Dass der Dutschke-Attentäter Joseph Bachmann in einem Neo-Nazi-Terrorcamp trainierte, ist mehr als nur eine historische Fußnote
Die jüngste Entüllung durch Stasi-Akte, nach der der Attentäter Joseph Bachmann, der im April 1968 Rudi Dutschke lebensgefährlich verletzte, in Kontakt mit organisierten Neonazis gestanden habe, birgt nichts wesentlich Neues. Dass Bachmann einen Ausriss der “Deutschen Nationalzeitung” bei sich trug, die mit fünf zu einem Steckbrief aufgemachten Fotos des Studentenführers “Stoppt Dutschke jetzt! Sonst gibt es Bürgerkrieg!” forderte, war auch bisher schon bekannt. Ebenso wie die brachialen Worte, die er nach seiner Verhaftung zu Protokoll gab: “Ich möchte zu meinem Bedauern feststellen, dass Dutschke noch lebt. Ich hätte eine Maschinenpistole kaufen können. Wenn ich das Geld dazu gehabt hätte, hätte ich Dutschke zersägt.”
Aussagen wie diese machten es der Justiz einfach, den “verwirrten Einzeltäter” zu verurteilen und auf tiefer gehende Ermittlungen über dessen Hintergründe und Kontakte zu verzichten – beziehungsweise zu vertuschen und nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, was der Stasi-Fund jetzt zu Tage brachte: dass Bachmann unter anderem an Schießübungen militanter Rechtsradikaler in Peine teilgenommen hatte. Bei den von dem NPD-Mitglied Wolfgang Sachse als “Schießwart” organisierten Übungen wurden nicht nur Bombenanschläge auf die innerdeutsche Grenze verübt, die braunen Terrorcamps fanden auch unter Beteiligung lokaler Polizisten und Rückendeckung der Staatsgewalt statt.
Das Desinteresse der bundesdeutschen Behörden, einen derart staatlich gedeckten und geförderten braunen Sumpf nicht als das Nest zu identifizieren, aus dem ein Killer wie Bachmann kroch, scheint ebenso nachvollziehbar wie das Interesse der ostdeutschen Geheimdienste, solche gegen die DDR gerichtete Neonazi-Militanz im Auge zu behalten. Und das, was aus diesen Akten jetzt bekannt wurde, scheint durchaus in das Muster zu passen, wie “verwirrte Einzeltäter” herangezogen und instrumentalisiert werden.
Es sind gestrauchelte, prekäre Existenzen, die zu Ausbildungszwecken für diskrete, illegale Jobs unter die Fittiche der Geheimdienste genommen werden. So wie Lee Harvey Oswald, der als 16-Jähriger bei der “Civil Air Patrol” in die Fänge des pädophilen Oberst David Ferrie geriet, oder wie sein damaliger Co-Kadett Barry Seal, der spätere CIA-Chefpilot des “Iran-Contra”-Schmuggels von Waffen und Drogen. (Der Handel mit dem Feind). Als Barry Seal 1986 aus dem klandestinen Geschäft aussteigen wollte und in einem Kugelhagel ums Leben kam, hatte er die private Durchwahl des Vizepräsidenten George Bush sen. in seiner Börse. Oswald traf sich vor dem Attentat auf John F.Kennedy mit seinem alten Mentor Ferrie – und veranstaltete vor der Kamera Schießübungen
Aufgenommen im Frühsommer 1963 zeigt dieser Film ein von der CIA eingerichtetes militärisches Übungslager für Exil-Kubaner in Lacombe am Lake Pontchartrain nördlich von New Orleans, dessen Existenz bis dahin notorisch bestritten worden war. Die fünf Personen, die auf dem Film zu sehen sind, wurden von dem HSCA-Untersuchungsrichter Bob Tannenbaum identifiziert: Es handelt sich um den Piloten David Ferrie, um David Atlee Phillips, den Chef des CIA-Büros Mexico, das nach der Oswald Verhaftung die KGB-Kuba-Gerüchte streute, um Antonio Veciana von der CIA-gestützten Anti-Castro-Truppe “Alpha 66”, um den Ex-FBI-Mann, Waffenschieber und Ausrüster der Anti-Kuba-Front Guy Bannister, aus dessen Büro Oswald seine “Fair Play For Cuba”- Flugblätter verschickt hatte – und um Lee Harvey Oswald selbst: Beim Schießtraining mit CIA-Agenten und kubanischen Anti-Kommunisten in die Kamera grinsend, bevor er kurz darauf als “Kommunist” und Kennedymörder Weltruhm erlangen sollte.
Durchaus vergleichbar, in ähnlich staatstragender Gesellschaft und an der langen Leine der Geheimdienste dürfen wir uns nun also auch den Dutschke-Attentäter Joseph Bachmann bei seinen Schießübungen vorstellen. Denn um als “verrückter Einzeltäter” aktiv werden, bedarf es nicht nur gewisser Grundausbildungen, sondern auch ideologischer Ausrichtung – und die dürfte Bachmann in Sachen Anti-Kommunismus dort ebenso bekommen habe wie heutige Selbstmordbomber die Einschwörung auf den Dschihad.
Von diesem im Namen des Staats organisierten Terrorcamp wusste Rudi Dutschke nichts, als er mit Joseph Bachmann, der sich 1970 im Gefängnis das Leben nahm, in einen Briefwechsel tat – und hätte er es gewusst, hätte seine protestantische Moral ihn wohl auch dann nicht abgehalten, dem Täter zu verzeihen. Doch wären diese Hintergründe in der im Frühjahr 1968 ohnehin brisanten Lage bekannt geworden, hätte dies wahrscheinlich ein politisches Erdbeben ausgelöst.
Ebenfalls weitgehend unbekannt war damals ja auch, dass einer der führenden deutschen Neo-Nazis und Gründer und Vorsitzender der NPD, Adolf von Thadden, seit den 50er Jahren ein Agent desbritischen MI6 gewesen sein soll. Noch bevor also der deutsche Verfassungsschutz die rechtsradikale Partei übernahm, lief sie unter der Regie der Briten, deren MI6 , so der damalige Leiter des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, Josef Horchem, “seine Operationen wie eine alte Kolonialmacht in der Bundesrepublik weiter geführt habe”.
Es braucht wenig Phantasie, sich den Zündstoff vorzustellen, den diese Nachricht 1968 ff bedeutet hätte: eine vom britischen Geheimdiensten kontrollierte Neo-Nazi-Partei, deren NPD-“Schießwart” einen mittellosen und unbedarften Attentäter trainiert, der den Wortführer der außerparlamentarischen Opposition niederschießt. Die Proteste wären über Demonstrationen gegen die Hetze der “Bild” und anderer Organe des Springer-Verlags sicher weit hinausgegangen.
Heute weiß das Springer-Blatt BZ, dass die “Geschichte um das Attentat höchstwahrscheinlich neu geschrieben werden muss” – und schon ahnt man, nach welchem Motto der Konzern dabei vorgehen möchte: Wenn, wie im verganenen Mai bekannt wurde, ein verdeckter Stasi-Agent, der Westberliner Kripobeamte Karl-Heinz Kurras, den Studenten Benno Ohnesorg erschossen hat, und jetzt für die Schüsse auf Rudi Dutschke ein “Nazi” verantwortlich ist, dann kann Springer ja wohl nichts damit zu tun haben. Stasi hier, Nazis da, wir sind’s nicht gewesen ? “So war es nicht”, hält die taz fest:
Di
e Kommentarüberschrift “Stoppt den Terror der Jungroten jetzt”, stammt nicht aus einem NPD-Blatt, sondern aus Bild am 7. Februar 1968. In Karikaturen in Springer-Blättern tauchten die Studenten als neuer SA-Mob auf, der den Springer-Verlag attackierte. Eine Selbstinszenierung, in der sich Springer an die Stelle der jüdischen Opfer der Pogromnacht 1938 hallunzinierte. Die Springer-Blätter quollen über vor Gewaltfantasien, die sich nicht erst bei Bachmanns Schüssen auf Dutschke entluden.taz
Wenn also die Geschichte des Attentats auf Rudi Dutschke, der vor 30 Jahren an den Spätfolgen des Anschlags starb, umgeschrieben werden muss, dann weniger im Hinblick auf die Hetze der Springer-Blätter, als auf die Existenz von Extremisten und Terroristen an der Leine von Geheimdiensten. Auch wenn die Überlegungen der Alliierten für die junge Bundesrepublik durchaus nachvollziehbar scheinen – ehe sich alte Faschisten und neue Nazis wieder zu einer Partei zusammentun, gründen wir verdeckt den Laden lieber gleich selbst -, gehen braune Terrorcamps wie das in Peine über legale operative Aktionen natürlich weit hinaus. Ebenso wie die psychologische Kriegsführung mit beeinflussbaren, gewaltbereiten Gescheiterten wie Bachmann oder Oswald, die als Terroristen trainiert und dann als “verwirrte Einzeltäter” instrumentalisiert werden.
Die Geschichte solchen staatlich inszenierten Terrors muss nicht um-, sie muss überhaupt erst einmal in Gänze aufgeschrieben werden. Und insofern ist dieser historische Fund auch mehr als nur eine Fußnote zu einem längst vergangenen Ereignis, denn er reicht strukturell bis in die Gegenwart – wie unlängst etwa die Debatte über die Rolle der Geheimdienste im Fall Buback www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31120/1.html zeigte, deren Akten die Bundesregierung nicht freigeben will, da einige der Beteiligten noch leben. So kann die Geschichte staatlich inszenierten Extremismus und Terrorismus kann meist nur mit größerem Verzug aufgeschrieben werden. Außer bei kleinen Fehlern, wenn die Decke mal kurz hochfliegt und aktuelle Fälle wie der des Hal Turner, einer der führenden Figuren des “National Socialist Movement” (NSM) in den USA, bekannt werden. Fünf Jahre lang, bis 2007, wurde er für seine Propagandabemühungen als rassistischer Radiomoderator regelmäßig bezahlt. Der Scheck für den vorfabrizierten Faschisten Prefabricated Fascists: The FBI’s Assembly-Line Provocateurs www.lewrockwell.com/grigg/grigg-w119.html kam vom FBI.