Der Staat fürs Leben oder Sterben für den Staat?


Der ideale Politiker einer bürgerlichen Republik ist – ob einfacher Parlamentarier oder staatslenkender Kanzler bzw. Präsident – im Grunde genommen ein blasser und nicht-charismatischer Verwaltungsbürokrat. Das jedenfalls wäre ein Stück realisierter Utopie. Denn „unglücklich das Land, das Helden nötig hat“, sagt Brechts Galilei. Und doch sehnt sich der Staatsmann – und mit ihm das Volk – nach dem Ausnahmezustand. Die Größe einer historischen Figur – und wer wollte nicht in die Geschichte eingehen? – bestimmt sich schließlich nach der (Folgen-)Schwere ihrer Entscheidungen. Je mehr Menschenleben dabei von diesen abhängen, desto besser lässt es sich an ihnen berauschen. So erfreut sich der Katastrophenfilm aus Hollywood, dessen Regisseure wahrscheinlich nicht zufällig Deutsche sind (Emmerich, Petersen), weltweit nicht gerade geringer Beliebtheit. Früher oder später kommt in ihm nämlich ein charismatischer Präsident ins Bild, um sich selbstzerfleischend z.B. die Frage zu stellen, ob es richtig sei, die von einem tödlichen Virus befallene Bevölkerung einer mittleren Kleinstadt mit Napalm zu belegen, um wenigstens den Rest der Menschheit zu retten. Eine Frage, die jener Souverän – natürlich erst nach schlaflosen Nächten, die ihm natürlich anzusehen sind – stets bejaht, worauf zerknirscht aber entschlossen entsprechende Anweisungen ans Fußvolk ergehen. Zwar geht die Sache meistens zur allgemeinen Erleichterung aller (v.a. der Zuschauer) am Ende dann doch noch gut aus – etwa weil in letzter Sekunde von einem weiteren Helden ein Gegenmittel zusammengebraut werden konnte –, doch ändert dies nichts daran, dass im Falle eines ausbleibenden Wunders jeder die Entscheidung des fiktiven Präsidenten mitgetragen hätte. Und so diskutiert die Öffentlichkeit auch in der Wirklichkeit voller Angst-Lust immer wieder gerne darüber, ob und ab wann man ein von Terroristen gekidnapptes Zivil-Flugzeug, das z.B. auf ein Hochhaus zurast, vom Himmel schießen darf. (1)

Insofern wären Volk und Politiker Israels durchaus zu beneiden. Keines anderen Staates Existenz und Bevölkerung wird schließlich seit seiner Gründung permanent kriegerisch und terroristisch bedroht, in keiner anderen bürgerlichen Demokratie sind Normal- und Ausnahmezustand derart schwer zu unterscheiden, nirgendwo anders werden den demokratischen Führern regelmäßig tatsächlich große Entscheidungen abverlangt. Zuletzt hat Benjamin Netanjahu wieder einmal eine solche treffen müssen: Um den im Juni 2006 von einem Hamas-Kommando entführten damals 19-jährigen Soldaten Gilad Schalit freizubekommen, wird Israel 1.029 inhaftierte Palästinenser – darunter zahlreiche Extremisten – aus den Gefängnissen entlassen und abschieben. Ähnlichen Austausch gab es bereits 1985 (drei israelische Soldaten gegen 1.150 Terroristen-Palästinenser) und 2004 (der Geschäftsmann Tennenbaum sowie die Leichen von drei israelischen Soldaten gegen 435 Terroristen-Palästinenser).

Ein israelisches Lehrstück

Die deutschen Reaktionen auf diese in Israel umstrittenen aber in Parlament wie Bevölkerung mehrheitsfähigen Entscheidungen reichen in der seriösen Presse von merkwürdig gelassen und sachlich (Tagesschau, FAZ) bis zu verdruckst „israelkritisch“, wenn sich etwa Peter Münch für dieSüddeutsche fragt, warum „der historische Sieg der Hamas doch keiner sein könnte, vielmehr für beide Seiten Gefahren drohen“ könnten: „Die Blockade bleibt bestehen, und nach der Heimkehr Gilad Schalits könnte Israel sogar die Schrauben wieder anziehen. Denn im Kleingedruckten zeigt dieser Handel auch, wie die Regierung in Jerusalem den Gaza-Streifen sieht: als ein schwarzes Loch, in dem immer weiter auch explosive Stoffe quasi versenkt werden können. Anders ist es nicht zu erklären, dass eine beträchtliche Zahl der Freigelassenen wegen der von ihnen drohenden Gefahr nicht in ihre Heimat im Westjordanland zurück dürfen, sondern nach Gaza abgeschoben werden. In israelischen Sicherheitskreisen heißt es dazu, dass dort unter den vielen tausend Extremisten ein paar hundert weitere kaum auffallen. Doch die Radikalisierung des Gaza-Streifens wird das weiter befördern. Der nächste Waffengang scheint ohnehin nur eine Frage der Zeit zu sein. Auf den Triumphzug könnten sehr bald wieder Trauermärsche folgen.“ (14.10.2011)

Man muss aber gar nicht so „israelkritisch“ und schadenfroh denken wie der Peter Münch, um das Entscheidende des überall zum „Gefangenenaustausch“ verniedlichten Freikaufs einer Geisel beredt zu beschweigen, weshalb es sich als Ahnung zunächst nur in Internet-Foren vorsichtig Gehör verschaffte: die humane Größe und moralische Erhabenheit der Israelis, denen für die Rettung eines Einzelnen der ihren (ob tot oder lebendig) kein Preis zu hoch zu sein scheint. Eine rühmliche Ausnahme bildet daher – wie so häufig – Richard Herzinger mit seinem Kommentar für die Welt (15.10.2011): „Ist das Eingehen auf einen solchen Deal, der verbrecherische Taten zu belohnen scheint, somit ein Zeichen der Schwäche Israels? Nicht, wenn man die moralische Dimension dieses Austauschs ins Auge fasst. Das Schicksal des jungen Soldaten, der mit 19 Jahren in die Fänge der Hamas geraten war, hat die Seele der israelischen Gesellschaft tief berührt. Das Zelt, das seine Eltern zur Mahnung an das Schicksal ihres Sohns nahe der Residenz des israelischen Ministerpräsidenten in Jerusalem errichtet hatten, war seit zwei Jahren zu so etwas wie dem moralischen Zentrum, zum Stachel im Gewissen der Nation geworden. Es gemahnte an ein tief in der religiösen und kulturellen Tradition des Judentums verankertes Gebot.Pikuach Nefesh, die Verpflichtung zur Rettung von Leben, ist eines der höchsten Prinzipien jüdischer Ethik, das über allen religiösen Gesetzen und Vorschriften steht.“

Herzinger ist des Weiteren zunächst zuzustimmen, wenn er schreibt: „Der zivilisatorische, humane Standard einer Gesellschaft lässt sich nicht zuletzt daran ermessen, wie hoch sie den Wert des individuellen Menschenlebens einschätzt. So betrachtet, ist das […] Abkommen über den Austausch […] ein Lehrstück.“ Doch dann macht er es sich ein bisschen zu leicht: so zeige das Lehrstück nämlich lediglich „den fundamentalen Unterschied zwi
schen einer offenen, demokratischen Gesellschaft und einem zynischen kollektivistischen Unterdrückungssystem. […] Welchen Kontrast bietet ein solches Wertesystem zu den Maximen einer (Un-)Kultur, die den Märtyrertod als oberstes Ideal namentlich für junge Männer propagiert und sich nicht scheut, sie im Namen einer Religion als Selbstmordattentäterzu missbrauchen!“ Denn: die Wertschätzung des individuellen Menschenlebens wäre schließlich auch Maßstab, um gerade „offene, demokratische Gesellschaften“ voneinander zu unterscheiden. Nicht der offensichtliche Kontrast zur Unkultur wahnsinniger und antisemitischer Mord-Kollektive lässt nämlich den „zivilisatorischen, humanen Standard“ der israelischen Gesellschaft als solchen vollends ermessen; schon das (obzwar postfaschistische, aber darum nicht weniger) demokratische Deutschland hat in den 1970ern auf eine ähnliche – allerdings vergleichsweise harmlose – politische Situation gänzlich anders reagiert als Israel. Erst der Vergleich Benjamin Netanjahu-Helmut Schmidt ergäbe daher ein wahres politisches Lehrstück (2), und zwar über zwei gegensätzliche Modelle, bürgerlich-staatliche Souveränität zu interpretieren, wobei es kein Zufall sein dürfte, dass es sich im einen Fall um den Staat der Holocaust-Überlebenden, im anderen um den Rechtsnachfolger des Dritten Reiches handelt. (3)

Diesem Vergleich wird aber in der deutschen Rezeption der Rettung Schalits systematisch ausgewichen, weil dies die Aufkündigung des stillschweigenden Einverständnisses mit der jüngeren deutschen Geschichte zur Konsequenz hätte. So wie Münch – lediglich exemplarisch – die Verhandlungsergebnisse als – wenigstens kurzfristigen – „historischen Sieg“ der Hamas zu kritisieren vorgibt (wiewohl er und seinesgleichen den Israelis ansonsten immer vorwerfen, nicht genug mit ihren antisemitischen Todfeinden zu reden), erinnern die Deutschen das Hartbleiben ihres Staates angesichts terroristischer Erpressungsversuche als „historischen Sieg“ über die RAF. In Wirklichkeit ist es dagegen der RAF gelungen, das faschistische Wesen aus dem Staat heraus zu kitzeln, allerdings nicht – wie RAF, Linke und andere Rechtsstaatsschützer meinen – in den staatlichen Maßnahmen gegen die Terroristen – denn solange die Ausnahmesituation Ausnahme bleibt, bestätigt sie nicht nur die Regel, sondern konstituiert den Normalfall, also auch Rechtsstaatlichkeit –, sondern in der im Namen des Staates bzw. Kollektivs begangenen Weigerung, im Handel mit Terroristen Menschenleben zu retten.

Den Bruch mit dieser nationalen Geschichte meidet auch Herzinger. Mehr noch. Bewusst oder unbewusst behält er sich die Verteidigung der deutschen Lösung dezidiert vor: „Ein allgemeingültiges Vorbild für den Umgang mit terroristischer Erpressung bietet der Fall Gilad Schalit in der Tat nicht. Die jeweils spezifische, quälende Abwägung, ob durch die Rettung eines Lebens nicht zu viele andere zu stark gefährdet werden könnten, bleibt freiheitlichen Gesellschaften auch in Zukunft nicht erspart.“

Da ist sie wieder: die „quälende Abwägung“, die mal zu diesem (Netanjahu), mal zu jenem Ergebnis (Schmidt) führen können soll. Jeder Journalist, Politiker und Fernsehzuschauer hat diese Formel drauf. Kaum einer fragt noch, was – die Rettung eines gegenwärtig und konkret bedrohten individuellen Lebens einmal zum allgemein und universal gültigen (und nicht bloß partikular-jüdischen) Imperativ erhoben – so „quälend“ daran sein soll, die bloß zukünftige und bloß abstrakte Gefährdung Vieler in Kauf zu nehmen; als könnte man sich dieser nicht mehr stellen, wenn es soweit ist, das heißt, sobald die zunächst spekulative Bedrohung gegenwärtig und konkret geworden ist. (4)

Für Helmut Schmidt war diese „quälende Abwägung“ aber ohnehin nie mehr als die menschelnde Verkleidung seiner Bereitschaft, dem (als Selbstzweck gesetzten) Staat menschliche Opfer darzubringen – und darin adäquater Ausdruck des postfaschistischen Schutz- und Trutzverbands, in dem, wie Johannes Agnoli schreibt, „der formale Schlagabtausch der einzelnen Gruppen untereinander nur die Äußerung eines ,ehrlichen Ringens’“, d.h. eines auf das Volksganze gerichteten Allgemein-Interesses darstellt.

Die „große ­Scheiße“ des Krieges

Jeder Staat – das wissen seine Kritiker seit Hobbes – ist ein Monster. Das gilt auch für den bürgerlich gezähmten Leviathan, erst recht in postfaschistischer Gestalt. Helmut Schmidt ist sein prototypisches Gesicht: die Charaktermaske schlechthin. Das Interview, das er anlässlich „30 Jahre Deutscher Herbst“ (gemeinsam mit seiner Frau Loki) Giovanni di Lorenzo von der Zeit gegeben hat, lässt diesbezüglich in wünschenswerter Klarheit keine Fragen offen. (5)

Der Begriff Postfaschismus hebt auf das Fortwesen des Faschismus (nicht gegen die, sondern) inder Demokratie ab – und Helmut Schmidt ist das ideale Medium dieses Fortwesens gerade, weil er kein Nazi, sondern als sozialdemokratischer ehemaliger Wehrmachtssoldat sogar Nazikritiker und beinahe gewöhnlicher Deutscher ist: „Ich habe mich weiß Gott wegen der Kiesinger-Regierung zu verteidigen. Es waren lauter ehemalige Nazis drin: Kiesinger war Nazi, Lübke war zumindest Mitläufer, Schiller war auch Mitläufer. Unter Adenauer strotzte das ganze Bundeskanzleramt vor Nazis – so war das. […] Ich bin wegen meines jüdischen Großvaters nie in Gefahr gewesen, ein Nazi zu werden. Dieser Zufall oder die Genealogie – möglicherweise nur der Zufall – hat mich davor bewahrt. Ansonsten war die Masse derjenigen, die dann nach 1949 die deutschen staatlichen Büros bevölkert haben, Nazi-Mitläufer – und einige waren schlimme Nazis. Am
schlimmsten waren diese Nazi-Mitläufer in der Justizverwaltung, als Richter wie als Staatsanwälte.“

Die gewöhnlichen postfaschistischen Züge paaren sich in Schmidt zudem mit einer unglaublichen Verlogenheit, die er wiederum selten durchhält, weil ihm seine zwanghafte – teilweise an Hollywood geschulte – Selbststilisierung zum großen und harten (Staats-)Mann großer und schwererEntscheidungen samt dem Maß an Menschenverachtung, das dazugehört, beständig in die Quere kommt: so beginnt er die Unterhaltung bzw. Plauderei mit der Behauptung, dass es ihm keineswegs schwer falle, über die „schicksalhaften Tage des Deutschen Herbst“ zu sprechen, er habe nur „keine Lust“ dazu, weil in den Medien ein Klima herrsche, das sich zu viel mit den Terroristen und zu wenig mit den Opfern beschäftige, während im weiteren Gesprächsverlauf herauskommt, dass er das Reden über die „Grenzerfahrungen seines Lebens“ sehr wohl ebenso genießt wie diese Grenzerfahrungen selber, und gerade die eigene Verhärtung gegens Leiden der Opfer für seine große staatstragende Leistung hält; so gehört das Eingeständnis von Mitschuld (am Tode Schleyers etwa) zwar einerseits zur staatsmännischen Inszenierung desjenigen, der mit den Konsequenzen seiner schweren Entscheidungen – freilich nach quälenden Abwägungen – auf ewig eine Last bzw. große Bürde zu tragen habe – „Schmidt: Ja, mir war natürlich immer klar, dass ich nicht nur in den Augen von Frau Schleyer oder ihres gemeinsamen Sohnes Hanns Eberhard Schleyer, sondern auch in meinen eigenen Augen mitschuldig war am Tode von Hanns Martin Schleyer. (spricht sehr leise) Das war mir immer klar. Das war mir auch klar in den ganzen Wochen, in denen wir ihn gesucht haben. Wenn es nicht gelingt, bist du selbst mitschuldig. – Zeit: Furchtbar, damit zu leben. – Schmidt: Es ist jedenfalls nicht leicht.“ – andererseits ist Helmut Schmidt natürlich alles andere als ein gefühlsduseliges Weichei. Konfrontiert mit den um ihr Leben bettelnden Opfern (6), also einer Tonbandaufnahme von Schleyers Stimme („Ich habe immer die Entscheidung der Bundesregierung, wie ich ausdrücklich schriftlich mitgeteilt habe, anerkannt. Was sich aber seit Tagen abspielt, ist Menschenquälerei ohne Sinn.“) und dem verzweifelten Funkspruch Gaby Dillmanns, Stewardess der entführten „Landshut“, an den deutschen Botschafter über den Flughafentower in Mogadischu („Ich habe nicht gewusst, dass es Menschen in der deutschen Regierung gibt, die mitverantwortlich sind. Ich hoffe, Sie können mit dieser Schuld auf Ihrem Gewissen leben.“), meint Schmidt zunächst: „Sie hat so gesprochen wie Schleyer auch. Das war doch selbstverständlich – so ist das Leben!“ – woraufhin er sich in ein Stahlgewitter hineinredet, das Ernst Jünger und Martin Heidegger auch nicht besser hinbekommen hätten:

Zeit: Aber wenn man die Not und Angst dieser Menschen spürt, wie kann man so unbeirrt bei seiner Position bleiben?

Schmidt: Wir waren ja erwachsene Männer und keine Jugendlichen. Wir hatten alle die Kriegsscheiße hinter uns. Strauß hatte den Krieg hinter sich, Zimmermann hatte den Krieg hinter sich, Wischnewski hatte den Krieg hinter sich. Wir hatten alle genug Scheiße hinter uns und waren abgehärtet. Und wir hatten ein erhebliches Maß an Gelassenheit bei gleichzeitiger äußerster Anstrengung der eigenen Nerven und des eigenen Verstandes. Der Krieg war eine große Scheiße, aber in der Gefahr nicht den Verstand zu verlieren, das hat man damals gelernt.

Zeit: Wenn Sie sagen, dass Sie im Krisenstab die Erfahrung des Krieges geeint habe, meinen Sie die Erfahrung des Todes?

Schmidt: Zum Beispiel. Die Erfahrung des Todes, die Erfahrung der Todesgefahr.

Zeit: Ist es auch die Erfahrung des Getötethabens?

Schmidt: (spricht sehr leise und verhalten) Das ist dasselbe.

Zeit: Danach waren Sie alle also erwachsen, abgehärtet?

Schmidt: Ja.

Zeit: Auch verroht?

Schmidt: Jeder Krieg bringt Verrohung mit sich, auf allen Seiten. (7)

Härte gegen Geiseln

Scheiße „abgehärtet“, gestählt und „erwachsen“ mit einem „erheblichen Maß an Gelassenheit“ erdulden zu können, ist aber nur das eine. (8) Das andere ist die Entscheidung zur „Position der Härte“ selber, die einem die Scheiße (in dem Fall: die Mitschuld) ja erst eingetragen hat. Diese erklärt sich laut Schmidt aus folgender Vorgeschichte: 1972 wurde ein deutsches Flugzeug entführt, um die inhaftierten Geiselnehmer der israelischen Olympia-Mannschaft freizupressen. Die Regierung Brandt ist auf den Deal eingegangen. 1975 kam es zur Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz, der gegen sechs gefangene Terroristen ausgetauscht wurde. Noch vor der tatsächlich erfolgten Freilassung von Lorenz will Schmidt beschlossen haben: „Das machst du nie wieder! Tatsächlich haben die in Berlin freigelassenen Leute weiterhin terroristische Taten begangen. Das war also schon die zweite geglückte Erpressung. Mir schwante, jetzt gibt es eine Kette von Entführungen und Erpressungsversuchen.“ Als dann Schleyer im September 1977 entführt wurde, hat Schmidt vier Stunden später eine etwa fünfminutige Erklärung abgegeben, die kurz zuvor im Bonner ARD-Studio aufgezeichnet worden war und – wie di Lorenzo meint – mit einem Satz für die Geschichtsbücher aufwartete: „Der Staat muss darauf mit aller notwendigen Härte antworten.“

Diese „notwendige Härte“ nun richtete sich vornehmlich allerdings gerade nicht gegen die Terroristen. Im Gegenteil: so mancher Vorschlag wurde und wird bis heute als Bruch mit dem Rechtsstaat, gar als faschistisch zurückgewiesen – und zwar nicht nur die kolportierten Ideen z.B. des Generalbundesanwalts Kurt Rebmann: das Grundgesetz dahingehend zu ändern, dass es möglich würde, Personen zu erschießen, die von Terroristen freigepresst werden sollen, oder etwa Franz Josef Strauß’: für jede erschossene Geisel einen RAF-Häftling zu töten (Schmidt: „Dann wäre ich aus der Haut gefahren. Ich hätte das niemals getan.“), auch der Vorschlag eines BND-Agenten für eine verdeckte Operation gegen den internationalen Terrorismus mit dem Ziel: „Liquidierung der europäischen Führungskader“ – also eine Strategie der Härte, welche z.B. die Israelis durchaus anwenden – sei, da sind sich di Lorenzo und Schmidt einig, mindestens „haarsträubend“ und einem demokratischen Staat unangemessen. Angemessen scheint es dagegen zu sein, wenn sich die „notwendige Härte“ gegen die Geiseln richtet, wenn der Staat also, um zu demonstrieren, dass er sich nicht erpressen lässt, bzw. solche Erpressung sich langfristig nicht lohnt, statt Terroristen verdeckt und systematisch zu liquidieren, lediglich ihren kurzfristigen Forderungen schlicht nicht nachgibt:

Zeit: Die Darstellung der Historiker ist demnach korrekt, dass Sie vom ersten Tag der Schleyer-Entführung an entschlossen waren, den Terroristen nicht nachzugeben?

Schmidt: Die Darstellung ist falsch, denn dazu war ich schon seit der Lorenz-Entführung entschlossen. Ich hatte ja danach auch in Stockholm nicht nachgegeben. Und ich wollte das auch in einem dritten oder vierten Fall nicht mehr tun.

Zeit: Sandra Maischberger haben Sie immerhin verraten: „Die enorme Verantwortung für das Leben anderer habe ich als existenziell bedrückend empfunden.“

Schmidt: (überlegt lange) Man kann auch auf Hamburgisch sagen: Das geht einem ans Magere.

„Die enorme Verantwortung für das Leben anderer“, die Schmidt auch an einer anderen Stelle des Interviews mit stolzgeschwellter Brust vor sich herträgt, ist dabei jedoch nur die zivilisatorische Verkleidung des Barbarischen, das sich schon im Verfallen aufs Provinzielle (hier aufs Hamburgische) ausdrückt und von Loki Schmidt dann auch klar formuliert wird: „Aber der Staat war auch bedroht, und das war uns – und meinem Mann natürlich noch mehr – genauso klar.“

Für die Schmidts kann aus den konkreten „anderen Menschen“ deshalb so schnell etwas Abstrakt-Unmenschliches wie „der Staat“ werden, weil sie da einfach keinen Unterschied erkennen, was sie gewissermaßen als Kenner ihres Grundgesetzes ausweist. (9) Schon Artikel 1 Abs. 1 spricht ja von der „Würde des Menschen“ statt: der Menschen. Letzteres allein würde alle Menschen, also die empirischen Individuen, „wie sie gehen und stehen“, meinen. Der Mensch an und für sich hingegen ist eine Realabstraktion, die im Souverän vergegenständlicht ist: dieser ist der allgemeine Mensch, der die besonderen Menschen sich subsumiert, indem er die Bestimmungen repressiver Allgemeinheit „den konkreten Individuen als juristische Fiktion (Marx)“ unterschiebt (ISF). Die Subjektform ist der Inbegriff aller ökonomisch gesetzten und politisch explizierten Anforderungen, denen die besonderen Individuen zu genügen haben und daher lautet die Wahrheit von Artikel 1 Abs.1 – wie bereits Johannes Agnoli kritisch anmerkte –: Die Würde des Staates ist unantastbar. Im Umkehrschluss wird damit die Würde der konkreten Individuen für Staatszwecke eben gerade: antastbar. Und als alter Soldat weiß Schmidt, dass es auch mit Artikel 2 Abs. 2 – „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ – nicht weit her ist. Denn das vom Staat (hier zwar „Jedem“ statt demMenschen) generös gewährte Leben impliziert unmittelbar zugleich die Pflicht zum Opfer für die Volksgemeinschaft – wie bereits das Grundgesetz etwa in den Bestimmungen über den „Mißbrauch“ von Grundrechten zum Kampf gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (Artikel 18) festlegt und wie es der V. Abschnitt des Strafgesetzbuches unter der Überschrift Straftaten gegen die Landesverteidigung ausführt: „Wer sich oder e
inen anderen mit dessen Einwilligung durch Verstümmelung oder auf andere Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder machen lässt, wird mit Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft“ (§ 109 StG und deshalb gilt: „Das immerhin weiß der Jurist, wenn er auch sonst nichts weiß: Es besteht kein Verfügungsrecht des Einzelnen über das eigene Leben.“ (ISF)

Die Bereitschaft zum Opfer

Denken und Handeln des Ehepaars Schmidt sind so beschaffen, als sollten die Bestimmungen der Souveränität, wie Hegel sie vorgenommen hat, unmittelbar als Gebrauchsanleitung gelesen und in die Tat umgesetzt werden. Zu Hegels Rechtsphilosophie schreibt Joachim Bruhn: „Der Staat darf, sagt Hegel, nicht nur als bürgerliche Gesellschaft betrachtet werden (Grundlinien § 324, Zusatz), sondern als die Nation in ihrer Grenze, die das Hingeben der persönlichen Wirklichkeit an den absoluten Endzweck, an die Souveränität des Staates (§ 328) impliziert.“ Es ist der Soldat, der in sich die widersprüchlichen Bestimmungen des Bourgeois und Citoyens „in äußerster Negativität“ versöhnt, d.h.: „den konkreten Egoismus mit dem abstrakten Altruismus des in der Form des Subjekts konstituierten Individuums, er verkörpert das Bereit­sein zur Aufopferung im Dienste des Staates (§ 327).“ Was bedeutet: „Das Wesen, das Hegel als ein affirmatives doch begründen wollte, entlarvt sich als Unwesen“, das mit allen Konsequenzen leib-seelisch zu verkörpern die Schmidts in „quälender Abwägung“ auf sich genommen haben. Die Härte gegen die mit dem Tode bedrohten Entführten geht deshalb bei ihnen nicht zufällig mit eben jener entschlossenen Bereitschaft zum Selbstopfer für das Monster Staat einher:

Loki Schmidt: Nach dem Überfall auf die Botschaft von Stockholm sind Helmut und ich im Dunkeln durch den Park gegangen. Nachdem wir uns über diese Sache unterhalten hatten, fassten wir den Entschluss: Wir gehen morgen zum Kanzleramtschef und lassen schriftlich niederlegen, dass der eine nichts Besonderes tun dürfe, um den anderen zu retten.

Schmidt: Wenn du schon darüber redest, dann musst du es auch exakt sagen. Dieser Vermerk muss heute noch in den Akten des Kanzleramts sein. Darin ist festgehalten: Falls Frau Schmidt oder Herr Schmidt gekidnappt werden sollte, soll der Staat nicht austauschen.

Zeit: Entschuldigung, aber das klingt furcht­bar: Zur Rettung eines geliebten Menschen muss man doch alles versuchen!

Schmidt: Ja, aber wir waren anders, weil ich Verantwortung trug für andere Menschen.

Loki Schmidt: Sie sind nie in dieser Situation gewesen!

Schmidt: Das ist auch nur eine Antwort auf Ihre Frage, ob wir uns bedroht gefühlt haben. Selbstverständlich waren wir bedroht. Und wir haben uns auch bedroht gefühlt.

Loki Schmidt: Aber der Staat war auch bedroht, und das war uns – und meinem Mann natürlich noch mehr – genauso klar.

Die Schmidts rechnen es einander natürlich als menschliche Größe an, und versuchen es di Lorenzo und den Zeit-Lesern ebenfalls einzureden: dass sie nämlich, wo sie schon bereit waren, andere für den Staat zu opfern, dann doch wenigstens so konsequent gewesen sind, sich selber davon nicht auszunehmen. Diese deutsche Konsequenz (Wer A sagt, muss auch B sagen) offenbart jedoch weder Humanes noch Empathisches, im Gegenteil: in ihr erst kommt der (post-)faschistische Staatsfetischismus zu seiner Vollendung (10) – vor allem, wenn die Bereitschaft zum Selbstopfer (für einen Staat, der um seiner selbst willen existiert) in der Selbststilisierung des staatstragenden Ehepaars auch noch für eine kathartische Versöhnung mit den Angehörigen der tatsächlichen Opfer herhalten soll:

Schmidt: Der Rechtsstaat hat nicht zu siegen, er hat auch nicht zu verlieren, sondern er hat zu existieren!

Zeit: Und was ist bei Ihnen zurückgeblieben?

Schmidt: Ich würde das wiederholen, was ich in der von Ihnen zitierten Rede vor 30 Jahren im Bundestag gesagt habe. Ich bin verstrickt in Schuld – Schuld gegenüber Schleyer und gegenüber Frau Schleyer und gegenüber den beiden Beamten in Stockholm – dem Militärattaché Andreas Baron von Mirbach und dem Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart, die umgebracht wurden.

Loki Schmidt: Ich weiß nur noch, dass kur
ze Zeit nach Stockholm die Frau des deutschen Botschafters in Bonn war und mich beinahe beschimpft hat. Da habe ich ihr von unserem nächtlichen Spaziergang erzählt und dem, was wir schriftlich festgelegt haben. Da hat sie mich ganz groß angeschaut und ist mir plötzlich um den Hals gefallen. Und sie hat verstanden, dass alles etwas anders aussieht, wenn man mittendrin steckt. Sie hat nichts Böses mehr gesagt.

Mit der „Verstrickung in Schuld“ lässt sich also nicht nur gut leben. Schmidt versteht es, sie zu genießen. Die tragische Größe eines historischen Staatsmannes wäre ohne eine solche Verstrickung sowieso nicht zu haben. Den Opfern weiß er sich über die Gewissheit verbunden, dass er sich auch selbst geopfert hätte und seinen Kritikern malt er aus, wie er als ganz einsamer Wolf gelassen abwägend eine schwere Entscheidung habe treffen müssen, für die es keinen moralischen Kompass gegeben hätte, an dem Orientierung zu finden gewesen wäre, und wie er sich nichtsdestoweniger zu einer Lösung entschlossen durchrang, die völlig alternativlos sei: „Hören Sie, auf die Fragen, ob man Lorenz rauskaufen soll dadurch, dass man Terroristen freilässt; ob man Botschafter und Botschaftsangehörige freikaufen soll dadurch, dass man Verbrecher rauslässt; ob man Schleyer freikaufen soll dadurch, dass man Verbrecher rauslässt; oder ob man Menschen in einem Flugzeug freikauft dadurch, dass man Verbrecher rauslässt, die dann neue Verbrechen begehen – auf all diese Fragen findet sich im Grundgesetz keine Antwort und auch nicht in der Bibel, und im Koran und in der Thora auch nicht!“

Jeder Satz eine Lüge. Schmidts Entscheidung zur Härte gegen die Geiseln war alles andere als vorbildlos. Er handelte – wie gezeigt – durchaus grundgesetzkonform und reduzierte dabei die Hegelsche Staatsphilosophie praktisch auf blanke Affirmation. Und auch eine jede auf den Koran gegründete (Staats-)Moral würde Schmidt Recht geben. Auf der andern Seite der Lüge: Israel, Netanjahu, seine Vorgänger und die Bevölkerung beweisen, dass man hätte auch anders handeln können, anders handeln kann und muss. Den moralischen Kompass dazu findet man sehr wohl (aber nicht nur) in der religiösen Tradition des Judentums, und zwar (nicht bloß) im von Herzinger angesprochenen Pikuach Nefesh. Auch vom Christentum hätte Schmidt wissen können, dass Gott nach dem Selbstopfer Jesu keinen Gefallen mehr an Opfern hat. Nicht zuletzt wäre auch der Kategorische Imperativ des Bürgers und Aufklärers Kant konsultierbar gewesen: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ – wenn auch die hier säkular gedachte Versöhnung zwischen dem Partikularsten und dem Universalen auf den berühmten – inzwischen zum Standard-Kitsch Hollywoods verkommenen – Satz aus dem Talmud zurückgeht: „Deshalb ist Adam als Einzelner geschaffen worden, um dich zu lehren: Wer einen einzigen Menschen vernichtet, hat nach der Schrift die ganze Welt vernichtet: wer einen einzigen Menschen am Leben erhält, hat eine ganze Welt erhalten.“ (Mischna, Sanhedrin, IV,5)

Doch für eine humane, vernünftige und eben darin anti-tragische Entscheidung wie diejenige Netanjahus ist einer wie Schmidt (und mit ihm so viele Deutsche) doch nicht durch die „Scheiße des Krieges“ gewatet.

Thomas Maul (Bahamas 63/2012)

Anmerkungen:

 1) Gesetzt: es gibt die technische Möglichkeit, den „point of no return“ eines Flugzeuges präzise zu bestimmen, das heißt die Grenze, nach deren Überschreiten das Flugzeug dem Hochhaus nicht mehr ausweichen kann, dann wären die Insassen ab diesem Moment ohnehin des Todes. Das Flugzeug vom Himmel zu holen, auch wenn 150 Passagiere gegen nur einen Einzelnen stehen sollten, der sich im Hochhaus aufhält, ist also keine komplizierte Frage, die quälendes Abwägen verlangte. Ebenso selbstverständlich wäre, dass die Insassen des Flugzeugs vor Überschreiten dieser Grenze nicht anzutasten sind. Wer derartige Szenarien und Planspiele dagegen endlos hin und her wälzt, tut es also nicht aufgrund der vermeintlichen moralischen Komplexität der Sache, sondern weil er Vergnügen am gedanklichen Spiel mit Menschenleben hat.

 2) Thomas v. d. Osten-Sacken verweist in seinem Jungle-Blog (18.10.11) auf die Notwendigkeit eines solchen Vergleichs, führt ihn aber selbst nicht aus.

 3) Dass die Deutschen bei der Rettung Gilad Schalits als Vermittler eine wichtige Rolle spielten, ehrt sie zwar durchaus, ist aber keine Garantie dafür, dass sie von nun an wie die Israelis handeln würden.

 4) Auch wenn – worauf z.B. Caroline Glick in einem Artikel für die Jerusalem Post vom 14.10.2011 hinweist – alle Statistiken dafür sprechen, dass freigelassene Terroristen wieder aktiv werden, bleibt dies eine abstrakte Gefährdung. Sicher: nicht jeder Freigelassene wird sich Umbesinnen oder einen Herzinfarkt erleiden oder einer gezielten Liquidierung der Israelis zum Opfer fallen. Man weiß, es könnten künftig wieder Israelis Opfer von Terroranschlägen werden, man weiß nicht wie viele und wer genau, man weiß auch nicht, wie viele dieser Anschläge man wird verhindern können. Man hat diesen in der Gegenwart abstrakten Größen gegenüber aber eben eine andere moralische Verantwortung als gegenüber dem konkreten bedr
ohten Leben, das nicht zu retten, obwohl man konnte, einen sehr persönlich schuldig werden lässt. 
Nochmal: „The only thing we don’t know about these future victims is their names“, heißt es in Glicks Artikel. Weil man aber Gilads Namen kennt, galt für ihn umso mehr, was Glick zu den Namenlosen ­schreibt: „But we know what will become of them as surely as we know that night follows day.“

 5) Alle folgenden Helmut- und Loki-Schmidt-Zitate aus: Die Zeit, 30.08.2007, Nr. 36 (Deutscher Herbst. „Ich bin in Schuld verstrickt.“ Mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer vor 30 Jahren erreichte der RAF-Terror seinen Höhepunkt. Der Staat ließ sich nicht erpressen. Ein Gespräch mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt über die Grenzerfahrungen seines Lebens); www.zeit.de/2007/36/Interview-Helmut-Schmidt

 6) Es spielt für eine Analyse der Haltung Schmidts keine Rolle, dass das Opfer Schleyer als alter SS-Mann nicht solidaritätswürdig ist und die meisten Leidtragenden der Landshut-Entführung später unversehrt befreit wurden.

 7) Von den Spezifika des nationalsozialistischen Krieges – dem Vernichtungskrieg im Osten und dem Holocaust – will Schmidts allgemeine „Kriegsscheiße“ natürlich nichts wissen. Er ist hier so postfaschistisch wie die Präambel des Grundgesetzes. Vgl. dazu: ISF: Der Staat des Grundgesetzes, auf: http://www.ca-ira.net/isf/beitraege/isf-staat.grundgesetz.html

 8) Eine „Größe“, die die Geiseln des entführten Flugzeugs im Gegensatz zu Schmidt nicht aufbrachten. So vergiftet seine zynische Stahlgewitter-Fäkal-Sprache noch den leisesten Anflug von Empathie mit den Opfern: „Die armen Menschen, die in dem Lufthansa-Flugzeug auf dem Flughafen von Mogadischu standen, mit dem Tode bedroht – die Lokusse des Flugzeuges längst vollgeschissen, alle verkabelt und zur Sprengung vorbereitet. Dann wurde ihnen Alkohol über die Köpfe und über die Kleidung gegossen, damit sie schön brennen. Die haben natürlich die deutsche Regierung verdammt, an sie appelliert, alles Mögliche von ihr erwartet und uns für ihre Mörder gehalten oder zumindest für die Verursacher ihrer Not, in der sie sich befanden.“

 9) Vgl. zum Folgenden: ISF (a.a.O.) und Joachim Bruhn: Subjektform ist die Uniform, auf: www.ca-ira.net/isf/beitraege/bruhn-subjektform.uniform.html

 10) In seinem Aufsatz Erziehung nach Auschwitz sieht Adorno im Härte-Kult der traditionellen Erziehung sogar eine „Vorform der nationalsozialistischen Gewalttat“, dem daher entschieden entgegenzuarbeiten wäre: „Das Erziehungsbild der Härte, an das viele glauben mögen, ohne darüber nachzudenken, ist durch und durch verkehrt. […] Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll, bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer gar nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte, die er verdrängen musste. Dieser Mechanismus ist ebenso bewusst zu machen wie eine Erziehung zu fördern, die nicht, wie früher, auch noch Prämien auf den Schmerz setzt und auf die Fähigkeit, Schmerzen auszuhalten.“ (Stichworte. Kritische Modelle 2, Ff/M 1969, 93)

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