Buchbesprechung von Tobias Hof
Unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung war in der Öffentlichkeit von einer engen Kooperation zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und der Roten Armee Fraktion (RAF) die Rede. Aufgrund der schwierigen Quellenlage fehlt zwar bislang eine umfassende Monografie über dieses Thema, aber Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen haben sich in zahlreichen Aufsätzen über die möglichen ideellen und materiellen Verbindungen zwischen dem DDR-Geheimdienst und den westdeutschen Terroristen geäußert. So besteht mittlerweile ein breiter Konsens darüber, dass die vermutete aktive Förderung der RAF durch das MfS überschätzt wurde. Vielmehr nahm das MfS gegenüber den Terroristen wohl eine passive Rolle ein, indem Terroristen die Durchreise gewährt wurde oder Aussteiger in die Gesellschaft der DDR integriert wurden.
Im Jahr 2008 legte Robert Allertz sein Buch “Die RAF und das MfS” vor. Allertz, Diplomjournalist und Reserveoffizier, ist als freier Publizist tätig und steht dem “Insiderkomitee zur Förderung der kritischen Aneignung der Geschichte des MfS” nahe, das Mitarbeiter des MfS ins Leben gerufen haben. Das Buch beinhaltet Interviews, die er mit ehemaligen Mitarbeitern des MfS führte und Aufsätze, die unter anderem von Gerhard Neiber, dem ehemaligen Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit, und Gerhard Plomann, einem engen Mitarbeiter Neibers, stammen. Abgeschlossen wird das Werk durch einen von Allertz verfassten Nachruf auf Neiber, der am 13. Februar 2008 verstarb. Aufgrund der gesamten Anlage des Buches muss Allertz mehr als Herausgeber denn als Verfasser gelten.
Dem vom Titel suggerierten Thema widmen sich die verschiedenen Beiträge freilich kaum und wenn, so wird eine aktive Zusammenarbeit zwischen MfS und RAF stets verneint. Lediglich die Aussteigerprogramme “Stern I” und “Stern II” werden näher beschrieben: Ehemalige Terroristen erhielten die Staatsbürgerschaft der DDR sowie neue Identitäten. Sie wurden nicht an die Bundesrepublik ausgeliefert, da zwischen beiden deutschen Staaten kein Rechtshilfeabkommen bestanden habe und eine Auslieferung von Staatsbürgern der DDR ein Bruch der Verfassung gewesen wäre.
Wesentlich mehr Informationen bietet das Buch über die internationale terroristische Szene nach dem Olympiaattentat von 1972, wie sie das MfS wahrnahm, und über die Gegenmaßnahmen, die das Ministerium einleitete. Dabei werden Einblicke in die strukturellen Veränderungen der Behörde und in die Vorstellungen über den Terrorismus geboten, den man als gesellschaftliche Folge von Kapitalismus und Imperialismus definierte – gezielt gesteuert von den westlichen Geheimdiensten, um die Errichtung eines Polizeistaats zu rechtfertigen. Mit den “humanistischen Grundanliegen des Sozialismus” (84) sei der Terrorismus hingegen unvereinbar gewesen. Ferner sei wegen der Wachsamkeit des MfS, den gesellschaftlichen Verhältnissen und der Wachsamkeit der Bürger die terroristische Gefahr in der DDR gering gewesen. Dieses Interpretationsmuster wird auch nicht verlassen, wenn Bezug zu Ereignissen vom Zweiten Weltkrieg bis heute genommen wird: So sei unter anderem der Staatsterror des stalinistischen Regimes eine legitime Abwehrreaktion gegen subversive, vom Westen unterstützte Gruppen gewesen. Auch die Geschehnisse nach dem 11. September 2001 würden beweisen, dass Krieg und Terror die zentralen politischen Mittel des Westens seien. Denn schließlich gebe es keinen “Unterschied zwischen dem Überfall auf den Sender Gleiwitz und den auf ein Hochhaus der Hochfinanz.” (71)
Den Anspruch, Fakten von Fiktionen zu trennen, erfüllt das Buch zu keiner Zeit. Es liefert weder neue Erkenntnisse, noch werden die teils abstrusen Thesen stichhaltig belegt. Auch die angekündigten Dokumente bleibt Allertz schuldig. Die abgebildeten Fotokopien von Akten der Bundesbehörde für die Stasiunterlagen sollen diese Lücke scheinbar kaschieren, enthalten jedoch keinerlei verwertbaren Informationen. Die vielfach zitierte Sekundärliteratur – unter anderem von Andreas von Bülow und Gerhard Feldbauer [1] – ist darüber hinaus in der Forschung umstritten.
Allertz bietet in erster Linie führenden Funktionären des Ministeriums für Staatssicherheit eine Plattform, um ihre einstige Arbeit zu rechtfertigen und in ein positives Licht zu rücken. Ziel des Buches ist es, das MfS als einen “ganz normalen Geheimdienst” darzustellen, seine Arbeit und Mitarbeiter zu rehabilitieren und ihn gegenüber den westlichen Geheimdiensten moralisch zu überhöhen. Des Weiteren ist eine Sympathie mit den sozialrevolutionären terroristischen Gruppen in ihrem Kampf gegen den bundesdeutschen “Polizeistaat”, der immer wieder als Erbe des ‘Dritten Reiches’ dargestellt wird, zu erkennen. Eine derart euphemistische und ideologisch gefärbte Darstellung wirkt heute nicht nur deplatziert und anachronistisch, sondern lässt die Forschungsliteratur über die DDR und die Arbeit des MfS vollkommen außer Acht.
Der ideologisch verklärende Blick beschränkt sich zum allgemeinen Ärgernis jedoch nicht nur auf die Arbeit des DDR-Geheimdiensts. Vielmehr werden gebetsmühlenartig Verschwörungstheorien zu den Ereignissen seit 1945 ohne Belege angeführt. Dabei zeugt die Äußerung von Allertz, dass ein Anschlag wie in New York in der DDR dank der Arbeit des MfS nicht möglich gewesen wäre, nicht nur von einer ebenso naiven wie verzerrten Weltsicht, sondern auch von seiner Unkenntnis über den internationalen Terrorismus.
Trotz dieser großen Schwächen liefert das Buch zwischen den Zeilen vereinzelt interessante Einblicke in die Organisationsstruktur des Ministeriums für Staatssicherheit. So wird detailliert der Aufbau der Hauptabteilung XXII geschildert, die mit der Abwehr des Terrorismus betraut war. Auch die Darstellung der Aussteigerprogramme besitzt Substanz. Die These von ihrer herausragenden Bedeutung für das Ende der RAF, wie dies insbesondere Neiber und Plomann behaupten, ist mit Sicherheit nicht haltbar, sollte aber nicht gänzlich als bloße Propaganda abgetan werden. Denn gerade das Beispiel der Anti-Terrorismus-Politik Italiens zeigt, dass die gesellschaftliche Reintegration ehemaliger Terroristen ein wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Gegenstrategie sein kann.
Die wenigen positiven Eindrücke können die Mängel des Buches bei Weitem nicht abmildern geschweige denn ausgleichen. Wer sich über die Kooperation zwischen MfS und RAF einen Überblick verschaffen möchte, kann dieses Buch getrost übergehen. Ihm seien lieber Arbeiten anerkannter Experten wie Tobias Wunschik oder Michael Ploetz empfohlen. [2] Wer jedoch einen Eindruck darüber gewinnen möchte, wie ehemalige Mitarbeiter des MfS versuchen, ihre einstige Arbeit zu verklären und sich zu rehabilitieren, dem wird es nicht erspart bleiben, sich mit diesem Band auseinanderzusetzen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Andreas von Bülow: Im Namen des Staates – CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste, München 1998; Gerhard Feldbauer: Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA, Köln 2000.
[2] Tobias Wunschik: Das Ministerium für Staatssicherheit und der Terrorismus in Deutschland, in: Diktaturen in Europa im 20. Jahrhundert – der Fall DDR, hg. von Heiner Timmermann, Berlin 1996, 289-302; Michael Ploetz: Mit RAF, Roten Brigaden und Action Directe. Terrorismus und Rechtsextremismus in der Strategie von SED und KPdSU, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 22 (2007), 117-144.
Source: http://www.sehepunkte.de/2009/05/15516.html