Etwa jeder dritte Mann ist nach einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation beschnitten. Die Mehrzahl von ihnen, 70 Prozent, sind Muslime, ein knappes Prozent Juden. Die Beschneidung erfolgt bei Männern in der Regel durch Zirkumzision, also das Wegschneiden der Vorhaut. Die Beschneidung ist eine sehr alte Praxis: In Nordwestdeutschland wurde in einem Moor der Leichnam eines beschnittenen Mannes aus der Bronzezeit gefunden. Herodot berichtet über die Praxis der Beschneidung unter anderem bei den Ägyptern. Den Juden ist die Beschneidung in der Tora geboten. In Genesis 17 spricht Gott zu Abraham: „Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; eure Vorhaut sollt ihr beschneiden.“ Die Beschneidung ist im Judentum auch Voraussetzung für die Teilnahme am Pessach-Ritus (Exodus 12). Ohne sie verfügt man nicht über Kultreinheit. Im Exil und in der Zerstreuung wurde die Beschneidung neben Speisegeboten und Schabbat zentrales Identitätsmerkmal des Judentums. Ihre Bedeutsamkeit lässt sich etwa an der rabbinischen Regel ablesen, dass auch am Schabbat geborene Kinder „am achten Tag“, also an einem Schabbat zu beschneiden sind – für die akribische Einhaltung des Beschneidungsgebotes werden so Verstöße gegen Gebote der Tora an anderer Stelle in Kauf genommen. In seinem Tractatus theologico-politicus schreibt Spinoza, er halte die Beschneidung „für so bedeutungsvoll, dass ich überzeugt bin, dies allein werde das Volk für immer erhalten“. Den Briefen des Apostels Paulus ist zu entnehmen, dass der Streit über die Beschneidung zudem von erheblicher Bedeutung für die Loslösung des Christentums vom Judentum war. Die Auseinandersetzung über die Frage, ob Christus-gläubige Heiden sich beschneiden lassen sollen, brachte Paulus zur Formulierung seiner Rechtfertigungslehre, nach der nicht Werke des Gesetzes, sondern allein der Glaube gerecht mache. In einigen orthodoxen Kirchen und manchen afrikanischen Kirchen wird die Beschneidung allerdings bis heute praktiziert. Im Islam ist die Beschneidung zwar nicht durch den Koran vorgeschrieben, sie wurde allerdings unter Rückgriff auf vorislamische Gebräuche ein fester Bestandteil der Ritualkultur. Zeitpunkt und Begründungen dafür variieren jedoch erheblich. In den Vereinigten Staaten sind es hingegen vor allem die hygienischen und medizinischen Motive, die dazu führen, dass dort etwa 75 Prozent der Männer beschnitten sind. (bin.)
Quelle FAZ 27.6.2012