Schleichende Zunahme des Antiamerikanismus

 ·  Präsident Obama ist in Deutschland populär, und die Deutschen verlassen sich auf die Vereinigten Staaten. Negativklischees prägen aber immer mehr die Wahrnehmung Amerikas.

Es waren beeindruckende Bilder, die vorgestern aus Washington auf die deutschen Fernseh- und Computerbildschirme übertragen wurden. Trotz eisiger Kälte hatten sich Hunderttausende aufgemacht, um bei der Vereidigung Barack Obamas für seine zweite Amtszeit dabei zu sein. Sie säumten fähnchenschwenkend die Straßen der amerikanischen Hauptstadt. Auf der Freitreppe vor dem prächtig geschmückten Capitol standen Politiker und Würdenträger und ein sichtlich gutgelaunter Präsident. Wohin die Kamera gerichtet war, überall sah man fröhliche Gesichter.

Man kann annehmen, dass sich viele Deutsche mit Barack Obama über seine Wiederwahl gefreut haben. Seit fast einem halben Jahrhundert war kein amerikanischer Präsident in Deutschland so populär wie er. Auf die Frage „Haben Sie von Obama alles in allem eine gute oder keine gute Meinung?“ antworteten in einer Allensbacher Umfrage vom Januar 2009, zu Beginn der ersten Amtszeit, 87 Prozent der Befragten, sie hätten vom Präsidenten eine gute Meinung.

Obama als großer Hoffnungsträger

Das war die höchste jemals gemessene Zustimmung für einen amerikanischen Staatschef. Selbst von Kennedy hatten unmittelbar nach seinem berühmten Berlin-Besuch im Jahr 1963 „nur“ 82 Prozent eine gute Meinung. Heute sind die Urteile über Obama kaum negativer als vor vier Jahren. In der Januar-Umfrage des Allensbacher Instituts sagen 78 Prozent der Befragten, sie hätten von Obama eine gute Meinung. Der letzte Präsident, der bei den Deutschen ähnlich beliebt war, war Lyndon B. Johnson im Jahr 1964.

Obwohl Obama bereits vier Jahre im Amt ist und alles in allem eine eher bescheidene Erfolgsbilanz als Präsident aufweisen kann, wird er in Deutschland noch immer als großer Hoffnungsträger empfunden. Dies zeigen die Antworten auf die Frage „Wie groß sind Ihre Hoffnungen, dass Barack Obama in den nächsten Jahren Gutes für die Vereinigten Staaten und die Welt bewirken wird?“: 50 Prozent der Befragten sagen im Januar 2013, sie setzten „sehr große“ oder „große“ Hoffnungen in den amerikanischen Präsidenten.

So könnte man meinen, das Amerika-Bild der Deutschen sei ungetrübt wie lange nicht. Doch das täuscht. Hinter der glänzenden Fassade der Obama-Begeisterung hat sich das Bild der Vereinigten Staaten bei den Deutschen verdunkelt. Es ist, als entferne sich die Bevölkerung emotional langsam, aber sicher von Amerika.

Wie ein großer Bruder Deutschlands

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen hatten aus Sicht der deutschen Bevölkerung jahrzehntelang den Charakter von etwas Besonderem. Ein erheblicher Anteil der amerikanischen Bevölkerung ist deutscher Herkunft. Jeder vierte Deutsche hat Freunde oder Verwandte in den Vereinigten Staaten. In international vergleichenden Untersuchungen zeigen sich immer wieder auffallende Ähnlichkeiten zwischen Deutschen und Amerikanern. Vor allem ist der Schutz, den die Vereinigten Staaten in den Jahrzehnten der Teilung Europas boten, von den Deutschen lange Zeit mit großer Dankbarkeit honoriert worden. Die Vereinigten Staaten waren für viele Menschen wie der große Bruder Deutschlands.

Der durch die Militärmacht der Vereinigten Staaten gewährte Schutz wird auch heute noch von der Bevölkerung als sehr wichtig angesehen. Auf die Frage, mit welchen Mitteln Deutschland am besten für seine Sicherheit sorgen könne, wählen im Januar 2013 unter den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten 66 Prozent der Befragten die Aussage „Durch unsere Mitgliedschaft in der Nato“. Erst an zweiter Stelle, genannt von 62 Prozent, folgt der Verweis auf eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik.

52 Prozent setzen auf eine Stärkung der Vereinten Nationen. Immerhin 39 Prozent sagen ausdrücklich, dass Deutschland am besten für seine Sicherheit sorgen könne, indem es enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten pflege. An all diesen Reaktionen hat sich im Verlauf der letzten zehn Jahre nichts Grundlegendes verändert. So überrascht es auch nicht, dass eine deutliche Mehrheit von 57 Prozent sagt, Deutschland könne sich „auf Amerika verlassen, wenn es darauf ankommt“.

Irak-Krieg veränderte Antwortmuster

Und doch hat sich der Blick auf die Vereinigten Staaten in der jüngeren Vergangenheit erheblich gewandelt. Am deutlichsten ist dies erkennbar an den Antworten auf die Frage „Welches Land der Welt betrachten Sie als besten Freund Deutschlands?“. Von den siebziger Jahren bis in die neunziger Jahre waren die Reaktionen der Deutschen eindeutig: Mit weitem Abstand an der Spitze, genannt von rund der Hälfte der Befragten, standen die Vereinigten Staaten. Für Frankreich, das an zweiter Stelle rangierte, entschied sich weniger als ein Fünftel der Bevölkerung.

Das Antwortmuster änderte sich dramatisch nach Ausbruch des Irak-Kriegs vor zehn Jahren. Der Anteil derjenigen, die noch die Vereinigten Staaten als besten Freund Deutschlands sahen, fiel auf 11 Prozent, während 40 Prozent Frankreich an die erste Stelle setzten.

Die Entwicklung war angesichts der damals sehr aufgeheizten öffentlichen Diskussion um den Einsatz der Vereinigten Staaten im Irak keine Überraschung. Bemerkenswert ist aber, dass sich nach dem Ende des Krieges, ja sogar nach dem Amtsantritt Obamas trotz dessen Popularität in Deutschland das alte Antwortverhalten nicht wiedereinstellte. Die Zahl derer, die Frankreich als besten Freund Deutschlands betrachteten, fiel fast wieder auf das Niveau von vor dem Irak-Krieg zurück, ohne dass der Anteil derjenigen, die sich für die Vereinigten Staaten entschieden, auch nur annähernd wieder die vorherigen Größenordnungen erreichte.

Von Negativklischees geprägt

Heute bezeichnen 24 Prozent Frankreich und 22 Prozent die Vereinigten Staaten als besten Freund Deutschlands. Von der Sonderrolle, die die deutsch-amerikanischen Beziehungen in den Augen der Deutschen noch in den neunziger Jahren spielten, ist nichts mehr erkennbar. Ähnlich ist die Entwicklung bei der Frage, mit welchen Ländern der Welt Deutschland möglichst eng zusammenarbeiten sollte. Dazu wurde eine Liste mit 14 Ländern zur Auswahl vorgelegt. Hier stehen die Vereinigten Staaten noch knapp an erster Stelle: 64 Prozent der Deutschen sagen heute, dass Deutschland besonders eng mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten sollte, 63 Prozent meinen dasselbe über Frankreich.

Doch seit 1953, als die Frage zum ersten Mal gestellt worden war, bis zum Jahr 2000 waren es stets um die 80 Prozent der Befragten gewesen, die sich für eine enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten aussprachen. Erst mit dem Golfkrieg 2003 fiel der Wert auf das heutige Niveau. Und auf die Frage „Welches Land wird in zehn Jahren der wichtigste Partner Deutschlands sein?“ antworten nur 20 Prozent mit den Vereinigten Staaten. Mit weitem Abstand an erster Stelle, genannt von 36 Prozent, steht China.

Nun mag die Veränderung der Wahrnehmung der Vereinigten Staaten als strategischer Partner angesichts der sich wandelnden Kräfteverhältnisse in der Welt noch verständlich sein. Auffällig ist jedoch, dass das Bild der Deutschen vom Leben in den Vereinigten Staaten und der Rolle der Vereinigten Staaten in der Welt stark von Negativklischees geprägt ist.

Hektik, Stress und Oberflächlichkeit

Dies zeigt sich an den Antworten auf eine Frage, bei der die Interviewer eine Liste mit 21 Eigenschaften vorlegten, die man Ländern zuordnen kann. Die Befragten wurden gebeten anzugeben, welche dieser Eigenschaften auf die Vereinigten Staaten zutreffen. 77 Prozent wählten die Aussage „Viel Kriminalität“ aus (was wahrscheinlich nicht als Reaktion auf den Amoklauf in Newtown gewertet werden kann, denn als die Frage im Jahr 2003 gestellt wurde, entschieden sich sogar 85 Prozent für diese Antwort).

An zweiter Stelle der den Vereinigten Staaten zugeordneten Eigenschaften stehen gleichauf „Schöne Landschaften“ und „Große soziale Ungerechtigkeiten“. Zu den häufiger genannten Punkten gehören auch „Viel Hektik, Stress“ (45 Prozent) und „Oberflächlichkeit“ (42 Prozent). Dass die Vereinigten Staaten ein Land mit großer Tradition seien, meinen dagegen nur 23 Prozent der Deutschen; dass sie ein Land seien, in dem es sich gut leben lasse, glauben 19 Prozent.

Gebildete Leute vermuten 17 Prozent in den Vereinigten Staaten, eine hochstehende Kultur ganze 8 Prozent. Vor allem die letzten beiden Punkte lassen sich angesichts der enormen wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen, die in den Vereinigten Staaten erbracht wer-den, aber auch beispielsweise mit Blick auf die im Vergleich zu Deutschland außerordentlich gut entwickelte Bibliothekskultur letztlich nur als Ausdruck einer massiv verzerrten Wahrnehmung deuten.

Antiamerikanismus macht sich breit

Es gibt Hinweise darauf, dass die negativen Stereotype die Wahrnehmung der Vereinigten Staaten seit einigen Jahren in zunehmendem Maße prägen. Eine Frage lautete: „Wenn jemand sagt, kein Land tritt immer wieder so für die Demokratie ein, ist ein so starker Verfechter von Freiheit und Menschenrechten wie die Vereinigten Staaten. Würden Sie da zustimmen oder nicht zustimmen?“ Im Jahr 1993 antworteten mit „Würde zustimmen“ 40 Prozent der Deutschen, heute sind es noch 31 Prozent.

In der gleichen Zeit ist der Anteil jener, die glauben, die Vereinigten Staaten seien „nach wie vor das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo jeder Einzelne die Chance hat, sein Glück zu machen“, von 40 auf 35 Prozent zurückgegangen. Von 68 auf 72 Prozent zugenommen hat dagegen die Zahl derer, die der Aussage zustimmen, die Amerikaner seien „als Konsum- und Wegwerfgesellschaft ein abschreckendes Beispiel für den Rest der Welt“.

So ist auch die Entwicklung der Antworten auf die Frage „Sind die Vereinigten Staaten für uns heute ein Vorbild oder würden Sie das nicht sagen?“ nur folgerichtig: 1997 empfanden noch 30 Prozent der Deutschen die Vereinigten Staaten als Vorbild, heute sind es noch 11 Prozent.

Man bekommt den Eindruck, dass das Verhältnis der Bürger zu den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren nicht ausreichend gepflegt worden ist. Innerhalb Europas halten wir klischeehafte negative Charakterisierungen für unangemessen und nicht akzeptabel – ob es um ethnische oder religiöse Minderheiten geht, um Geschlechterrollen, die sexuelle Orientierung, die Hautfarbe oder Nachbarvölker.

Anscheinend gibt es aber wenig Widerspruch, wenn Amerikaner in der Öffentlichkeit pauschal als dumm, unsozial und kulturlos beschrieben werden. Wem das deutsch-amerikanische Verhältnis am Herzen liegt, dem kann diese Entwicklung nicht gleichgültig sein. Wer der Verbreitung negativer Zerrbilder nicht entgegentritt, darf sich nicht wundern, wenn sich allmählich ein Klima des Antiamerikanismus breitmacht.

Quelle: FAZ