden durch Islamisten in Israel und im Ausland. Provokationen wie zum Beispiel notorische Verstöße gegen die erklärte Seeblockade des Gaza-Streifens, einschließlich der durch das türkische Schiff «Mavi Marmara», oder Versuche, die syrisch-israelische Grenze auf dem Golan zu durchbrechen, führten zu Verlusten von Menschenleben. Charakteristisch ist, dass vor fast einem Jahr der Deutsche Bundestag einstimmig für eine Resolution, die die Aufhebung der Blockade des Gaza- Streifens forderte, stimmte. Dass aus dem Gazastreifen kontinuierlich Hunderte und Tausende von Raketen auf friedliche Dörfer und Städte in Israel fliegen, interessiert offensichtlich niemanden.


Durch seine antisemitische Rhetorik zeichnete sich der Minister-Präsident der Türkei Recep Tayyip Erdogan aus, der kürzlich vom ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog mit dem Toleranzpreis ausgezeichnet wurde. Das alles erinnert an die schändliche Vereinbarung vom 1939 in München (Münchner Abkommen), bekannt als Appeasement-Politik. 73 Jahre zurück opferte man die Tschechoslowakei, um die Ambitionen und den politischen Appetit Hitlers zu befriedigen.


Die internationale öffentliche Meinung unterstützte den «arabischen Frühling» in Tunesien, Libyen, Ägypten und Jemen, der seinerseits sofort in den politischen antiwestlichen und islamistischen Winter überging. Die Massakrierung der Bevölkerung von Syrien durch die eigene Armee bedarf keines Kommentars, aber die Verurteilung der blutigen Diktatur steht in keinem Vergleich und kommt nicht mal in die Nähe der laufenden täglichen Verurteilung des jüdischen Staates. Die Probleme der Demokratisierung in der arabischen Welt prallen gegen eine Betonmauer massiver Propaganda des radikalen islamischen Wachhabismus und Salafismus, die u.a. die Gleichberechtigung der Weltreligionen kategorisch ablehnen. Vor allem das märchenhaft reiche Katar und Saudi-Arabien, die wichtigsten Energielieferanten der Welt, fordern und fördern diese Haltung. Das Problem der Weiterverbreitung von Atomwaffen ist nicht nur auf das islamische Regime Pakistans beschränkt – auf der Tagesordnung steht jetzt der unberechenbare Iran mit seiner nuklearen Raketen-Bedrohung. Diese Entwicklung, zusammen mit der wachsenden Renaissance der archaischen Praxis des islamischen Rechts, der Scharia, in islamischen Ländern und den Versuchen es in den USA und Europa zu etablieren, stören nicht im Entferntesten im Vergleich mit der bloßen Existenz des jüdischen Staates, einer einzelnen wirklichen Demokratie im Nahen Osten.


Deshalb erklären wir fordernd:


Keine neue Appeasement-Politik! Keinen neuen, diesmal nuklearen Holocaust!


Es sind die Worte eines Juden, Jesus von Nazareth: «…geht nicht zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe» (Matth. 10:6, 7). Zur den Aufgaben der Christen in der ganzen Welt, auf dem Pfade der Tugend Jesu, muss die Unterstützung des Kampfes gegen Judenhass und Antizionismus gehören. Es gibt kein Heil ohne die Juden! Daher rufen wir alle Menschen guten Willens aus allen Ländern, Nationen und Religionen auf an einer gemeinsamen Diskussion teilzunehmen, um sowohl den festgefahrenen politischen Prozess im Nahen Osten neu zu beleben, wie auch das Festhalten an unserer gemeinsamen jüdisch-christlichen Zivilisation zu besprechen.



Dr. Boris Altschüler ist Vorsitzender der Deutschen Aschkenas-Gesellschaft.



Die Kommentare stellen keine redaktionellen Meinungsäußerungen dar. Die Redaktion behält sich vor, Texte zu kürzen.


«Jüdische Zeitung», Mai 2012

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Wagners Musik bleibt abgesagt


Erster kompletter Konzertabend in Israel mit Werken des Antisemiten scheiterte an Protesten



Von Lukas Andel




Man muss Richard Wagners Musik nicht mögen. Aber viele Musikfreunde halten sie für meisterhaft. Und die Musikwissenschaft rühmt manche der Kompositionen des Komponisten als Meilensteine der europäischen Kulturgeschichte. Ein Konzertsaal – auch in der Universität oder im Hotel – hat Türen, wer ein Wagner-Konzert besucht, braucht eine Eintrittskarte. Wer die spätromantischen Harmonien partout nicht hören will oder gar von ihr angeekelt ist, kann also fernbleiben. Man kann, man muss in einer kulturell offenen Gesellschaft jedoch erwarten, dass niemand die Liebhaber von Wagners Werken am Besuch eines Konzertabends mit seinen Werken hindert.


Es gibt gute Gründe, den Komponisten, Dramatiker, Philosophen, Schriftsteller, Regisseur und Dirigenten Wilhelm Richard Wagner (1813-1883) für einen üblen Antisemiten zu halten. Belastet hat er sich vor allem als Autor der Schrift «Das Judenthum in der Musik», die er 1850 unter dem Pseudonym Karl Freigedank veröffentlichte und 19 Jahre später unter eigenem Namen weiter ausweitete. Vor allem ging es ihm in dem verquasten Aufsatz darum, das musikalische Können seiner jüdischstämmigen Konkurrenten wie Felix Mendelssohn-Bartholdy zu diskreditieren. Wagner schrieb im neidvollmissgünstigen und vor allem antisemitischen Ungeist seiner damaligen Umgebung. Seine zweite Ehefrau Cosima übertrumpfte ihn seinerzeit darin bisweilen. Seinen künftigen Schwiegersohn, den englischen Schriftsteller Housten Steward Chamberlain feuerte jedoch auch Wagner selbst zu antisemitischen und rassistischen Ausfällen an.



Bornierter Antisemitismus


Der bornierte Antisemitismus Richard Wagners überlagert für viele – und insbesondere für viele Opfer des Nationalsozialismus – eine freimütige Auseinandersetzung mit seinem musikalischen Schaffen. Endgültig verschüttet ist der Zugang vieler Juden zu Wagners Werk und Wirken jedoch vor allem durch die Klangfarbe der nationalsozialistischen Diktatur. Der Genuss der durchaus gewaltigen Klänge von Wagners Musik wird den meisten Menschen, die Todesnot und Vertreibung durch Hitlers Faschisten erleiden mussten, für immer unmöglich sein. Jeder, der mit den Opfern fühlt, wird verstehen, dass bereits kurz nach der Reichspogromnacht von 1938 und mehr als neun Jahre vor der israelischen Staatsgründung das aus osteuropäisch-jüdischen Musikern bestehende Palestine Symphony Orchestra in Tel Aviv beschloss, vorläufig auf die Aufführung von Werken des deutschen Komponisten zu verzichten.


Dieser Boykott gilt auch mehr als zwei Generationen später. Im vergangenen Monat sagte zunächst die Universität von Tel Aviv das für den 18. Juni geplante erste abendfüllende Konzert mit Wagners Werken in Israel ab. Als Jonathan Livny, der Vorsitzende der israelischen Wagner-Gesellschaft und Initiator der Projekts, wenig später ersatzweise den Großen Saal des örtlichen «Hilton» für den 16. Juni angemietet hatte, dauerte es auch hier nur ein paar Tage, bis die Leitung des Hotels die Zusage zurückzog. Livny blieb nichts anderes übrig, als den Kartenvertrieb das Publikum anrufen zu lassen und die Erstattung der Eintrittsgelder anzukündigen. Der enttäuschte Livny erklärte den Medien, dass er sich schrecklich fühle, aber weiter für Wagners Musik in Israel kämpfen werde.



Begleitmusik der Nazi-Verbrechen


Auch der Dirigent Asher Fisch will nicht aufgeben. Er bezeichnet es als «unfassbar», dass Musiker in Israel in ihrer Karriere mitunter keine Chance haben, Wagners Musik zu spielen. Fisch hatte zum jetzt abgesagten Konzert eigens ein Orchester aus rund 100 Wagner-Freunden zusammengestellt. Vergeblich eingeübt wurden die Ouvertüren zu «Tannhäuser» und den «Meistersingern», der «Liebestod» aus «Tristan und Isolde», der «Walkürenritt» aus dem «Ring des Nibelungen » und «Siegfrieds Trauermarsch» aus der «Götterdämmerung». Alternative könnte, wie Jonathan Livny jetzt mitteilte, die komplette Aufführung des «Rings der Nibelungen» mit einem kleineren französischen Ensemble sein, vielleicht im September.


Fisch glaubt auch, dass die Stadt Tel Aviv das «Hilton» dazu gedrängt hat, die bereits unterschriebene Vereinbarung für das Konzert rückgängig zu machen. Er empört sich, dass Israel Deutschland ausgerechnet im Bereich der Kultur boykottiere, während es keine Probleme habe, U-Boote aus den Werften an der deutschen Küste zu erwerben, die die direkten Nachfolger der Rüstungsbetriebe seien, in denen – mit verheerenden Auswirkungen – die U-Boote der Marine des nationalsozialistischen Deutschen Reiches gefertigt wurden.


Wagners pathetische Harmonien, im Jahrhundert vor der Ermächtigung der Nazis komponiert, waren allerdings unüberhörbar die Begleitmusik des verbrecherischen Regimes, argumentieren die Überlebenden der Schoa. Sie ertönte zum Auftakt von Reichsparteitagen der NSDAP und neben Liszts «Les Preludes» zu den Siegesmeldungen der «Wochenschau». Sie erklang vor der Nazi-Prominenz bei den Galakonzerten im Bayreuther Festspielhaus und in den Sonntagskonzerten aus den Volksempfängern in deutschen Wohnstuben. Sie musste auch, in perversem Zynismus angeordnet, von jüdischen Musikern in den Lagern der Nazis gespielt werden. Das alles macht die Proteste der Holocaust-Überlebenden verständlich.


Ihre Auffassung artikulierte sich nachdrücklich durch mehrere Opfer-Organisationen. Uri Chanoch, Sprecher ihres Dachverbandes, richtete nach Medienberichten den Wunsch nach Absage des Konzerts an Staatspräsident Schimon Peres, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Erziehungsminister Gideon Saar sowie Joseph Klafter, den Präsidenten der Universität von Tel Aviv, der die Ausladung des Orchesters mit der notwendigen Rücksichtnahme auf die Nazi-Opfer begründete, sondern auch rügte, dass das Konzert ergänzt werden sollte durch nicht angemeldete Vorträge über verschiedene Bewunderer Wagners wie Theodor Herzl und Arturo Toscanini. Jonathan Livni widersprach dieser Darstellung in einem Interview mit dem Militärsender «Galei Zahal« laut «Frankfurter Allgemeiner Zeitung» heftig: «Wir spielen nicht vor SchoaÜberlebenden und auch nicht in aller Öffentlichkeit. Bald könnte es soweit kommen, dass man uns den Genuss von Wagners Musik auch noch zu Hause mit der Begründung verbietet, dass sie die Luft verpeste.»



Strittig: Ursache und Wirkung


Die einen verdammen Wagner, weil seine Musik die Nazis zu ihrem mörderischen Treiben ursächlich inspiriert und beflügelt habe. Die anderen sehen keinerlei direkte Mitschuld des Komponisten, der nicht dafür verantwortlich zu machen sei, dass der NS-Staat Wagners wirkungsvolle Klangwelten gezielt einsetzte, um seine Verbrechen kulturell zu kaschieren. Es bleibt Tatsache, dass der Antisemit Richard Wagner eben doch ganz überwiegend der große geniale Komponist war, der nach dem Zeitalter der Klassischen Musik zum großen Wegbereiter der modernen Musik wurde. Nach den großartigen melodischen Schönheit der Dur- und Moll-Musik von Haydn, Mozart und Beethoven war es das spätromantische Werk Wagners, dass mit seiner Tonmalerei die Ohren öffnete für den späteren Expressionismus der Zwölftonmusik von Arnold Schönberg, für serielle und elektronische Musik. Wagners fortschrittliche Opern öffneten neue Welten der sprachlich gebundenen Musik.


Hauptvorwurf der Wagner-Gegner ist demnach auch nicht, dass die Mythen seiner Sinfonischen Dichtungen pure Nazi-Ideologie, Rassismus oder krassen Antisemitismus transportiert hätten. Deutlich nachweisbar ist dagegen seine Polemik gegen die «mangelnde Ursprünglichkeit» der aus seiner Sicht gekünstelten Werke Mendelssohns, der in einer liberalen jüdischen Familie zu Hause und zum christlichen Glauben übergetreten war. Es ist dabei nicht ausgeschlossen, dass Wagner Mendelssohn den Glanz seiner Oratorien neidete.


Die Unterscheidung zwischen dem Schöpfer genialer, bahnbrechender Musik und Harmonie und den politischen Ansichten eines Antisemiten, der Zweifel an sich selbst durch eine generalisierte Herabwürdigung seiner jüdischen Kollegen zu übertünchen suchte, trafen auch viele namhafte Gegner der Nazis wie Theodor Adorno und Thomas Mann.



Die Ablehnung von Wagners Musik, selbst der von den Musikern des Jahres 1938 beschlossene Boykott sind demokratisches Recht. Die bis heute wiederholten Aufrufe der Generation der Nazi-Opfer, die Kompositionen des Lieblingskomponisten der Mörder zu meiden, spiegeln Meinungsfreiheit, die Respekt verdient. Die Ablehnung von Wagner ist Geschmacksache, musikalisch, gesellschaftlich und politisch. Solange aber mit der Aufführung der Ouvertüren, Opern und Tondichtungen keine Straftat begangen wird, bleibt die strikte Durchsetzung des Boykotts skandalös. Denn sie unterdrückt den ebenso freien Wunsch der Wagner-Liebhaber, sich die musikalisch bedeutenden Stücke des Giganten der Musikgeschichte anzuhören, ohne sie den Feinden des Komponisten zuzumuten oder gar aufzudrängen.



Ein wenig Wagner war schon


Als erster war es der indische Dirigent Zubin Mehta, der 1981 nach einer Symphonie von Camille Saint-Saëns ein Vorspiel aus Wagners «Tristan und isolde» als Zugabe ankündigte und darum bat, jeder, der dies nicht anhören wolle, möge vorab den Saal verlassen. Doch auch der verbliebene Teil des Publikums protestierte nachhaltig und beschimpfte Mehta als «Nazi». Zwanzig Jahre später reiste dann der in Argentinien geborene und in Israel aufgewachsene Dirigent Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin nach Tel Aviv und erntete ebenfalls mit einer Zugabe aus «Tristan und Isolde» wütende Proteste. Vor einer zweiten Zugabe erklärte Barenboim: «Trotz allem, was die Leitung des Israel-Festivals glaubt, gibt es Leute im Publikum, für die Wagner nicht unmittelbar Assoziationen zu den Nazis hervorruft. » Es sei wohl demokratisch, wenn er Wagner als Zugabe für diejenigen spiele, die es gerne hören würden. Nach 30 Minuten heftiger Diskussion blieb ein Teil des Publikums, das der Zugabe begeistert Beifall zollte.


Beide Musiker zeigen bis heute Verständnis für die Aversionen der Holocaust-Opfer, weil Wagners Musik tatsächlich zu den allgegenwärtigen Ritualen des nationalsozialistischen Staates gehörte. Sie sehen aber in den Kompositionen selbst keinerlei Verbindung zum Nationalsozialismus, sondern herausragende musikalische Kunst


«Jüdische Zeitung», Juli 2012

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Unempfindlich bis immun – Rosa Luxemburg und Zionismus

Zum 90. Todestag Rosa Luxemburgs


Am 15. Januar 1919 wurde Rosa Luxemburg in Berlin ermordet, ihre Leiche in den Land- wehrkanal geworfen. Neben Karl Liebknecht war sie der führende Kopf des Spartakusbundes, einer Vereinigung, die für den internationalen proletarischrevolutionären Klassenkampf stand.


Luxemburg, 1870 in Zamocz nahe der russisch-polnischen Grenze geboren, war eine radikale Gegnerin des Militarismus. Eine revolutionäre Fanatikerin war sie nicht. Ihre Auffassung von Freiheit schloss ausdrücklich die Freiheit des Andersdenkenden ein. Die historische Aufgabe des Proletariats sah sie in der Errichtung einer sozialistischen Demokratie.



Zwar war Rosa Luxemburg nicht das einzige jüdische Mitglied des spartakistischen Führungskreises, doch war sie – als Frau, als in Russisch-Polen geborene Jüdin und als Sozialistin dreifach stigmatisiert – den antisemitischen Hetzkampagnen am stärksten ausgesetzt. Die Antisemiten verketzerten sie über ihren Tod hinaus in der Öffentlichkeit als die «typisch jüdische» Radikale, um zugleich die Revolution schlechthin als jüdischen Umsturzversuch zu diskreditieren. In ihrem Denken ließ sie keinen «jüdischen» Aspekt und in keiner Phase ihres Lebens und Wirkens ein überdeutliches Interesse an jüdischen Problemen erkennen. Als «Internationalistin» hatte sie in ihrem Herzen keinen «Sonderwinkel» für die Juden reserviert.



Was auf die Marx’, Singers, Adlers – bei aller Unterschiedlichkeit – hinsichtlich ihrer Identität «passen» mag, muss noch lange nicht auf Rosa Luxemburg zutreffen. Trotzki wurde einmal gefragt, ob er sich als Russe oder als Jude betrachte, und soll geantwortet haben: «Keins von beiden, ich bin Sozialist». Rosa Luxemburg hätte ähnlich geantwortet, nein, hat so geantwortet: Als ihre Freundin Mathilde Wurm sie einmal auf die pogromistische «Judennot» und die «Judenschmerzen» in Russland aufmerksam machte, reagierte Rosa Luxemburg abweisend und kalt und erklärte, sie habe keinen «Sonderwinkel im Herzen für das Ghetto», sie fühle sich in der ganzen Welt zu Hause, überall dort, wo es Menschentränen gebe. Ihr standen die Opfer der Gummiplantagen in Putumayo, die Schwarzen in Afrika, «mit deren Körper die Europäer Fangball spielen», ebenso nahe wie die leidenden Juden. Partikulare jüdische Interessen konnte und wollte sie, und mit ihr eine Reihe anderer Sozialisten jüdischer Herkunft, die sich als Internationalisten verstanden, und die sich allesamt einem universal-sozialistischen Ideal verpflichtet fühlten, nicht erkennen.



Zwar haben auch im Zionismus sozialistische Gedankengänge schon sehr früh eine Rolle gespielt, wenn auch nicht die bedeutendste. Hemmend wirkte sich vor allem aus, dass nichtjüdische Sozialisten den Zionismus als besondere Erscheinungsform des Nationalismus ablehnten, obwohl vor dem Ersten Weltkrieg viele sozialistische Theoretiker trotz des prinzipiellen Internationalismus nationalen Bestrebungen durchaus positiv gegenüber- standen.



Dass der Zionismus ein Nationalismus im herkömmlichen Sinne sei, wurde von sozialistischen Zionisten mit dem Hinweis bestritten, dass die «Judenfrage» keine rein nationale, sondern gleichzeitig eine soziale Frage sei. Rosa Luxemburg vertrat die Auffassung, dass die kapitalistische Entwicklung das Judentum nicht als Nation im eigentlichen Sinne bestehen lasse, sondern ihm den Status einer «geschichtslosen Nation » zuweise.



«Von allen Seiten melden sich Nationen und Natiönchen mit ihren Rechten auf Staats- bildung», machte sie sich einmal lustig, und fügte in ihrer typischen Art hinzu: «Ver- moderte Leichen steigen aus jahrhundertjährigen Gräbern, von neuem Lenztrieb erfüllt… Zionisten errichten schon ihr Palästinaghetto, vorläufig in Philadelphia». Die Nationalitätenfrage – wie alle gesellschaftlichen und politischen Fragen – als Klassenfrage, danach könne das Judentum als gesellschaftliche Minderheit keine nationale Politik treiben. Der Zionismus als partikulare, nationalistische Bewegung bedeutet nach sozialistischer Lesart eine Ablenkung von den Prinzipien des revolutionären Klassenkampfes. Und da dieser ohnehin die universelle Befreiung der Menschheit anstrebe, erübrige sich die Unterstützung einer einzelnen unterdrückten Minderheit.



Die Bezugnahmen Rosa Luxemburgs zu «jüdischen Problemen» waren äußerst spärlich. Obwohl sie aus Osteuropa stammte, die jüdische Wirklichkeit aus der Nähe kennen musste, hat sie ihre jüdische Herkunft einfach ignoriert. Dies ist umso verwunderlicher, als sie eine gewisse jüdische Erziehung genossen, in ihrer Jugend jiddisch gelernt hatte und ihre Parteitagsnotizen in dieser Sprache zu notieren pflegte. Auch gehörte ihr Vater zur jüdischen Aufklärungsbewegung, der Haskala.



Auch gegenüber persönlichen antisemitischen Anfeindungen zeigte sich Rosa Luxemburg zumeist unempfindlich bis immun und setzte sich nie publizistisch mit der «Judenfrage» auseinander. Doch einmal verließ sie ihre Contenance doch: Als sie im Jahre 1903 von dem führenden SPD- Politiker Wolfgang Heine – wiederholt – als Jüdin verunglimpft worden war, gab die Angegriffene mit einer scharfen Erklärung im «Vorwärts» ihre Gleichgültigkeit auf, um sich gegen die «antisemitischen und ausländer-fresserischen Ausfälle » zur Wehr zu setzen. Sie stellte die Frage, ob ein Mann geeignet sei, eines der höchsten Vertrauensämter in der SPD zu bekleiden, der sich mit seiner antijüdischen Hetze «moralisch auf das Niveau der preußischen Polizei» stelle. Das saß!



Die meuchlerische zeitgleiche Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts im Januar 1919 in Berlin war zugleich das blutige Symbol des Sieges der Gegenrevolution. Luxemburg und Liebknecht waren die ersten Opfer konterrevolutionärer Gewalt, bald folgten ihnen weitere revolutionär gesinnte Politiker – Kurt Eisner, Gustav Landauer, Walther Rathenau und weitere. Sie alle waren auch Juden. So blieb das Ergebnis der so verheißungsvoll begonnenen Novemberrevolution des Jahres 1918 eine einzige Enttäuschung, denn wirklich geändert hatte sich nichts. Schon gar nicht eine neue Gesinnung in den eigentlichen politischen Dingen.



Rosa Luxemburg stand für einen kleinen, wenn auch radikalen Teil der revolutionierenden Massen, die sie längst nicht gewonnen hatten, und sie wurde sehr bald von der Revolution «gefressen». Am 15. Januar 1919 wurde Rosa Luxemburg Opfer reaktionärer Soldateska.


L. Joseph Heid


«Jüdische Zeitung», Januar 2009

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Le témoignage d’’un ex-antisioniste, par Nathan Weinstock.


Le nom de Nathan Weinstock est familier à toutes les personnes qui s’intéressent au mouvement ouvrier juif (Le pain de misère. Histoire du mouvement ouvrier juif en Europe, rééd. La Découverte, 2002), ou encore à l’histoire de la langue yiddish (Le yiddish tel qu’on l’oublie. Regards sur une culture engloutie, Métropolis, 2004).


Mais Nathan Weinstock est aussi l’auteur d’un livre, Le sionisme contre Israël (Maspéro, 1969), véritable « Bible » de la propagande antisioniste. Dans un ouvrage récent (1), Nathan Weinstock évoque ce livre qu’il décrit lui-même comme « un gros pavé qui a longtemps servi de réserve de munitions à la gauche antisioniste ». Très éloigné aujourd’hui de ce qu’il définit comme un « sectarisme » qui l’a « entraîné à des conclusions simplistes et abusives », il s’en explique en ces termes : « C’était au lendemain de Mai 68. J’étais à l’époque subjugué par le trotskisme et je m’appliquais en conséquence, en parfait doctrinaire, non pas à analyser les faits mais à les canaliser mentalement en fonction de mes schémas pré-mâchés et réducteurs. »


Des lecteurs, ayant lu ces propos que nous avons cités dans L’Arche lors de la parution du livre de Nathan Weinstock Histoire de chiens, se sont adressés à nous. Ils ont eu, disent-ils, une histoire personnelle semblable à celle de l’auteur ; ils voudraient savoir comment ce dernier a vécu son militantisme antisioniste – et la sortie de ce militantisme.


De prime abord, nous n’étions pas portés à interroger ainsi un homme sur un engagement qu’il n’assume plus et sur des écrits qu’il a reniés. Il y a là quelque chose d’inquisitorial, et ce n’est pas dans nos habitudes. Cependant, puisque la demande provenait de gens qui furent dans le même cas, nous ne pouvions refuser de la transmettre. De plus, nous avons songé à tous les jeunes – ou les moins jeunes – qui sont, de nos jours encore, pris dans un discours dominé par la haine d’Israël, et pourraient eux aussi bénéficier d’un tel témoignage.


Nous nous sommes donc adressés à Nathan Weinstock, et il nous a répondu de très bonne grâce.


Voici le texte où l’ancien militant antisioniste fait le point sur ses engagements d’autrefois, et porte un regard sur la situation présente :


Itinéraire de Bruxelles à Jérusalem


La question m’a été posée, eu égard à mon parcours : comment j’ai pu tenir autrefois des discours aussi hostiles à Israël et à quel moment, pourquoi et comment j’ai été amené à changer d’attitude. Quoique que je n’aie aucun goût pour les déballages d’états d’âme, je ne pense pas pouvoir me soustraire à cet examen de conscience.


J’appartiens à la génération qui avait vingt ans au moment où Fidel Castro faisait son entrée à La Havane à la tête de ses barbudos. Je vibrais donc à l’unisson de la Révolution que j’ai cru voir se dessiner successivement en Algérie, à Cuba et au Vietnam. Je suppose que si je m’étais montré sensible au mirage maoïste plutôt qu’à la chimère trotskiste, je serais tombé en extase devant les merveilles de la « Révolution culturelle » et de son Grand Timonier ou devant le génie politique de l’Aigle albanais Enver Hoxha.


Evoquer aujourd’hui ces rêves écornés de jeunesse, c’est rappeler à quel point l’absence de toute perspective révolutionnaire en Occident nous incitait à reporter sur un Tiers-Monde largement imaginaire nos espoirs déçus. Et à suivre dans notre amertume Franz Fanon (et son préfacier enthousiaste, Jean-Paul Sartre) en encensant les pires atrocités qui s’y déroulaient comme porteuses d’un avenir radieux. Comme les Romains du poème de Constantin Cavafis En attendant les barbares, nous trouvions que « ces gens-là, c’était quand même une solution ».


Chacun sait ce que sont devenues ces pitoyables illusions. À peine la « Révolution algérienne » se hissait-elle au pouvoir qu’elle se voyait confisquée par les militaires et que nous apprenions qu’on torturait les nôtres (les « Pieds Rouges ») avec autant d’entrain qu’à l’époque coloniale. Ne parlons pas de Fidel Castro, devenu le doyen des despotes séniles. Quant aux dirigeants de la « Révolution indochinoise » – que nous autres trotskistes glorifiions au point de passer délibérément sous silence le fait qu’ils avaient assassiné nos camarades vietnamiens (il y a des reniements qui, au plan moral, valent un arrêt de mort) -, on se dit que le drame des boat people et l’extermination de masse perpétrée sur leur propre population par les Khmers Rouges ont dû éclairer même les aveugles.


Rappel néanmoins nécessaire, parce qu’aucune leçon n’en a été tirée. Cherchez dans les publications de la gauche extrême, des « altermondialistes » et des autres partisans de principe de la violence anti-institutionnelle. Vous n’y lirez pas le moindre regret, ni même un effort d’analyse de ces dérapages monstrueux dont il importerait tout de même de savoir s’ils sont ou non consubstantiels au projet révolutionnaire tel qu’on l’exalte. Et il n’en va pas autrement aujourd’hui.


Ceux qui s’étranglent d’indignation en évoquant le renversement de Saddam Hussein n’ont pas une parole pour dénoncer sans circonvolutions l’enfer dantesque des camps de concentration nord-coréens ou la tyrannie régnant dans les États du Tiers-Monde qui se gargarisent de proclamations « anti-impérialistes ». Pas un signe de réprobation lorsqu’au nom de la « résistance » sunnite on fait sauter des bus d’écoliers ou les fidèles d’une mosquée chiite. Se mentant à eux-mêmes, ils se condamnent ainsi à retomber dans l’erreur.


Compte tenu de mes convictions de l’époque, la cause palestinienne devait forcément m’interpeller. Ce en quoi je restais d’ailleurs fidèle, d’une certaine façon, à l’enseignement reçu au cours de mon adolescence au sein du Hachomer Hatzaïr. Car c’est le quotidien israélien de la gauche sioniste Al-Hamishmar qui, dès 1948, s’insurgeait contre les excès de l’armée israélienne. C’est le parti sioniste-socialiste Mapam qui réclamait l’abolition de certaines mesures discriminatoires infligées aux citoyens arabes d’Israël. C’est enfin la revue New Outlook, patronnée par la gauche israélienne, qui prônait le rapprochement avec le monde arabe.


J’ajouterai qu’à l’époque Israël se complaisait dans une version purement auto-justificatrice de sa propre histoire. Il faudra attendre que se lève une jeune génération de chercheurs (que l’on regroupe, souvent abusivement, en bloc sous le vocable « nouveaux historiens », alors qu’il existe entre eux des divergences d’approche fondamentales et que tous ne méritent pas la même considération) pour que des vérités pénibles soient dites. Comme tout État, Israël doit assumer les zones d’ombre qui ternissent son passé. Mais ce travail s’effectue.


Ces non-dits ont pesé lourdement à mes yeux. Face aux Palestiniens, abandonnés de tous et dont le malheur était patent, Israël se complaisait à étaler sa bonne conscience. Il y avait quelque chose de heurtant dans cette indifférence (même s’il est vrai que la responsabilité du drame palestinien n’incombe que partiellement aux Israéliens), qui a certainement contribué dans une large mesure à cristalliser mes sympathies pro-palestiniennes. D’autant que je voulais croire, envers et contre tout, que les prises de position et les actions meurtrières des groupes armés palestiniens, qui me choquaient, ne constituaient qu’une phase passagère dans l’évolution d’un courant qui ne manquerait pas de s’orienter vers la reconnaissance des droits nationaux israéliens.


C’est en tout cas le raisonnement que je tenais. Car je voulais tellement croire que les chemins des Israéliens et des Palestiniens se rejoindraient, que le conflit reposait avant tout sur un terrible malentendu… Alors qu’en réalité il n’y avait pas la moindre méprise.


Un petit fait vécu, dont je me suis montré incapable de saisir la portée à l’époque, l’illustre amplement. Mes écrits antisionistes m’avaient valu d’être invité à la tribune de la GUPS (General Union of Palestinian Students) en 1967 à Paris, quelques jours avant la Guerre des Six Jours. J’avais décidé de saisir l’occasion de cette prise de parole pour adresser solennellement à l’assemblée un message officiel émanant du Matzpen, groupuscule antisioniste israélien d’extrême gauche. Il s’agissait d’une première (Éric Rouleau du Monde fit même un papier au sujet de ma venue). J’espérais opérer une brèche dans le mur d’incompréhension réciproque… Et, dans mon insondable naïveté, j’imaginais que je serais assailli d’interrogations au sujet des militants israéliens dont j’apportais le salut, qu’on se réjouirait d’entendre que les revendications des Palestiniens avaient recueilli un écho de l’autre côté de la frontière…


Pensez-vous ! Personne – j’insiste : aucun des organisateurs ou des auditeurs – ne s’est intéressé au message ou au Matzpen. Ils s’en fichaient royalement, car ils avaient bien mieux à faire. En proie à un état de surexcitation incroyable, l’oreille vissée à leur transistor, ils frémissaient tous à l’écoute de Radio-Le Caire, savourant avec délices l’annonce que les vaillantes armées arabes étaient sur le point de jeter


Bref, loin de représenter un interlocuteur, je me trouvais relégué à la seule place réservée aux adversaires juifs d’Israël : celle de l’« idiot utile ».


Et « utile », je l’étais en effet. Les invitations pleuvaient sur mon bureau. Tout le monde voulait m’entendre dénoncer Israël l’innommable. À chaque fois, le scénario parisien se répétait. Soutien inconditionnel des auditeurs aux pires aberrations des fedayin (surtout les pires : les outrances extrêmes ne sont-elles pas la preuve d’une foi révolutionnaire inébranlable ?). Haine sans limites pour les Israéliens, quels qu’ils soient.


Peu à peu, il me devint impossible d’ignorer un antisémitisme insidieux et omniprésent, suintant à travers toutes ces déclarations enflammées de soutien et ces dénonciations aveugles. On vomissait d’abord les « sionistes », pour démasquer ensuite l’« emprise des sionistes » sur les médias et aboutir bientôt à mettre en cause la « domination mondiale sioniste ». Quand on me citait, c’était toujours en prenant soin de gommer préalablement les (trop rares) passages critiques envers les Palestiniens ou les directions arabes. Car ce n’étaient évidemment pas mes écrits qui les intéressaient, mais uniquement la possibilité de se servir de mon nom pour cautionner leur haine du Juif.


Jusqu’aux accords d’Oslo, j’ai vécu une situation de profond malaise. Horrifié par les attentats des Palestiniens, écœuré par leurs « amis ». Mais, me disais-je, comment refuser aux Palestiniens de lutter pour leurs droits ? Après la conclusion des accords, l’avenir parut subitement se dégager. Chacune des deux parties reconnaissait l’existence et la légitimité de l’autre.


Mais l’embellie fut de courte durée. Le sang continuait à couler, car les formations militaires dissidentes ou tolérées (sinon encouragées) par Arafat multipliaient les massacres en Israël, portant par la même occasion un coup mortel aux partisans israéliens d’une entente avec les Palestiniens. Impossible de ne pas voir que le leader palestinien jouait double jeu, refusant de désarmer les milices terroristes et prêchant la paix en anglais tout en appelant au djihad en arabe.


En ce qui me concerne, je crois bien que c’est le non-accord de Camp David qui me fit l’effet d’un révélateur. Impossible alors de ne pas voir qu’une fois de plus – ici, l’Histoire se répète – les dirigeants palestiniens avaient fui leurs responsabilités, trop lâches pour expliquer à leur peuple qu’il faut savoir mettre un terme au combat quand on a obtenu gain de cause sur l’essentiel. Tout comme ils ont toujours refusé de confronter leur histoire et d’assumer leur passé.


Car où sont-ils donc, les « nouveaux historiens » palestiniens qui parleraient à leur peuple des ventes de terres faites aux organisations sionistes par leurs propres leaders ? Et de la collusion du Mufti avec les Britanniques, avant qu’il ne devînt l’allié d’Hitler ? Et de la vénalité phénoménale des dirigeants palestiniens, qui fait que leur premier ministre Qoreï avait livré aux Israéliens le ciment du mur de séparation qu’il affectait de dénoncer ? Et de la propagande antisémite nauséabonde, axée sur les Protocoles, qui imbibe toutes les prises de positions palestiniennes depuis la Déclaration Balfour et qui restait toujours à l’honneur dans les manuels scolaires de l’Autorité palestinienne ? Et du mépris statutaire des Juifs, auxquels on ne pardonne pas de s’être émancipés de l’état de sujétion qui était le leur en Terre Sainte comme partout sous le règne du Croissant ?


Évoquant le mot d’ordre favori des manifestants arabes palestiniens des années vingt (« Les Juifs sont nos chiens »), j’ai rédigé un essai à ce sujet, intitulé Histoire de chiens. Eh bien ! Le conflit judéo-arabe se lit comme une « histoire de chiens » éternellement recommencée.


Que l’on puisse reprocher bien des torts à Israël, c’est l’évidence même. (Constatation qui gagne à être relativisée : y a-t-il un État au monde dont l’histoire soit à l’abri de toute critique ?) Mais, pour sortir de l’ornière, il faut que les Palestiniens aient le courage d’opter sans retour pour un avenir de coexistence avec les Israéliens et d’agir en conséquence. Tâche que nul ne peut accomplir à leur place.


NOTE :


1. Nathan Weinstock, Histoire de chiens. La dhimmitude dans le conflit israélo-palestinien, Fayard / Mille et une Nuits, 2004


Extrait de L’Arche n° 579-580, juillet-août 2006
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Source, Jean Laurent, Lundi 25 septembre 2006