D-Mark würde Deutschland in den Ruin stürzen


Für die Beantwortung der Frage, wie es Deutschland ohne den Euro ergangen wäre, sollte man die Erfahrungen von Ländern analysieren, deren Währungen – ähnlich wie früher der D-Mark – an den Devisenmärkten prinzipiell eine Aufwertungstendenz beigemessen wird.


Welche Probleme man mit einer zu starken Währung haben kann, verdeutlicht kein Land so sehr wie Japan. Diese Volkswirtschaft weist heute mit einer Schuldenstandsquote von 214 Prozent eine weit mehr als doppelt so hohe Verschuldung auf wie Deutschland.


Japans Probleme mit dem starken Yen begannen in der ersten Hälfte der 90er-Jahre. Das Land hatte gerade das Platzen einer riesigen Immobilienblase erlebt und hätte nun dringend Wachstumsimpulse durch den Außenhandel benötigt. Doch die kaum von gesamtwirtschaftlicher Logik bestimmten Devisenmärkte bescherten dem Land eine so starke Aufwertung des Yen gegenüber dem US-Dollar, dass sich der Außenwert der japanischen Währung von April 1990 bis April 1995 verdoppelte.






Massive Verschärfung des deflationären Drucks



Der durch die internen Probleme ohnehin geschaffene deflationäre Druck wurde auf diese Weise massiv verschärft. Zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit mussten die japanischen Löhne sinken. Nach immer wieder aufgetretenen Aufwertungswellen liegen die japanischen Nominallöhne heute um zwölf Prozent unter dem Niveau des Jahres 1995.


Auf diese Weise wurde ein so starker deflationärer Druck auf die japanische Wirtschaft ausgeübt, dass es sehr hoher staatlicher Nachfrageimpulse bedurfte, um das Land einigermaßen im gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht zu halten.


Die anhaltend hohen Staatsdefizite sind somit eine wichtige Erklärung für die abenteuerlich hohe Schuldenstandsquote des Landes. Die zweite Ursache hierfür ist das deflationsbedingt seit dem Jahr 1990 stagnierende nominale Bruttoinlandsprodukt, das im Nenner dieser Größe steht.



Japan kaufte Dollar-Bestände



Aber das ist noch nicht alles. Im Bestreben, immer wieder einmal die Aufwertung durch Interventionen am Devisenmarkt zu stoppen, kaufte die Bank von Japan in großem Umfang Dollar-Bestände an, die sie überwiegend in Form von US-Staatsanleihen hält. Zuletzt beliefen sich diese Guthaben, die man zum größten Teil als Haftung Japans für die Vereinigten Staaten ansehen kann, auf 1,2 Billionen Dollar.


Das ist deutlich mehr als der vom Ifo-Institut fortlaufend ermittelte “Haftungspegel” in Höhe von 779 Milliarden Euro, der Deutschlands Haftungssumme für den “worst case” einer völligen Insolvenz Griechenlands, Irlands, Italiens, Portugals, Spaniens abbildet.


Bei allen Problemen, die bei solchen Vergleichen unvermeidbar sind, sollte es zumindest zu denken geben, dass ein wirtschaftlich hochleistungsfähiges Land wie Japan, das ähnlich in den Bereichen Maschinenbau und Automobil aufgestellt ist wie Deutschland, durch die Aufwertung seiner Währungen in den beiden letzten Jahrzehnten nicht nur eine anhaltende Deflation und eine erschreckend hohe Staatsverschuldung erfahren hat, sondern sich darüber hinaus in hohem Maße zur Finanzierung der amerikanischen Staatsverschuldung gezwungen sah.



Chinas Transferunion mit den USA



China ist ein zweites interessantes Anschauungsbeispiel. Die abschreckenden Erfahrungen Japans mit einem weitgehend marktbestimmten Wechselkurs dürften die chinesische Führung veranlasst haben, eine Wechselkurspolitik zu verfolgen, bei der der Wechselkurs nahezu perfekt durch Notenbank-Interventionen gesteuert wird.


Nichts hätte weniger in die exportorientierte Strategie dieses Landes gepasst als eine starke Aufwertung, für die es in Anbetracht des zeitweise sehr hohen chinesischen Leistungsbilanzüberschusses durchaus eine Veranlassung gegeben hätte.


Die Strategie ging insoweit auf, als der Wechselkurs des Renminbi von den chinesischen Behörden stets zielgerecht gesteuert werden konnte, sodass – anders als im Fall Japans – unerwünschte Störungen für die Außenwirtschaft vermieden wurden. Aber dafür musste China einen sehr hohen Preis bezahlen. Im Laufe der letzten zwölf Jahre sammelten sich durch die Devisenmarkt-Interventionen der chinesischen Behörden Währungsreserven in Höhe von 3,2 Billionen US-Dollar an.


Auch hier ist zu vermuten, dass der größte Teil direkt oder indirekt in US-Staatsanleihen investiert wurde. Diese gewaltige Haftungsgemeinschaft, die man auch als die größte Transferunion der Welt bezeichnen könnte, geht weit über das hinaus, was selbst pessimistische Euro-Kritiker für Deutschland erwarten.


Aber es steht dahinter ein ähnlich fragwürdiges Geschäftsmodell wie der deutsche Merkantilismus des letzten Jahrzehnts. Im Bestreben, möglichst wettbewerbsfähig zu sein, wurde eine zurückhaltende Lohnpolitik verfolgt, die mit einer schwachen Konsumnachfrage einherging. Dafür konnte man im großen Stil Exportgüter verkaufen, allerdings an Länder, die sich das Ganze nur auf Pump leisten konnten.


Am Ende hat man mit den Leistungsbilanzüberschüssen große Geldforderungen angehäuft, aber es ist fraglich, ob man dafür jemals einen realen Gegenwert zurückbekommen wird.



Die Schweiz, das jüngste Opfer der Devisenmärkte



Lange Zeit galt die Schweiz in der deutschen Diskussion als Paradebeispiel dafür, dass man sich mit einer eigenen Währung durchaus erfolgreich auf den internationalen Finanzmärkten behaupten könne. Ohne größere Markteingriffe hielt sich der Schweizer Franken über Jahre hinweg recht stabil bei rund 1,50 Franken je Euro.


Das hat sich mit dem Ausbruch der Griechenland-Krise im Frühjahr 2010 grundlegend geändert. Innerhalb von 15 Monaten wertete sich der Schweizer Franken so stark auf, dass er im August 2011 die Parität zum Euro zu erreichen drohte.


Nach längerem Zögern zog die Schweizerische Nationalbank am 6. September 2011 die Notbremse und kündigte eine Kursuntergrenze von 1,20 Franken pro Euro an. Seither bewegt sich der Kurs knapp oberhalb dieses Zielwertes. Die Intervention war im Prinzip erfolgreich, aber der Schweiz ist damit nicht wirklich geholfen.


Zum einen ist die Kursuntergrenze im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1999 bis 2009, der bei 1,55 Franken lag, immer noch sehr ungünstig für die schweizerische Wirtschaft. Spürbare Rückgänge bei den Exporten und den Logiernächten sind die Folge. Zum anderen konnte mit den Interventionen der Zufluss ausländischer Mittel nicht gestoppt werden, da diese weniger spekulativer Natur sind, sondern in erster Linie von der Sorge getrieben sind, dass es zu Austritten einzelner Länder aus dem Euro kommt.


Insgesamt beliefen sich die Schweizer Devisenreserven Ende Juni 2012 auf 365 Milliarden Franken. Das entspricht rund 67 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Schweiz.



Die Welt der neuen D-Mark wäre keine heile Welt



Wer heute glaubt, dass die Rückkehr zur D-Mark wieder in eine heile Welt führt, dürfte bitter enttäuscht werden. Wahrscheinlich würde es Deutschland wie Japan ergehen. Ähnlich wie die alte D-Mark würde eine neue D-Mark zum Klub der Währungen gehören, für die bei den Märkten eine ungeschriebene Konvention besteht, dass sie grundsätzlich eine Aufwertungstendenz aufweisen.


Die dann wieder für die D-Mark verantwortliche Bundesbank würde sehr lange warten, bis sie eine Aufwertung der D-Mark stoppen würde. Zum einen gibt es bei Notenbankern häufig das irrationale Gefühl, dass nur eine starke Währung eine gute Währung ist. Zum anderen werden Devisenmarkt-Interventionen von vielen Ökonomen sehr kritisch gesehen.


In ihre von Marktgläubigkeit geprägte Welt passt es einfach nicht, wenn eine staatliche Institution in Marktmechanismen eingreift.


Und sie lassen sich davon auch dadurch nicht abbringen, dass – wie in zahllosen ökonometrischen Studien gezeigt – keinerlei systematische Zusammenhänge zwischen makroökonomischen Fundamentaldaten (Wirtschaftswachstum, Inflationsraten, Außenhandel) und dem Wechselkurs bestehen. Bei den Ökonomen der Bundesbank kann man mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass sie diese Skepsis gegenüber Devisenmarkt-Interventionen uneingeschränkt teilen würden.


Die wiedereingeführte D-Mark würde also über Jahre hinweg sehr kräftig aufgewertet. Da dies die Wettbewerbsfähigkeit unserer Exportwirtschaft gravierend beeinträchtigen würde, träten alsbald renommierte Ökonomen auf den Plan, die massive Lohnkürzungen forderten.



Sinkende Löhne und die Deflationsgefahr



Und natürlich wären die deutschen Arbeitnehmer bereit, alles für die Sicherung ihrer Arbeitsplätze zu tun. Sinkende Löhne würden den Weg in die Deflation einleiten. Das wiederum würde die Schuldenstandsquote Deutschlands (bei der das nominale Bruttoinlandsprodukt im Nenner steht) nach oben treiben, selbst wenn der deutsche Staat keine neuen Schulden mehr aufnähme.


Wie in Japan wäre außerdem zu befürchten, dass auf jede Lohnzurückhaltung eine neue Aufwertungswelle folgt. Irgendwann könnte es dann auch der Bundesbank zu viel werden, sodass sie sich zu aktiven Interventionen durchringen müsste. Die Erfahrungen Chinas, Japans und der Schweiz zeigen, dass dies zu sehr hohen Devisenbeständen führen kann.


Auf die deutsche Wirtschaftsleistung bezogen, ergäben die in relativ kurzer Zeit angehäuften Devisenreserven der Schweiz einen Betrag von rund 1700 Milliarden Euro.


Wenn man für eine Rückkehr zur D-Mark plädiert, weil man nicht länger für andere Länder haften will, sollte man sich die Erfahrungen Chinas, Japans und der Schweiz genau ansehen. Sie haften uneingeschränkt für die von ihnen erworbenen Staatsanleihen der Vereinigten Staaten (und im Fall der Schweiz für Anleihen aus dem Euro-Raum), ohne dass sie die geringste Möglichkeit haben, auf die Wirtschaftspolitik des Schuldnerlandes einzuwirken.


Der Text ist ein Auszug aus dem Buch “Zurück zur D-Mark?” des Ökonomen Peter Bofinger.




© Verlag Droemer KnaurPeter Bofinger: “Zurück zur D-Mark? Deutschland braucht den Euro” – Verlag Droemer. ISBN: 3-426-27613-5. Preis: 18 Euro.


© Verlag Droemer KnaurPeter Bofinger