Am 22. Mai 1967 steht in Brüssel das Kaufhaus „A l’Innovation“ in Flammen. Von dem Gebäude, das in einer Sonderausstellung amerikanische Waren gezeigt hat, bleiben nur Schutt und Trümmer übrig. Mehr als 300 Menschen kommen ums Leben. In Berlin reagiert die Kommune 1, die sich zu Jahresbeginn als politisch motivierte Wohngemeinschaft gegründet hat und sich als Avantgarde der linksradikalen Subkultur versteht, mit einem Flugblatt unter der Überschrift „Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?“ Darin heißt es: „Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh raus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, zweihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben, und Brüssel wird Hanoi.“ Und weiter: „Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht.“
Fritz Teufel und Rainer Langhans, zwei Mitglieder der K1, wie die Polit-WG genannt wird, müssen wegen Anstiftung zur Brandstiftung vor Gericht. Doch Literaten und Gutachter sehen nicht in ihnen geistige Brandstifter, sondern kritisieren eher die kleinbürgerliche politische Justiz Deutschlands, die engagierte junge Leute wegen einer satirischen Aktion mit Haftstrafen bedrohe. Kurz nach dem Freispruch der Kommunarden im März 1968 schlagen Sympathisanten aus dem Umfeld der K1 vor, doch einmal Ernst mit den Kaufhausbränden zu machen.
Die Anfänge
Am 2. April 1968, kurz vor Ladenschluss, betreten vier junge Leute den Kaufhof und das benachbarte Kaufhaus Schneider in der Frankfurter Innenstadt. Sie deponieren in der Abteilung für Spielwaren und jener für Möbel Brandsätze mit Zeitschaltung. Kurz vor Mitternacht zünden sie. Der Schaden liegt bei mehr als zwei Millionen Mark, verletzt wird niemand. Die Brandstifter, bis dahin der Öffentlichkeit unbekannt, sind Andreas Baader und Gudrun Ensslin, die zukünftigen Führer der „Rote Armee Fraktion“. Mit dabei ist auch Thorwald Proll, der Baader beim Straßentheater kennengelernt hatte. Und Horst Söhnlein, ein Bekannter Baaders aus der Münchner Künstlerszene, der das „action-theater“ geleitet hatte. Die Brandstifter werden im Herbst vor Gericht gestellt und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Daniel Cohn-Bendit, damals einer der Führer der antiautoritären Bewegung und heute grüner Europa-Abgeordneter, solidarisiert sich im Gerichtssaal mit Baader und Ensslin („Die gehören zu uns“). Später sagt er, ihre Aktion habe er „als Happening“ begriffen.
Insgesamt ist die linke Szene begeistert. Fritz Teufel, Anarcho-Clown und Liebling der Szene, sagt auf einer Konferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in Anlehnung an Bert Brecht, es sei besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben. Zwar fällt auch das Wort Vietnam, aber vor allem gilt die Aktion als Schlag gegen Kapitalismus und Konsumterror. Das Feuilleton der „Zeit“ kritisiert das Strafgesetz, das das Eigentum mehr schütze als die Person. Und Otto Schily, Verteidiger der Angeklagten, sagt nach dem Urteil: „Heute habe ich die Brücken zur bürgerlichen Gesellschaft hinter mir abgebrochen.“
Aus dem angeblich satirischen Spaß der K1 war in weniger als einem Jahr Ernst geworden. Kopf der K1 und legendärer Oberanarcho ist Dieter Kunzelmann. Anfang der sechziger Jahre hatte er sich in der Münchner Künstlergruppe SPUR herumgetrieben. In einem Manifest der Gruppe vom Januar 1961 heißt es: „Wer in Politik, Staat, Kirche, Wirtschaft, Militär, Parteien, sozialen Organisationen keine Gaudi sieht, hat mit uns nichts zu tun.“ Kunzelmann hatte damals wegen eines öffentlich vorgetragenen Liedes eine Anzeige wegen Gotteslästerung am Hals. Ein Jahr später ruft er in Berlin die „Subversive Aktion“ ins Leben, der später Rudi Dutschke beitrat. Einige aus dieser Gruppe gründen die K1.
Im April 1967 werden einige ihrer Mitglieder erstmals festgenommen, unmittelbar vor dem Berlin-Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Humphrey. Sie werden verdächtigt, einen Anschlag auf ihn zu planen. Sie hatten, wie sich herausstellt, Farbbeutel, Rauchkerzen, Mehl und Puddingpulver besorgt, um den amerikanischen Gast in Rauch und Nebel verschwinden zu lassen. Das gescheiterte „Puddingattentat“ mehrt den heroischen Ruf der Gruppe, die Presse begeistert sich für die anarchistische Subkultur, der „Stern“ druckt das berühmt gewordene Nacktfoto der K1. Die ist mit anderen Kommunen und Gruppen vernetzt, ein „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“ wirbt für militante Aktionen. „High sein, frei sein, Terror muss dabei sein!“ lautet ein Leitspruch der „Spaßterroristen“.
„Propaganda der Tat“
Die Idee, Gewalt anzuwenden, schwingt so von Anfang an mit. Dazu brauchte es nicht erst die tödlichen Schüsse auf den Studenten Benno O
hnesorg am 2. Juni 1967 oder das Attentat auf Dutschke am Karfreitag des Jahres 1968 – sie liefern eher die Rechtfertigung dafür, das zu tun, was man vorher schon wollte. Dutschke, Wortführer der Studentenbewegung, spricht schon im Februar 1966 von der Stadtguerrilla. Die Propaganda der Schüsse, die Che Guevara, die christusgleich verehrte Ikone der Bewegung, gepredigt habe, müsse durch eine „Propaganda der Tat“ in den Metropolen ergänzt werden, verkündet er. Später spricht er von der Pflicht, „die kapitalistische Herrschaft zu vernichten“. Dutschke, der zwischen Gewaltrhetorik und Pazifismus schwankt, befeuert mit solchen Reden nicht nur die Terrorphantasien der linken Studentenschaft, sondern er ist auch selbst Teil der Gewaltaktionen.
Anfang 1968 transportiert der linksradikale italienische Verleger und Mäzen der Revolution Giangiacomo Feltrinelli Dynamitstangen auf der Rückbank seines Autos nach Berlin. Dutschke lädt sie in seinen Kinderwagen um, setzt Sohn Hosea Che obendrauf und bringt die Ladung in eine konspirative Wohnung. Im Februar 1968 plant er gewaltsame Demonstrationen gegen amerikanische Kasernen. Am 2. März 1968 zieht er mit einer Bombe los, will einen Sendemast des amerikanischen Soldatensenders AFN in Saarbrücken in die Luft sprengen – es kommt nicht dazu, weil Dutschke und seine Helfer den Mast nicht finden.
Brandbomben und Molotow-Cocktails
Tatsächlich ist Gewalt, nicht etwa Sex, immer mehr das Thema Nummer eins in der linksradikalen Subkultur. Und sie wird Teil des politischen Alltags. Gewalt gegen Sachen, zunächst. Baader etwa legt am 8. September 1967 eine Rauchbombe im Turm der Gedächtniskirche ab. Brandbomben in Amerika-Häusern folgen. Scheibeneinwerfen, besonders bei Filialen des verhassten Springer-Konzerns, wird eine beliebte Aktionsform. Anfang Februar 1968 wird vor dem „Springer-Hearing“ im Auditorium Maximum der Freien Universität Berlin ein Film über den Bau von Molotow-Cocktails gezeigt und darauf hingewiesen, dass es neben der Springer-Zentrale 21 weitere Filialen des Konzerns gebe.
Der Filmstudent Holger Meins, später durch seinen Hungertod ein Märtyrer der RAF, führt die Anleitung vor. Nach dem Attentat auf Dutschke am 11. April 1968 bricht in vielen Städten ein Aufstand gegen Springer los, Steine auf Polizisten sind nun selbstverständlich. In München wird der Druckort der „Bild“-Zeitung belagert, Pflastersteine treffen einen Studenten und einen Pressefotografen tödlich. Autos umzuwerfen und anzuzünden wird wie das Werfen von „Mollies“ als „Notwehr“ gerechtfertigt.
Wer sich die zuletzt diskutierten Aktionen der russischen Künstlergruppe „Woina“ (Krieg) anschaut, zu der auch die verurteilte Aktivistin von „Pussy Riots“ Nadeschda Tolokonnikowa gehört, wird kaum umhinkommen, Parallelen zu entdecken. Mitglieder der Gruppe „Woina“ drehten im September 2010 in St. Petersburg sieben Polizeiwagen aufs Dach, in einigen von ihnen saßen Beamte. Sie nennen die Aktion „Palastrevolution“. Das Motto lautete: „Am Tag des Jüngsten Gerichts sollen die Bullen vor uns, den Dienern der schönen Künste, niederknien und uns um Verzeihung bitten.“ Die Mitglieder der Gruppe Oleg Worotnikow und Leonid Nikolajew, die dafür vier Monate in Untersuchungshaft saßen, wurden Anfang 2012 freigesprochen.
Wenige Tage zuvor, zum Jahreswechsel 2012, hatte „Woina“ einen Polizeitransporter angezündet, um den „Bullen“ zum Neujahrsfest heimzuleuchten. Worotnikow hat in der F.A.S. im April dieses Jahres sein Verständnis der Aktionen dargelegt, das denen der linksradikalen Szene im Deutschland der sechziger Jahre weitgehend entspricht: „Kunst darf heute nur noch politisch sein und sonst nichts. Alles, was keine Politik ist, ist keine Kunst, sondern nur eine tote Vogelscheuche gefüllt mit Scheiße und Reflexion.“ Und er fährt fort: „Wir sind Anarchisten. Das Ziel ist die Zerstörung des Staates.“ Die Feinde seiner Gruppe seien das Regime und die russische Polizei. „Diese gilt es zu vernichten. Wir wollen, dass im Kreml niemand mehr sitzt und überhaupt niemand mehr sitzen will“, so Worotnikow. Sein drei Jahre alter Sohn Kasper sei „der jüngste politische Gefangene Russlands“.
Der Terror beginnt
Auch die Linksradikalen in Deutschland hatten im Sommer 1969 ihren ersten politischen Gefangenen. Der 21 Jahre alte Philosophiestudent Reinhard Wetter hatte eine Polizeiuniform in der Uni getragen und wohl auch einen Stein geworfen, er war dafür hart zu acht Monaten Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt worden und saß im fränkischen Ebrach ein. Die Szene in Berlin, Frankfurt und München mobilisiert zur „Roten Knastwoche“ in Ebrach, auf den Wiesen des Ortes wird ein kleines Woodstock zelebriert, mit Drogen, freier Liebe, Rockmusik und dem Hauch von Revolution. Neben Kunzelmann und Teufel sind auch Baader und Ensslin dabei, Brigitte Mohnhaupt, Teufels damalige Freundin Irmgard Möller und Rolf Heißler. Die Kiffer aus der Großstadt stürmen das Landratsamt des Ortes, und sie klauen im Lebensmittelgeschäft alles, was sie so brauchen (wie die Aktivisten von „Woina“).
Kunzelmann macht sich mit einem Dutzend Genossen von Ebrach aus auf nach Sizilien. Er und vier andere beschließen, weiter nach Jordanien zu reisen, ins Palästinenserlager der al Fatah, wo sie den revolutionären Kampf lernen. Nach seiner Rückkehr im Herbst beschließt er mit seinen Mitkämpfern, in den Untergrund zu gehen, gründet die „Tupamaros West-Berlin“. Es ist die erste Terrorgruppe, sie entsteht ein halbes Jahr vor der RAF. Die Zeit der umherschweifenden Haschrebellen ist vorbei. Fritz Teufel lässt parallel in der bayrischen Hauptstadt die „Tupamaros München“ entstehen.
Angriffe auf jüdische Mitbürger
Die erste Aktion der Berliner Gruppe zeigt, wo die Führer der „Spaßgerilja“, wie Teufel sie nannte, mittlerweile gelandet sind. Kunzelmann schreibt seinen Genossen, es sei an der Zeit, den „Philosemitismus“ zu überwinden und tatsächlich Solidarität mit den Palästinensern zu üben. Die Tat dazu folgt. Am 10. November 1969 findet eine Putzfrau eine Brandbombe in der Garderobe des Jüdischen Gemeindehauses in der Berliner Fasanenstraße. Sie hatte am Tag zuvor zünden sollen, als zum Gedenken an die Pogrome der „Reichskristallnacht“ ein Kranz niedergelegt wurde. Der Zeitzünder war ausgelöst, eine überalterte Zündkapsel verhinderte die Explosion. Der erste Anschlag von Linksterroristen zielt auf jüdische Mitbürger.
Die Warnung vor einem „linken Faschismus“, die Jürgen Habermas Jahre zuvor an den SDS gerichtet hatte, erweist sich als hellsichtig. „Springer, Senat und die Galinskis wollen uns ihren Judenknacks verkaufen. In dieses Geschäft steigen wir nicht ein“, hieß es in einem Bekennerflugblatt. Nach Aussagen von Albert Fichter, der die Bombe ablegte, hatte Kunzelmann ihn beauftragt. Auch Michael „Bommi“ Baumann, Mitglied der K1 und später der Terrorgruppe Bewegung 2. Juni, hat davon gesprochen, dass es Kunzelmanns Idee gewesen sei. Der hat das wiederholt bestritten und ist für die Tat nie belangt worden. Mitte der achtziger Jahre wurde er Abgeordneter der Berliner Grün-Alternativen Liste. Und gilt weiterhin als der geniale Chef der Spaßguerrilla.
Teufels Asche an Dutschkes Grab
In Berlin ist die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus Auftakt einer Serie von Anschlägen. Und in München brennt es am 13. Februar 1970 in einem jüdischen Altenheim in der Reichenbachstraße. Drei Tage zuvor hatte ein palästinensisches Terrorkommando auf dem Flughafen München-Riem versucht, ein israelisches Passagierflugzeug zu entführen. Ein jüdischer Passagier, Ari Katzenstein, hatte sich auf eine Handgranate geworfen, sich geopfert und damit seinem Vater und weiteren Passagieren das Leben gerettet. Beim Brand im jüdischen Altersheim sterben sieben Bewohner, mehrere von ihnen Überlebende des Holocausts. Die Täter werden nie gefasst. Indizien weisen, so zeigt es Georg M. Hafner in seinem im Juli gesendeten Dokumentarfilm „München 1970“, auf eine linke Gruppe hin, die Südfront. Sie ist ein Ableger der „Tupamaros München“, die Fritz Teufel gegründet hatte.
Teufel ist am 6. Juli 2010 in Berlin gestorben. Seine Beerdigung war ein Veteranentreffen der Szene, viele ehemalige RAF-Leute waren dort, Christian Ströbele hielt eine Rede. Einen Monat nach Teufels Tod wurde seine Urne aus dem Grab gestohlen, die Polizei fand sie eine Woche später neben dem Grab von Rudi Dutschke in Berlin-Dahlem wieder. Es sollte eine letzte Spaßaktion seiner Sympathisanten sein. Doch dahinter verbirgt sich ein tragischer Ernst. Mit Teufels Asche an Dutschkes Grab kam noch einmal zusammen, was von der blutigen Geschichte des deutschen Linksterrorismus nicht zu trennen ist.
Quelle: 2.9.2012