Angesichts der Brandanschläge auf die Bahn in Berlin und Brandenburg warnt die Gewerkschaft der Polizei bereits vor einer neuen RAF. Eine ahistorische Einschätzung – aus zahlreichen Gründen. So gab es im Gegensatz zu heute beispielsweise in den 1970er und 1980er Jahre einen Linksterrorismus in verschiedenen Ländern – und die Terroristen wurden aus dem Ostblock unterstützt. Eine Kontinuität zu Teilen der heutigen linksradikalen Szene gibt es aber: Die Ideologie des Anti-Imperialismus, welche die Welt übersichtlich in gut (unterdrückte Völker) und böse (Imperialisten) aufteilt. Wie die DDR und der westdeutsche Linksterrorismus vereint gegen Israel agierten, zeigt der folgende Beitrag.
Von Martin Jander (Jander hielt diesen Vortrag auf Einladung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Potsdam)
Besonders stolz macht mich, dass mich Dr. Martin Kloke für diesen Vortrag angefragt hat, der, wie Sie hoffentlich alle wissen, das maßgebliche Buch über das Verhältnis der deutschen Linken nach dem Nationalsozialismus zu Israel[1] verfasst hat.
Ich kam zu diesem Thema auf verschiedenen Wegen. Ich habe an der Freien Universität in West-Berlin Geschichte, Germanistik und Politische Wissenschaften studiert und begann ausgerechnet im Frühjahr 1974. Am 9. November des Jahres starb, nach einem langen Hungerstreik der Häftlinge der ersten Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) Holger Meins. Man muss genauer sagen, er hat sich zu Tode gehungert. Das Thema RAF und bewaffneter Terrorismus hat mich seither nicht mehr losgelassen. Ich wollte und will verstehen, was das eigentlich war.
Ich will nicht verhehlen, dass ich damals sehr empört und skeptisch reagierte, als die Nachricht vom Tod Holger Meins veröffentlicht wurde, ein RAF-Sympathisant war und wurde ich freilich nicht.
Das Thema Deutsche Demokratische Republik (DDR) lag in der Zeit, in der ich studierte, in Westberlin, gewissermaßen vor der Haustüre. Viele meiner Kommilitonen haben sich zwar mit dieser Nachbargesellschaft nicht eingehender befasst. Ich verliebte mich 1979 in eine Frau aus Ost-Berlin, sie hat mich in die Dissidentenszene der DDR eingeführt und seit dieser Zeit hat mich auch dieses Thema nicht mehr losgelassen. Ich hatte damals nur ein sehr vages Bild von dieser marxistisch-leninistischen Nachfolgegesellschaft des Nationalsozialismus. Das hat sich dann ziemlich bald geändert.
Vor einiger Zeit, als Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung mit der Vorbereitung seiner großen Linksterrorismus-Recherche begann[2], erhielt ich den Auftrag, verschiedene Aspekte des Themas zu bearbeiten.
DDR und westdeutscher Linksterrorismus?
Wenden wir uns zunächst der Frage zu, ob es eine Kooperation der DDR mit westdeutschen linksterroristischen Gruppen wirklich gegeben hat.
Dies ist eindeutig mit Ja zu beantworten. Ich hatte Gelegenheit, den großen Fundus an Akten zur RAF zu durchforsten, die das Hamburger Institut für Sozialforschung zusammengetragen hat. Darunter befinden sich auch viele Kopien von Dokumenten des Ministeriums für Staatssicherheit. Allerdings ist die wissenschaftliche Forschung zum Thema nicht eben sehr breit.[3] Heute gibt es aber gar keinen Zweifel mehr daran, dass diese Kooperation existierte.
In der Bundesrepublik wurde lange über die Existenz der Beziehungen zwischen der DDR und den linksterroristischen Gruppen nur spekuliert. So zum Beispiel wies der DDR- und Stasi-Experte Karl Wilhelm Fricke in seinem Werk Die Staatssicherheit von 1982[4], unter Verweis auf das ein Jahr zuvor erschienene Buch von Claire Sterling mit dem Titel Das internationale Terror-Netz[5] auf die Beziehungen hin. Fricke hatte 1982 geschrieben: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) „bot neben Zuflucht in Notfällen falsche Papiere, Geld, paramilitärische Ausbildung, geschützte Einreise- und Ausreiserouten sowie eine Art Schließfachsystem für die gelagerten Waffen.“[6]
Die besten und umfangreichsten Studien stammen auf jeden Fall von Tobias Wunschick, einem Mitarbeiter der Gauck-Behörde, der schon seit einigen Jahren zu diesem Thema forscht und publiziert. Ich will Ihnen zu Beginn einfach eine kleine Chronologie zu den Beziehungen der DDR zur RAF und anderen linksterroristischen Gruppen vorstellen. Häufig werden diese Beziehungen einfach abgestritten. Erst 1990, mit der Verhaftung der RAF-Mitglieder, die sich in den 80er Jahren in die DDR abgesetzt hatten und dann mit der Öffnung der Archive des MfS, erhielten Öffentlichkeit und Forschung qualifizierte Hinweise auf die Existenz dieser Beziehungen.
(Unvollständige) Chronologie: 1970 – 1990
Der erste bislang bekannte Kontakt zwischen RAF und DDR stammt aus dem Jahr 1970. Von Juni bis August 1970, hielten sich etwa 20 Mitglieder der RAF (nach der Befreiung Andreas Baaders aus der Haft am 14. Mai 1970) zu einem militärischen Training in einem Lager der El Fatah in Jordanien auf. Am 17. August des Jahres hat Ulrike Meinhof, lange Zeit Mitglied der illegalen KPD in der Bundesrepublik, in der DDR nachgefragt, ob die Gruppe nicht die DDR als Ausgangsbasis für ihre Anschläge in der Bundesrepublik nutzen könne.[7] Dies wurde abgelehnt.
Im selben Zusammenhang gab es einen weiteren Kontakt. Das damalige RAF-Mitglied Hans Jürgen Bäcker wurde auf seiner Rückreise aus Jordanien nach Westberlin von DDR-Grenzbeamten festgehalten. Er wurde ausführlich zu den Mitgliedern der Gruppe und ihren Vorhaben befragt und gab bereitwillig Auskunft.[8] So hatte die DDR zu einem sehr frühen Zeitpunkt offenbar bereits sehr gute Kenntnisse über Personen und Strukturen bewaffneter Gruppen in der Bundesrepublik.
Im November 1973 nahm die DDR-Grenzpolizei Bommi Baumann fest und übergab ihm dem MfS zu einer ausführlichen Befragung. Er war wegen eines gefälschten Ausweises festgenommen worden. Baumann war in einer Zwangslage. Er wurde wegen schwerwiegender Verbrechen in der Bundesrepublik gesucht. Das MfS schätzte, er hätte eine Strafe von insgesamt 20 Jahren zu erwarten gehabt. Die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit machten ihm klar, dass man ihn auch sofort ausliefern könne. Also gab er mehrere Wochen lang bereitwillig Auskunft. Das MfS erarbeitete aus seinen Aussagen eine Art „Who is who“ des bewaffneten Kampfes. Dann entließ man ihn nach Westberlin.[9]
1975 entstand im MfS die Hauptabteilung XXII.[10] Diese Abteilung sollte terroristische Organisationen aus dem links- und rechtsextremen Spektrum erfassen und – soweit möglich – infiltrieren. Man beschäftigte sich mit Gruppen wie z.B. der Aktionsfront Nationaler Sozialisten, der Kampfgruppe Priem, der Abu-Nidal-Gruppe, den italienischen Roten Brigaden, der Rote Armee Fraktion, der Bewegung 2. Juni und auch den Revolutionären Zellen. Vor allem ging es darum, die terroristische Szene detailliert auszuforschen und Sicherheitsprobleme für die DDR rechtzeitig zu erkennen und entsprechend Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Einer der Hauptgründe für die Entstehung dieser Abteilung war die Furcht der DDR, sie war 1973 in die UNO aufgenommen worden, sie selbst und ihre diplomatischen Vertretungen im Ausland könnte Ziel von Anschlägen von terroristischen Gruppen werden. Heute kann man nachweisen, dass es gerade diese Abteilung XXII war, die auch für die Kooperation mit den Terroristengruppen zuständig war.
Kontakte im Sinne einer tatsächlichen Zusammenarbeit und Absprache mit Linksterroristen entwickelte das MfS – nach heutigem Kenntnisstand – zuerst zu Inge Viett im Jahr 1978. Viett, damals noch Mitglied der Bewegung 2. Juni, wurde bei einer Transitreise durch die DDR vom Leiter der Abteilung XXII des MfS, Harry Dahl, festgehalten und zu ihren Auffassungen zur DDR befragt. Harry Dahl stellte sich als „Genosse“ vor. Man machte ihr zwar klar – so jedenfalls Viett in ihren Erinnerungen – dass die DDR terroristische Aktionen ablehne, aber Transitreisen – auch nach in Westdeutschland durchgeführten Aktionen – genehmigen werde.[11] Man bedeutete ihr, „dass wir“ – so f
ormulierte Viett es später selbst – „in Zukunft relativ sicher die Grenzen zur DDR passieren könnten.“[12]
Gerade dies war von unschätzbarem Vorteil für Angehörige der Bewegung 2. Juni, die nämlich im Mai desselben Jahres einen ihrer Genossen, Till Meyer, aus dem Gefängnis in Westberlin befreiten und sich – mit der Zusage Dahls im Rücken – in kürzester Zeit durch den Übertritt nach Ostberlin der Verfolgung der Westberliner Polizei entziehen konnten. Die Gruppe floh weiter nach Bulgarien.
Später hat das MfS Inge Viett erneut geschützt. Viett und andere wurden am 27. Juni 1978 in Prag durch tschechische Sicherheitsorgane festgenommen und dem MfS übergeben. Eine interne MfS-Analyse berichtet den weiteren Ablauf knapp: „In der Zeit vom 28. Juni bis 12. Juli waren sie in der DDR in einem konspirativen Objekt untergebracht und wurden anschließend unter operativer Kontrolle nach Bagdad/Irak ausgeflogen, wo sich nach eigenen Angaben ihre Operationsbasis befindet.“[13]
Über Inge Viett, deren Gruppe Bewegung 2. Juni, sich etwa 1980 in die RAF auflöste, wurde später auch die Unterbringung von RAF-Aussteigern organisiert. Die Intensivierung der Kontakte des MfS zu linksterroristischen Gruppen in der Bundesrepublik und Westberlin bis hin zur Aufnahme von „Aussteigern“ ermunterte diese, in der DDR um finanzielle und andere materielle Unterstützung nachzufragen. Dies wurde zurückgewiesen, allerdings stellte man militärische Kenntnisse bereit. In den Jahren 1980 bis 1982 fanden zwei- bis dreimal jährlich Treffen zwischen RAF-Mitgliedern und MfS-Vertretern statt.[14] Wolfgang Beer, Adelheid Schulz und Inge Viett wurden auf einem Stasi-Gelände trainiert.[15] Pikant dabei war, die genannten waren damals als Terroristen noch aktiv. Sie lernten z. B. die Bedienung einer sowjetischen Panzerfaust. Eine solche Waffe war im September 1981 bei einem Mordanschlag auf den US-General Kroesen verwendet worden. Da die Angaben über den Zeitpunkt des Waffentrainings differieren, ergaben sich Spekulationen darüber, ob das MfS an dem Anschlag indirekt beteiligt war.[16] Ein späteres Verfahren jedoch wurde eingestellt.[17] Wesentliche Informationen lieferte das MfS aber Angehörigen der RAF darüber, welche Fandungsmaßnahmen das Bundeskriminalamt gegen Mitglieder der RAF einleitete. Da man über einen Spitzel im Bundeskriminalamt verfügte, war dies möglich.[18]
1982 landete das Mitglied der Terrorgruppe Revolutionäre Zellen Johannes Weinrich auf dem Ost-Berliner Flughafen Schönefeld. Er wurde von einem Mitarbeiter der Abteilung XXII in Empfang genommen, man ließ ihm die mitgeführte Waffe, die ebenfalls mitgeführten 25 Kilo Sprengstoff nahm man ihm ab.
Bei mehreren Einreisen in die DDR bemühte sich Weinrich später, den Sprengstoff wieder ausgehändigt zu bekommen, dies verweigerte das MfS jedoch, da zu befürchten war, Weinrich würde ihn im Westen einsetzen, um ein anderes Mitglied der Revolutionären Zellen, Magdalena Kopp, die in Frankreich verhaftet worden war und außerdem die Freundin des internationalen Top-Terroristen Carlos war, freizupressen: „Das MfS“ – schreibt Tobias Wunschik – „fürchtete, Weinrich könne von Ost-Berlin aus im Westteil der Stadt zur Tat schreiten und dadurch die DDR in den Augen der Weltöffentlichkeit dem – nicht unberechtigten – Vorwurf aussetzen, sie würde den internationalen Terrorismus unterstützen.“[19]
Man verlangte deshalb von Weinrich eine Erklärung, den Sprengstoff nicht in der Bundesrepublik oder Westberlin einzusetzen. Weinrich versprach dies und sicherte sogar zu, „Carlos“ werde zeitweilig auf Anschläge verzichten. Als er zusätzlich versicherte, er werde den Sprengstoff nicht selbst verwenden, sondern ihn an eine „Befreiungsbewegung“ weiterleiten, gab das MfS nach, obwohl bekannt war, dass Weinrich sich in nächster Nähe bereits ein Anschlagsziel ausgesucht hatte: das „Maison de France“ in Westberlin.
Am 16. August 1983 wurde der Sprengstoff an Weinrich ausgeliefert, der ihn verabredungsgemäß bei einem syrischen Diplomaten in Ostberlin deponierte. Eine Woche später jedoch ließ er ihn sich wieder aushändigen und noch am selben Tage explodierte die Bombe im Maison de France. Ein Toter und viele schwer verletzte Menschen waren die Folgen. Im Januar 2000 wurde Johannes Weinrich wegen des Anschlages zu lebenslanger Haft verurteilt.
Bislang sieht es so aus, dass in der Mitte der 80er Jahre die Kooperation der DDR mit Linksterroristen aus der Bundesrepublik aufgegeben wurde. Lediglich die Unterbringung der zehn RAF-Aussteiger, unter ihnen auch Inge Viett, wurde aufrechterhalten. Für diesen Abbruch der Kooperationsbeziehungen gibt es bislang keine rechte Erklärung.
Aber ich bin ziemlich sicher, dass in dieser Geschichte noch nicht das letzte Wort gesagt und geschrieben wurde. Nicht alles ist bereits wirklich gut erforscht. Nicht alle Dokumente des MfS wurden bereits ausreichend befragt, die Beteiligten Stasi-Angehörigen wie auch die noch lebenden RAF-Angehörigen schweigen zu diesem Thema meist. Die Aufarbeitung dieser Kooperationsbeziehungen ist noch nicht abgeschlossen.
So ist in jüngster Zeit z. B. ein Dokument aus der Abteilung XXII des MfS vom März 1982 aufgetaucht, dass sehr genau beschreibt, wie das MfS linkterroristische Gruppen in der Bundesrepublik als Partisanen nutzen könnte, um einen verdeckten Kampf gegen die Bundesrepublik zu führen.[20] Wolfgang Kraushaar, vom Hamburger Institut für Sozialforschung, vermutet, es sei möglicherweise das Konzeptpapier für die so genannte „3. Generation“[21] der RAF, über die man bislang besonders wenig weiß.[22] Er könne sich nicht vorstellen, wie die Autodidakten des Terrors derart perfekte Anschläge hätten durchführen können, die Polizei, Justiz und Staatsanwaltschaft bis heute nicht aufklären konnten. Es sei immerhin denkbar, dass sich am Ende herausstelle, die 3. Generation der RAF sei von der Stasi im Sinne einer verdeckt operierenden Partisaneneinheit gesteuert worden.
Ich weise Sie auf diese Vermutung nur deshalb hin, da sie belegt, dass das Kooperationsgeflecht von Stasi und westdeutschem Linksterrorismus bislang nicht vollständig erforscht ist.
DDR und internationaler Terrorismus
So wirklich überraschend ist die Zusammenarbeit linksterroristischer Gruppen aus der Bundesrepublik mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR nicht. Man teilte – bei aller Verschiedenheit – viele Auffassungen. Die Demokratie der Bundesrepublik war in den Augen der DDR wie der linksterroristischen Gruppen ein Produkt des amerikanischen Imperialismus, die ehemals faschistische Bourgeoisie, so hätten es wohl beide Seiten gesehen, hatte sich mit diesem Projekt über den Nationalsozialismus hinaus gerettet.
Differenzen gab es lediglich in zwei entscheidenden Punkten. Die DDR unterstützte die Politik der „friedlichen Koexistenz“ der Sowjetunion. Sie hatte außerdem, man war 1973 Mitglied der UNO geworden, eigene Sicherheitsinteressen. Die DDR wollte also nicht in den Geruch geraten, terroristische Organisationen zu unterstützen. Dies hätte ihr auf dem internationalen Parket geschadet. Linksterroristische Gruppen der Bundesrepublik beurteilten die Politik der „friedlichen Koexistenz“ eher als Verrat an der Revolution.
Über die genannten Gemeinsamkeiten und Differenzen hinaus, gab es aber einen weiteren gemeinsamen Bezugspunkt der DDR und linksterroristischer Gruppen der Bundesrepublik. Dies war insbesondere die gemeinsame Kooperation mit palästinensischen Terrorgruppen, die sich die Zerstörung Israels auf ihre Fahnen geschrieben hatten. In welcher Weise die Kooperation der DDR und der RAF mit der von beiden Seiten gepflegten Kooperation mit palästinensischen Terrorgruppen zusammenhingen, wird insbesondere an einem Dokument sichtbar, das ich Ihnen bislang noch vorenthalten habe.
Das Dokument trägt den Titel „Information 285/79 über Aktivitäten von Vertretern der palästinensischen Befreiungsbewegung in Verbindung mit internationalen Terroristen zur Ein
beziehung der DDR bei der Vorbereitung von Gewaltakten in Ländern Westeuropas“[23] und wurde am 8. Mai 1979 in eben der Abteilung XXII fertig gestellt, von der bereits die Rede war. Die Verfasser machen darauf aufmerksam, dass sowohl die Kooperation mit linksterroristischen Gruppen als auch die mit palästinensischen Terroristen den Sicherheitsinteressen der DDR schaden könnten. Darüber hinaus macht die Expertise darauf aufmerksam, dass man mit der Unterstützung palästinensischer Terroristen auch deren Kooperation mit Linksterroristen aus der Bundesrepublik unterstützt.
Die Expertise beginnt mit den Worten: „Nach vorliegenden internen Hinweisen werden von z. T. nicht eindeutig politisch bestimmbaren Kräften der palästinensischen Befreiungsbewegung in Verbindung mit anarchoterroristischen Gruppen aus westlichen Ländern verstärkt Versuche unternommen das Territorium der DDR als logistischen Stützpunkt und Ausgangsbasis für die Durchführung von Gewaltakten in Westeuropa zu nutzen. Die großzügige solidarische Haltung der DDR zum nationalen Befreiungskampf der arabischen Völker wird dabei von diesen Kräften als günstiger Umstand für die Planung und Vorbereitung von Operationen angesehen. Dabei werden auch die Kommunikationsmöglichkeiten der Hauptstadt der DDR in Rechnung gestellt.“ Insbesondere nach dem Abschluss des Vertrages zwischen Israel und Ägypten, der am 25 April 1979 in Kraft trat, aktivierten palästinensische Gruppen ihre Gewaltakte gegen westliche Länder. „Derartige Aktivitäten vom Territorium der DDR aus“ – hieß es weiter – „schaffen politische Gefahren und beeinträchtigen unsere staatlichen Sicherheitsinteressen.“[24]
Ich erspare Ihnen jetzt im Detail die Darstellung aller Informationen dieses Dokuments, ich will Sie lediglich mit einer für unseren Zusammenhang wesentlichen Passage vertraut machen. Die Geheimdienstexpertise berichtet u. a. von einem Treffen unterschiedlicher Führer palästinensischer Gruppen mit Carlos in der DDR und über bereits getroffene Vorbereitungen für Anschläge in Westeuropa. Dabei wird ausdrücklich auf die Einbeziehung „anarcho-terroristischer Kräfte“ aus der Bundesrepublik und Westberlin hingewiesen: „Im Ergebnis eingeleiteter konspirativer Kontrollmaßnahmen sind folgende bisher erkannte Aktivitäten und Verhaltensweisen der Gruppierung um Carlos in der DDR als aktionsbezogen, d. h. als Vorbereitungshandlungen für terroristische Vorhaben, zu beurteilen: Schaffung logistischer Stützpunkte in der Hauptstadt der DDR unter Einbeziehung von DDR Bürgern; Durchführung konspirativer Zusammenkünfte und Treffen zwischen Bürgern verschiedener arabischer Staaten; Forcierung der Reisetätigkeit von Verbindungsleuten der Carlos-Gruppierung in die BRD und andere westeuropäische Länder sowie nach Westberlin; Enger, ständiger Kontakt zu den Botschaften der VDRJ, der Republik Irak, Libyen sowie der PLO-Vertretung in der Hauptstadt der DDR; Bemühungen zur Beschaffung von Waffen, Sprengstoff, Geld und Informationen; Absprachen zur Erweiterung einer konspirativen „revolutionären Abteilung“; Inspirierung zu Gewaltakten des bewaffneten Kampfes bis hin zu Einzelaktionen, Attentaten und dgl. Gegen die imperialistische Politik der USA, der Zionisten und der Clique um Sadat; Aktivierung der Kontakte zu anarcho-terroristischen Kräften aus der BRD/Westberlin; Absichten, von der Hauptstadt der DDR aus unter Einbeziehung der Botschaften der UdSSR und der DDR in Syrien Operationsbasen in der SAR[25] zu schaffen.“[26]
An einer anderen Stelle heißt es: „Über das Vorhandensein enger Verbindungen und zunehmend koordinierten Vorgehens extremistischer Gruppierungen der palästinensischen Befreiungsbewegung und anarcho-terroristischer Kräfte der BRD und Westberlins liegen operative Hinweise und Erkenntnisse vor.“[27] Diese Erkenntnisse hatte man durch „Kontaktaufnahme und Abschöpfung der führenden Mitglieder der Bewegung, Inge Viett, Ingrid Siepmann und Regine Nicolai, gewonnen.[28]
Die für unseren Zusammenhang wichtige Botschaft dieses Dokumentes ist, die Kooperation von DDR und linksterroristischen Gruppen in der Bundesrepublik kam nicht nur deshalb zustande, weil man mehr oder weniger gemeinsame Auffassungen über die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten von Amerika hegte (auch wenn man über die Sowjetunion und die Politik friedlicher Koexistenz unterschiedlicher Auffassung war). Sie war auch deshalb möglich, weil sowohl linksterroristische Gruppen der Bundesrepublik als auch die DDR mit denjenigen kooperierten, die den Staat Israel zerstören wollten.
DDR, ein Feind Israels
Die DDR hat mehr oder weniger von Anfang an mit den Feinden Israels kooperiert. Zwar unterstützte sie, als sie noch nicht DDR, sondern Sowjetische Besatzungszone (SBZ) hieß, ganz wie zunächst die Sowjetunion, die Gründung des Staates Israel. Das Blatt wendete sich jedoch ziemlich rasch. In einer der wenigen Untersuchungen zu diesem Thema schreibt der Soziologe Thomas Haury in einem jüngst erschienenen Aufsatz: „Abgesehen von einer kurzen israelfreundlichen Phase bis 1950 bezog die DDR über die gesamte Zeit ihres Bestehens hinweg eine dezidiert feindselige Position gegenüber dem jüdischen Staat. Sie weigerte sich, Wiedergutmachungsleistungen zu leisten und nahm nie diplomatische Beziehungen zu Israel auf. Stattdessen bemühte sie sich intensiv um die Gunst gerade der aggressiv israelfeindlichen unter den arabischen Staaten: Ägypten (bis zu dessen Westorientierung unter Sadat), Syrien, Irak und ab Mitte der 1970er Jahre auch Gaddafis Libyen. In Stellungnahmen der DDR-Regierungen, des Politbüros, im Parteiorgan Neues Deutschland und in horizont, der außenpolitischen Zeitschrift der SED, findet sich über 35 Jahre hinweg unisono dezidierte Israelfeindschaft.“[29]
Wie im Fall der Beziehungen der DDR zu den linksterroristischen Gruppen der Bundesrepublik, so muss auch hier gesagt werden, dass dieser Aspekt nicht wirklich gut beschrieben und erforscht ist, aber Umrisse lassen sich erkennen. Ich will Ihnen hier lediglich einige Fakten präsentieren, die deutlich machen, dass die DDR unbestreitbar mit Kräften zusammen arbeitete, die eine Zerstörung Israels anstrebten.
Die DDR unterstützte die Politik der arabischen Länder und die Politik der 1964 gegründeten Palestine Liberation Organisation (PLO), die ihr Ziel Israel zu zerstören erst 1998 aus ihrer Charta entfernte. Im Artikel 15 der PLO-Charta hieß es z. B.: „Die Befreiung Palästinas ist vom arabischen Standpunkt aus nationale Pflicht. Ihr Ziel ist, der zionistischen und imperialistischen Aggression gegen die arabische Heimat zu begegnen und den Zionismus in Palästina auszutilgen.“[30] Die Gründung Israels bezeichnete man als illegal.[31]
Die DDR ging über eine bloß propagandistische Unterstützung der arabischen Länder und der PLO weit hinaus. Sie hatte auch Anteil am Krieg arabischer Staaten und von Palästinensergruppen gegen Israel.
Mit der Unterstützung der arabischen Länder und der PLO war eine Diskreditierung des Zionismus in der DDR verbunden. Man betrachtete Israel nicht als die Heimstatt der Überlebenden der Shoah, sondern als Produkt großbürgerlichen Chauvinismus und Imperialismus, der angegriffen, wenn nicht zerstört werden müsse. Das kleine politische Wörterbuch der DDR formulierte noch 1978: „Zionismus: die chauvinistische Ideologie, das weitverzweigte Organisationssystem und die rassistische, expansionistische politische Praxis der jüdischen Bourgeoisie, die einen Teil des internationalen Monopolkapitals bildet.“[32] Die DDR erkannte Israel als Staat niemals an, zu den arabischen Ländern und zur PLO pflegte man jedoch ganz selbstverständlich diplomatische Beziehungen.
Walter Ulbricht sagte im März 1965 vor dem Staatsrat der DDR: „Die deutsch-arabische Freundschaft hat eine große Tradition. Sie beginnt bei den Forschungen der deutschen Ägyptologen und hat heute ihren Inhalt im gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus.“[33] 1969 schlug Ulbricht in einem geheimen Brief an den sowjeti
schen Parteiführer Leonid Breschnew vor, einen „Zermürbungskrieg gegen die israelischen Truppen in den okkupierten Gebieten“ zu führen und zu diesem Zweck Freiwillige aus den sozialistischen Staaten zu rekrutieren.[34] 1973 schloss die DDR ein Abkommen mit der PLO, in dem ausdrücklich Waffenlieferungen und die Pflege verwundeter PLO-Kämpfer enthalten waren.[35] Es gab in der DDR auch keine Bedenken, die militant israelfeindlichen arabischen Länder mit Waffen zu beliefern. Erich Honecker kommentierte eine Waffenlieferung an Syrien in einem Brief an den Präsidenten Assad: „Eine Staffel Abfangflugzeuge MIG 21, 62 Panzer und viele andere israelfreundliche Gegenstände.“[36]
Dass die DDR auch für Attentate palästinensischer Terrorgruppen mitverantwortlich war, hat Markus Wolf, der Stellvertreter des Geheimdienstchefs Erich Mielke, in einem Interview mit der Jüdischen Rundschau (Zürich) am Ende der 90er Jahre beschrieben: „Natürlich war die DDR nicht Zentrum des internationalen Terrorismus. Die für solche Kontakte verantwortliche Dienststelle im Ministerium für Staatssicherheit lag anderswo und handelte aus dem Motiv heraus, den Terrorismus von der DDR fernzuhalten. Die Kontakte müssen aber heute so gesehen werden, dass damit faktisch terroristische Aktionen vom Territorium der DDR aus geduldet wurden. Mein Dienst und ich selbst sind fest von der Bedingung ausgegangen, dass das Gebiet der DDR für terroristische Handlungen nicht benutzt werden darf. Es bleibt unter dem Strich aber Verantwortung und Schuld dafür, etwas geduldet zu haben, was zu solchen Handlungen führte.“[37]
Dies bedeutete, weniger verklausuliert, dass man palästinensische Terrorgruppen zwar verpflichtete, vom Territorium der DDR aus keine Anschläge auszuführen, dass man ihnen jedoch materielle Hilfe und militärisches Training zur Verfügung stellte – sie konnten die DDR als sicheres Hinterland und Trainingslager nutzen.
Die antizionistische Politik der DDR war weit mehr als nur Propaganda. Die DDR unterstützte auch die Versuche, den Staat Israel militärisch zu zerstören. Erst kürzlich hat eine Mitarbeiterin der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin, Konstanze Ameer, bei ihren Recherchen für die neue Ausstellung der Stiftung über den Antisemitismus in der DDR – die Sie im Übrigen unbedingt besuchen sollte; die jeweils neuen Ausstellungstermine erfahren Sie auf der Website der Stiftung[38] – die Belege dafür gefunden, dass die DDR auch Terroristen der Gruppe Abu Nidal politisch schulte und militärisch trainierte. Abu Nidal war eine Gruppe, die sich 1974 von der PLO abspaltete und über 100 Anschläge in mehr als 20 Ländern ausführte. Das Ministerium für Staatssicherheit führte minutiös Buch darüber, welche Schulungen man Mitgliedern der Gruppe Abu Nidals zukommen ließ. Es ist deutlich sichtbar, dass es bei diesen Schulungen auch um militärisches Training ging.[39] Der Bericht hält zwar fest, es sei nicht zu übersehen gewesen, dass es „unterschiedliche Standpunkte zu Grundfragen des palästinensischen Widerstandskampfes“ gegeben habe, welche das genau waren, wird nicht erwähnt. Diese Differenzen schienen die Ausbilder auch nicht davon abgehalten zu haben, das militärische Training durchzuführen.
Eine wirklich umfassende Untersuchung zum Thema der Beziehungen der DDR zur PLO und den militant israelfeindlichen Ländern der arabischen Welt liegt meines Wissens noch nicht vor. Aber schon jetzt lässt sich sagen, die DDR unterstützte die Bestrebungen Israel zu zerstören vehement.
Bewaffneter Schuldabwehrantisemitismus
Bleibt die Frage offen, haben westdeutsche Terrorgruppen – RAF, Bewegung 2. Juni, Revolutionäre Zellen – tatsächlich Israel als Feind angesehen und mit Organisationen gemeinsame Sache gemacht, die Israel zerstören wollten? Auch diese Frage ist eindeutig mit Ja zu beantworten.
Die bislang genaueste Untersuchung zu diesem Thema stammt von Thomas Skelton Robinson.[40] Aber auch hier gilt wie bei den beiden bereits dargestellten Kontexten, dieses Feld ist bislang nicht wirklich gut erforscht. Es sind zu diesen Beziehungen in Zukunft noch mehr Forschungsergebnisse zu erwarten. Ich gebe Ihnen auch hier lediglich einen gerafften und kurzen Überblick.
Noch bevor die Baader-Meinhof-Gruppe gegründet wurde, machte am 9. November 1969 eine Gruppe um Dieter Kunzelmann, mit einem – Gott sei Dank missglückten – Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus in West-Berlin auf sich aufmerksam. Wäre die Bombe explodiert, hätte es an die 200 Tote und Verletzte gegeben. Die „Tupamaros West-Berlin“ hatten bewusst den 9. November gewählt. Sie waren der Auffassung, dass „die Kristallnacht von 1938 heute täglich von den Zionisten in den besetzten Gebieten, in den Flüchtlingslagern und in den israelischen Gefängnissen“[41] wiederholt werde. Einige Angehörige der Gruppe bildeten später die Bewegung 2. Juni.
Der missglückte Anschlag selbst und seine ideologische Rechtfertigung, die Gleichsetzung der israelischen Politik mit dem Völkermord der deutschen Nationalsozialisten, zeigen unmissverständlich um was es hier geht, um bewaffneten sekundären oder Schuldabwehrantisemitismus. Das entscheidende Waffentraining, hatte die Gruppe im Oktober 1969 in einem Lager der El Fatah in Jordanien absolviert.[42]
In eben einem solchen Lager ließ sich auch die erste Generation der RAF militärisch ausbilden. Ob und in welcher Form die Kontakte der RAF zur Fatah später aufrechterhalten wurden, ist bislang nicht bekannt. Ulrike Meinhof kaufte allerdings im Dezember 1970 von zwei Mitgliedern der Organisation Pistolen vom Typ „Firebird“.[43]
Ob es im Mai 1972 tatsächlich zu einer Übereinkunft der RAF mit palästinensischen (sowie japanischen) Terroristen kam, sich fortan gegenseitig zu unterstützen, ist bislang nicht recht geklärt.[44] Als jedoch während der Olympischen Sommerspiele in München eine Gruppe des Schwarzen September am 5. September 1972 bei einer Geiselnahme zunächst zwei Mitglieder der Olympiamannschaft Israels tötet und neun weitere Athleten als Geiseln nahm, lautete ihre Forderung, neben der Freilassung von 234 Gefangenen aus israelischen Gefängnissen, Haftentlassung von Andreas Baader und Ulrike Meinhof.[45]
Die RAF hat, ganz wie vorher die Schwarze Ratten Tupamaros West-Berlin, die ideologische Rechtfertigung des Anschlages auf die israelischen Sportler unmissverständlich kundgetan. [46] In einer Schrift Ulrike Meinhofs, hieß es dazu z. B.: „Israel vergießt Krokodilstränen. Es hat seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden – Brennmaterial für die imperialistische Ausrottungspolitik.“[47] Wir erinnern uns, nicht Israel hatte irgendein Kommando-Unternehmen ausgeführt, israelische Sportler waren Opfer eines Angriffs eines palästinensischen Kommandos geworden. Auch hier finden wir in der ideologischen Rechtfertigung des Anschlages deutlich den Schuldabwehrantisemitismus.
Die Kooperation der RAF mit dem palästinensischen Terror reicht aber noch weiter. Im Sommer 1973 reiste Margrit Schiller – die nach dem Ende ihrer ersten Haftzeit (1971 bis 1973) erneut in den Untergrund gegangen war und eine später so genannte Gruppe 4.2.[48] mit aufgebaut hatte, die Baader, Meinhof, Ensslin und andere freipressen wollte – nach Rotterdam. Dort traf sie sich mit einer Gruppe von „Palästinensern aus der El-Fatah-Zentrale im Libanon“ und bereitete sich darauf vor, mit ihnen ein israelisches Flugzeug zu entführen, um die RAF-Führungskader freizupressen.[49] Sie warteten lange, aber vergeblich auf einen Einsatzbefehl zum Losschlagen.
Weitere Dimensionen der Kooperation deutscher Linksterroristen mit Feinden Israels wurden im Jahr 1975 sichtbar. Nach der Entführung des Vorsitzenden der Westberliner CDU, Peter Lorenz, werden die durch die Geiselnahme freigepressten Mitglieder bewaffneter Gruppen in den Südjemen ausgeflogen. Offenbar hatte die Bewegung 2. Juni, die Peter Lorenz entführt hatte, im Vorfeld der Geiselnahme über Kontaktleute der Volksfront für die Befreiung Palästina
s (PFLP) diese Unterstützung ihrer Aktion abgesprochen.[50] In dem Bekennerschreiben zur Entführung hatte die Bewegung 2. Juni als eine der Gründe für die Entführung ausdrücklich formuliert: „als cdu-chef hat er sich zum propagandisten des zionismus, der aggressiven eroberungspolitik des staates israel in palästina gemacht, und nimmt durch besuche in israel und geldspenden an der verfolgung und unterdrückung des palästinensischen volkes teil.“[51]
Eine weitere solche Kooperation mit palästinensischen Terrororganisationen wurde auch am 24. April 1975 sichtbar, als ein Kommando[52] der zweiten Generation der RAF die Botschaft der Bundesrepublik in Stockholm besetzte, zwölf Geiseln nahm und von der Bundesregierung die Freilassung von 26 Gesinnungsgenossen forderte. Als die Bundesregierung Verhandlungen verweigerte, erschoss das Kommando die Botschaftsangehörigen Andreas von Mirbach und Heinz Hillegaart. Das RAF-Kommando hatte das Gebäude vermint. Eine unbeabsichtigt ausgelöste Bombenexplosion beendete den Überfall vorzeitig. Neu war, dass das RAF-Kommando offenbar Garantien eingeholt hatte, die Gefangenen, die es freipressen wollte, in Drittländer auszufliegen. Der Überfall war mit dem Terroristen Carlos, der im Auftrag der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP)[53] arbeitete, geplant worden.[54]
Auch die dritte wichtige Gruppe des westdeutschen Linksterrorismus, die Revolutionären Zellen, kooperierte mit dem palästinensischen Terror, mit der PFLP. Sie war beteiligt an einem Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien am 20. Dezember 1975 und an einer Flugzeugentführung 1976, bei der eine Maschine, die von Tel Aviv nach Paris fliegen sollte, am 25. Juni gezwungen wurde zunächst nach Libyen und später nach Entebbe (Uganda) zu fliegen. Die Entführer, ein gemischtes Kommando von PFLP Terroristen und Mitgliedern der deutschen Revolutionären Zellen, trennten in Entebbe die jüdischen von den nicht-jüdischen Geiseln. Die nicht-jüdischen Geiseln ließ man frei. Den Selektionsprozess führte der deutsche RZ-Angehörige Wilfried Böse durch.[55]
Weiter intensiviert wurde die Kooperation der RAF mit palästinensischen Terrororganisationen schließlich nach der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer am 5. September 1977. Terroristen der zweiten RAF-Generation hatten ihn verschleppt, um die Freilassung von elf Inhaftierten der ersten Generation zu erreichen. Da die Bundesregierung jedoch nicht bereit war, mit den Entführern zu verhandeln, bot die PFLP an, den Druck durch eine Flugzeugentführung zu erhöhen. Am 13. Oktober 1977 zwang ein Kommando der PFLP die Lufthansa-Maschine „Landshut“ zum Flug nach Somalia.[56]
Es lässt sich also zeigen, dass alle drei wesentlichen Gruppen des westdeutschen Linksterrorismus – RAF, Bewegung 2. Juni, Revolutionäre Zellen – von Beginn an mit denjenigen arabischen Ländern und palästinensischen Terrorgruppen zusammenarbeiteten, die sich einer Zerstörung Israels verschrieben hatten und keine Verhandlungslösung im Nahen Osten anstrebten. Die Grundlage dieser Kooperation bildet offenbar auf der deutschen Seite ein bewaffneter Schuldabwehrantisemitismus, der auch vor der Ermordung von Juden in Deutschland (Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus, 9.11.1969) und der Selektion jüdischer von nicht-jüdischen Passagieren (Flugzeugentführung nach Entebbe) nicht zurückschreckte.
Antifaschismus und Antisemitismus
Um das Beziehungsgeflecht von MfS und bundesdeutschen Linksterroristen vollständig zu erfassen, genügt es nicht, sich auf den gewissermaßen binnendeutschen Kontext zu konzentrieren. Eben dieser Kontext unter der Fragestellung „Wie wollte Erich Mielke im Auftrag von Erich Honecker die Bundesrepublik unterwandern?“ verfolgt der größere Teil der Forschungen und Publikationen zum Thema.
Dadurch gerät ein wesentlicher Aspekt dieses Themas leicht unter die Räder. Dies scheint zunächst nur ein internationaler Kontext zu sein, es geht um die Außenpolitik der DDR und das Verhältnis der RAF zum internationalen Terrorismus, oder besser gesagt um Teile davon. Die DDR war fast von ihrem Anfang an ein sich selbst antifaschistisch und antizionistisch zugleich definierender Staat; die bewaffneten Gruppen der alten Bundesrepublik teilten, mit wenigen Ausnahmen diese Selbstdefinition. Sowohl die bundesdeutschen Terroristen als auch die DDR pflegten beste Beziehungen zu den Kräften im arabischen Raum und zu den palästinensischen Terroristen, die den Staat Israel auslöschen wollten.
Die pro-palästinensische Politik der DDR stand im Kontext ihrer antiisraelischen Politik nach dem Ende des Nationalsozialismus.[57] Nach einer anfänglichen Unterstützung der Gründung Israels durch die Sowjetunion hatte sich bereits einige Jahre später das Blatt vollkommen gewendet. Zeitlich parallel zu einer antizionistischen und antisemitischen Kampagne in der Sowjetunion und in vielen ihrer Sattelitenstaaten in Osteuropa wurde das Steuer herumgerissen, Israel galt nun als „zionistisch“, „imperialistisch“ und als Aggressor, ab sofort ließ man seine Unterstützung den arabischen Feinden Israel und später auch palästinensischen Terrorgruppen zukommen, die man als „nationale Befreiungsbewegungen“ ansah und deren „antiimperialistischen Kampf“ man unterstützte.
Auch die SED hatte in der SBZ/DDR diesen Positionswechsel nachvollzogen. Noch 1948 hatte man die Gründung Israels begrüßt und entsprechend an einem Gesetz zur Wiedergutmachung gegenüber allen Opfern, kommunistischen und jüdischen, des Nationalsozialismus gearbeitet. Im Winter 1952/53 entfachte man dagegen eine antisemitische Kampagne, in der die jüdischen Gemeinden der DDR als „fünfte Kolonne des US-Imperialismus“ attackiert wurden und der Erfinder eines Wiedergutmachungsgesetzes in der DDR, Paul Merker, unter dem Vorwurf inhaftiert wurde, er sei ein Agent des amerikanischen Imperialismus und habe vorgehabt, deutsches Volksvermögen an „jüdische Kapitalisten“ zu verschleudern.
In der nichtkommunistischen Linken der Bundesrepublik[58] hatte es in den 1950er und frühen 1960er Jahren noch eine deutliche Unterstützung Israels als Heimstaat der überlebenden Opfer des Holocaust und eines sozialistischen Musterstaats (Kibbuz-Bewegung) gegeben. Mit dem 6-Tage-Krieg jedoch, im Juni 1967, hatten größere Teile der Gruppen und Parteien ihre Solidarität mit Israel aufgekündigt und sich der Unterstützung des „antiimperialistischen Kampfs“ der palästinensischen Terrororganisationen verschrieben.[59] Auch die aus dem Zerfallsprozess der Studentenbewegung hervorgehenden Terrorgruppen – RAF, RZ und Bewegung 2. Juni – gehörten zu den Unterstützern des palästinensischen Terrors als Teil einer weltweiten antiimperialistischen Front.
Frappierend ist, dass wir zwar bislang nicht von einer etwa von Stasi und RAF gemeinsam geplanten antiisraelischen Aktion wissen, die Begründungsmuster des vehementen Antizionismus, oder wie ich sagen würde Schuldabwehrantisemitismus, ähneln sich jedoch wie ein Ei dem anderen. Die DDR und die bewaffneten linksterroristischen Gruppen der Bundesrepublik teilten neben ihrer Feindschaft zur Demokratie der Bundesrepublik auch die Feindschaft zu den USA und zu Israel. Beide kooperierten mit Gruppen, die die Auslöschung Israels zum Ziel hatten. Es ist schon sehr eigentümlich zur Kenntnis zu nehmen, dass ausgerechnet die radikalste Linke in Deutschland nach 1945 keine Hemmungen hatte, mit den Feinden Israels zusammen zu arbeiten.
Dr. phil. Martin Jander, geb. 21.1.1955 in Freiburg in Breisgau, unterrichtet Deutsche Geschichte im Programm der New York University in Berlin, der Stanford University in Berlin und Geschichtsdidaktik am Historischen Seminar der Universität Köln. Er hat Geschichte und politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin studiert. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Nationalsozialismus und dessen drei Nachfolgegesellschaften: Bundesrepublik, DDR, Österreich. Ein Verzeichnis seiner Veröffentlichungen findet sic
h auf seiner Website: www.zeitgeschichte-online.de/md=RAF-Chronik-Stasi. Tobias Wunschik, Baader Meinhof international?, in: Beilage zur Zeischrift „Das Parlament“, Aus Politik und Zeitgeschichte 40-41/2007, S. 23ff.
[4] Karl Wilhelm Fricke, Die Staatssicherheit, Köln 1982, S. 184.
[5] Claire Sterling, Das internationale Terror-Netz, Bern/München 1981, S. 303 und S. 358.
[6] Fricke, Staatssicherheit, S. 184; siehe auch: ders., MfS-intern, Köln 1991, S. 57ff.
[7] Wunschik, „Abwehr“ und Terrorismus, S. 267. Siehe auch: Klaus Rainer Röhl, Fünf Finger sind keine Faust, Köln 1974, S. 395.
[8] Wunschik, Baader-Meinhof international?, S. 27.
[9] Kopie der MfS-Akte in der Sammlung des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIfS): MfS 73/009
[10] Hubertus Knabe (Hg.), Westarbeit des MfS. Das Zusammenspiel von „Aufklärung“ und „Abwehr“, Berlin 1999, S. 96.
[11] Inge Viett, Nie war ich furchtloser, Reinbek 1999, S. 192.
[12] Inge Viett, zitiert nach: Wunschick, Baader-Meinhofs Kinder, S. 393.
[13] Information 285/79 über Aktivitäten von Vertretern der palästinensischen Befreiungsbewegung in Verbindung mit internationalen Terroristen zur Einbeziehung der DDR bei der Vorbereitung von Gewaltakten in Ländern Westeuropas, Berlin 8.5.1979, S. 12 (Kopie in der Sammlung des HIfS: MfS 79/041).
[14] Süddeutsche Zeitung, 19.3.1992, S. 8, hier zitiert nach: Wunschik, Baader-Meinhofs Kinder, S. 396.
[15] Viett, Nie war ich furchtloser, S. 246.
[16] Müller, Kanonenberg, Die RAF-Stasi-Connection, S. 181ff; Friedrich Schlomann, Die Maulwürfe. Noch sind sie unter uns, die Helfer der Stasi im Westen, München 1993, S. 45.
[17] Siehe: Süddeutsche Zeitung 17/18.9.1994, S. 2, hier zitiert nach: Wunschik, Baader-Meinhofs Kinder, S. 396.
[18] Wunschik, Abwehr“ und Unterstützung , S. 268.
[19] Tobias Wunschik, Das Ministerium für Staatssicherheit und der Terrorismus, (2002) (www.extremismus.com/ texte/rafmfs.htm (Abfrage September 2007)) , S. 1.
[20] Die Aufgaben tschekistischer Einsatzgruppen im Operationsgebiet, März 1982, MfS HA XXII, 521/17
[21] Alexander Straßner, Die dritte Generation der RAF, in: Kraushaar (Hg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Bd. 2, S. 489ff.
[22] Siehe Interview mit Wolfgang Kraushaar in der Südwest-Presse (30.10.2007) (http://www.suedwest-aktiv. de/landundwelt/die_vierte_seite/3192550/artikel.php?SWAID=15af23f4f804b663f3c33c5b6479a803 – aufgerufen im November 2007).
[23] Information 285/79 über Aktivitäten von Vertretern der palästinensischen Befreiungsbewegung in Verbindung mit internationalen Terroristen zur Einbeziehung der DDR bei der Vorbereitung von Gewaltakten in Ländern Westeuropas, Berlin 8.5.1979 (Kopie im HIfS: MfS 79/041).
[24] Ebenda, S. 1.
[25] Syrisch Arabische Republik.
[26] Information 285/79 über Aktivitäten von Vertretern der palästinensischen Befreiungsbewegung, S. 7/8.
[27] Ebenda.
[28] Ebenda.
[29] Thomas Haury, „Das ist Völkermord!“ Das „antifaschistische Deutschland“ im Kampf gegen den „imperialistischen Brückenkopf Israel“ und gegen die deutsche Vergangenheit, in: Matthias Brosch u. a. (Hg.), Exklusive Solidarität. Linker Antisemitismus in Deutschland, Berlin 2007, S. 285.
[30] Artikel 15 der PLO-Charta von 1968. (http://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/plo_charta.html)
[31] Siehe Artikel 19 der PLO-Charta.
[32] Stichwort Zionismus, in: Dietz Verlag Berlin (Hg.), Kleines politisches Wörterbuch, Berlin 1978, S. 1042.
[33] Streng vertraulich, Bericht des Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht auf der Sitzung des Staatsrates vom 12.3.1965 über seinen Besuch in Ägypten, SAPMO-BA ZPA, J, IV, 2/27/1398, S.2, zitiert nach: Michael Wolffsohn, Die Deutschland Akte, München 1995, S. 251.
[34] Siehe: Angelika Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern, Bonn 1997, S. 234, zitiert nach: Thomas Haury, „Das ist Völkermord“, in: Matthias Brosch u. a. (Hg.), Exklusive Solidarität, Berlin 2006, S. 286.
[35] MfS HA II Nr. 18652.
[36] Erich Honecker an Präsident Assad, 3.11.1973, SAPMO-BA ZPA, 2/2.035/147, zitiert nach: Michael Wolffsohn, Die Deutschland Akte, München 1995, S. 251.
[37] Zitat aus dem Interview mit Markus Wolf aus der Online-Ausgabe der „Jüdischen Rundschau“ (Zürich). Das Interview führte Simon Erlanger anlässlich einer Autorenreise Markus Wolfs durch die Schweiz am Ende der 90er Jahre. Da Zeitung und Autor momentan keinen Zugriff auf das Archiv haben, kann keine genaue Aussage darüber gemacht werden, in welcher Nummer der Zeitung das Interview erschien. Der Text des Interviews ist jedoch im Internet abrufbar: www.hagalil.com/schweiz/rundschau/index.htm (21.11.2006).
[38] Source