Vorgeschichte des Münchner AttentatsAuf der Olympiade passiert was
18.02.2013 · Eine Anschlagserie erschütterte im Februar 1970 Deutschland. Im Verlauf weniger Tage kam es zu einem Entführungsversuch einer israelischen Maschine auf dem Flughafen München-Riem, zu einem Brandanschlag auf das Gebäude der Israelischen Kultusgemeinde in München und zu Attentaten der „Tupamaros München“, einer von Fritz Teufel angeführten linksradikalen Gruppe. Vor allem aber wurden Bomben in zwei Flugzeugen plaziert, von denen eines abstürzte. Gehört dies alles zur Vorgeschichte des Olympia-Attentats der palästinensischen Gruppe „Schwarzer September“?
Von WOLFGANG KRAUSHAAR
Wie lange dauerte der Spaß, und wann wurde daraus Ernst? Fritz Teufel, einer der Gründer der „Kommune I“, gehörte später zu den „Tupamaros München“, die Anschläge verübten.
Bedenken gegen die Austragung Olympischer Spiele sind in der Bundesrepublik insbesondere von der radikalen Linken vorgebracht worden. Ihre Vorbehalte haben eine zeithistorische und eine gesellschaftskritische Dimension. Zum einen beziehen sie sich auf die Instrumentalisierung des olympischen Gedankens durch Hitler und die Nazis 1936 in Berlin und zum anderen auf eine grundsätzlichen Kritik am Leistungssport. Diese ablehnende Haltung mündete im Herbst 1968 in die Gründung eines Komitees zur Verhinderung der Olympischen Spiele in München. Unmittelbarer Auslöser war allerdings ein Massaker an unbewaffneten und gewaltfrei demonstrierenden Studenten.
Unter dem Eindruck dieses Massakers riefen Angehörige der Münchner außerparlamentarischen Opposition (APO) am 13.Oktober 1968 zu einer spektakulären Protestaktion auf. In roten Großbuchstaben schrieben sie an die Wände verschiedener Gotteshäuser, darunter die evangelisch-lutherische Kreuzkirche in der Hiltenspergerstraße und die katholische Kirche „Maria zum guten Rat“ in der Hörwarthstraße: „Kommt heute zur Olympia-Turm-Sprengung, 15.30 Uhr.“ Und tatsächlich, vor dem ganz in der Nähe des Olympiastadions befindlichen Olympiaturm tauchten zum angekündigten Zeitpunkt Aktivisten der APO auf. Doch es war mit rund 30 Akteuren ein eher überschaubarer Kreis. Ihre ebenso knappe wie eindeutige Parole lautete: „Sprengt die Olympischen Spiele.“ Offenbar war der Aufruf zur Sprengung des Olympiaturms rein symbolischer Natur.
Offenbarungen am Waldesrand
Zur Ikone der antiolympischen Bewegung war mit Fritz Teufel derweil Deutschlands bekanntester Kommunarde geworden. Auf einem Plakat posierte der Bürgerschreck noch lässig auf einem Siegertreppchen, auf dem in Frakturschrift „München 1972“ zu lesen war, womit offenbar an die Olympischen Spiele 1936 erinnert werden sollte. Er trug noch gelockte Haarpracht, Vollbart und eine runde Nickelbrille. Dazu wirkte er mit seinem altertümlichen Schlafanzug wie der Protagonist der bereits ausgerufenen „Anti-Olympiade“. Das hatte Stil und entsprach zumindest in der jüngeren Generation dem Zeitgeist.
Doch eines seiner Hauptanliegen dürfte bereits zu dieser Zeit darin bestanden haben, die in München bevorstehenden Olympischen Spiele umzufunktionieren. Das war spätestens bei den beiden aufsehenerregenden Interviews deutlich geworden, die die Münchner „Abendzeitung“ und das Politmagazin „Monitor“ mit ihm am 4.Februar 1970 durchgeführt hatten. Den Reportern erklärte er am Waldesrand klipp und klar, dass sein Ziel nun darin bestehe, die Durchführung der Olympischen Spiele in München zu verhindern. Auf dieses Thema wäre keiner der Journalisten von sich aus gekommen. Die Tatsache, dass Teufel von selbst darauf zu sprechen kam, ist zumindest ein Indiz dafür, wie wichtig ihm die Sache zu diesem Zeitpunkt war. Er erklärte, dass im Zusammenhang mit der Olympiade „etwas passieren“ werde. Was er damit meinte, blieb jedoch unklar. Aber ganz so, als habe er seine Behauptung noch einmal unterstreichen wollen, ließ er sich anschließend zum Olympiagelände weiterfahren und dort demonstrativ vor dem Olympiaturm fotografieren.
Besonders wichtig sind die Terrorakte im Ausland
Wie weit man in dieser Hinsicht unter Umständen zu gehen bereit war, demonstrierten auch einige seiner Genossen aus der im Herbst 1969 auseinandergefallenen Berliner Kommune I. Denn als Dieter Kunzelmann am 19.Juli 1970 in West-Berlin verhaftet wurde, stellte die Kriminalpolizei in dessen konspirativer Wohnung Papiere sicher, die auf die Planung von bewaffneten Aktionen während der Olympischen Spiele schließen lassen mussten. Sie stammten von Georg von Rauch, einem seiner Gefährten auf der legendären Palästina-Reise. Dieser hatte sich bereits in einem im August 1969 in Rom verfassten Schreiben über die weiteren Reisepläne der Gruppe und die damit verbundenen Absichten geäußert:
„Zusammen mit ein paar ,Leuten‘ von der Ablassgesellschaft aus Hamburg planen wir jetzt einen Orient-Trip (El Fatah, Kurdistan + vielleicht noch weiter ? nach China), die Route entscheidet sich an den Connections zur El Fatah in Frankfurt + den Kurden in Berlin. Wir sind bisher nur durch die Richtung in den Zeitungen informiert, wo stand, dass Studenten bei der El Fatah 1. für den Kampf dort 2. die Terrorakte im Ausland + 3. in Organisationsfragen ausgebildet werden. Für mich selbst ist der 2. Punkt* einer der wichtigsten + deswegen schreib ich dir auch, weil du uns als erster einfielst und dazu Lust hättest. Die ganze Geschichte kann natürlich auch länger als 3 Monate **dauern, das hängt eben von der Route ab, aber für mich + auch die anderen ists egal, wo wir eben doch keinen festen Platz in Berlin haben und auch die Situation in Berlin nicht so ist, dass man ganz neue Sachen dort machen kann./Du solltest die Sache wirklich nur den Leuten erzählen, von denen du annimmst oder willst, dass sie mitkommen./Wir fahren jetzt nach Mailand. * die El Fatah ist darin eigentlich die einzige Gruppierung, bei denen das regelmäßig auch in die Tat umgesetzt wird** unser spätester Rückkehr-Termin ist die Olympiade 72 in München.“
Im Gespräch mit den Fatah-Begründern
Obwohl in diesem Moment offenbar noch verschiedene Optionen für das weitere Vorgehen vorhanden gewesen sein dürften, so wird in dem Schreiben zum Ausdruck gebracht, wo die eigentlichen Akzente liegen: Die dominante Bezugsgröße ist ganz unzweifelhaft die Fatah. Explizit ist von „Connections zur El Fatah in Frankfurt“ die Rede, womit eigentlich nur die bereits erwähnte Verbindung zur Zentrale der „Generalunion Palästinensischer Studenten“ (GUPS) gemeint sein kann, in der die Kunzelmann-Vertraute Inge Presser zusammen mit Nabil Nassar im Büro des GUPS-Vorsitzenden Abdallah Frangi arbeitete. Von Rauch interessierten in diesem Zusammenhang am meisten die Ausbildung seitens der Fatah zur Begehung von „Terrorakten im Ausland“, womit hier wohl nur Länder außerhalb des Bezugsgebietes der Palästinenser gemeint sein können. Und wie aus heiterem Himmel heißt es am Ende ganz unvermittelt, dass „spätester Rückkehr-Termin“ ihrer Gruppe „die Olympiade 1972 in München“ sei. Mit welchen Ideen im Gepäck tritt die Kunzelmann-Gruppe ihre Palästina-Reise an? Welche Rolle spielen dabei Anstöße, die ihnen zuvor Fritz Teufel mit auf den Weg gegeben haben könnte, mit dem sie zuvor noch in Mailand zusammen gewesen sind? Schließlich verkörpert er wie kein Zweiter den antiolympischen Impetus.
Kunzelmanns wichtigste Gesprächspartner waren keine Geringeren als die beiden wichtigsten Leute innerhalb der PLO gewesen: die beiden Fatah-Begründer Jassir Arafat und Farouk Kaddoumi, der eine Chef der palästinensischen Dachorganisation, der andere deren führender außenpolitischer Repräsentant. Und zumindest einer der beiden wird – wie sich im entscheidenden Augenblick noch zeigen soll – als Strippenzieher im Hintergrund eine, wenn nicht gar die entscheidende Rolle für das spielen, was eine Palästinenser-Gruppe dann im September 1972 im Olympischen Dorf und in Fürstenfeldbruck anrichtete. Mit Michael Baumann wird später ein ehemaliges Mitglied der „Tupamaros West-Berlin“ behaupten, dass der PLO-Vorsitzende Arafat es gewesen sei, der für die Kunzelmann-Gruppe während ihres Aufenthalts in Jordanien im Oktober 1969 die Kontakte zur Frankfurter Zentrale der GUPS und dort wiederum zu deren Vorsitzenden Frangi gestiftet habe.
Vor Anschlägen auf die Spiele war explizit gewarnt worden
Doch zurück zu Georg von Rauchs Planungen zur „Olympiade“, die nach Kunzelmanns Festnahme in dessen Wohnung aufgefunden worden waren. In dem 36 Seiten umfassenden, handschriftlich verfassten Text hatte er detaillierte Überlegungen zur „Sprengung“ der Olympischen Spiele dargelegt. Die ersten Angriffe sollten, hieß es darin, bereits während der Eröffnung erfolgen: „Bei der Fahnenhissung fallen die ersten Schüsse. Wenn die Polizei schießt, schießen wir zurück. Wir haben alle Waffen.“ Als Nächstes, fuhr von Rauch in einer größenwahnsinnig anmutenden Manier fort, sollte dann das Olympische Dorf gestürmt werden: „Nach dem Sturm auf das Olympiadorf herrscht Chaos in der Stadt. Überall werden neue Kommunen gebildet.“ Zudem sollten Schlachtschiffe der Vereinigten Staaten, die während der Olympischen Spiele in deutschen Häfen vor Anker gingen, „in die Luft gejagt“ werden. Und zur selben Zeit auch deutsche Schiffe in amerikanischen Häfen.
Auf diese Planspiele wurde in einem Vortrag des Bayerischen Landeskriminalamtes hingewiesen, das am 1.März 1972 berichtete: „Während der Olympischen Spiele bietet sich für politisch extreme Gruppen eine einmalige Gelegenheit, die Weltöffentlichkeit auf ihre Forderungen, Ziele und Ideen aufmerksam zu machen. Es sind deshalb möglicherweise auch terroristische Aktionen zu befürchten.“ Dabei wurde auf die zitierten Papiere der „Berliner Anarchisten“ hingewiesen. Die Schlussfolgerungen blieben jedoch unverbindlich: „Welche Aktionen und Störungen auf politischem Hintergrund bei den Spielen tatsächlich zu erwarten sind, lässt sich nur schwer voraussagen. Es können zu dieser Zeit durch veränderte politische Weltlage, durch internationale Spannungen irgendwelcher Art, ganz neue Aspekte gegeben sein, die heute nicht voraussehbar sind.“ Es gibt jedenfalls keinerlei Anzeichen dafür, dass daraus praktische Konsequenzen für die Polizeiarbeit, insbesondere im Hinblick auf die israelischen Olympioniken, gezogen wurden, die aus naheliegenden Gründen als besonders gefährdet angesehen werden mussten. Dabei hatte eine vom Münchner Polizeipräsidium beauftragte Arbeitsgruppe bereits am 18.Oktober 1971 vor Terroranschlägen auf olympische Einrichtungen explizit gewarnt, darunter auch vor einem gewaltsamen Eindringen in das Olympische Dorf.
Das Werbepotential der Spiele ins Gegenteil verkehren
Allerdings war auch Georg von Rauch zu der Zeit, als er seine Überlegungen niederschrieb, zur Untätigkeit verdammt. Denn er saß wegen seiner Beteiligung an einem am 6.Februar 1970 verübten Überfall auf den „Quick“-Journalisten Horst Rieck in Untersuchungshaft und fertigte seine Aufzeichnungen offenbar im Frühjahr 1970 in seiner Moabiter Zelle an. Innerhalb der „Tupamaros West-Berlin“ müssen die Münchner Olympischen Spiele hinter vorgehaltener Hand bereits ein Thema gewesen sein. So erinnert sich mit Annekatrin Bruhn eines ihrer Mitglieder Jahre später daran, wie von Rauch ihr gegenüber nach seiner Entlassung mit großer Bestimmtheit, wenn auch hinreichend unspezifisch festgestellt habe: „Auf der Olympiade passiert was.“ Die Ankündigung kann nur zwischen dem Mai und dem Oktober 1970 gefallen sein. Denn im Oktober wurde von Rauch wieder verhaftet. In dieser Zeit war er dabei, eine eigene Untergrundgruppe aufzubauen. In einer ihrer konspirativen Wohnungen soll von Rauch regelrechte Schulungen über den Nahost-Konflikt und den Kampf der Palästinenser durchgeführt haben.
Kunzelmann und von Rauch waren zu der Zeit die beiden führenden Köpfe der „Tupamaros West-Berlin“. Und Teufel zur selben Zeit der führende Kopf der „Tupamaros München“. Im Grunde genommen, traten die beiden Gruppen wie eineiige Zwillinge auf. Aus der antiautoritären Subkultur beider Städte hervorgegangen, waren sie zu Vorreitern des Projekts „bewaffneter Kampf“ geworden. Auch wenn sich die Form ihres Handelns verändert hatte, so waren doch viele ihrer Ziele dieselben geblieben. Warum sollte es nicht gelingen, das Werbepotential der Spiele in sein glattes Gegenteil zu verkehren?
Sieg im Volkskrieg
Um das Reizthema Olympische Spiele geht es dann auch, als am 18.Juni 1971 beim Münchner Büro der Deutschen Presse-Agentur ein anonymes Flugblatt eintrifft. Darin werden ab sofort große Aktionen gegen die Olympischen Spiele angekündigt, bei denen gesprengt und geschossen werden solle. Wie selbstverständlich stellen die Verfasser einen Zusammenhang mit den Olympischen Spielen von 1968 her. Es klingt ganz so, als würden sie sich in einer Kontinuität mit dem damals gegründeten und längst in Vergessenheit geratenen Komitee zur Verhinderung der Olympischen Spiele in München bewegen: „Olympia 68 Mexiko 1000 Tote Hunderte noch im Knast. 40 Tote heute in Mexiko. Der Mollie letztes Jahr im Konsulat war gar nichts. Olympia 72 in München: Rache für Mexiko. Wir werden sprengen und schießen und jetzt anfangen! Freiheit für die mexikanischen Revolutionäre! Freiheit für Fritz, Astrid, Margit, Jimmy und alle Gefangenen. Sieg im Volkskrieg.“
Das ist eine ganz unmissverständliche Warnung an die Stadt und die Organisatoren der Olympischen Spiele. Einen Tag später wird der Text in der „Süddeutschen Zeitung“ und in der „Abendzeitung“ veröffentlicht. Da das Schreiben mit dem typischen Tupamaro-Stern gekennzeichnet ist, wird es von den Ermittlern als ein Flugblatt der „Tupamaros München“ eingestuft. Die darin genannten Vornamen stehen unter anderen für Fritz Teufel, Margarethe Geyer-Czenki und Heinz-Georg Vogler.
Die deutsche Sorge um einen reibungslosen Ablauf
Teufel sitzt seit dem Juni 1970 im Gefängnis. Um seine Isolation und Langeweile zu überwinden, schreibt er Briefe. Er schreibt aber auch andere Texte; sie sind in einem bestimmten Duktus gehalten, zumeist in einer Mischung aus Pamphlet und poetischem Manifest. Als sich die Pariser Commune zum hundertsten Male jährt, fühlt er sich zu einem besonderen Text inspiriert, zum „Märchen vom tapferen Gespenst“. Er versteht es in der Tradition des „Kommunistischen Manifests“. Doch das „Gespenst“, das einst in Europa umging, hat sich in seinen Augen in der ganzen Welt ausgebreitet. Es kämpft angeblich nicht nur „an allen Ecken und Enden“. Es soll auch stärker geworden sein: „Das Gespenst läßt sich nicht mehr so einfach massakrieren und abschlachten wie 1871 in Paris. Das Gespenst nimmt die Waffe in die Hand. Das Gespenst bedroht ganze Berufszweige, die von den Feinden des Volkes als Handlanger gemästet werden. Das Gespenst schnappt sich Diplomaten, Richter, Journalisten, Politiker und Konsorten. Wer will da noch Handlanger der Feinde des Volkes sein?“
Die „Feinde des Volkes“ sind ihm nicht einfach abstrakte Berufsgruppen, sondern ganz konkrete Personifizierungen des verhassten Systems. Sie tragen Namen wie Graf von Spreti (der deutsche Botschafter in Guatemala, der von der Guerrilla entführt und dann ermordet worden war) und andere mehr. Sein „Märchen“ klingt ganz danach, als sollten Leute dieses Schlages künftig entführt werden.
Bis zu den Münchner Spielen dauert es noch über ein Jahr. Weder Teufel noch Kunzelmann, der weiter in Moabit einsitzt, haben in irgendeiner Weise Einfluss auf das Geschehen. Je näher das Großereignis rückt, umso mehr breitet sich Vorfreude aus, zugleich aber auch die Nervosität unter den Organisatoren. Sie entsteht allerdings weniger aus der Angst um die Sicherheit, eher aus der Sorge um einen reibungslosen Ablauf. Doch was könnten Deutsche besser – das scheint jedenfalls einhellig die Überzeugung unter den anderen teilnehmenden Sportnationen zu sein -, als eine Großveranstaltung auf die Minute genau zu organisieren?