Es ist eine fragwürdige Erfahrung, mit
einem geliebten Menschen eine Beziehung zu unterhalten, ohne die
banalsten Dinge des Alltags teilen zu können.
Seit bald drei Jahren führe ich eine verbotene Beziehung mit Amal*. Sie
war drei Jahre alt, als ihre kurdischen Eltern nach Deutschland
flüchteten. Heute ist sie Mitte 20 und hat neben drei Schwestern
dummerweise vier Brüder. Daher verabreden wir uns manchmal in einer
dunklen Tiefgaragenecke. Bevor wir losfahren, verkleidet sie sich.
Niemand darf sie mit mir sehen, und sie ist immer angespannt. Brüder
oder Vater rufen ständig an. Das dient der Kontrolle. Trotzdem hat sie
es irgendwie geschafft, sich den Weg an eine Fachhochschule
freizukämpfen. Auch da greift die Entmündigung. Die Ansage der Brüder
ist unmissverständlich. Am späten Nachmittag endet Amals überschaubarer
Rest freier Selbstbestimmung.
Sie muss dann zu Hause sein. Falls nicht, drohen Schläge. Und das sind keine leeren Ankündigungen.
Amal
ist Muslimin und durfte nie an einer Klassenfahrt teilnehmen. Dafür
haben ihre Brüder gesorgt. Sie sagt, das sei, soweit sie das in ihrem
ziemlich großen Milieu überschauen kann, normal. In Deutschland ist das
bekannt, und es betrifft zigtausende muslimische Schülerinnen. Trotzdem
wird dagegen eigentlich nichts unternommen. Obwohl es sich um ein quasi
öffentliches Massenspektakel handelt, welches Mitschüler, Lehrer,
Schuldirektoren und viele andere direkt beobachten.
Ein
eingeschränkt normales Leben kennen junge muslimische Frauen wie Amal –
wenn überhaupt – nur von Montag bis Freitag zwischen 8 bis vielleicht 17
Uhr. In den anderen Zeiten sind sie Leibeigene ihrer patriarchalischen Familienstrukturen. Bei
Amal ist es so: Mit Freundinnen abends ins Kino oder Theater gehen?
Verboten. Disco? Verboten. Nach der Vorlesung mit Kommilitonen ins Café
gehen? Verboten, wenn 17 Uhr naht. Freundschaft mit einem Mann? Nicht
nur verboten, sondern obendrein gefährlich. Und zwar für beide.
Wenn Amal muslimische Studentinnen trifft, rückt sofort ein Thema ins
Zentrum: Wer darf was? Volljährige junge Frauen gleichen also das
jeweils eigene Maß aktuell erlebter Entrechtung ab. Wenn jetzt jemand
glaubt, Bildung sei ein Schlüssel zur Integration, der könnte sich
täuschen. Ich höre beispielsweise Geschichten wie die von einer in
Deutschland aufgewachsenen Kommilitonin gleichen Glaubens. Ihre Brüder
haben das Studium bereits abgeschlossen. Sie verbieten ihrer Schwester
Männerbekanntschaften und sperren sie ab dem späten Nachmittag zu Hause
weg. So können sie aussehen, die Integrationsübungen, mit denen sich
formal hochgebildete Zuwanderer an ihren volljährigen Schwestern
abreagieren. Die geringsten Repressalien haben offenbar die muslimischen
Frauen zu erwarten, deren Mütter keine Jungen zur Welt gebracht haben.
Wenn Amal tatsächlich mal zu mir kommt, dann rattert in ihrem Hirn ständig die Prüfschleife.
Amal
und ich führen eine absurde Beziehung im multikulturellen
Ausnahmezustand. Ich bin noch nie neben ihr aufgewacht. Sie ist noch nie
neben mir eingeschlafen. Manchmal sehe ich sie zwei Wochen nicht. Der
einzige direkte Kontakt besteht dann aus abgehackten Telefonaten.
Abgehackt, weil sie sich zum Telefonieren versteckt und die Gespräche
urplötzlich unterbricht, wenn sich ein Bruder zu nähern droht. Völlig
normale Dinge, wie zum Beispiel Hand in Hand durch die Stadt zu gehen,
sind uns unbekannt. In der einen Straße hat einer der unzähligen Onkel
ein Geschäft und in der anderen wohnt vielleicht einer der noch
unzähligeren Cousins. Somit sind irgendwie alle Straßen tabu. Auch
allein muss sie aufpassen. Wird sie gesehen, steckt das jemand durch.
Schließlich könnte sie ja auf dem Weg zu einem verbotenen Freund sein
und ihre „Ehre“ verlieren. Wenn Amal tatsächlich mal zu mir kommt, dann
rattert in ihrem Hirn ständig die Prüfschleife: Wer geht da? Wer steht
dort? Welches Auto hält an der Ampel? Wohnt hier jemand, der meine
Brüder kennt?
In Amals Milieu – inmitten
unserer multikulturellen Gesellschaft im Geltungsbereich des
Grundgesetzes – werden Frauen wie Vieh auf dem Basar verkauft. Gute
Preise erzielen junge „Unberührte“, also die mit „Ehre“. Die
verschacherten Frauen ziehen bei der Familie des Ehemannes ein, haben
Kinder zu gebären und dienen als Putzhilfen, Köchinnen sowie dem Mann
als gefügiges Sexualobjekt. Die Ehen werden oft nur vor einem Imam
geschlossen. Innerhalb des Milieus haben sie Geltung. Nicht aber nach
deutschem Recht. Melden sich diese Frauen auf deutschen Ämtern, dann als
unverheiratete Alleinerziehende. Mitunter legen sie Mietverträge vor,
die mit der Familie des „Ehe“-Mannes geschlossen wurden. Dafür gibt es
eigentlich nur einen Grund: die Absicht zum Sozialbetrug.
Zurzeit
sinkt Amals Preis, weil sie studiert. Gebildete Frauen sind weniger
wert, weil sie Dinge eher infrage stellen und für die auferlegten
Frondienste ungeeignet scheinen. Im Alter von 16, 17 oder 18 Jahren
hätte Amal rund 20 000 Euro abwerfen können. Heute würde sie nur noch
einen guten Preis erzielen, wenn ihre Familie sie an einen Mann aus der
alten Heimat verkaufen könnte. Es werden also auch Ehemänner importiert.
Deren Familien zahlen gerne für den Zugang zum deutschen Sozialsystem.
Oft in Gold, das dafür gesammelt wird. Verkauft und vor dem Imam
verheiratet wird fast nur innerhalb der weit verzweigten, wirklich
großen Großfamilie. Zur Erinnerung: Wir schreiben das Jahr 2013 und
befinden uns in Deutschland.
In Amals Milieu werden Mädchen und Jungen für ihre Rollen von klein auf
konditioniert. Träger und Bewahrer dieser multikulturellen Realität sind
nicht nur die Männer, sondern ebenfalls die Mütter. Selbst sie sorgen
dafür, dass alles so bleibt, wie es ist, schon, um die eigene Rolle und
damit das große Ganze nicht infrage zu stellen. Jeder Zweig der
Sippschaft achtet akribisch auf die Einhaltung der Regeln und übt bei
Verstößen Druck aus. Schließlich sind junge muslimische Frauen, die von
den Rollenmustern abweichen, schlechte Vorbilder für die Töchter anderer
Mütter und damit eine Bedrohung für das System. Das würde nämlich von
heute auf morgen zusammenbrechen, verweigerten sie sich massenhaft. Nach
allem, was ich so höre, sollte mit der gewaltfreien Lösung solcher und
anderer Milieukonflikte nicht immer gerechnet werden. Einige Frauen
würden ihre Verweigerungshaltung nicht überleben. Sie werden ja schon
heute mit Kopfschüssen hingerichtet. Am helllichten Tag. Mitten in
Deutschland.
Seit Monaten wird in den Medien intensiv über die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“
berichtet. „Ehrenmorde“ finden weniger Beachtung. In Amals Milieu
werden sie trotzdem wahrgenommen. Reaktionen der Männer und Mütter
können dann so lauten: „Aber wenn das Mädchen doch ohne Ehre war …“ Das
sind schonungslose Ansagen an Schwestern und Töchter, aufzupassen, sich zu unterwerfen und die Regeln einzuhalten.
Manchmal entscheiden sich junge Frauen wie Amal für den radikalen Ausbruch. In Deutschland gibt es dafür Anlaufstellen.
Wie Kronzeugen in einem Mafia-Prozess erhalten sie von staatlichen
Stellen eine andere Identität und fangen an einem fremden Ort ein völlig
neues Leben an. Danach darf es keinen Kontakt mehr mit der Familie
geben. Oft sehen die jungen Frauen darin schon deswegen keinen Ausweg,
weil sie in ihren Großfamilien von frühauf die Last der
Hauptverantwortung für jüngere Geschwister tragen müssen. Sie glauben
sich in der Pflicht und hängen an diesen Geschwistern. Dieses
Pflichtgefühl übersteigt den inneren Drang nach Freiheit und lässt sie
jede Schikane ertragen. Einen Ausbruch empfänden sie als Verrat an der
Familie. Was sie nicht sehen, sind die Schäden, welche die familiären
Repressionsstrukturen an ihren Seelen hinterlassen.
Was an Amals
Berichten überrascht, ist Fremdenfeindlichkeit gegenüber Deutschen.
Jemanden als „deutsch“ zu bezeichnen, gilt als Beschimpfung. Viele
Migranten kamen über das Asylrecht zu uns. Sie suchten Schutz und
Sicherheit vor Verfolgung und erhielten es. Warum lehnen manche von
ihnen uns Deutsche, unser Land, unsere Freiheit, unsere Demokratie und
unsere Kultur dann ab? Und warum bleiben sie? Einmal sagte Amal,
Christen zu heiraten ist bei ihr verboten. Sie müssen vorher
konvertieren. Alles andere würde mindestens den Verstoß aus der Familie
nach sich ziehen. Ihre Betonung lag auf „mindestens“.
Es ist eine
fragwürdige Erfahrung, mit einem geliebten Menschen eine Beziehung zu
unterhalten, ohne die banalsten Dinge des Alltags teilen zu können. Und
all das nur, weil bestimmte Gruppen hartnäckig an frauenfeindlichen und
unzivilisierten Vorstellungen festhalten. Für mich stellt sich daher
immer die Frage nach der Zukunft. Einmal sprach ich mit einem
katholischen Geistlichen darüber. Er bestärkte mich und sagte, die junge
Frau sei mir „von Gott anvertraut“. „Achte und unterstütze sie auf
ihrem Weg. Alles andere wird sich fügen.“ Ich hoffe, er hat recht. Ich
kann aber niemandem empfehlen, es mir gleichzutun. Denn dafür ist das
Leben eigentlich zu kurz.
Andererseits habe ich eine Muslimin kennen- und lieben gelernt, die sich
durch den Zwang zur viel zu frühen Übernahme von Verantwortung
wertvolle charakterprägende Eigenschaften und Fähigkeiten angeeignet
hat, die einem so nur selten begegnen. Amal ist in ihrem zerrissenen
Innersten mit Haut und Haaren Deutsche. In ihrer Familie, die tagtäglich
darum kämpft, über die Runden zu kommen, steht sie damit noch relativ
allein. Vielleicht auch deshalb, weil ein völlig wehrloses
Familienmitglied vor einigen Jahren Opfer rechtsextremer Gewalt wurde.
Der hinterhältige Übergriff war außerordentlich brutal. Mit den
körperlichen Schäden wird das Opfer für immer leben müssen. Die
volljährigen Täter wurden nach Jugendstrafrecht verurteilt und saßen nur
kurz ein. Zivilrechtlich wurden sie für ihre Tat nie belangt.
* Sowohl “Amal” als auch “Christian Weber” sind Pseudonyme. Mehr über die Hintergründe ihrer Beziehung lesen Sie hier.