30 Jahre Osteuropa ohne Warschauer Vertrag Ein Europäischer Salon und die Willi-Eichler-Akadamie e.V. luden am 27.9.2022 ein ins Willi-Brandt-Haus, SPD-Zentrale in Berlin-Kreuzberg, zum Thema: Transformation der Erinnerung – Erinnerung der Transformation Wohin steuert Osteuropa? Osteuropa zwischen Mauerfall vor 30 Jahren und Ukrainekrieg. Besichtigung und Betrachtung einer Epoche Der Politologe Dr. Klaus-Jürgen Scherer befragte Prof. Dr. Jan C. Behrends, der als Osteuropa-Experte vorgestellt wurde und an der Uni in Frankfurt/O lehrt. Das Thema klang irgendwie interessant und ich folgte der Einladung meines SDS-Genossen und ehemaligen Schulungsleiters beim SPD-Vorstand, Tilman Fichter, daran teilzunehmen. Die Veranstaltung war tatsächlich interessant, aber nicht etwa, weil man da irgend etwas Neues lernen konnte, sondern weil sie grottenschlecht war. Der Professor gefiel sich mehr in Dönekes und plumper Propaganda für die Position, die der Welt gewöhnlich aus dem Weißen Haus offeriert wird. Der Historiker pickte sich ein paar Fakten aus der Historie der letzten 30 Jahre Osteuropas heraus, die sicher in Herrn Bidens Sicht passen würden, aber vermied geflissentlich alle Fakten, die nicht in dieses Narrativ passen. 1. Anstatt den Widerspruch zwischen Selbstbestimmung der Menschen und Souveränitätsanspruch von Staaten generell und im Besonderen an Osteuropa historisch aufzudröseln, gefiel sich Behrends darin, die Notwendigkeit aufzuzeigen, dass der Konflikt in der Ukraine militärisch zugunsten Kiews gelöst werden müsse. Er räumte nur ein, dass er nicht wisse, wie lange das dauern würde. Im Falle der derzeitigen Lage in Osteuropa gilt es nach dieser Sicht auf den staatlichen Souveränitätsanspruch zu bestehen, der keine Grenzveränderungen zulässt. Dann kann allerdings schlecht argumentiert werden, die VR China sei in Sachen Hongkong und Taiwan im Unrecht, bzw. das United Kingdom müsste dann endlich auf die Besetzung eines Teils von Irland verzichten, die USA müssten Guantanamo, Puerto Rico und etliche karibische und pazifische Inseln räumen, der NATO-Krieg gegen Serbien wäre dann selbstverständlich als Verbrechen zu brandmarken gewesen usw. Andererseits wären Nationale Befreiungsbewegungen dann grundsätzlich zu verurteilen, sei es in Vietnam, Angola, Algerien, Kosovo oder sonstwo, da sie gegen damals geltendes Recht verstießen, das die jeweiligen Souveräne einseitig erlassen hatten. Zur Erinnerung: Der Souverän ist der Inhaber der umfassenden Hoheitsgewalt im Staat, nach außen (völkerrechtlich) wie nach innen (staatsrechtlich). In demokratischen Republiken und parlamentarisch-demokratischen Monarchien ist das Volk der Souverän, in absoluten und konstitutionellen Monarchien das Staatsoberhaupt. Es gilt zu realisieren, Staaten sind soziale Konstrukte, Menschen nicht. Von daher stellt sich die Frage, wessen Rechte überwiegen sollten, die der Menschen oder die eines wie auch immer gearteten künstlichen Konstrukts? 2. Professor Behrends ist vielleicht zu jung, um an seiner alma mater, dem OSI gelernt zu haben, dass das Völkerrecht vom Stärkeren gesetzt wird. In den 70igern wurde dort von Mitgliedern der Kommune 1 das Rote Buch mit Zitaten aus den Werken Mao Tse Tungs verteilt, dessen prägnantester Satz „Die Macht kommt aus den Gewehrläufen“ nach wie vor zu gelten scheint. Mit SPD-Genossen Egon Bahr scheint es SPD-Mann Behrend auch nicht zu halten, der Schülern 2013 beibrachte: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ Anlehnend an Mao hätte Behrend aufzeigen können, wo und warum welche Waffen zum Einsatz kommen und anlehnend an Bahr hätte er dann diskutieren können, welche Interessen in der Ukraine aufeinanderprallen. Vielleich hätte er dann auch noch auf Zbigniew Kazimierz Brzeziński (Bidens Mentor) zurückgreifen können, der detailliert aufgezeigt hat, weshalb es für den Wertewesten so eminent wichtig ist, die Ukraine als Dorn im Fleische Russlands zu beherrschen. 3. Die Entwicklung in den osteuropäischen Staaten wurde nur in Nebensätzen erwähnt, ohne auf deren Weg hin zu autoritären Entitäten mit Unterdrückung von Minderheiten aller Art näher einzugehen. Über die Situation der Sinti und Roma, der Juden, Russen und anderer Minoritäten, deren Sprache und Kultur massiv unterdrückt wird, fiel kein Wort. Über die Unterdrückung politischer Opposition erfuhr man ebenfalls nichts, rein gar nichts, obwohl das für die Einschätzung im jetzigen Kriegsgebiet fundamental gewesen wäre. 4. Wichtig war dem Professor dagegen nachzuweisen, dass das Sanktionsregime gegen Russland, vulgo des Wirtschaftskrieges, erfolgreich ist bzw. sein wird. Dabei war er sich nicht zu schade auf Fake News zurückzugreifen. Wichtig war ihm auch Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine verächtlich zu machen, die korrekterweise betonen, dass zwar Putin am 24. Februar den Krieg in die Ukraine proper getragen habe, aber die Wirtschaftssanktionen als Reaktion darauf von den NATO-Staaten initiiert wurden und nicht von Russland. Nach zwei Diskussionsbeiträgen, bei denen er auf seine Fehlerhaftigkeit bezüglich der Wirksamkeit des Wirtschaftskrieges in Sachen des angeblich verminderten cash flows für Russland hingewiesen wurde und eine wirkliche Diskussion hätte stattfinden können, war Schluss mit lustig und die Veranstaltung wurde als beendet erklärt. Es war auch keine Zeit mehr, den guten Vorschlag des ehemaligen Wirtschaftsexperten in Präsident Reagan’s Kabinett zu diskutieren, der freie Wahlen unter UN-Aufsicht für alle Minderheiten vorschlug: „If we want to stop this insane war and ensure peace in Europe, instead of calling Russia’s sponsored referendum in Eastern Ukraine a sham, we should conduct an honest referendum in all the disputed territories under the auspices of the UN and let the people decide what government they want.“ 5. Wenigstens gab es anschließend für die weniger als ein Dutzend Teilnehmer ein paar Häppchen zu essen und auch trinkbaren Wein. Günter Langer, Berlin 28.9.2022