Helke Sander:
In ihrem Text „Feminismus und kulturelle Dominanz – Kontroversen um die Emanzipation „der“ muslimischen Frau“
(Aus: BAG Mädchenpolitik Info 9/2008)
benutzt B. Rommelspacher gleich auf der ersten Seite in einem Zwischentitel den Begriff:„Orthodoxer Feminismus“.
Dieser, offenbar von Birgit Rommelspacher (im Folgenden nur: BR) erfundene und von mir vorher nie gehörte Begriff wird nun nicht etwa erklärt, sondern als bekannt und definiert vorausgesetzt und personell einerseits auf Alice Schwarzer bezogen, die mit zwei in sich unverständlichen und offenbar aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen über den „Männlichkeitswahn des 21.Jh. und faschistischer Männerbündelei im 20. Jh.“ und einem nur ungefähr angegebenem Herkunftsbeleg zitiert wird, sowie auf Halina Bendkowski, deren „orthodoxer Feminismus“ sich darin äußern soll, dass sie in der Kopftuchfrage „die Durchsetzung der Menschenrechte ohne Wenn und Aber“ fordert. (Dies ganz ohne Herkunfts-Beleg, was für eine Frau Prof. Dr. BR mit Schwerpunkt „Interkulturalität und Geschlechterstudien“ geradezu Guttenbergsche Qualität hat). Andere Menschenrechte wie das Recht auf kulturelle Selbstbestimmung und Religionsfreiheit würden von Bendkowski nicht berücksichtigt, wird als Merkmal des orthodoxen Feminismus angeführt.
Ich möchte hier nicht auf die inhaltlichen Auseinandersetzungen in der Kopftuchfrage eingehen, zu denen sich in wirklich vielen und differenzierten Texten auch Schwarzer und Bendkowski geäußert haben, sondern mich darauf beschränken, was mit der WorterfindungOrthodoxer Feminismus offenbar erreicht werden soll, den BR bestimmten Leuten ohne weitere Begründung unterstellt und von dem sie sich selbst kategorisch absetzt. Diese Distanzierung von dem Begriff ist gewissermaßen schon das erste Ziel. Wer zu den orthodoxen Feministen gehört, ist nicht nur altmodisch, sondern, wie im späteren Text suggeriert wird, vor allem rechtslastig, dogmatisch, konservativ, auf die eigene Herkunft fixiert und unfähig, fremde Kulturen in ihrer Eigenart zu akzeptieren.
Nun könnte jemand, die 1945 geboren ist und bei der Entstehung der Frauenbewegung im Januar 1968 schon erwachsen war und sich in ihrem Berufsleben mit der Geschlechterfrage befasst, etwas mehr von den inhaltlichen Kontroversen wissen, die die immer äußerst heterogene Frauenbewegung wie jede andere neu entstehende Bewegung von Anfang an begleitet haben. Richtig ist allerdings, dass – anders als bei den verschiedenen kommunistischen Parteien, den verschiedenen Flügeln in der SPD, den Abspaltungen bei den Grünen usw. usw. – diese Kontroversen aus Desinteresse an der Frauenbewegung jenseits von Latzhose, Provokation und unterstelltem Männerhass kaum in den Mainstreammedien und d.h. in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert wurden. Später, ab Mitte der 70-er Jahre, wurde die Zeitschrift EMMA zu DEM Sprachrohr DER Frauenbewegung von den gleichen Medien erklärt, die bis auf sporadische Ausnahmen nicht wahrhaben wollten, dass die Frauenbewegung von Anfang an vielfältig war. Das spiegelte sich dann allerdings auch kaum in der EMMA, auf die und hauptsächlich auf deren Herausgeberin sich die Öffentlichkeit allein mehrheitlich bezog. In der EMMA gab es keine kontinuierlichen und seriösen Auseinandersetzungen mit Themenfeldern, zu denen die Herausgeberin eine andere Meinung hatte. Was sich jenseits einfacher Zuschreibungen abspielte, wurde also mehr oder weniger von allen Medien ignoriert. (Man denke nur an die Auseinandersetzungen schon 1969 zwischen dem Aktionsrat zur Befreiung der Frauen und dem sozialistischen Frauenbund). Schon deshalb verbietet sich ein so pauschaler Begrifft wie „orthodoxer Feminismus“.
Bei allem Vorbehalt, den ich gegenüber der Rolle von Alice Schwarzer in den Medien habe, die weitgehend als Repräsentantin DES Feminismus gilt, werde ich doch nicht vergessen, dass sie am Anfang der iranischen Revolution mit einigen Feministinnen den Iran besuchte und (zwar nicht als einzige, aber doch als eine von vielen Frauen in der alten BRD und der ganzen Welt) über die Verbrechen an Frauen berichtete, die massenhaft hingerichtet wurden, u.a. deswegen, weil sie KEIN Kopftuch trugen und tragen wollten. Darauf aufmerksam gemacht zu haben und weiterhin auf die Verbrechen hinzuweisen, die immer noch geschehen, wenn Frauen sich in Widerspruch zu bestimmten Traditionen befinden, wird also von BR als engstirniger orthodoxer Feminismus beschrieben. Dazu gehört die Diskriminierung solcher Frauen durch BR, die selber schon wegen ihrer Ansichten schlimme Gewalterfahrungen gemacht haben (Seyran Ates, Ayaan Hirsi, Necla Kelek, um nur die hier bekanntesten zu nennen) und die sich in die Anonymität zurückziehen müssen, um nicht Opfer religiöser Krimineller oder sich auf die Religion berufender Chauvinisten zu werden. Ich will ja gar nicht bestreiten, dass das Kopftuch auch ein Vehikel zur Identitätsfindung junger Mädchen sein kann und für viele unterschiedliche Konfliktlösungen herhalten muss. Es ist aber je nach Gesellschaft und Stand für viele lebensgefährlich, es nicht zu tragen und eine Ungeheuerlichkeit, den KritikerInnen dieser Verhältnisse faschistische Tendenzen zu unterstellen.
Orthodoxer Feminismus, nach BR ein monolithischer Block aus den sechziger und siebziger Jahren – soll also auf einen anderen, neueren, aufgeklärteren, intelligenteren Feminismus verweisen, der vor allem kulturelle Unterschiede anerkennt.
Offenbar weiß BR nichts über die Auseinandersetzungen aus dieser Zeit über: Frauen als Patriarchalinnen, d.h. Unterstützerinnen patriarchaler Ideologien, über Opfer und Täterinnen, über die Schwerpunkte feministischer Politik, über Lohn für Hausarbeit versus gesellschaftlicher Versorgung der Kinder, über die Kampagne „Frauen in die Bundeswehr“ gegen diese Forderung, über Feminismus als politische Kategorie (was z.B. hieß, dass auch Männer feministische Positionen politisch vertreten können und sollen) gegen einen hauptsächlich kulturellen und identitätsstiftenden Feminismus ohne Männer, usw.
Nichts davon wird bei BR auch nur erwähnt, auch nicht die feministischen Frauengruppen, die damals von den heute so genannten „Frauen mit Migrationshintergrund“ gegründet wurden, Arbeiterfrauen meist, mit bäuerlichen oder keinen Kopftüchern. Alle diese Frauen, so unterschiedlich sie auch waren und so kontrovers sie auch diskutierten, wollten tatsächlich Menschenrechte auch für Frauen durchsetzen, wollten die Ursachen für Diskriminierungen untersuchen und dagegen ankämpfen und werden heute pauschal von BR als altmodische, orthodoxe Feministinnen bezeichnet.
Nun gibt es natürlich wie bei jeder Bewegung auch in der feministischen, immer dumme Leute mit Sehnsucht nach einfachen Lösungen, die dann Ideologinnen werden und für die dann vereinzelt auch die Unterstellungen von BR zutreffen mögen. Dies aber zu verallgemeinern ist einfach unzulässig.
BR soll den Begriff Dominanzkultur entwickelt haben. Angehörige dieser Dominanzkultur, die orthodoxen Feministinnen, würden diese eigene Kultur nun den anderen aufzwingen. Die von BR geschmähte Halina Bendkowski hat vor vielen Jahren den Begriff der Geschlechterdemokratie eingeführt, die durchzusetzen sich die Heinrich-Böll-Stiftung in ihrer Eigenaussage bemüht. Ich hoffe, dass diese Institution fähig ist, die wirklichen Widersprüche zu analysieren, sonst unterstützt sie nichts weiter als Denunziation.
Helke Sander © 2-12