Warum LehrergewerkschafterInnen in der Türkei verfolgt werden
von Manfred Brinkmann, Referent für Internationales beim GEW-Hauptvorstand
Das war ein richtiger Schock, als ich nachts von der Polizei auf der Fahrt von Istanbul nach Ankara aus dem Bus heraus verhaftet wurde«, berichtet Gülcin Isbert. Die Lehrerin und ehemalige Frauensekretärin der türkischen Bildungsgewerkschaft Egitim Sen sowie weitere 29 Gewerkschafter wurden im Mai 2009 in verschiedenen Städten der Türkei ohne Angabe von Gründen festgenommen und ins Gefängnis nach Izmir gebracht.
Ein halbes Jahr dauerte es, bis endlich der Prozess begann. Nicht zum ersten Mal wird Egitim Sen vom türkischen Staat verfolgt. Bereits in den neunziger Jahren war die Bildungsgewerkschaft von Verbot bedroht, weil sie für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage und für das Recht auf muttersprachlichen Unterricht eintritt.
Vor dem Strafgerichtshof in Izmir wird den Angeklagten vorgeworfen, Terroristen zu sein und unter dem Deckmantel gewerkschaftlicher Tätigkeit für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu arbeiten. Dies wird von den Gewerkschaftern vehement bestritten. Wohl auch wegen der zahlreichen internationalen Beobachter, die zum Prozessauftakt im November 2009 nach Izmir gereist waren, um Solidarität zu zeigen und Öffentlichkeit herzustellen, hob das Gericht nach zwei Verhandlungstagen den Haftbefehl überraschend auf. Die Anklage besteht jedoch fort. Vier weitere Prozesstermine haben seitdem stattgefunden – ohne ein Urteil. Gülcin Isbert und die anderen Mitangeklagten müssen sich regelmäßig polizeilich melden und dürfen die Türkei nicht verlassen.
Veranstaltung in Berlin
Der Prozess gegen die LehrerInnen der Egitim Sen ist kein Einzelfall. Unabhängige und starke Gewerkschaften werden von der türkischen Regierung weiterhin als Gefahr wahrgenommen und nicht als Teil einer demokratischen Gesellschaft akzeptiert. Aktive Gewerkschafter werden verfolgt, entlassen, angeklagt und mit Gefängnisstrafen belegt. Gewerkschaftlich engagierte Lehrer werden vom Staat zur Strafe oft in abgelegene Regionen versetzt. Das Streikrecht ist vielen Arbeitnehmern versagt, insbesondere Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Obwohl von der Europäischen Union im Zuge der Beitrittsverhandlung mit der Türkei bereits mehrfach angemahnt, hat das türkische Parlament bis heute kein neues Gewerkschaftsgesetz verabschiedet, das den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) entspricht.
Auf Einladung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Friedrich-Ebert-Stiftung haben die vier Egitim Sen Gewerkschafter Unsal Yildiz, Abdullah Karahan, Ecevit Odabasi und Hasan Olgun in der Zeit vom 18. bis 29. September in Deutschland besucht, um über die Situation in der Türkei und die Arbeit ihrer Gewerkschaft zu berichten.