Die Ambivalenz des historischen Kommunismus zeigt sich daran, dass er einerseits die umfassende menschliche Emanzipation anstrebte und andererseits antisemitische Züge entwickelte. Zwar finden sich sowohl in den kommunistischen Parteien und Bewegungen, als auch in den kommunistischen Staaten explizite Ablehnungen und Verurteilungen des Antisemitismus, dennoch existierte in den meisten realsozialistischen Ländern ein weit verbreiteter gesellschaftlicher Judenhass. Zudem pflegten die Parteien und Bewegungen insbesondere den Antizionismus, der sich auch in einer spezifischen Form der Verfolgung von Juden und Jüdinnen niederschlug. Insofern stellen sich die Fragen, welche Rolle der Antisemitismus in der sozialistischen Gesellschaft spielte und welchen Stellenwert er einnahm.
Ambivalenzen
Insbesondere in den osteuropäischen Ländern, hauptsächlich im zaristischen Russland, waren die KommunistInnen die einzige politische Kraft, die den Antisemitismus bekämpften und sich für die Emanzipation der Juden und Jüdinnen einsetzten. Als während des russischen Bürgerkriegs die konterrevolutionären Kräfte den Antisemitismus als einigendes Band entdeckten, verfügte der Rat der Volkskommissare, ?dass die antisemitische Bewegung und anti-jüdische Pogrome für die Sache der Arbeiter- und Bauernrevolution fatal sind, und appelliert an das arbeitende Volk des sozialistischen Russlands, dieses Übel mit allen Mitteln zu bekämpfen. Der Rat der Volkskommissare weist alle Sowjets der Arbeiter-, Bauern-, und Soldatendeputierten an, Schritte zu unternehmen, welche die antisemitische Bewegung an ihren Wurzeln effektiv zerstören. Es wird hiermit befohlen, dass die Pogromisten und Personen, die zu Pogromen hetzen, außerhalb des Gesetzes gestellt werden.?(1) Die entsprechenden Strafen reichten bis zur standrechtlichen Erschießung, vor der auch Angehörige der Roten Armee nicht gefeit waren, so sie mit antisemitischer Propaganda aufgegriffen wurden.(2) Lenin selbst nahm im Zuge des Bürgerkriegs eine Schallplatte mit dem Titel Über die Pogromhetze gegen die Juden auf, auf der es hieß: ?Schande über den verfluchten Zarismus, der die Juden gequält und verfolgt hat. Schmach und Schande über den, der Feindschaft gegen die Juden, Hass gegen andere Nationen sät.?(3)
Daneben existiert aber noch eine andere Seite des Umgangs mit Juden und Jüdinnen, die nicht so sehr zum Bild der kommunistischen Bewegung und der kommunistischen Staaten als Bollwerk gegen Antisemitismus passen mag. Ihren deutlichsten Ausdruck fand dieser Aspekt kommunistischer Geschichte in den stalinistischen Schauprozessen Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre. So berichtet Artur London über die Verhöre und Folterungen, denen er im Vorfeld des Prozesses gegen Rudolf Slánský, bis Mitte 1951 Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, ausgesetzt war: ?Als man mich zum Beispiel über Hajd(4) verhört, wird der Referent von mir unverblümt verlangen, bei jedem der erwähnten Namen anzugeben, ob es sich um einen Juden handelt oder nicht. Der Referent setzt aber jedesmal an die Stelle der Bezeichnung Jude das Wort ›Zionist‹ ein.?(5)
Bereits im Anschluss an die Oktoberrevolution wurde deutlich, dass der programmatische Atheismus auch vor der jüdischen Religion nicht halt machte; auf internationaler Ebene korrespondierte ab Mitte der fünfziger Jahre die Hofierung des arabischen Befreiungsnationalismus mit der Dämonisierung Israels. Daraus schloss eine Vielzahl von AutorInnen eine genuine Affinität des Kommunismus bzw. der Marxschen Theorie für den Antisemitismus.(6)
So behauptet Edmund Silberner, der eines der Standardwerke zum kommunistischen Antisemitismus verfasst hat, eine judenfeindliche Kontinuität in kommunistischer Theorie und Praxis. Zwar führt Silberner eine Vielzahl von historischen Fakten auf, diese lassen sich aber lediglich dann als Beleg für eine generelle Nähe kommunistischer Ideen zum Judenhass interpretieren, wenn der Begriff Antisemitismus, ?in seinem weitesten Sinn verwendet? wird.(7) Silberner entdeckt die Wurzeln des kommunistischen Antisemitismus bereits in Marx Frühschrift Zur Judenfrage, da hier das Judentum nicht als eine eigene Nation anerkannt und stattdessen mit der Finanzsphäre und politischer Macht identifiziert werde. Ebenso sei es bei Lenin: Zwar sei dieser ?frei von jeglicher judenfeindlicher Gesinnung? gewesen, nichtsdestotrotz habe er jedoch den Zionismus bekämpft und Juden und Jüdinnen nicht als eine eigene Nationalität, sondern als ?Kaste? betrachtet, was sich später auch im sowjetischen Antizionismus niedergeschlagen habe.(8) Entsprechend wurde nach der Revolution im Rahmen des allgemeinen Kampfs gegen die Religion auch das religiöse Judentum durch die Jüdischen Kommissariate und die jüdische Abteilung der Partei, die Jewsekzija, bekämpft. Ein Vergleich mit der Weltsicht des modernen Antisemitismus zeigt allerdings, dass die von Silberner aufgeführten Fakten nicht ohne weiteres als antisemitisch interpretiert werden können. So ist es konstitutiv für den modernen Antisemitismus, dass seine Entscheidung darüber, wer Jude oder Jüdin ist, keine Frage des religiösen Bekenntnisses ist, sondern explizit oder implizit nach dem Kriterium der Abstammung erfolgt. Genauso wichtig ist auch die Verbindung von Judentum zu den einzelnen Juden und Jüdinnen: Während Ersteres ein Abstraktum ist, das nicht mit konkreten Individuen identisch sein muss und ein Ensemble aus Werten, Überzeugungen und Normen darstellt, sind die einzelnen Juden und Jüdinnen für den Antisemitismus Träger dieses Abstraktums. Nur durch diese Verbindung zwischen vermeintlich ?jüdischen? Eigenschaften und den empirischen Jüdinnen und Juden kann die für den Antisemitismus zentrale TäterInnen-Opfer-Konstruktion erfolgen. Die konkreten jüdischen Individuen werden als ursächlich verantwortlich für die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften – sei es der ?jüdische Bolschewismus?, das ?internationale Finanzkapital? oder die weltweite Kontrolle der Medien – dargestellt, mit denen sie wiederum ?unsere Gemeinschaft? bedrohen. Erst dadurch erfolgt die Selbstlegitimation des Antisemitismus, der dann als vermeintlich gerechtfertigte Abwehr der ?jüdischen Bedrohung? erscheint.(9)
Für Silberner existiert dagegen eine Kontinuität von den Marxschen Frühschriften über die antireligiöse Politik bis zum Antisemitismus der Nachkriegszeit, wobei dem Antizionismus eine zentrale Rolle zugesprochen wird. Die Phase der sowjetisch-israelischen Freundschaft im Anschluss an die israelische Staatsgründung sowie den sowjetischen Anteil daran bewertet Silberner dann auch lediglich als Ablenkungsmanöver, mit dem die antizionistischen und antisemitischen Kontinuitäten verschleiert werden sollten.(10)
Mit diesem Ansatz wird allerdings ein historischer und inhaltlicher Bruch im Bedeutungsgebäude des Antizionismus verdeckt: Das deutsche Projekt der Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen steht zwischen der Ablehnung eines jüdischen Nationalstaats in Palästina, wie sie Lenin formulierte, und dem späten, stalinistischen Antizionismus, wie er maßgeblich im Zuge des Slánský-Prozesses ausgearbeitet wurde. Lenin entwickelte seine Position im Rahmen der sowjetischen Nationalitätenpolitik. Nationale Selbstbestimmung lehnte er unter Verweis auf die dem Nationalismus immanente Spaltung der ArbeiterInnenklasse ab. Entsprechend vertrat Lenin bereits im russischen Bürgerkrieg die Forderung nach der Bekämpfung der Unterdrückung der einzelnen Nationen des Zarenreichs, gleichzeitig lehnte er aber ein nationales Selbstbestimmungsrecht und das Paktieren mit den nationalen Bewegungen vehement ab.(11) Diese Haltung findet sich ebenfalls wieder in der Auseinandersetzung mit dem Zionismus, sowohl seitens des Bund, der wichtigsten sozialistischen jüdischen Organisation in Osteuropa, als auch seitens der Bolschewiki. Beide hatten den Zionismus ?allesamt als jüdischen Nationalismus kritisiert, der die Arbeiterklasse spalte, von völkischem Denken geprägt sei, eine politisch falsche und unrealisierbare Lösung der jüdischen Frage vorspiegele und das Selbstbestimmungsrecht der arabischen Bevölkerung negiere, weshalb eine Konfrontation in Palästina unausweichlich sei.?(12) Ähnlich begründete Ablehnungen des Zionismus fanden sich auch unter nicht-sozialistischen Juden und Jüdinnen. Sie sahen ihre Perspektive ebenfalls im Kampf um gesellschaftliche Anerkennung und Emanzipation statt in der Auswanderung nach Palästina.
Davon muss der Antizionismus, wie er nach der Niederlage des Nationalsozialismus im Zuge der stalinistischen Schauprozesse formuliert wurde, unterschieden werden. Der Geschichtsoptimismus, wie er zentral für den frühen Antizionismus war, setzte gegen eine eigenständige nationale jüdische Organisation die Hoffnung auf die Nivellierung nationaler Differenz und auf die Emanzipation innerhalb der existierenden Nationalstaaten. Diese Hoffnung wurde durch den Holocaust radikal zerstört. Gleichzeitig wurde damit dem Antizionismus seine Grundlage entzogen. Diese Veränderung zeigt sich auch in der Haltung des damaligen stellvertretenden sowjetischen Außenminister, Andrej Gromyko, in der UN-Debatte über den Teilungsplan für Palästina, der die Gründung eines arabischen und eines jüdischen Staates vorsah. Dort vertrat Gromyko eine Position zugunsten der Teilung Palästinas und damit zugunsten der Gründung Israels. Diese rechtfertigte er damit, ?dass kein westeuropäischer Staat in der Lage gewesen ist, die Verteidigung des elementaren Rechts des jüdischen Volkes zu gewährleisten und es vor der Gewalttätigkeit der faschistischen Henker zu schützen. Dies erklärt die Bestrebungen der Juden, ihren eigenen Staat zu errichten. Es wäre ungerecht, dies nicht in Betracht zu ziehen und das Recht des jüdischen Volkes auf Verwirklichung dieser Bestrebung zu leugnen. Es wäre ungerechtfertigt, dem jüdischen Volk dieses Recht abzusprechen, insbesondere im Hinblick auf alles, was es erlitten hat einschließlich des Zweiten Weltkriegs.?(13) Entsprechend wurde auch in derPrawda(14) ein explizit pro-israelischer Ton angeschlagen. Dass es sich dabei nicht um ein bloßes Lippenbekenntnis handelte, wie Silberner unterstellt, wird daran ersichtlich, dass zur rein diplomatischen Unterstützung, ohne die eine Gründung Israels nur schwer möglich gewesen wäre, die Sowjetunion eine der wenigen Staaten war, die 1948 Waffen an Israel lieferten und damit die Verteidigung gegen den arabischen Angriff ermöglichte.(15)
Antizionismus als spezifisch marxistisch-leninistische Variante des Antisemitismus
Die moderne antizionistische Variante des Antisemitismus steht dementsprechend auch nicht in der Tradition des Leninschen Antizionismus. Die Vermutung, dass es sich auch auf der inhaltlichen Ebene um ein Novum handelt, kann bereits dadurch erhärtet werden, dass die antizionistischen Texte der späten Stalin-Ära ohne jeglichen Verweis auf die Schriften von Marx, Lenin oder Kautsky auskommen, auf die normalerweise bei jeder Gelegenheit zurückgegriffen wurde. Die erste kohärente Ausarbeitung der modernen antizionistischen Semantik findet sich im Slánský-Prozess. Während in den kurz zuvor durchgeführten stalinistischen Schauprozessen die Vorwürfe eine Unterstützung des ?bürgerlichen Nationalismus? konstruierten, sollte im Slánský-Prozess erstmals mittels der Betonung des ?›Zionismus‹ die Juden unter den Westlern und Spanienkämpfern – und selbst unter den Moskowitern in den Vordergrund? geschoben werden.(16)
Dass Juden und Jüdinnen im Zuge der stalinistischen Schauprozesse als ?Zionisten? verfolgt werden, liegt in der Schwierigkeit begründet, Antisemitismus in die Weltsicht des Marxismus-Leninismus (ML) zu integrieren. Dass die Ideologie den Rahmen für die Interessen der politischen Eliten darstellte und durch diese nicht einfach ignoriert werden konnte, zeigt sich auch daran, dass selbst Stalin, bei dem es sich erwiesenermaßen um einen Antisemiten handelte, öffentlich die Bekämpfung des Antisemitismus propagierte.(17) Dem Anspruch nach handelt es sich um eine universalistische Ideologie, in der die Bestimmung des Feindes nach klassentheoretischen Kriterien zu erfolgen hat. Allerdings wird im ML die Wir-Gruppe bereits inkonsistent bestimmt. Es handelt sich dabei um das ?werktätige Volk?, das ?somit sowohl durch soziale als auch durch ›nationale‹ beziehungsweise ethnische Ein- und Ausschlussmechanismen definiert wurde?.(18) Dies
verdeutlicht sich in der politischen Selbstbezeichnung der ?Volksdemokratien?, hier wird der Begriff ?Volk? bereits in einem doppelten Sinn verwendet: einmal als ?Volk? und einmal als demos, d.h. es wird ?Volk? sowohl als politische Kategorie, nämlich als Gesamtheit der Staatsbürger, und in einem darüber hinausweisenden Sinn verwendet. Die einzige mögliche alternative Deutung wäre, dass der Begriff ?Volk? im Sinne von demos in der Bezeichnung ?Volksdemokratie? schlicht wiederholt wird. Stattdessen konstituiert sich das ?Volk? durch vorpolitische Eigenschaften, sei es durch sprachliche, ethnische, historische etc. Kriterien, und erhebt auf dieser Grundlage den Anspruch auf Staatlichkeit. Dass der Begriff ?Volk? auch nicht im Sinne sozialer Hierarchie, also der Unterscheidung von oben und unten, verwendet wird, kann eine Passage aus der Anklage im Slánský-Prozess verdeutlichen. Dort werden die ?Herzen aller unserer Werktätigen, der Erbauer einer schönen Zukunft unserer Völker? als positiver Bezugspunkt den ?amerikanischen Imperialisten? entgegengesetzt.(19) Die Erweiterung um eine nationale Begründung der politischen Herrschaft der KPs ist hauptsächlich den Imperativen der sowjetischen Machtausübung im Zuge der Expansion geschuldet. Nach dem Ende des NS wurde im Rahmen der ?Zwei-Lager-Doktrin?, dem sowjetischen Gegenstück zur Truman-Doktrin, der Anspruch der UdSSR auf die Führung über das sozialistische Lager formuliert. Damit war aber eine Situation gegeben, in der die Sowjetunion die Führung über zahlreiche Staaten beanspruchte, in denen weder ihr, noch den kommunistischen Parteien gegenüber ein freundliches Klima vorherrschte, entsprechend wurde der Führungsanspruch nicht nur klassentheoretisch, sondern auch national untermauert.
Mit dieser doppelten Bestimmung der positiven Bezugsgruppe geht allerdings einer der wichtigsten Eigenschaften des Klassenbegriffs verloren, die Infragestellung nationaler Gemeinschaften. Der Klassenantagonismus verläuft nun nicht mehr innerhalb des ?Volkes?, stattdessen werden die KapitalistInnen als außerhalb stehend definiert. Dies alleine allerdings reicht noch nicht für den Ausschluss der Juden und Jüdinnen aus der Gemeinschaft der ?werktätigen Völker?. Da es sich beim Status von ?Werktätigen? um einen klassentheoretischen handelt, ist er Juden und Jüdinnen nur unter Preisgabe des zentralen theoretischen Paradigmas des ML zu verwehren. Auch die Unterscheidung zwischen dem ?eigenen werktätigen Volk? und den Juden und Jüdinnen würde nicht ausreichen, da auch die anderen ?werktätigen Völker? im Rahmen des proletarischen Internationalismus und der ?Völkerfreundschaft? affirmiert werden. Genau dadurch aber sperrt sich die Semantik des ML gegen offenen Antisemitismus. Vielmehr kann die Ausgrenzung von Juden und Jüdinnen nur in versteckter Form erfolgen. Diese Verschleierung erfolgt durch die Ersetzung des ?jüdischen? durch ?zionistisches?.(20) So wird im Slánský-Prozess gefordert, sich mit der ?sogenannten zionistischen Bewegung […] zu befassen?, u.a. weil ?sich unter den Beschuldigten elf befinden, die durch die Schule zionistischer Organisationen gegangen sind?.(21) Worin genau diese zionistische Ausbildung bestehen sollte, wurde nicht offen ausgesprochen, sondern lediglich angedeutet, indem z.B. bei der Eröffnung des Prozesses die ?jüdische Abstammung? der Angeklagten hervorgehoben wird.(22) Der Zionismus selbst wird wiederum als ?Agentur des amerikanischen Imperialismus dargestellt?, des Weiteren seien die ?zionistischen Organisationen schon immer mit tausendfachen Fäden ihrer inneren Interessen mit dem Weltkapitalismus verknüpft? gewesen.(23) Diese Verknüpfung bleibt allerdings unklar: Selbst wenn ?zionistische Organisationen? nicht als nationale Organisationen mit dem Ziel der israelischen Staatsgründung, sondern lediglich klassentheoretisch als jüdische KapitalistInnen verstanden werden, stellt sich immer noch die Frage, was den besonderen Anteil des ?Jüdischen?, bzw. ?Zionistischen? am ?Weltkapitalismus? ausmacht. Die Unklarheit verschwindet erst, wenn Zionismus und ?jüdisches Volk? gleichbedeutend sind, dann reproduziert diese Passage die antisemitische Verbindung von Juden und Jüdinnen mit dem Kapitalismus.
Mit der Verschleierung als ?Zionismus? kann der Antisemitismus in den ML integriert werden, ?indem einerseits die Klassenbegrifflichkeit nicht gefährdet, sie andererseits aber auf das Jüdische möglichst nicht angewendet wird?.(24) Entsprechend wird Israel auch nicht als souveräner Staat, sondern als eine Art Außenposten oder Verwaltungsbezirk der USA vorgestellt – der ?amerikanische Paschalik?, bzw. der ?sogenannte Staat Israel?.(25) Besonderes Augenmerk muss auf die Konstruktion der ›zionistischen Agenten‹ gelegt werden. Sie würden den Umstand ausnutzen, ?dass dem tschechischen und slowakischen Volk der Antisemitismus stets zuwider war, und um so mehr nach dem zweiten Weltkrieg, da die Hitlerfaschisten, von Rassenwahn ergriffen, die Juden in massenhaftem Ausmaß in Konzentrationslagern und Gaskammern hinmordeten. Eben diesen Umstand benützten verschiedene jüdische Geschäftemacher, Fabrikanten und bürgerliche Elemente dazu, um sich in unsere Partei einzuschleichen, sich mit einem Panzer gegen jegliche Kritik zu wappnen und ihr wahres Gesicht geschworener Klassenfeinde mit dem Leiden der Juden zur Zeit der wütenden Naziherrschaft zu verhüllen?.(26) Damit wird aber deutlich gemacht, dass gerade Juden und Jüdinnen als ?zionistische? Agenten prädestiniert sind, folglich aber auch unter besondere Beobachtung gestellt werden müssen.
Funktional für die Gesellschaftssysteme ?auf dem Weg zum Sozialismus? waren die Schauprozesse und der mit ihnen formulierte Antisemitismus aus zwei Gründen: Zum Einen dienten die Schauprozesse dazu, eine nationalistische Legitimation für die lediglich formal selbstständigen sozialistischen Staaten zu liefern. ?Die Nachkriegsprozesse sind keine bloße Kopie der Moskauer Säuberungen […]. Der größte Unterschied besteht dabei in der Zielsetzung: Der Große Terror der dreißiger Jahre diente der Errichtung der Alleinherrschaft Stalins in der Sowjetunion – die osteuropäische Mordwelle hingegen hatte den Zweck, die totale Unterwürfigkeit der Satellitenstaaten durchzusetzen, die vom Henkerstrick verschonten Parteiführer in Statthalter des Kolonialreiches zu verwandeln.?(27) Entsprechend unterschieden sich auch die Opfer von denen der Prozesse der dreißiger Jahre, sie ?waren keine Oppositionellen, sondern treue Schüler Stalins. Sie standen auf dem Gipfel ihrer neu errungenen Macht, als sie von ihrem Meister für die Rolle des Opfers auserwählt wurden.?(28)
Zum Anderen konnte damit an den in der Bevölkerung vorhandenen Antisemitismus angeknüpft und ein entsprechendes Feindbild bereitgestellt werden, mit dem die ökonomischen Probleme der ?Volksdemokratien? erklärt werden konnten. Da die KPs sich als die entscheidende Kraft beim Aufbau des Sozialismus darstellten, waren sie folglich auch verantwortlich für die dabei entstehenden Probleme wie Fehlinvestitionen, Lebensmittelknappheit etc. Diese Probleme konnten nicht einfach auf äußere Einflüsse zurückgeführt werden, da sonst der Wahrheitsanspruch der Partei verloren gegangen wäre. Folglich musste ein Weg gefunden werden, damit umzugehen, ?dass viele Schwierigkeiten, die häufig als Begleiterscheinungen unseres raschen Aufbaus angesehen werden?(29), der Partei selbst angelastet wurden. Genau deshalb wurden hohe Parteifunktionäre als Schuldige präsentiert, womit die Schwierigkeiten als ?mit bösem Vorsatz durchgeführte[s] Werk eben dieser Verbrecher? erschienen.(30)
Das Verhältnis der UdSSR zu Israel
Entgegen weit verbreiteter Ansichten leitete sich die sowjetische Nahostpolitik nicht unmittelbar aus dem Antizionismus her. Ursächlich dürften eher geostrategische Überlegungen im Kontext der Blockkonfrontation gewesen sein, die situationsabhängig ideologisch untermauert wurden. Gerade in den ersten Jahren nach der Gründung Israels fielen antizionistische Rhetorik und Nahostpolitik auseinander. So ging die Zerschlagung des Jüdischen Antifaschistischen Komitees einher mit der Unterstützung der Gründung Israels. Damit verbunden war die Hoffnung auf eine Schwächung des britischen Kolonialismus im Nahen Osten und darauf, dass sich Israel im Kalten Krieg auf die sozialistische Seite schlagen würde. Diese Hoffnung gründete sich auf die Affinität der zionistischen Bewegung zu Antifaschismus und Sozialismus.(31) Die anfängliche proisraelische Haltung schwächte sich allerdings im Verlauf der fünfziger Jahre weitgehend ab, so dass bei Ausbruch der Suez-Krise 1956(32) die Sowjetunion eine neutrale Haltung an den Tag legte. Ausschlaggebend dafür dürften die israelischen Neutralitätsbestrebungen gewesen sein, die von der UdSSR als wenig glaubwürdig interpretiert wurden. Diese befürchtete, dass Israel den westlichen Angeboten nicht lange widerstehen würde. So wurden die sowjetischen Befürchtungen zu ?einer ›self-fulfilling prophecy‹: Statt Israels Neutralitätsbestrebungen durch vermehrte Kooperation zu stärken, trugen sie zu der von ihr bekämpften Westausrichtung Israels bei.?(33) Verstärkt wurde die sowjetische Haltung noch dadurch, dass sich der arabische Befreiungsnationalismus zunehmend an der Sowjetunion orientierte. Gegenüber den israelischen Neutralitätsbestrebungen, denen die UdSSR nur geringe Erfolgsaussichten beimaß, stellte der dezidiert parteiische arabische Antiimperialismus die attraktivere geopolitische Option dar. Dies resultierte in den ab 1955 einsetzenden Waffenlieferungen an Ägypten.(34) Gleichzeitig konnte die UdSSR mit dem Antizionismus an ein bereits etabliertes Deutungsmuster des Nahostkonflikts anknüpfen. Entsprechend wurde auch die antizionistische Rhetorik nach dem Tod Stalins nicht zurückgenommen, obwohl die Urteile der Schauprozesse im Zuge der Entstalinisierung revidiert wurden – was freilich weder die Vollstreckung der Todesurteile noch die Folternarben rückgängig machen konnte. Dass aber dennoch das geostrategische Motiv überwog, lässt sich daran ersehen, dass bis 1967 die Mehrzahl der von der UdSSR an Ägypten gelieferten Waffensysteme entweder veraltet oder defensiver Art waren. Damit sollte zwar die ägyptische Regierung angefüttert werden, andererseits aber eine Situation, die die USA zum militärischen Eingreifen im Nahen Osten gezwungen hätte, vermieden werden.(35) Während im Verhältnis zu Israel die antizionistische Ideologie durch die geostrategischen Interessen reguliert wurde, wurde der Antizionismus in den sozialistischen Ländern im Zuge des Sechstagekrieges noch intensiviert. Veränderung trat auch dort nur durch die einsetzende Entspannungspolitik ein, die einer begrenzten Zahl von Juden und Jüdinnen die Emigration nach Israel ermöglichte.(36)
Der Antisemitismus konnte also weder im Gesellschaftssystem der sozialistischen Staaten, noch in der Legitimationsideologie des ML eine zentrale Rolle spielen. Dennoch wurde er, soweit es als funktional betrachtet wurde, bedient und gepflegt. Der universalistische Anspruch des Marxismus wirkte als Damm gegen offene Judenfeindschaft, dennoch war auch er nicht davor gefeit, eigene Formen des Antisemitismus zu entwickeln. Daran wird auch ersichtlich, dass alleine die Berufung auf die Tradition der Aufklärung kein ausreichendes Mittel zur Immunisierung gegen den Antisemitismus darstellt. Die Renaissance des Antisemitismus in den postsozialistischen Ländern lässt sich gerade über dessen Tradierung in der Form des Antizionismus erklären. Dieser stellte ein gesellschaftliches Reservat dar, in dem die Judenfeindschaft überleben konnte. Da mit dem Zusammenbruch des Sozialismus auch dessen Legitimationsideologie ihre Verbindlichkeit verlor, verschwand auch der Zwang zur Verschleierung, so dass der Antisemitismus wieder offen gelebt werden kann.
ANMERKUNGEN
(1) Zit. n. Ulrich Herbeck, Antisemitismus in der frühen Sowjetunion, Berlin 1998, 43.
(2) Vgl. ebd., 33.
(3) Wladimir Iljitsch Lenin, Über die Pogromhetze gegen die Juden, in: Iring Fetscher (Hrsg.), Marxisten gegen Antisemitismus, Hamburg 1974, 170.
(4) Einer der Mitangeklagten Slánskýs.
(5) Artur London, Ich gestehe. Der Prozess um Rudolf Slánský, Berlin 1991.
(6) Beispielsweise Edmund Silberner, Kommunisten zur Judenfrage. Zur Geschichte von Theorie und Praxis des Kommunismus, Opladen 1983, sowie Martin W. Kloke, Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses, Frankfurt/M. 1990.
(7) Ebd., 9.
(8) Ebd., 73ff.
(9) Vgl. Klaus Holz, Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg 2001, 161.
(10) Ebd., 205ff.
(11) Vgl. Herbeck, Antisemitismus, 17ff.
(12) Thomas Haury, Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg 2002, 428f.
(13) Zit. n. Peter Brod, Die Antizionismus- und Israelpolitik der UdSSR. Voraussetzungen und Entwicklungen bis 1956, Baden-Baden 1980, 58.
(14) Die Prawda wurde 1914 von Lenin gegründet und avancierte später zum Organ des ZK der KPdSU.
(15) Vgl. Brod, Antizionismus, 69-73.
(16) Paul Lendvai, Antisemitismus ohne Juden. Entwicklungen und Tendenzen in Osteuropa, Wien 1972, 229. Als ?Westler? wurden die KommunistInnen bezeichnet, die während des NS nicht in die Sowjetunion, sondern in westliche Länder emigrierten.
(17) Beispielsweise in Josef W. Stalin, Über den Antisemitismus. Antwort auf eine Anfrage der Jüdischen Telegrafenagentur aus Amerika, 1931, in: Ders., Werke, Bd. 13, Berlin (Ost) 1955.
(18) Haury, Antisemitismus von links, 441.
(19) Prozess gegen die Leitung des staatsfeindlichen Verschwörerzentrums mit Rudolf Slánksý an der Spitze, hrsg. v. Justizministerium der DDR, ohne Ortsangabe, 598.
(20) Vgl. Holz, Nationaler Antisemitismus, 456, sowie Haury, Antisemitismus von links, 442f.
(21) Prozess, 612.
(22) Ebd., 53f.
(23) Ebd., 612.
(24) Holz, Nationaler Antisemitismus, 465f.
(25) Prozess, 612. Als Paschalik wird das Territorium bezeichnet, über das ein Statthalter (Pascha) im Osmanischen Reich herrschte.
(26) Ebd., 613f.
(27) Georg Hermann Hodos, Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa 1948-54, Zürich 1988, 14.
(28) Ebd., 11.
(29) Prozess, 599.
(30) Ebd., 599.
(31) Vgl.
Brod, Antizionismus, 64ff.
(32) 1956 verstaatlichte der ägyptische Präsident Nasser den Suezkanal und sperrte ihn u.a. für die israelische Schifffahrt, was von israelischer, französischer und britischer Seite als casus belliinterpretiert wurde.
(33) Brod, Antizionismus, 82.
(34) Vgl. Udo K. Ulfkotte, Interessenspezifische Nahostpolitik der Großmächte im Nahen Osten 1948-1979, Frankfurt/M. 1984, 9.
(35) Vgl. ebd., 11.
(36) Vgl. Lendvai, Antisemitismus ohne Juden, 8, sowie Gerd Koenen, Mythen des 21. Jahrhunderts? Vom russischen zum Sowjet-Antisemitismus – ein historischer Abriss, in: Ders. und Karls Hielscher, Die schwarze Front. Der neue Antisemitismus in der Sowjetunion, Reinbek 1991, 219.
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