Veraltet, verdreht und völlig einseitig: Israel in Schulbüchern

Kein Staat wird in Deutschland so kritisch gesehen wie Israel. Obwohl er die einzige Demokratie im Nahen Osten ist und Herausragendes in Bereichen wie Medizin, Telekommunikation, Softwareentwicklung oder erneuerbare Energien leistet, hält eine Mehrheit hierzulande den jüdischen Staat für die größte Bedrohung für den Weltfrieden. Außerdem traut man ihm zu, an den Palästinensern Verbrechen zu begehen, die mit denen der Nazis an den Juden vergleichbar sind. Woher kommt dieses ausgesprochen schlechte Image?

Die Grundlagen dafür werden vermutlich schon in der Schule gelegt. Die drei großen Schulbuchverlage, Klett, Westermann und Cornelsen, haben allesamt ausführliche Materialien zum Nahost-Konflikt im Angebot, den Schülern wird dabei ein einseitiger Blick auf diesen Krisenherd vermittelt, der die israelische Seite zum Täter macht und die palästinensische zum Opfer. Zum Teil werden Texte verwendet, die Anfang der Neunzigerjahre geschrieben wurden und darum hoffnungslos veraltet sind, andere Beiträge stecken voller historischer Fehler und Verdrehungen.

Jeder der großen Verlage hat ein Buch auf dem Markt, welches sich ausführlich mit dem Nahost-Konflikt beschäftigt. So ist von Cornelsen “Forum Geschichte 12” in Umlauf, das diesem Thema 50 Seiten Platz einräumt, die es in sich haben. Israel wurde auf “arabischem Land” gegründet, und einer einflussreichen jüdischen Lobby gelang es, die westliche Welt für die Zweistaatenlösung zu gewinnen. Ausführlich wird auf die Flüchtlingsproblematik eingegangen, wobei diese sich auf die Araber reduziert, dass auch Juden vertrieben wurden, bleibt unerwähnt. Als nach der israelischen Staatsgründung arabische Armeen in Israel einfielen, äußerte die Arabische Liga die Hoffnung, dass unter den Juden ein Gemetzel angerichtet wird, welches an die der Kreuzritter und Mongolen heranreicht. Die Schüler lesen eine andere Version: “Die Freiwilligen- und regulären Armeen aus den arabischen Ländern intervenierten erst, als dieser Prozess [die Vertreibung der arabischen Bevölkerung] in vollem Gange war und sich herausstellte, dass die Palästinenser ihm weitgehend hilflos ausgesetzt waren.” So wird bei Westermann aus einem gescheiterten Vernichtungskrieg eine humanitäre Intervention.

Ebenso wie die Staatsgründung wird auch die nähere Vergangenheit Israels tendenziös dargestellt. Die zweite Intifada, die im Jahr 2000 begann, wird als “Aufstand der Bevölkerung in der Westbank und im Gazastreifen” vorgestellt, deren Auslöser Ariel Scharons Besuch auf dem Tempelberg gewesen sein soll. Dabei ist längst bekannt, dass die zweite Intifada monatelang vorbereitet wurde und dieser Besuch nur der Vorwand war, um mit dem Terror gegen die israelische Bevölkerung zu beginnen. Kein Wort findet sich dazu, dass Arafat noch kurz vor Beginn der zweiten Intifada ein weitreichendes Friedensangebot ablehnte. Überhaupt werden israelische Friedensbemühungen unterschlagen. So heißt es an einer anderen Stelle, dass weder die israelische noch die palästinensische Führung bereit waren, für einen Frieden das “Risiko einer Konfrontation mit ihren innenpolitischen Widersachern einzugehen.” Für die israelische Seite stimmt das nicht, denn die Räumung der Siedlungen im Gazastreifen war genau eine solche Konfrontation, die das Land spaltete und heftig umstritten war.

Ebenfalls knapp 50 Seiten lang ist “Horizonte 12” von Westermann. Wie jedes andere Schulbuch auch, musste es eine mehrmonatige Prüfung durch Verlag, Ministerium, Lektoren und Gutachter durchstehen. Ohne Beanstandung blieb dabei, dass die Palästinenser systematisch als Opfer dargestellt werden. Sie greifen nie aus taktischen Gründen zum Terror, sondern immer “unter Druck” oder wenn sie ihre Sache als “verraten und perspektivlos erkannten”. Selbstmordattentate sind keineswegs das Ergebnis religiösen Wahns, sondern die Folge “schlechter wirtschaftlicher Lage”, und der Mufti von Jerusalem, der als Freund Adolf Hitlers die Endlösung der Judenfrage unterstützte, wurde von den Nazis “geschickt instrumentalisiert”. Berechnend ist hingegen der “jüdische Terror”, der mit “gezielten Aktionen” für die Flucht vieler Araber sorgte. Juden begehen ihre Massaker kühl kalkulierend, Araber aus der Not heraus. Wo palästinensischer Terror nicht ignoriert werden kann, wird er zumindest verharmlost. Über den Anschlag auf die Olympischen Spiele von 1972 in München liest man, dass “eine palästinensische Terrorgruppe einen Teil der israelischen Olympiamannschaft in ihre Gewalt brachte”. Kein Wort dazu, dass die Geiseln alle umgebracht wurden. In strittigen Punkten wird die palästinensische Sichtweise oft direkt übernommen. Israelisch-jüdische Einwohner von Ost-Jerusalem werden als Siedler bezeichnet, und die größten Hürden für einen möglichen Frieden sind “die Verteilung der Wasser-Ressourcen, die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge, die Zukunft der jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten sowie der Status von Jerusalem.” Nicht auf die Liste der Friedenshindernisse haben es der palästinensische Terrorismus und die Charta der Hamas geschafft, die zur Vernichtung Israels aufruft und Friedensgespräche mit dem jüdischen Staat grundsätzlich ablehnt.

Im Buch “Thema Geschichte – Der Islam” vom Schroedel Verlag, der wiederum zur Westermann Verlagsgruppe gehört, erfährt der Schüler, dass die Israelis den Palästinensern “unermessliches Leid” zufügen. Laut diesem Buch sind außerdem “ca. 1 Million” Araber vor den Israelis geflohen, womit sogar die offiziellen Zahlen der Generaldelegation Palästinas in der Bundesrepublik Deutschland in den Schatten gestellt werden, die von 700 000 spricht. Historiker gehen wiederum zumeist von 500 000-750 000 Flüchtlingen aus. Die Millionenmarke knackt Schroedel exklusiv.

Auch Klett informiert auf ähnlichem Niveau. Das Heft “Nahost – Der Kampf um das Heilige Land”, 58 Seiten dick, bemüht sich offiziell, ebenfalls nicht Partei zu ergreifen – und ergreift sie eben doch. Die zweite Intifada geht auch hier auf das Konto der Israelis. Allerdings geht Klett noch einen Schritt weiter und behauptet, die Intifada sei die “Reaktion auf die Sackgasse, in der die PLO angesichts der Unnachgiebigkeit Israels festsaß”. Bei dieser angeblichen Unnachgiebigkeit handelte es sich um ein Friedensangebot der Israelis, welches Arafat im Sommer 2000 vorgelegt wurde und das sogar arabische Beobachtern als überraschend großzügig bezeichneten. Arafat lehnte ab und startete die zweite Intifada. Er beantwortete ein Friedensangebot mit Krieg, und Klett macht daraus israelische Unnachgiebigkeit.

In keinem Schulbuch wird Antisemitismus als ein Antrieb für den irrationalen Hass auf die Juden erwähnt, dabei ist der Nahost-Konflikt für die Hamas kein territorialer Konflikt, sondern ein religiöser Kampf gegen das Judentum und für die Errichtung eines Gottesstaates. Israel die Hauptschuld am Konflikt zu geben und die palästinensische Seite pathologisch aus der Verantwortung zu nehmen nähert die Schüler zwar erfolgreich an die deutsche Mainstream-Meinung in Bezug auf den Nahost-Konflikt an, aber eben auf Kosten der Realität.

Cornelsen, Westermann und Klett, die 90 Prozent des deutschen Schulbuchmarktes unter sich aufteilen, sehen dennoch keinen Anlass, ihre Präsentationen kritisch zu hinterfragen. “Zentrales Anliegen eines modernen Geschichtsunterrichts”, erklärt Cornelsen, “ist es, die Schüler zu einem vertieften und reflektiertem Umgang mit Geschichte zu befähigen.” Ein Wort, das dabei immer wieder fällt, lautet Multiperspektivität. Es gibt nicht die eine richtige Deutung eines Ereignisses, sondern verschiedene, und sie sollen alle berücksichtigt werden, das ist Multiperspektivität. Eine Wertung findet nicht statt, jeder darf sich die Version aussuchen, die ihm gefällt. Nach dieser Logik müssten auch die Sichtweisen von Stasi-Mitarbeitern und Stasi-Opfern im Geschichtsunterricht ohne Wertung präsentiert werden.

Man darf vermuten, dass die Terrororganisation Hamas weniger am Niveau der deutschen Schulbücher auszusetzen hätte als die israelische Seite

Autor: Gideon Böss, Die Welt 22.09.2011

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