Wagners Musik bleibt abgesagt


Erster kompletter Konzertabend in Israel mit Werken des Antisemiten scheiterte an Protesten



Von Lukas Andel




Man muss Richard Wagners Musik nicht mögen. Aber viele Musikfreunde halten sie für meisterhaft. Und die Musikwissenschaft rühmt manche der Kompositionen des Komponisten als Meilensteine der europäischen Kulturgeschichte. Ein Konzertsaal – auch in der Universität oder im Hotel – hat Türen, wer ein Wagner-Konzert besucht, braucht eine Eintrittskarte. Wer die spätromantischen Harmonien partout nicht hören will oder gar von ihr angeekelt ist, kann also fernbleiben. Man kann, man muss in einer kulturell offenen Gesellschaft jedoch erwarten, dass niemand die Liebhaber von Wagners Werken am Besuch eines Konzertabends mit seinen Werken hindert.


Es gibt gute Gründe, den Komponisten, Dramatiker, Philosophen, Schriftsteller, Regisseur und Dirigenten Wilhelm Richard Wagner (1813-1883) für einen üblen Antisemiten zu halten. Belastet hat er sich vor allem als Autor der Schrift «Das Judenthum in der Musik», die er 1850 unter dem Pseudonym Karl Freigedank veröffentlichte und 19 Jahre später unter eigenem Namen weiter ausweitete. Vor allem ging es ihm in dem verquasten Aufsatz darum, das musikalische Können seiner jüdischstämmigen Konkurrenten wie Felix Mendelssohn-Bartholdy zu diskreditieren. Wagner schrieb im neidvollmissgünstigen und vor allem antisemitischen Ungeist seiner damaligen Umgebung. Seine zweite Ehefrau Cosima übertrumpfte ihn seinerzeit darin bisweilen. Seinen künftigen Schwiegersohn, den englischen Schriftsteller Housten Steward Chamberlain feuerte jedoch auch Wagner selbst zu antisemitischen und rassistischen Ausfällen an.



Bornierter Antisemitismus


Der bornierte Antisemitismus Richard Wagners überlagert für viele – und insbesondere für viele Opfer des Nationalsozialismus – eine freimütige Auseinandersetzung mit seinem musikalischen Schaffen. Endgültig verschüttet ist der Zugang vieler Juden zu Wagners Werk und Wirken jedoch vor allem durch die Klangfarbe der nationalsozialistischen Diktatur. Der Genuss der durchaus gewaltigen Klänge von Wagners Musik wird den meisten Menschen, die Todesnot und Vertreibung durch Hitlers Faschisten erleiden mussten, für immer unmöglich sein. Jeder, der mit den Opfern fühlt, wird verstehen, dass bereits kurz nach der Reichspogromnacht von 1938 und mehr als neun Jahre vor der israelischen Staatsgründung das aus osteuropäisch-jüdischen Musikern bestehende Palestine Symphony Orchestra in Tel Aviv beschloss, vorläufig auf die Aufführung von Werken des deutschen Komponisten zu verzichten.


Dieser Boykott gilt auch mehr als zwei Generationen später. Im vergangenen Monat sagte zunächst die Universität von Tel Aviv das für den 18. Juni geplante erste abendfüllende Konzert mit Wagners Werken in Israel ab. Als Jonathan Livny, der Vorsitzende der israelischen Wagner-Gesellschaft und Initiator der Projekts, wenig später ersatzweise den Großen Saal des örtlichen «Hilton» für den 16. Juni angemietet hatte, dauerte es auch hier nur ein paar Tage, bis die Leitung des Hotels die Zusage zurückzog. Livny blieb nichts anderes übrig, als den Kartenvertrieb das Publikum anrufen zu lassen und die Erstattung der Eintrittsgelder anzukündigen. Der enttäuschte Livny erklärte den Medien, dass er sich schrecklich fühle, aber weiter für Wagners Musik in Israel kämpfen werde.



Begleitmusik der Nazi-Verbrechen


Auch der Dirigent Asher Fisch will nicht aufgeben. Er bezeichnet es als «unfassbar», dass Musiker in Israel in ihrer Karriere mitunter keine Chance haben, Wagners Musik zu spielen. Fisch hatte zum jetzt abgesagten Konzert eigens ein Orchester aus rund 100 Wagner-Freunden zusammengestellt. Vergeblich eingeübt wurden die Ouvertüren zu «Tannhäuser» und den «Meistersingern», der «Liebestod» aus «Tristan und Isolde», der «Walkürenritt» aus dem «Ring des Nibelungen » und «Siegfrieds Trauermarsch» aus der «Götterdämmerung». Alternative könnte, wie Jonathan Livny jetzt mitteilte, die komplette Aufführung des «Rings der Nibelungen» mit einem kleineren französischen Ensemble sein, vielleicht im September.


Fisch glaubt auch, dass die Stadt Tel Aviv das «Hilton» dazu gedrängt hat, die bereits unterschriebene Vereinbarung für das Konzert rückgängig zu machen. Er empört sich, dass Israel Deutschland ausgerechnet im Bereich der Kultur boykottiere, während es keine Probleme habe, U-Boote aus den Werften an der deutschen Küste zu erwerben, die die direkten Nachfolger der Rüstungsbetriebe seien, in denen – mit verheerenden Auswirkungen – die U-Boote der Marine des nationalsozialistischen Deutschen Reiches gefertigt wurden.


Wagners pathetische Harmonien, im Jahrhundert vor der Ermächtigung der Nazis komponiert, waren allerdings unüberhörbar die Begleitmusik des verbrecherischen Regimes, argumentieren die Überlebenden der Schoa. Sie ertönte zum Auftakt von Reichsparteitagen der NSDAP und neben Liszts «Les Preludes» zu den Siegesmeldungen der «Wochenschau». Sie erklang vor der Nazi-Prominenz bei den Galakonzerten im Bayreuther Festspielhaus und in den Sonntagskonzerten aus den Volksempfängern in deutschen Wohnstuben. Sie musste auch, in perversem Zynismus angeordnet, von jüdischen Musikern in den Lagern der Nazis gespielt werden. Das alles macht die Proteste der Holocaust-Überlebenden verständlich.


Ihre Auffassung artikulierte sich nachdrücklich durch mehrere Opfer-Organisationen. Uri Chanoch, Sprecher ihres Dachverbandes, richtete nach Medienberichten den Wunsch nach Absage des Konzerts an Staatspräsident Schimon Peres, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Erziehungsminister Gideon Saar sowie Joseph Klafter, den Präsidenten der Universität von Tel Aviv, der die Ausladung des Orchesters mit der notwendigen Rücksichtnahme auf die Nazi-Opfer begründete, sondern auch rügte, dass das Konzert ergänzt werden sollte durch nicht angemeldete Vorträge über verschiedene Bewunderer Wagners wie Theodor Herzl und Arturo Toscanini. Jonathan Livni widersprach dieser Darstellung in einem Interview mit dem Militärsender «Galei Zahal« laut «Frankfurter Allgemeiner Zeitung» heftig: «Wir spielen nicht vor SchoaÜberlebenden und auch nicht in aller Öffentlichkeit. Bald könnte es soweit kommen, dass man uns den Genuss von Wagners Musik auch noch zu Hause mit der Begründung verbietet, dass sie die Luft verpeste.»



Strittig: Ursache und Wirkung


Die einen verdammen Wagner, weil seine Musik die Nazis zu ihrem mörderischen Treiben ursächlich inspiriert und beflügelt habe. Die anderen sehen keinerlei direkte Mitschuld des Komponisten, der nicht dafür verantwortlich zu machen sei, dass der NS-Staat Wagners wirkungsvolle Klangwelten gezielt einsetzte, um seine Verbrechen kulturell zu kaschieren. Es bleibt Tatsache, dass der Antisemit Richard Wagner eben doch ganz überwiegend der große geniale Komponist war, der nach dem Zeitalter der Klassischen Musik zum großen Wegbereiter der modernen Musik wurde. Nach den großartigen melodischen Schönheit der Dur- und Moll-Musik von Haydn, Mozart und Beethoven war es das spätromantische Werk Wagners, dass mit seiner Tonmalerei die Ohren öffnete für den späteren Expressionismus der Zwölftonmusik von Arnold Schönberg, für serielle und elektronische Musik. Wagners fortschrittliche Opern öffneten neue Welten der sprachlich gebundenen Musik.


Hauptvorwurf der Wagner-Gegner ist demnach auch nicht, dass die Mythen seiner Sinfonischen Dichtungen pure Nazi-Ideologie, Rassismus oder krassen Antisemitismus transportiert hätten. Deutlich nachweisbar ist dagegen seine Polemik gegen die «mangelnde Ursprünglichkeit» der aus seiner Sicht gekünstelten Werke Mendelssohns, der in einer liberalen jüdischen Familie zu Hause und zum christlichen Glauben übergetreten war. Es ist dabei nicht ausgeschlossen, dass Wagner Mendelssohn den Glanz seiner Oratorien neidete.


Die Unterscheidung zwischen dem Schöpfer genialer, bahnbrechender Musik und Harmonie und den politischen Ansichten eines Antisemiten, der Zweifel an sich selbst durch eine generalisierte Herabwürdigung seiner jüdischen Kollegen zu übertünchen suchte, trafen auch viele namhafte Gegner der Nazis wie Theodor Adorno und Thomas Mann.



Die Ablehnung von Wagners Musik, selbst der von den Musikern des Jahres 1938 beschlossene Boykott sind demokratisches Recht. Die bis heute wiederholten Aufrufe der Generation der Nazi-Opfer, die Kompositionen des Lieblingskomponisten der Mörder zu meiden, spiegeln Meinungsfreiheit, die Respekt verdient. Die Ablehnung von Wagner ist Geschmacksache, musikalisch, gesellschaftlich und politisch. Solange aber mit der Aufführung der Ouvertüren, Opern und Tondichtungen keine Straftat begangen wird, bleibt die strikte Durchsetzung des Boykotts skandalös. Denn sie unterdrückt den ebenso freien Wunsch der Wagner-Liebhaber, sich die musikalisch bedeutenden Stücke des Giganten der Musikgeschichte anzuhören, ohne sie den Feinden des Komponisten zuzumuten oder gar aufzudrängen.



Ein wenig Wagner war schon


Als erster war es der indische Dirigent Zubin Mehta, der 1981 nach einer Symphonie von Camille Saint-Saëns ein Vorspiel aus Wagners «Tristan und isolde» als Zugabe ankündigte und darum bat, jeder, der dies nicht anhören wolle, möge vorab den Saal verlassen. Doch auch der verbliebene Teil des Publikums protestierte nachhaltig und beschimpfte Mehta als «Nazi». Zwanzig Jahre später reiste dann der in Argentinien geborene und in Israel aufgewachsene Dirigent Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin nach Tel Aviv und erntete ebenfalls mit einer Zugabe aus «Tristan und Isolde» wütende Proteste. Vor einer zweiten Zugabe erklärte Barenboim: «Trotz allem, was die Leitung des Israel-Festivals glaubt, gibt es Leute im Publikum, für die Wagner nicht unmittelbar Assoziationen zu den Nazis hervorruft. » Es sei wohl demokratisch, wenn er Wagner als Zugabe für diejenigen spiele, die es gerne hören würden. Nach 30 Minuten heftiger Diskussion blieb ein Teil des Publikums, das der Zugabe begeistert Beifall zollte.


Beide Musiker zeigen bis heute Verständnis für die Aversionen der Holocaust-Opfer, weil Wagners Musik tatsächlich zu den allgegenwärtigen Ritualen des nationalsozialistischen Staates gehörte. Sie sehen aber in den Kompositionen selbst keinerlei Verbindung zum Nationalsozialismus, sondern herausragende musikalische Kunst


«Jüdische Zeitung», Juli 2012

Quelle