01.01.1997
Spitzen des Eisberges
Aus der Geschichte des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz
Von Klaus Lederer
Diese Betrachtung wurde für die Broschüre VS-VERTRAULICH!, 1997 herausgegeben von der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, verfasst.
Als US-Vizepräsident Bush im Juni 1983 Krefeld besuchte, kam es im Zusammenhang mit dem Besuch zu schweren Ausschreitungen, die für Bundesinnenminister Zimmermann (CDU) Anlaß waren, erneut einmal in der Öffentlichkeit über die Uferlosigkeit des geltenden Demonstrationsrechtes nachzudenken. Ernsthafte Schwierigkeiten in derselben Öffentlichkeit bekam sein Parteigänger Innensenator Lummer, als der Verdacht aufkam, daß ein V-Mann des diesem unterstellten Landesamtes für Verfassungsschutz Berlin (LfV) einer der aktivsten Mißbraucher der Demonstrationsfreiheit gewesen sein könnte. Im September 1983 erließ die nordrhein-westfälische Justiz nämlich einen Haftbefehl wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und schweren Landfriedensbruchs gegen den Berliner LfV-Mitarbeiter Peter Troeber und eröffnete ein Ermittlungsverfahren. Ihm wurde vorgeworfen, einer der Rädelsführer der Ausschreitungen gewesen zu sein. Gleich nach seiner Festnahme erhielt Troeber Besuch aus Berlin. Ein hochrangiger LfV-Beamter unterhielt sich zwei Stunden lang ohne Zeugen mit seinem V-Mann. Die Innenverwaltung begründete dies mit einem „notwendigen Mindestmaß an Fürsorge” und gestand zu, daß Troeber, der als Verdeckter sich bereits vorher durch auffallende Militanz das Vertrauen der Szene zu erobern versucht hatte und dort als „Harter” einschlägig bekannt war, mit Berichtsauftrag in Krefeld geweilt hatte. Eine Tätigkeit als Agent provocateur könne jedoch nur auf eine Kompetenzüberschreitung zurückzuführen sein, weil, so Lummer, auch ein V-Mann „Fehler begehen” könne.
Die Gewerkschaft der Polizei Nordrhein-Westfalen meldete Zweifel an der Eigenmächtigkeit Troebers an und forderte politische Konsequenzen. Diese blieben natürlich aus. Statt dessen versuchte die politische Staatsanwaltschaft Berlin, das Ermittlungsverfahren aus dem SPD-geführten Nordrhein-Westfalen in die Hände der Westberliner Justiz zu überführen. Die Innenverwaltung zog sich völlig hinter eine Informationssperre zurück und unternahm keinerlei Anstrengungen, der Öffentlichkeit zu erklären, weshalb sich die Berliner Behörden für ihren fehlerhaften V-Mann so intensiv bemühten.
Das juristische Nachspiel ist kurz beschrieben. Sah es die erste Instanz noch als erwiesen an, daß Troeber die genannten Delikte verwirklicht hatte, wurde er in der zweiten Instanz freigesprochen.
Pleiten, Pech und Pannen?
Der längste Prozeß der bundesdeutschen Justizgeschichte zog sich über anderthalb Jahrzehnte hin und verschlang Verfahrenskosten in der Höhe einiger Millionen Mark. Sein Ende fand dieser Mordprozeß nach 591 Verhandlungstagen am 28. Januar 1991. Das Verfahren wurde eingestellt, weil keine Aufklärung mehr möglich war. Sieben Instanzen befaßte der Fall, dreimal waren bereits gefällte Urteile mit hohen Freiheitsstrafen wegen gravierender Verfahrensmängel vom Bundesgerichtshof wieder aufgehoben worden.
Die Vorgeschichte reicht lange zurück. Am 5. Juni 1974 wurde der zweiundzwanzig Jahre alte Student Ulrich Schmücker, ein Informant des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, im Grunewald schwer verletzt aufgefunden und starb wenige Zeit später an den Folgen seiner Schußverletzung. Die „Bewegung 2. Juni” bekannte sich gegenüber dpa in einem Schreiben zu dem Mord, einer „Hinrichtung eines Konterrevolutionärs und Verräters”. Schmücker, der 1972 wegen der Vorbereitung eines Bombenanschlags auf die türkische Botschaft verhaftet worden war, bekam in Haft vielmaligen Besuch durch einen Mitarbeiter des LfV, den „V-Mann-Führer” Grünhagen alias Rühl. Gegen den Preis seiner Mitarbeit gelangte Schmücker auf freien Fuß und wurde erneut in der „Szene” aktiv. Obwohl er bereits als Verräter galt, bemühte er sich um seine Rehabilitierung und knüpfte neue Kontakte. Durch seine Auftraggeber wurde er auf die „Bewegung 2. Juni” angesetzt.
Sechs Tatverdächtige wurden kurze Zeit später festgenommen. Die These vom „Fememord” schien sich zu bestätigen und seine Aufklärung denkbar einfach. Es fand sich der (damals noch rechtlich unzulässige) Kronzeuge Jürgen Bodeux, der ein Geständnis ablegte und die anderen Mitangeklagten schwer belastete. Die Hauptverdächtige, Ilse Schwipper, damals Bongartz, wurde daraufhin zu lebenslanger Haft verurteilt. Die erfolgreiche Revision der Verteidiger führte zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung des Verfahrens. Aussagegenehmigungen für Mitarbeiter des Verfassungsschutzes waren vom verantwortlichen Innensenator nicht erteilt worden, Akten standen nur bruchstückhaft oder überhaupt nicht zur Verfügung. Begründung: Sicherheitsinteressen des Landes!
Das Ausmaß der Verstrickungen des Landesamtes ließ sich hingegen erst im dritten Anlauf erahnen:
Im Jahr 1986 wurde durch eine Veröffentlichung des „Spiegel” bekannt, daß die verschwundene Tatwaffe seit 1974 in den Asservatenräumen des Amtes lagerte. Gleich nach der Tat hatten am Verfahren unmittelbar beteiligte V-Leute die Waffe beiseite geschafft und dem LfV übergeben. Es stellte sich heraus, daß das Opfer bis kurz vor dem Mord und möglicherweise sogar während der Tat unter Observation stand, nachdem es vorher telefonisch übermittelt hatte, daß es sich bedroht fühle. Plötzlich ergab sich ein völlig neuer Verdacht: das LfV ließ möglicherweise einen Mann „hochgehen”, um andere zu decken.
Zwei weitere Jahre später, im Februar 1988, tauchten bei der Kölner Polizei Akten auf, die bis dahin als angeblich verschwunden galten. Aus ihnen ging hervor, daß die im Gerichtsprozeß 1979 der Verteidigung zur Verfügung gestellten Verfahrensakten manipuliert und um Spuren „reduziert” worden waren, die in Richtung Verfassungsschutz wiesen. Vermutlich war danach sogar der Kronzeuge Mann des LfV und sollte im Prozeß gedeckt werden. Anfang 1989 mußte der CDU-Innensenator Wilhelm A. Kewenig einräumen, daß der Schwipper-Verteidiger Heinisch bis 1989 unter Beobachtung des Landesamtes stand. Hierzu bediente sich das Amt auch eines V-Mannes in der Kanzlei des Anwalts. Darüber hinaus wurde das Telefon abgehört. Im Juli 1989 wurde die Verteidigung unter Hinweis auf belastende Enthüllungen über ihre Person von einem hochrangigen Mitarbeiter des VS bedroht. Erst nach dem Regierungswechsel im Berliner Senat 1989 legte der neue SPD-Innensenator Erich Pätzold die Tatwaffe auf den Tisch und erteilte die jahrelang verweigerten Aussagegenehmigungen. Dies half nicht, den Fall zur Klärung zu bringen, verschaffte aber der Öffentlichkeit einen Einblick in die Praxis der Berliner Sicherheitsbehörden: Strafvereitelung im Amt und Beweisunterschlagung auf höchster Ebene!
Auch in der Folgezeit war die Muße des Amtes gering, sich in die Karten schauen zu lassen. Verschiedene Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses hatten versucht, Licht in die Angelegenheit zu bringen. Noch im Juni 1990 „stürmten” die Mitglieder des sogenannten Schmücker-Untersuchungsausschusses das Landesamt, weil sie es leid waren, sich nach monatelangem Warten auf längst zugesagte Akten noch länger hinhalten zu lassen. Letzter Paukenschlag: der Einblick in geheime Akten enthüllte, daß auch die Richter im zweiten Durchgang des Verfahrens im Einvernehmen mit dem zuständigen Staatsanwalt Wolfgang Müllenbrock Beweismaterial unterdrückten. Im November 1990 sagte Kronzeuge Bodeux erneut vor Gericht aus und bezichtigte den mittelbar beteiligten V-Mann Volker Weingraber, vom Mordkomplott gegen Schmücker gewußt zu haben. Daß das LfV Weingraber rund eine Million DM (Schweigegeld?) für seine Dienste gezahlt hatte, die das Land Berlin vor einem Florenzer Zivilgericht teilweise zurückzuerlangen versuchte, nahm die Öffentlichkeit 1990 nur noch als Justizposse wahr.
Der in der politischen Staa
tsanwaltschaft für die Ermittlungen im Fall Schmücker zuständige Staatsanwalt Hans-Jürgen Przytarski konvertierte später zum Vizechef des LfV und blieb es bis Dezember 1987. Dann wurde er, nachdem seine Verwicklung in den Antes-Baukorruptionsskandal bekannt wurde, in das Landesverwaltungsamt versetzt. Unklar ist bis heute, wie weit seine Manipulation im Schmücker-Verfahren wirklich reichte. Gleiches gilt für Wolfgang Müllenbrock, der von der Staatsanwaltschaft in die Senatsinnenverwaltung wechselte. Dort blieb er bis 1988 als Staatssekretär unter Lummer und Kewenig unter anderem für den Verfassungsschutz zuständig.
Verschleierung „von Amts wegen”, Unterschlagung von Beweismaterial, Abbruch einer Observation, die den Mord womöglich verhindert hätte, Steuerung und Manipulation von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, Beobachtung der Verteidigung und Einflußnahme auf die richterliche Unabhängigkeit – Tätigkeit des LfV, gedeckt von mehreren Innensenatoren und Staatssekretären mit der Begründung, das „Wohl des Landes” sei bei einer Offenlegung in Gefahr! Der Hintergrund dieser Skandalchronik bestand, vordergründig betrachtet, in der zwangsläufigen Erklärungsnot des Umfanges und des Zwecks der Verwicklung des Amtes in den Mord für den Fall einer Offenlegung der Fakten.
Geschichten aus dem Landesamt
Ab 1954 war es üblich, Stellenbewerber im „sicherheitssensiblen Bereich” durch den Verfassungsschutz checken zu lassen. Mit dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik im Mai 1955 galten auch in dieser die Sicherheitsgrundsätze der NATO, so daß innerhalb der Verfassungsschutzbehörden Geheimschutzreferate gegründet wurden. Diese Spionageabwehr- und Geheimschutzabteilungen begannen mit der Überprüfung in allen als sensibel verstandenen Bereichen, was zu einer Kontrolle selbst der Funkamateure führte. Daß die Anzahl dieser Bereiche vergleichsweise gering gewesen sei, kann wohl angesichts der Tatsachen in Zweifel gezogen werden, die durch Presseveröffentlichungen an das Tageslicht gerieten:
Erst Anfang 1989 wurden Informationen öffentlich, daß durch den Verfassungsschutz bis in die siebziger Jahre hinein Mitglieder der FDP im Auftrage der Partei überprüft worden sind und die Ergebnisse an die Partei weitergegeben worden sind. Sprecher von CDU und SPD wollten eine ähnliche Praxis zumindest nicht ausschließen, wenn sich auch der Umfang möglicher Kontrolle nicht mehr feststellen ließ. Schon seit 1980 ist bekannt, daß es gang und gäbe war, die von den Bezirksverordnetenversammlungen gewählten Vorschläge für die ehrenamtlichen Laienrichter am Verwaltungsgericht vor ihrer Berufung in das Schöffenamt sicherheitshalber zu durchleuchten.
Das Berliner Verwaltungsgericht hatte 1982 über ein Auskunftsersuchen zweier seinerzeit einundzwanzig- bzw. zwanzigjähriger „Verfassungsfeinde” beim Landesamt zu entscheiden, denen 1977 eine Einstellung als Lehrling bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) versagt worden war, nachdem das LfV von sich aus über deren vermeintliche politische Überzeugung informiert hatte. Drei Jahre darauf wurde einem Ausbilder der Ziegner-Stiftung der Zugang zu einer Berliner Haftanstalt durch die Justizbehörden verweigert, weil er sich lange zurückliegend angeblich fragwürdig politisch betätigt haben soll. Die diese Behauptung vermeintlich stützenden Angaben stammten vom LfV und waren durch dieses, so räumte der Justizsprecher ein, unberechtigt weitergegeben worden. Bis 1987 stritt der Berliner Politikprofessor Wolf-Dieter Narr vor Verwaltungsgerichten, nachdem seine Bewerbung um eine Professur an der Universität Hannover 1974 aus politischen Gründen abgelehnt worden war. Die Informationen stammten aus Berlin, Landesamt für Verfassungsschutz. Im gleichen Jahr wurde auf AL-Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus bekannt, daß beim Berliner Landesamt „schwarze Listen” über Personen geführt werden, die an „sicherheitsempfindlichen Stellen” in „schutzbedürftigen Unternehmen” der Privatwirtschaft tätig waren. Von 1955 an bediente sich in der Bundesrepublik auch die private Wirtschaft der Verfassungsschutzbehörden für Allround-Überprüfungen.
Im Juni 1982 gab der Senat auf eine Anfrage der Fraktion Alternative Liste (AL) bekannt, daß das Landesamt eine vertrauliche Studie aus der Überwachung entstandener Alternativkultur und Hausbesetzerszene angefertigt hatte. Darin wurde der von „gescheiterten Anarchisten, Studies, Jobbern, Punks und Anarchospontielementen” getragenen militanten Hausbesetzerszene der Kampf mit einem „Terrorismus des Alltags” bescheinigt, der in seiner Gefährlichkeit hinter dem der RAF nicht zurückbleiben werde. Dieser Guerilla diffusa, die als Basis neuen Terrorismus gelten könne, müsse der Nährboden entzogen werden, hieß es in dem von der Innenverwaltung bestätigten Bericht. Mit welchen Mitteln das geschehen könnte, verhieß das Landesamt im darauffolgenden Jahr: die Berliner Tageszeitung veröffentlichte den Bericht eines zwanzigjährigen Studenten, der vom LfV auf ziemlich plumpe Weise als V-Mann geködert werden sollte.
Sammelleidenschaften
Zeitgleich mit dem Inkrafttreten des „Extremistenbeschlusses” 1972, mit dem sich die Herrschenden vor dem angedrohten „Marsch durch die Institutionen” der spätsechziger Studentenschaft zu schützen versuchte, wurde die Regelanfrage bei den Verfassungsschutzämtern zu Bewerbern für den öffentlichen Dienst installiert. Von 1973 bis Juni 1975 wurden auf Basis des „Radikalenerlasses” bundesweit knapp 425.000 Fälle bearbeitet. In Berlin gab es insgesamt 24.000 Überprüfungen, wobei in 1.800 Fällen Erkenntnisse vorlagen. Dies führte zu letztlich 93 Ablehnungen aus offiziell politischen Gründen. Gekennzeichnet war dieses Verfahren mit einer über die Terrorismushysterie geschaffenen vergleichsweise breiten öffentlichen Akzeptanz, eine Einsicht in die vermeintliche Notwendigkeit dieser „Maßnahmen”, sowie eine rechtliche Handhabe und verfassungsgerichtliche Bestätigung der Überprüfung. Ein Vergleich zwischen den Zahlen an durchgeführten Überprüfungen und dem „Output”, welcher sicherlich auch noch einmal politisch in Frage zu stellen sein dürfte, läßt erahnen, welche Menge an Daten und Informationen dieses gesellschaftlich und rechtlich gebilligte Werkzeug den Verfassungsschutzämtern einbrachte. Dabei fiel notwendig „Informationsbeiwerk” ab.
Genau hier begann eine Welle der Schnüffelei, die im Ergebnis in einer flächendeckenden Sammlung von Informationen aller und jeder Art mündete, welche für das Aufstöbern von „sicherheitsrelevaten” Gruppen und Privatpersonen von Bedeutung sein konnten. Die durch Pressetätigkeit öffentlich gewordenen Fälle, die oben beispielhaft aufgezählt worden sind, ließen nur ansatzweise erahnen, was die Archive der Sicherheitsbehörde beinhalteten. Selbst als Anfang der achtziger Jahre die Gefahr der Unterwanderung des Staatsapparates durch „Linksextremisten” gebannt schien, gab es kein Ende der behördlichen Sammelleidenschaften. Im Land Berlin vollzog sich die ungehemmte Ausforschung in zweifacher Hinsicht ohne jede Form der Kontrolle:
Zum einen unterlag Westberlin dem alliierten Vorbehaltsrecht. So erstreckte sich bis 1990 das Anordnungsgebot für Maßnahmen der Fernmeldekontrolle nicht auf das Land Berlin, im übrigen war die Nachprüfbarkeit von Maßnahmen der Landesverfassungsschutzbehörden im Land Berlin nahezu vollständig suspendiert. Die Tätigkeit des LfV unterlag rechtlich damit nahezu allein westalliierter Kontrolle. Die Folge war, daß über das mit dem Bundesamt und anderen Landesämtern vernetzte LfV Daten über den Umweg alliierter Geheimdienste ohne jede Überprüfung an „befreundete Dienste” weitergegeben werden konnten. So sah sich eine Redakteurin der alternativen Berliner Tageszeitung 1985 in Jerusalem mit konkreten Informationen aus dem Munde eines israelischen Gesprächspartners konfrontiert, die von den Sicherheitsbehörden Westberlins stammen mußten. Bis heute besteht ein Auskunftsverbot gegenüber allen Stellen und allen Bürgern i
n Hinblick auf Kontakte zwischen alliierten Dienststellen (also auch Nachrichtendiensten) und dem Berliner Verfassungsschutz. Über Mutmaßungen kommt man hier nicht hinaus.
Zweitens existierte im Berliner Landesparlament keine Instanz, die die (zumindest formelle) legislative Kontrolle über den Verfassungsschutz ausübte. Zwar wurde diese bis 1981 durch den Ausschuß für Sicherheit und Ordnung des Abgeordnetenhauses ausgeübt. Als jedoch in diesem Jahr die AL in das Parlament einzog und den erklärten Verfassungsschutzgegner und Kommune-1-Veteran Dieter Kunzelmann für den Ausschuß nominierte, schaffte die CDU-FDP-Koalition den Ausschuß mit dieser Aufgabenstruktur kurzerhand ab.
Unter der Ägide der Amtshilfe und in der Deckung alliierten Rechtes nutzte das Berliner Landesamt seine Möglichkeiten, weitgehend unkontrolliert mitzuspitzeln, weitreichend aus. Die westlichen Alliierten begegneten dem Staatssicherheitsbedürfnis des Berliner Senats, wie sich zeigen sollte, äußerst verständnisvoll. In Berlin war, bedingt durch die Entwicklung erheblichen alternativen Potentials, sei es in der Anti-AKW-Bewegung, Friedensbewegung oder der HausbesetzerInnenszene, einerseits und durch die „Frontstadtlage” Westberlins im kalten Krieg andererseits, das Hauptaugenmerk verfassungsschützerischer Tätigkeit auf die Linke weitgehend vorgegeben.
Kontrollierte Kontrolleure
Doch zunächst weiter im „Fall Schmücker”. Während der „Spiegel” am 29. September 1986 dem Berliner CDU-Innensenator Wilhelm Kewenig Strafvereitelung und Meineid von leitenden Verfassungsschützern vorgeworfen und das Bundesverwaltungsgericht eine Woche zuvor in einem Urteil explizit rechtswidriges Verhalten des Innensenators durch Herausgabe- und Aussagegenehmigungsverweigerung konstatiert hatte, enthielt dieser sich jeder Stellungnahme. Konsequenz war die parlamentarische Forderung der AL, die Praktiken des LfV nun genauer unter die Lupe zu nehmen. Zufällig fiel in diese Zeit auch das Ausscheiden des LfV-Chefs Franz Natusch (SPD), als dessen Nachfolger der CDU-nahe baden-württembergische LfV-Chef Wagner berufen wurde. Damit war die SPD nicht mehr in der bis dahin nach Parteienproporz verteilten LfV-Spitze vertreten. Damit hatte die SPD keinen Grund zur Zurückhaltung mehr.
Dem so entstandenen Druck galt es entgegenzuwirken, weshalb der CDU-FDP-Senat sich noch im Oktober entschloß, der offenen Forderung nach Einrichtung einer Parlamentarischen Kontrollkommission nachzukommen. Selbstverständlich sollte die PKK ohne Beteiligung des „Sicherheitsrisikos” AL konstituiert werden. Dies wiederum stieß auf den Widerstand der SPD.
Bis zum Dezember des Jahres lehnte Kewenig selbst im Innenausschuß des Abgeordnetenhauses weiterhin jede Stellungnahme kategorisch ab. Dies brachte die AL-Fraktion dazu, die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zu fordern, der sich mit den Vorwürfen gegen das Landesamt im „Fall Schmücker” befassen sollte. Die SPD schloß sich dem für den Fall verbal an, daß die Koalition auf dem Ausschluß der AL aus der PKK beharre. Konservatives Medienecho: „Übrigens soll der beabsichtigte Parlamentsausschuß Vorgänge bei der Bekämpfung des Terrorismus untersuchen, die in die Regierungszeit der SPD fallen. Weit wichtiger aber ist, daß seit der Gründung der AL Extremisten unter den Mitgliedern der Partei in Berlin die westlichen Alliierten ihres Charakters als Schutzmächte entkleiden wollen. Diese Strategie zielt zugleich auf die Zerschlagung des Verfassungsschutzes, am Ende steht die Verbrüderung mit den Sozialisten der Ostberliner Einheitspartei” und es wäre natürlich verhängnisvoll, wenn die „demokratischen Parteien” dieser furchtbaren Entwicklung tatenlos zusehen würden. Die Einrichtung der PKK erfolgte in diesem Sinne unter Ausschluß der AL. Durch die SPD-Fraktion wurden die Abgeordneten Hans-Georg Lorenz und Erich Pätzold in die Kommission entsandt.
Am 22. Oktober 1987 überraschte das PKK-Mitglied Pätzold im Schöneberger Rathaus die Presse mit der Erklärung, daß „angebliche Mitglieder des Verfassungsschutzes in den letzten Tagen die SPD telefonisch auf unglaubliche Überwachungsmaßnahmen angesprochen haben”. Zielobjekte dieser Überwachung seien die SPD-Spitzenpolitiker Momper, Meisner und Kremendahl. Dieser Verdacht wurde seitens der Senatsinnenverwaltung als ungeheuerlich verworfen und strikt zurückgewiesen. Tags darauf bestätigte auch die AL, in jüngster Zeit mit solchen Anrufen konfrontiert worden zu sein, allerdings über keine Indizien für die Richtigkeit solcher Behauptungen zu verfügen.
Einen guten Monat später berichtete die Presse von flächendeckender, systematischer Überwachung der AL bis in die Bezirksgruppen unter Angabe einer Ordnungsnummer und der Information, „in der Berliner VS-Zentrale am Fehrbelliner Platz … (seien) allein vier sogenannte ´Auswerter´ damit beschäftigt, die Ergebnisse der AL-Ausspähungen zu sichten, auszuwerten und für den Innensenator aufzubereiten”. Die AL forderte sofortigen Einblick in die Unterlagen und die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes und die Bestätigung der Vorwürfe bzw. die Möglichkeit der Überprüfung, daß diese abwegig seien. In der Sitzung des Innenausschusses am gleichen Tag bestritt der Innenstaatssekretär Müllenbrock die Generalüberwachung. Er gestand aber zu, daß es möglich sei, daß einzelne Mitglieder der AL zeitweilig beobachtet worden seien, wenn es um den Verdacht verfassungsfeindlicher Betätigung ging. Ex-Innensenator Heinrich Lummer habe, so der Abgeordnete Pätzold darauf, bereits zu seiner Amtszeit eine Untersuchung über die Verfassungsfeindlichkeit der AL anstellen lassen, sei aber „klug genug” gewesen, den Bericht zurückzuhalten. Im übrigen, wiederholte Pätzold, gebe es Anzeichen, daß auch die SPD vom LfV sehr kritisch beobachtet werde. Damit griff Pätzold die Vorwürfe der AL indirekt auf, denn „wenn der damalige Innensenator Lummer (CDU) festgestellt hat, die Alternative Liste sei eine verfassungsfeindliche Organisation, dann ist der Verfassungsschutz schon von Gesetz wegen her verpflichtet, die Alternativen zu überwachen”.
Das öffentliche Echo war enorm, sahen sich inzwischen doch all jene bestätigt, die eine solche flächendeckende Überwachung immer vermutet hatten. Dafür gab es nämlich auch weit vorher schon handfeste Anhaltspunkte. Der damalige Staatssekretär im Bundesinnenministerium Carl-Dieter Spranger (CDU) war 1985 in die Schlagzeilen gelangt, weil er sich durch das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Material über die oppositionellen Grünen im Bundestag hatte spicken lassen. „Mitglieder von K-Gruppen halten die Grünen und grün-alternativen Listen nach wie vor für geeignete Vehikel, um revolutionären Zielen nahezukommen” schrieb der Verfassungsschutzbericht 1986.
Eine entsprechende Reaktion der CDU blieb auch in diesem Falle nicht aus. Bereits in der Innenausschußsitzung am 2. Dezember 1987 konfrontierte der Abgeordnete Wienhold (CDU) die AL mit der „kommunistischen Vergangenheit” ihres Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Wieland und beklagte, die AL wolle Täter zu Opfern machen. Keine Partei sei vor Unterwanderung sicher – AL-Mitglieder schrien ständig nach dem „gläsernen Abgeordneten”, wollten aber nichts mehr davon wissen, wenn es um sie selbst ginge. SPD-Landesvize Norbert Meisner äußerte noch am gleichen Abend den Verdacht der Überwachung seiner Partei, da 1985 Innensenator Lummer bereits Einzelheiten über eine Friedensreise nach Genf gewußt habe, bevor diese veröffentlicht worden seien.
In den folgenden Tagen ging die CDU in die Offensive, indem sie einerseits die Überwachung rechtfertigte, sie aber im Ganzen bestritt, und andererseits in den Bereichen, in denen sie erfolgte, der SPD in die Schuhe zu schieben versuchte. Immerhin habe diese, was zutrifft, bis 1981 den Innensenator gestellt. Kewenig erklärte urplötzlich, er halte nichts von Geheimniskrämerei im Innenausschuß und vertrete die öffentliche Erörterung des Themas: eine „Infiltrationsakte” im Zusammenhang
mit der AL wurde 1978 unter dem damaligen Innensenator Ulrich (SPD) angelegt. In ihr wurden „Bestrebungen” von „Linksextremisten” registriert, die AL zu unterwandern und zu durchdringen. Bei dieser Akte handele es sich um einen „Sachvorgang” und keine „Expertise”. Eine „erfreuliche Kontinuität” in der Beobachtung des Vorganges hätten vier Senatoren (davon zwei aus der SPD) gewährleistet. Im Innenausschuß bestätigte am 7. Dezember 1987 auch Landesamtschef Wagner die Überwachung einzelner AL-Mitglieder, schloß aber Telefonüberwachung aus. Bezüglich der SPD bestätigte Wagner, daß es beim LfV auch „5, 6, 7 Berichte” über „Anbiederungsversuche” aus der SEW an die SPD gebe.
„Dem Verfassungsschutz gehe es hauptsächlich darum, die Alternativen vor ´Unterwanderung durch Linksextremisten zu schützen´” zitierte die „taz” den Amtsleiter. Nicht nur die AL, sondern auch die SPD würde an „Schnittstellen” zu vermeintlichen Linksextremen mit nachrichtendienstlichen Mitteln ausgespäht und es widme sich der Verfassungsschutz auch Treffpunkten und Veranstaltungen der Autonomen sowie dem größten Berliner Alternativzentrum Mehringhof. Fakten, die Tage vorher noch vehement bestritten wurden…
„Halb Berlin wird überwacht”
Dennoch kratzten die Parlamentarier längst noch an der Oberfläche, denn „wir sind heute hier in der Beantwortung der Fragen sehr weit gegangen, aber es gibt Fragen, die werden nicht öffentlich beantwortet”. Am 16. Dezember forderte die AL erneut die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses über die Aktivitäten des LfV, diesmal bezogen auf die Überwachung von AL, SPD und SEW. Die SPD war wiederumg grundsätzlich bereit, wollte hingegen zunächst die Entwicklung abwarten. Kewenig bestritt abermals gebetsmühlenartig die Überwachung der SPD und wollte diese Bewertung in einem Schreiben an den Berliner SPD-Vorsitzenden Walter Momper sorgfältig differenziert wissen. Wenn fälschlicherweise von einer Beobachtung der SPD die Rede sei, dann handele es sich um einen „Komplex”, der die kommunistische SEW und eines ihrer wichtigsten Tätigkeitsfelder, die sogenannte Aktionseinheits-Politik, betreffe. „Daß hierzu auch Infiltrations- und Anbiederungsversuche gegenüber der SPD und ihren Mitgliedern zählen, folgt aus dem gesetzlichen Auftrag des Landesamtes für Verfassungschutz und ist daher nicht zu vermeiden”. Wenige Tage später verkündete Kewenig seine Absicht, daß SPD-Mitglied Dieter Schenk zum Vizepräsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz zu machen – mit der leicht durchschaubaren Strategie, dem Engagement der SPD in Sachen Verfassungsschutz die Spitze zu nehmen.
Das Betreiben der AL, in der Folgezeit an genauere Hintergründe der Spitzelaffäre zu gelangen, lief zunächst ins Leere. Parlamentarische Anfragen nach Namen überwachter Mitglieder blieben unbeantwortet. Der Senat sehe auch keine Notwendigkeit, sich zu der Frage Wolfgang Wielands zu äußern, ob der Berliner Senat gleich Niedersachsen Journalisten für „gewöhnlich gute Gelegenheitsinformanten” der Verfassungsschutzbehörden halte. Schon am 26. Januar hielt Kewenig Angebote des LfV an Journalisten für „völlig legitim”, was erneut Proteste erregte und Anlaß für die Ausweitung von Mutmaßungen über die LfV-Arbeit hervorrief.
Als schließlich die Senatsinnenverwaltung Mitte Februar 1988 einen Verfassungsschutzbericht veröffentlichte, der sich mit „Infiltrationstätigkeit von Rechtsextremisten und von Linksextremisten in Berlin (West)” beschäftigte, warf die SPD dem Innensenator „Diffamierung der demokratischen Oppositionspartei” vor. Der Bericht, der 39 Seiten umfaßte, kam zu dem interessanten Ergebnis, daß „Infiltration” von links alltäglich sei, während es nur einen Fall der „Infiltration” durch rechtsextremistische Gruppierungen gebe. In den Jahren 1984 und 1985 sei es einer Gruppe von Neonazis gelungen, in Schlüsselpositionen des Landesverbandes der Grünen (!) zu gelangen. Im Abgeordnetenhaus erklärte Hans-Georg Lorenz (SPD) am 25. Februar, die ursprüngliche Originalversion des Berichtes sei um die rechtsextremen Aktivitäten verkürzt, also auf der oberen LfV-Ebene umgeschrieben worden. Der Streit um die Manipulation hielt bis Ende März an und endete mit einem de-facto-Eingeständnis der CDU.
Als das Stadtmagazin „Zitty” am 6. April 1988 mit „Reichlich Arbeit für einen Untersuchungsausschuß” titelte, hatte die Koalition Stück für Stück eingestehen müssen, was sie vorher energisch bestritt: Journalisten arbeiten für den Verfassungsschutz, V-Leute spitzeln in Anwaltskanzleien, Politiker von AL und SPD werden überwacht, das Telefongeheimnis steht nur noch auf dem Papier. „Alle diese Hinweise stammen aus einer Quelle, nämlich aus dem Verfassungsschutz selbst. Und bis jetzt waren sie immer zutreffend wie jene Indiskretion Ende November vergangenen Jahres, daß sowohl SPD als auch AL Objekte der geheimdienstlichen Begierde des Landesamtes seien”.
Zu diesem Zeitpunkt ahnten die Journalisten vielleicht schon, daß sie auch weiterhin recht behalten sollten. Aber zunächst sperrten Ende September 1988 CDU und FDP im Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zu Fehlentwicklungen (sic!) im LfV, da zunächst ein Gutachten über die Zulässigkeit eines solchen Ausschusses einzuholen sei. Daraufhin verließen AL und SPD den Saal.
Die PKK kam mittlerweile zu der offiziellen Feststellung, daß das LfV eine von ihr angeforderte Akte über einen Zeit-Journalisten vernichtet hatte. Als Pätzold Ende November davon erfuhr, daß ihm der „Verfassungsschutz … einen bei Krawallen in Erscheinung getretenen Mann geschickt habe, um ihn auszuhorchen”, verließen er und sein Kollege Lorenz auch noch die PKK. Der „Spiegel” zog daraufhin unter der Überschrift „Die Freiheit stirbt scheibchenweise” eine bemerkenswerte Konsequenz. „Erstmals in der westdeutschen Parteiengeschichte haben damit gewählte Volksverteter öffentlich eingestanden, daß sich die angeblich demokratische Kontrolle eines Nachrichtendienstes als Farce erweist, wenn die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) von der Regierungsmehrheit beherrscht wird und die Mitglieder zudem strengen Geheimhaltungsvorschriften unterliegen”.
Pätzold schätzte die Zahl der beim LfV registrierten Personen auf 100.000 bis 200.000 und kündigte an, die SPD werde gleich zu Beginn der kommenden Wahlperiode einen Untersuchungsausschuß beantragen, der die Arbeit des LfV unter die Lupe nehmen solle. In einem Brief erhob SPD-Landeschef Momper gegenüber dem Regierenden Bürgermeister Diepgen den Vorwurf, dem Verfassungsschutz lägen über „eine Reihe von Abgeordneten” Aufzeichnungen, Observationsergebnisse und Daten vor. Erkenntnisse über alle Mitglieder eines früheren geschäftsführenden Landesvorstandes der SPD, einen Innensenator eingeschlossen, seien gespeichert. Am Tag darauf berichtet die Tageszeitung – „Operation ´taz´ aufgeflogen” – von der jahrelangen Observation des Blattes „im ganzen” durch Telefonabhörung und V-Leute. Auch die Berliner Alternative Liste sei „in wichtigen Teilen, wenn nicht praktisch im ganzen” überwacht worden, meldet die Zeitung unter Bezugnahme auf Momper. „´Einige wenige Punkte´, so räumte Diepgen in einem gestern bekanntgewordenen Antwortbrief an Momper ein, bedürften der Aufklärung, um die er inzwischen Innensenator Kewenig gebeten habe”. Mit Strafanzeigen, Schadensersatz- und Auskunftsklagen reagierte die „taz” auf diese Enthüllungen. Ein Protest der Redakteure vor dem Innenausschuß wurde mit Polizeigewalt und Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs beendet.
Big brother is watching you
Auch MitarbeiterInnen von SFB und „Tagesspiegel” seien überwacht worden, wird am nächsten Tag bekannt. Die SPD fordert daraufhin erneut einen Untersuchungsausschuß. Am 15. Dezember 1988 antwortete Innensenator Kewenig auf die „Anklageschrift” der SPD. In dieser Reaktion wies er erneut weite Teile der Vorwürfe zurück und bestritt insbesondere den Vorwurf
von Lauschangriffen.
Nachdem ein Antrag der AL, das LfV aufzulösen, abgelehnt worden war, setzte das Berliner Landesparlament ohne Gegenstimmen den geforderten Untersuchungsausschuß unter Vorsitz von Klaus Finkelnburg (CDU) ein. Von nun an ging es Schlag auf Schlag:
Der Chef des LfV gestand den V-Mann-Einsatz gegen das PKK-Mitglied Pätzold mit Abstrichen zu – die Kontrollierten kontrollieren die Kontrolleure. Hierbei habe er gegen eine Weisung Kewenigs vom 4. Oktober verstoßen, zu diesem V-Mann, der als „Steinewerfer” verurteilt worden und in der linken Szene eingesetzt war, „die Taue zu kappen”.
Durch V-Leute, die auf Zeitungsanzeigen reagiert haben, erfuhr die AL, daß seit Gründung der „taz” V-Leute in der Redaktion eingesetzt gewesen seien. Sämtliche für die „taz” tätigen Journalisten seien im Geheimdienstverbundsystem NADIS gespeichert worden. Berlins Datenschutzbeauftragter Kerkau sagte im Januar 1989 aus, daß die „taz” Observationsobjekt gewesen sei, sich jedoch keine Anhaltspunkte für eine „breite Beobachtung” von Journalisten ergeben haben. Es habe Überlegungen zu solchen operativen Maßnahmen gegeben, es seien aber nie V-Leute bei der „taz” eingesetzt worden, so Staatssekretär Müllenbrock vor dem Untersuchungsausschuß. Am 13. Januar 1989 traf die „Sachakte taz” beim Untersuchungsausschuß ein. Die „Tageszeitung” fand nach eigenen Recherchen in ihrer Geschichte einen V-Mann, der 1982 fünf Monate im Verwaltungsbereich der Zeitung eingesetzt war. Lügen könne man Müllenbrock allerdings nicht unterstellen, denn es habe sich um keinen ausgewachsenen, sondern um einen „V-Mann auf Probe” gehandelt. Am 18. Januar 1989 bot das Blatt in einer Anzeige Platz für „Erfahrungsberichte – selbstverständlich mit allen gewünschten Anonymisierungen” an …
Der SPD-Politker Arne Börnsen, im schleswig-holsteinischen Landtag Vorsitzender der PKK, bat Senator Kewenig um Zusendung seiner Akte, die er dem Schleswis-holsteinischen Landesamt zur Verfügung stellen werde, damit dies „stets über ein realistisches Lehrstück für demokratiefeindliche Umtriebe (verfüge)”. Jedoch „dürfte sich die Ausschuß-Arbeit demnächst zur unfreiwilligen Vergangenheitsbewältigung der SPD entwickeln”, schrieb die „Welt am Sonntag” unter Bezugnahme auf die sozialdemokratische Verantwortung für das LfV bis in die frühen achtziger Jahre. In einem Interview resümiert Hans-Georg Lorenz: „Die SPD nach 1945 war eine Partei, die sich vehement gegen kommunistische Bedrohung gewehrt hat. Deshalb drängten auch Hardliner unserer Partei in den Verfassungsschutz. Für solche Relikte aus der Zeit des Kalten Krieges kam der Regierungswechsel 1981 geradezu gelegen. Unter einem SPD-Senat hätten sie auf Dauer jedenfalls nicht so weiter machen können, als wäre die politische Entwicklung stehengeblieben. Unter CDU-Ägide aber konnten sie etwas fortsetzen, was mittlerweile wie eine paranoide Gesinnung anmutet”.
Die Bilanz von AL-Fraktionschef Wolfgang Wieland: „Alle Vorwürfe treffen zu, die schlimmsten Befürchtungen haben sich bestätigt”. Neun Jahre lang, bis zum Mai 1988, war die „taz” im Fadenkreuz des Verfassungsschutzes. Am gleichen Tag wurde öffentlich, daß mindestens zwei Polizeibeamte als V-Leute in der linken Szene eingesetzt waren, womit das Trennungsgebot zwischen Polizeibefugnissen und geheimdienstlicher Tätigkeit abgeschafft worden ist.
Die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses des Abgeordnetenhauses endete kurz vor der Wahl, also einen Monat später, mit einem bereits bekannten Phänomen. Die Mitgleider von AL und SPD nahmen an der letzten Sitzung nicht mehr teil, weil der Innensenator Kewenig einzelnen Mitarbeitern des LfV die Genehmigung zur Aussage verweigert hatte. Deshalb kam es auch nicht zu einem Abschlußbericht.
Die Koalitionen kommen und gehen …
… der Verfassungsschutz bleibt. Am 2. März 1989 trat das neugewählte Landesparlament erstmalig zusammen. Es bescherte der Stadt einen rot-grünen Senat und dem Verfassungsschutzamt einen neuen Boß.
Dieser, Innensenator Erich Pätzold, entließ mit Zustimmung der Alliierten als erstes den bisherigen LfV-Chef. Eine dreiköpfige Arbeitsgruppe sollte die „Fehlentwicklungen” im Amte umfassend aufklären und ein parlamentarischer Verfassungsschutzausschuß künftig über dessen Aktivitäten wachen. Pätzold blieben einige Überraschungen nicht erspart, als er sich Einblick in die Unterlagen verschaffte: Das Landesamt hatte Akten vorgehalten und die PKK belogen. Die Akte des Zeit-Journalisten Sontheimer war dieser als vernichtet verkauft worden, fand sich nun allerdings wieder an. Die Akte über den V-Mann-Angriff auf Pätzold selbst war nur unvollständig aufzufinden und „erkennbar sachlich unrichtig”. Auch der Landesdatenschutzbeauftragte Kerkau war mit falschen Informationen hinreichend versorgt worden. Ab Juni 1989 konnten alle bespitzelten Berliner ihre Akten vom LfV anfordern, sofern diese nicht „erkennbar sachlich unrichtig” geworden sind.
Im Juli 1989 erschien der Bericht der Arbeitsgruppe des Innensenators, in welchem die Frontstadtideologie, die fehlende konzeptionelle und methodische Ausrichtung in Bezug auf neue Entwicklungen des politischen Extremismus und die mangelnde zielgerechte Steuerung durch die politische Führung der Senatsinnenverwaltung als Hauptursachen für die „Fehlentwicklungen” des Landesamtes benannt wurden. Die Arbeitsgruppe kommt zu folgendem Schluß: „Die Problematik des Amtes liegt nicht so sehr in seinen Fehlentwicklungen, sondern vielmehr in seinem Unvermögen, sich überhaupt zu entwickeln”. Empfehlungen der Projektgruppe waren die Einrichtung eines parlamentarischen Ausschusses zur Kontrolle des LfV und eine intensivierte Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem sollte die Personalpolitik parteipolitisch nicht zu einseitig ausgerichtet werden! Alles in allem fällte die Gruppe ein vernichtendes Urteil und bestätigte die öffentlichen Vorwürfe weitgehend. Die Bespitzelung der AL war seit ihrer Gründung erfolgt und sie war rechtswidrig. Während die Arbeitsgruppe davon ausging, daß 12 V-Leute auf die AL angesetzt waren, erfuhr Pätzold im März 1990, daß es sich um 65 V-Leute handelte. Insgesamt 50 Berichte waren über die AL angelegt worden. Um nicht aufzufliegen, ließen sich verbeamtete verdeckte Ermittler des LfV sogar verurteilen und gaben falsche Geständnisse ab, so bei den Maikrawallen 1988. Die Berliner Staatsanwaltschaft gab offenbar im Rahmen der Amtshilfe regelmäßig Akten von Ermittlungsverfahren an das LfV weiter. Insgesamt 226 Berliner Rechtsreferendare und Anwälte waren zu Unrecht Zielobjekte des Verfassungsschutzes, wie noch im November 1990 Pätzold bestätigte. Und schließlich erhielt im Jahre 1988 ein V-Mann eine Prämie von 300 DM für die Begehung einer Sachbeschädigung, § 303 StGB, weil er mit dem Bolzenschneider einen Fluchtweg freigehalten hatte.
„Es ist bezeichnend, daß im Amt nur eine einzige Sammlung der Vorschriften des Bundesamtes für Verfassungsschutz existierte, die ein leitender Mitarbeiter des Amtes unzulässigerweise vor Monaten mit nach Hause nahm und erst nach längeren Nachforschungen jetzt wiedergefunden hat”, konstatierte die Pätzold-Arbeitsgruppe. Ob der leitende Mitarbeiter sie dort wenigstens gelesen hat, bleibt leider im Dunklen.
Verfassungschutz ja – aber nicht so. Damit kann die Konsequenz der Chronik von Skandalen kurz umrissen werden. Das Bemühen des Innensenators, den „Saustall auszumisten”, war möglicherweise ernst gemeint, blieb aber notwendig oberflächlich. Zwei Jahre hatte er dazu Gelegenheit. Doch bereits zwei Tage nach der Wahlniederlage des rot-grünen Senats vom 2. Dezember 1990 erteilte der stellvertretende Leiter des LfV, Müller, hinter dem Rücken des Noch-Senators den Auftrag, ihm eine Aufstellung sämtlicher Disziplinarvorgänge und Verwaltungsermittlungen in Sachen LfV in der abgelaufenen Legislaturperiode vorzulegen. Falsche Signale seien das, so Pätzold, was schwer wiege, „weil man es im Amt trotz mehrfacher Abmahn
ungen nicht geschafft oder hier und da auch bewußt verzögert hat, seit längerem erteilten präzisen Aufträgen … für das Aufarbeiten früherer Versäumnisse nachzukommen”. Daß das Problem nicht im Amt liegt, sondern das Amt selbst das Problem ist, wurde zwar oft genug öffentlich festgestellt. Jedoch schien auch die rot-grüne Koalition noch ein Arbeitsfeld für Verfassungsschützer gesehen zu haben. So nützte auch Pätzolds „letzter Rüffel” nichts – der Verfassungsschutz schlägt zurück.
„Im Berliner Amt … haben sich jetzt die ´Traditionalisten´ wieder durchgesetzt. Lothar Jachmann zum Beispiel, der Abteilungsleiter für ´politischen Extremismus´, war als Hoffnungsträger des rot-grünen Senates für eine Reform an die Spree versetzt worden. Er hat im November bekanntgegeben, daß er wieder nach Bremen an seine frühere Stelle als stellvertretender ´Leiter´ zurückkehren will. Nicht einmal ein Jahr im Amt, stellte er resigniert fest, daß das Berliner Amt nicht zu reformieren ist”.
Erneuter Koalitionswechsel – neuer Innensenator wird der Juraprofessor Dieter Heckelmann (CDU). Gekennzeichnet war das öffentliche Bild des Landesamtes seitdem unter anderem durch die Meldungen zum Mykonos Anschlag im September 1992, als vier kurdische Exilpolitiker am Rande einer Tagung der Sozialistischen Internationale (SI) in einem Berliner Restaurant erschossen wurden. Hier mußte sich der Verfassungsschutz erneut „Fehlverhalten” vorwerfen lassen, weil er das Attentat möglicherweise hätte verhindern können. Vermeintliche „Fahndungspannen” genügten hier der FDP, allerdings mittlerweile in Opposition, die Auflösung des Amtes zu fordern. Wieder einmal wurde ein Untersuchungsausschuß gebildet.
Nichtsdestotrotz bekam das Landesamt 1992 einen neuen Aufgabenbereich zugeordnet. Es übernahm die Überwachnung des Telefonverkehrs, die bis zum Beitritt den westalliierten Behörden oblag. Auch stiegen die Ausgaben im gleichen Jahr gegenüber dem Vorjahr um 831.000 DM auf damit 21,7 Millionen DM.
Beobachtung der PDS?
Eine weitere Aufgabe des Landesamtes ist seit 1991 die Beobachtung der PDS. Im November 1992 erklärte der LfV-Chef Heinz Annußek, daß die PDS derzeit nur ein „Prüffall” sei. Lediglich anhand öffentlicher Quellen werde untersucht, ob sich die PDS verfassungskonform verhalte. Nachrichtendienstliche Mittel würden nicht eingesetzt. Man wolle der PDS anrechnen, daß sie sich im Umbruch befinde. Eventuell habe sie den Weg zu einer linkssozialistischen Partei einschlagen wollen. Heute jedoch gebe es Anhaltspunkte für „verfassungsfeindliche Bestrebungen”.
Es lief wie ein Ping-Pong-Spiel. Wenige Tage später schon verlangte der CDU-Abgeordnete Hapel die unverzügliche Beobachtung der PDS, um genauere Informationen über mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen zu erlangen. Der Verfassungsschutz solle seine Mitarbeiter in der PDS aktivieren (sic!) und extremistische Funktionäre unter die Lupe nehmen.
Am 28. April 1994 wiederholte der LfV-Chef im Verfassungsschutzausschuß seine Informationen zur PDS. Diese habe internationale Kontakte zu kommunistischen Organisationen. Innerhalb der Partei trage die sogenannte „kommunistische Plattform” wesentlich zur Meinungsbildung bei. Zu deren Zielen gehöre weiterhin die kommunistische Weltrevolution. Der Heckelmann-Sprecher Bonfert, der später über seine Kontakte zu Rechtsextremisten stolpern und damit beinahe einen Koalitionskrach herbeiführen sollte, erklärte Mitte Mai 1994, daß im Herbst über eine Observierung der PDS mit nachrichtendienstlichen Mitteln entschieden werden solle. Erst Ende des Jahres werde entschieden, ob die PDS auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten sei, erklärte Innensenator Heckelmann selbst im Juli, ohne allerdings neue Informationen zu liefern, weshalb weiter „nur” zu prüfen sei.
Diese gibt es aber einen guten Monat später von anderer Seite, nämlich vom Koalitionsfreund. Für eher wahrscheinlich hält es der innenpolitische Sprecher der SPD, Hans-Georg Lorenz, daß die PDS Kontakte zum linksextremistischen Spektrum unterhält. „Einige Genossen von der PDS würden auch garantiert vom Verfassungsschutz beobachtet, glaubt Lorenz, ´was nicht heißt, daß die ganze Partei beobachtet wird … Angesichts der bisherigen Entwicklung der PDS und des Zustroms von Linksextremisten aus den westlichen Bundesländern erscheint es zweifelhaft, ob sich die PDS an der freiheitlich demokratischen Grundordnung orientieren wird´, lautet die Begründung”. Also Unterwanderung? Na, was gemerkt?
Am 20. Januar 1995 berichtet die aktuelle Tagespresse von der Übergabe eines 340-Seiten-“PDS-Dossiers” durch das LfV an Diepgen. Die amtliche Heimlichtuerei um dieses Dossier schaffte das beabsichtigte Medieninteresse, allerdings seien „politische Schlüsse aus diesen Erkenntnissen … noch nicht gezogen” worden.
Na, macht ja nichts. Hauptsache, das Medieninteresse bleibt erhalten, denn was geheim ist, ist immer interessant. Jedoch, so die Presse, empfehle das Amt eine Teilüberwachung der PDS, weil es Verdacht auf linksextremistische Bestrebungen in der Partei gebe. Der „Rheinische Merkur”, der sogar vom Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel berichtet hatte, sah sich amtlichen Dementis ausgesetzt.
Erstaunlicherweise lag das Dossier termingerecht eine Woche vor dem Bundesparteitag der Partei vor, den Diepgen abwarten wolle, bevor er die Einstufung der PDS als (zumindest teilweise) verfassungswidrig feststellt. Der Ruch der politischen Einflußnahme, der Diepgen nun umgebe, liege nicht in seinem, sondern höchstens im Interesse Dritter, die ihn möglicherweise zu einem freiwilligen Rücktritt zwingen wollten, mutmaßte die „taz”. Warum sonst sei das Dokument vor Kenntnisnahme durch den Regierenden Bürgermeister an den konservativen „Merkur” weitergegeben worden? Die Inhalte des Dossiers müssen schon erstaunlich gewesen sein. Selbst das „Volkshandbuch des Abgeordnetenhauses” stehe im vertraulich gestempelten Quellenverzeichnis, beschwerte sich der Lichtenberger CDU-Parlamentarier Günter Toepfer, nachdem das Werk am 9. März dem Verfassungsschutzausschuß vorgelegt worden war.
Mit der Zeit hat auch Hans-Georg Lorenz gelernt. Gerade weil eine dezidierte Auseinandersetzung mit der PDS notwendig sei, müsse eine „intelligente öffentliche Interpretation” des PDS-Erscheinungsbildes erfolgen. „Geheimdienstliches Brimborium desavouiert nur die Demokratie”.
Anfang März verkündete Diepgen über den Verfassungsschutzausschuß hinweg seine Entscheidung, vier einzelne Gruppen innerhalb der PDS durch den Berliner Verfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln observieren zu lassen: die Kommunistische Plattform (KPF), den Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK), die AG Junge GenossInnen (AGJG) und die AG Autonome Gruppen (AGAG). Hierbei informierte er auch, daß BWK und KPF als „Orthodoxe Kommunisten seit eh und je beobachtet werden”! Das war neu! Ziel sei es, mögliche Verbindungen zu „terroristischen Milieus” festzustellen. Im Mai verteidigte Diepgen seine Entscheidung vor dem Verfassungsschutzausschuß. Diese „Maßnahme” sei aus rechtlichen Gründen geboten, weil das Landesamt bei der SED-Nachfolgepartei „tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen” festgestellt habe. Es gebe eine „erhebliche personelle Identität” der PDS mit der Vorgängerpartei, eine erstaunliche Erkenntnis, wenn man bedenkt, daß es dazu des Sammelns von Zeitungsausschnitten bedurfte. Gewalt anderer Gruppen werde von der PDS „verständnisvoll” betrachtet. Das Landesamt für Verfassungsschutz gehe davon aus, daß die PDS Gewalt für das „sozialistische Ziel” dann einsetzt, „wenn sich alle eingesetzten Mittel als erfolglos erwiesen haben”. Hans-Georg Lorenz befand die Entscheidung für rechtlich korrekt, beklagte jedoch wieder einmal die „ärgerliche Argumentation”.
Im August 1985 erkannte das Landesamt nach Abschluß „langjähriger Prüfung”, daß nicht die PDS selbst, aber einzelne ihrer Grupp
ierungen verfassungsfeindlich seien. Anfang 1996 war die Benennung des Abgeordneten Freke Over für den Verfassungsschutzausschuß durch die PDS Grund genug für das LfV, seine eigenen Prüfungsergebnisse in Zweifel zu ziehen. Nicht zuletzt solle auf Betreiben der CDU durch Ausgrenzung „politisch unliebsamer Abgeordneter” der parlamentarische Verfassungsschutzausschuß zum „Anhängsel” des LfV gemacht werden, resümierten daraufhin Bündnis 90 / Die Grünen, denen dieses Spiel schon aus dem Jahre 1981 bekannt vorkam. Ohnehin rief die Entscheidung, die PDS teilüberwachen zu lassen, bereits Anfang 1995 bei einem Mitglied des Ausschusses, Renate Künast, Erinnerungen wach. „Auch damals hieß es, nicht die Berliner AL sei Observierungsobjekt, sondern ´linksextreme Infiltrationsversuche´ in die ungestüme Öko-Partei hinein. Immerhin kamen auf diese Weise 60 Aktenordner Material über die Partei zusammen, die heute – der historischen Forschung zugänglich – im Berliner Landesarchiv stehen. ´Was Sie vorhaben, klappt nicht´, warnte die Grünen-Politikerin den Regierenden Bürgermeister. ´Sie werden damit in Teufels Küche kommen´”. Es sei nicht möglich, einzelne Teile der PDS zu überwachen: „Was machen Sie, wenn jemand von der Kommunistischen Plattform mit Herrn Gysi diskutiert?”.
Tatsächlich war auch die AL bis zum Schluß nie offizielles Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Die offizielle Begründung für die Überwachung bestand in der staatlicherseits empfundenen Notwendigkeit, „Schnittstellen” zum als extrem verstandenen Spektrum kontrollieren zu können. Hierbei wurden, zumindest offiziell, einzelne Mitglieder oder Gruppierungen observiert, die angeblich verfassungsfeindliche Bestrebungen „unter dem Deckmantel der Demokratie” verfolgten. Das daraus notwendig eine flächendeckende Beobachtung erwuchs, ist folgerichtig. Die suggerierte Trennung in „Parteipartikel”, die für sich genommen zu beobachten wären, ist in einer Parteistruktur überhaupt nicht möglich. Das weiß selbst das Landesamt und das wissen auch die politisch für das Amt Verantwortlichen. So wird die „Schnittstellenthese” zum Begründungsversuch für die Öffentlichkeit, obwohl eine de-facto-Gesamtüberwachung längst stattfindet. Insofern ist es auch ohne Belang, daß Innensenator Schönbohm drei weitere Strukturen innerhalb der PDS als „Verfassungsfeinde” entlarvt hat, die seit 1996 unter nachrichtendienstlicher Observation stehen, den Bezirksverband Kreuzberg der PDS, das Marxistische Forum sowie das Forum West.
Daraus folgt wiederum, daß es auf die „endgültige Entscheidung” zur Überwachung der PDS als formellem Akt überhaupt nicht ankommt. Entsprechendes ergibt sich auch aus dem Verhalten der Regierungskoalition und insbesondere der CDU. Die offizielle Entscheidung wurde immer und immer wieder vertagt mit dem postulierten Hintergrund, es müsse erst Klarheit gewonnen werden, ob die PDS als Gesamtpartei verfassungsfeindlich sei oder nicht. Substantiell neue Fakten wurden dabei freilich nicht geliefert, lediglich der Begründungszusammenhang wechselt. Aber genau darauf kommt es an. In der Öffentlichkeit kann so das Bild einer schemenhaften Bedrohung des Rechtsstaates durch die PDS aufrechterhalten werden. In losen Zeitabständen werden die Medien mit der Frage befaßt. Gierig werden die neuen Sachstände verarbeitet, denn der Geruch des Geheimen macht sie interessant. Selbst der Ausschuß für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses eignet sich als mediale Bühne. Für das Verständnis, die „Fakten” in der geschlossenen Sitzung im Geheimschutzraum verkünden zu müssen, bedankt sich der Innensenator und kann sich der journalistischen Aufmerksamkeit sicher sein.
Das Prinzip ist denkbar einfach: „Wir müssen überwachen, weil wir wissen, daß es konkrete Anhaltspunkte gibt. Daß es konkrete Anhaltspunkte gibt, können wir aber nicht beweisen, weil es geheim bleiben muß. Das muß man uns erst einmal glauben!”.
Einfacher läßt sich geheimdienstliche Tätigkeit nicht legitimieren. Die Geschichte des Berliner Amtes zeigt beispielhaft, wozu diese Legitimation genutzt wird.