Wilhelm Stuckart – Der normale Beamte = SS


Der normale Beamte

Diesem Buch – viel zu teuer, in einem wissenschaftlichen Verlag erschienen – droht das übliche Schicksal: dass es in einer Handvoll Bibliotheken verstaubt. Und dabei hätte es alle Aufmerksamkeit verdient. Der Autor Hans-Christian Jasch, selber ein Beamter, hat sich Leben und Wirken eines typischen deutschen Beamten vorgenommen, eines Rechtsanwalts und Richters, der im Innenministerium des „Dritten Reiches“ rasch zum Staatssekretär aufstieg und es von 1943 an, als es von Heinrich Himmler übernommen wurde, faktisch führte. 
Dieser Wilhelm Stuckart, der an der Entstehung der „Nürnberger Gesetze“ beteiligt war und sie zusammen mit dem Oberregierungsrat Hans Globke kommentierte, dieser Stuckart, der früh in die NSDAP eingetreten war und in der SS den Rang eines Obergruppenführers erreichte, der an der Wannseekonferenz teilnahm und die Tötung angeblich minderwertigen Lebens so fanatisch unterstützte, dass er sogar sein eigenes Kind in die Mordmaschine gab, weil dieser Sohn den Standards des staatlichen Rassewahns nicht entsprach, dieser mustergültige Beamte konnte sich nach Kriegsende auf ein Entlastungskartell von Kollegen verlassen, die ihrerseits auf die Fortsetzung ihrer Laufbahn in der endlich demokratischen Bundesrepublik hoffen durften. Globke brachte es zum Staatssekretär Adenauers, für den er erfolgreich und beamtenfleißig die Geschäfte führte.
Sein ehemaliger Vorgesetzter Stuckart, den Jasch als „juristischen Täter“ be-greift, war ein gewöhnlicher Rassist und stritt nach 1945 eine Kenntnis vom Massenmord ab. Dafür wurde er als „Mitläufer“ eingestuft und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, die er mit Rücksicht auf seine angegriffene Gesundheit nicht antreten musste. Ehe er noch aktiver in der NS-Nachfolgepartei SRP werden konnte, starb Stuckart 1953 bei einem Unfall, allerdings nicht, ohne sich noch beamtenrechtliche Versorgungsbezüge erstritten zu haben.
Jasch lässt in seinem Buch größte Gerechtigkeit walten, er billigt Stuckart zu, dass ihn manchmal doch das Gewissen schlug; aber er kann nicht anders, als in Stuckart den typischen Beamten zu sehen, der karrierebewusst mitmachte und hinterher das Schlimmste verhindert haben wollte. 
WILLI WINKLER
HANS-CHRISTIAN JASCH: Staatssekretär Wilhelm Stuckart und die Judenpolitik. Der Mythos von der sauberen Verwaltung. Oldenbourg, München 2012. 536 Seiten, 74,80 Euro.

SZ, Feb 2012

Source: http://sz-shop.sueddeutsche.de/mediathek/shop/Produktdetails/Buch+Staatssekretaer_Wilhelm_Stuckart_und_die_Judenpolitik+Hans-Christian_Jasch/7139272.do;jsessionid=769DAAAD63262992D3068812D941E0BC.rilke:9009?extraInformationShortModus=false&currentExtraInformationTab=%3E–