“Deutschland kann die Euro-Zone nicht retten”

Der Max-Planck-Ökonom und wissenschaftliche Chefberater des Bundesfinanzministeriums, Kai A. Konrad, fürchtet, dass sich das Gefälle in der wirtschaftlichen Dynamik innerhalb Europas erheblich verstärkt. Im Krisenfall solle Deutschland aussteigen. Die Furcht vor einer Katastrophe für die deutsche Wirtschaft hält Konrad für übertrieben. Im Gegenteil, hiesige Unternehmen könnten gestärkt daraus hervorgehen.

Die Welt: Herr Konrad, die Bundesregierung hat alle wichtigen Entscheidungen zur Euro-Krise auf die Zeit nach den Bundestagswahlen verschoben. Werden die Wähler gerade hinters Licht geführt?

Kai A. Konrad: Ich glaube eher an ein Weiter-so nach der Wahl. Die Politik versucht seit Ausbruch der Schuldenkrise Einschnitte aufzuschieben und alle Probleme einfach in die Zukunft zu verlagern.

Die Welt: Angesichts des hohen Schuldenstandes halten fast alle Ökonomen einen Schuldenschnitt für unausweichlich.

Konrad: Die Griechen haben eigentlich genug Vermögen, um selber für ihre Schulden geradezustehen. Aber an das Vermögen kann oder will man nicht heran. Ein erneuter Schuldenschnitt ist deshalb sicher eine Option.

Die Welt: Anfang 2014 wird Griechenland nach Einschätzung der Bundesbank ein drittes Hilfspaket benötigen. Wird das Land damit endgültig zu einem Fass ohne Boden?

Konrad: Das ist Griechenland bereits, weil niemand je einen Boden eingezogen hat. Die Schuldenquote steigt, auch weil die Wirtschaftsleistung dahinschmilzt. Und trotzdem macht die Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds die immer gleichen realitätsfernen Wachstumsprognosen für das Land.

Die Welt: Sollte Griechenland zumindest temporär aus dem Euro aussteigen?

Konrad: Nein. Die dann wegen der Währungsabwertung höheren Auslandsverbindlichkeiten würden das Land erdrücken. Wenn man die Währungsunion aufbrechen will, sollte man dies an der Nordgrenze tun. Wenn, dann muss Deutschland aus dem Euro raus.

Die Welt: Deutschland soll zum dritten Mal Europa in die Luft sprengen? Das wird keine Bundesregierung je tun.

Konrad: Der Euro ist nicht Europa. Europa sollten wir retten, nicht den Euro! Deutschland kann zwar aus politischen Gründen aus dem Euro nicht selbst aussteigen. Die anderen Länder könnten Deutschland aber dazu drängen. Dazu kann es kommen. Die wirtschaftlichen Zustände werden in einigen Ländern unerträglich. Dazu treten politische Unruhen. Und wenn Deutschland und ein paar andere starke Länder die Währungsunion verlassen, wird der Euro abwerten und die südeuropäischen Länder kämen wirtschaftlich wieder auf die Beine.

Die Welt: Der Preis dafür ist der Ruin der deutschen Exportwirtschaft.

Konrad: Sie könnte sogar gestärkt daraus hervorgehen. Sie hat die regelmäßigen Auf
wertungen der D-Mark in früheren Jahrzehnten immer wieder gemeistert und wurde so fit für den Wettbewerb. Heute hat sie es da besser. Aber die Fähigkeit, auf Herausforderungen zu reagieren, geht dabei verloren. Und das ist gefährlich.

Die Welt: Trotzdem müsste die deutsche Notenbank die Notenpresse anwerfen, um dem Aufwertungsdruck der D-Mark entgegenzuwirken.

Konrad: Ja, die Bundesbank müsste große Summen in Fremdwährungen aufkaufen, um die D-Mark-Aufwertung in Grenzen zu halten.

Die Welt: Womit Deutschland in eine große Abhängigkeit geraten könnte – wie China heute, das auf riesigen Dollar-Reserven hockt.

Konrad: Die Chancen überwiegen. Die Geldschöpfungsgewinne wären gewaltig. Die Währungsreserven könnte man unkonventionell investieren. Zum Beispiel wie ein staatlicher Investitionsfonds Unternehmen, Rohstofflager und Immobilien im Ausland kaufen. Außerdem: Die Kaufkraft der deutschen Bevölkerung würde steigen, Reisen, Benzin und viele andere Güter würden billiger.

Die Welt: Fürchten Sie keinen Währungskrieg, wenn Deutschland mit der Notenpresse auf Beutezug geht?

Konrad: Nein, im Gegenteil. Deutschland würde ja nur eine Aufwertung zulassen, die richtig wäre und die innerhalb des Euro nicht möglich ist.

Die Welt: Zurück in die Gegenwart: Neben Griechenland werden wohl auch Portugal und Zypern, vielleicht auch Irland bald weitere Rettungspakete benötigen. Kann Deutschland die drohenden Belastungen schultern?

Konrad: Das Ausland stilisiert Deutschland zum zögerlichen Hegemon. Das ist eine Fehleinschätzung. In der jüngst veröffentlichten Vermögensstatistik in Europa hat Deutschland weit unterdurchschnittlich abgeschnitten. Die Politik und die Medien haben diese Ergebnisse heruntergespielt. Wir müssen aber akzeptieren: Deutschland ist klein im Verhältnis zur EU. Und Deutschland ist relativ zu seinen Nachbarn in den vergangenen 15 Jahren deutlich ärmer geworden.

Die Welt: Also kann Deutschland die Belastungen nicht schultern?

Konrad: Deutschland kann die Euro-Zone nicht retten. Wer das glaubt, verweigert sich der Realität. Die EZB kann den augenblicklichen Zustand erhalten, und zwar mit weit geöffnetem Geldhahn und indem sie sich in die Fiskalpolitik einmischt. Aber was steht am Ende? Das Gefälle in der wirtschaftlichen Dynamik innerhalb Europas dürfte sich erheblich verstärken.

Die Welt: Was würde das konkret bedeuten?

Konrad: Deutschland wird in den nächsten Jahren weiter von der Krise profitieren und einen Zuzug von Fachkräften erleben. So entstehen auf der einen Seite leistungsfähige Zentren in Europa und auf der anderen Seite ganze Gebiete voller Rentner und Transferempfänger. Europa gerät so in eine Mezzogiorno-Situation. Was das bedeutet, kann man seit Jahrzehnten in Italien beobachten. Dort muss der reiche Norden den armen Süden mit großen Sozialtransfers unterstützen. Gern tut man das nicht einmal innerhalb Italiens. Angesichts dieser Spannungen droht dem Euro das Aus.

Die Welt: Wann wird es so weit sein?

Konrad: Ein paar Jahre haben wir wohl noch. Ich habe 2010 zu Beginn der Krise gedacht, jetzt ist es schnell vorbei. Aber der Euro hat bis heute überlebt. So ein Prozess kann sich offenbar ganz schön strecken.

Die Welt: Die Notenbank hat mit ihrer Ankündigung, zur Rettung des Euro notfalls unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen, für Ruhe an den Finanzmärkten gesorgt. Im Herbst entscheidet nun das Bundesverfassungsgericht, ob es dem Aufkaufprogramm der EZB Grenzen setzt. Was passiert, wenn das Gericht das tut?

Konrad: Erst einmal nichts. Das deutsche Verfassungsgericht kann der EZB nichts vorschreiben – das OMT-Programm bliebe voll intakt. Vielleicht könnte das Gericht der Bundesbank den Kauf von Staatsschuldtiteln verbieten. Dann kann aber die französische Notenbank einspringen und mehr Staatsanleihen kaufen. Deutschland würde dafür trotzdem entsprechend seiner EZB-Anteile genauso mit gut 27 Prozent haften müssen. Allerdings nur, solange der Währungsraum hält.

Die Welt: Was würde bei einem Zusammenbruch passieren?

Konrad: Dann steht jede Notenbank für das ein, was in ihren eigenen Büchern steht. Die von der EZB verordneten Staatsschuldtitelkäufe der Bundesbank wirken daher wie ein politisches Pfand: Hat die Bundesbank viele Schuldtitel gekauft, wird ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone für Deutschland teurer. Entsprechend kann man Deutschland einfacher zu möglichen Hilfsprogrammen überreden. Sollte das Gericht der Bundesbank den Kauf von Staatsschuldtiteln untersagen, zahlt sich das im Fall des Euro-Zusammenbruchs aus, und es verringert auch den Druck, der auf Deutschland ausgeübt werden kann.

Die Welt: Ist eine Währungsunion ohne politische Union überhaupt funktionsfähig? Oder würde der Versuch, einen europäischen Superstaat zu errichten, zum Ende Europas führen?

Konrad: Eine Währungsunion ohne politische Union kann funktionieren, aber nur wenn Länder mit überschuldeten Staatshaushalten wirklich in die Umschuldung müssen und wenn die Länder eine viel striktere Haushaltsdisziplin einhalten als Staaten ohne Währungsunion. Ich denke da an Staatsschuldenquoten in der Gegend von zehn Prozent der Wirtschaftskraft. Die politische Wirklichkeit sieht ja bekanntlich anders aus. Die andere Alternative ist eine echte politische Union in einem sehr starken und demokratisch legitimierten Zentralstaat in Europa. Aber das ist eine Wunschvorstellung, die mit den politischen Realitäten in Europa nichts zu tun hat.

Quelle: Welt vom 17.08.13

Kai A. Konrad, 52, ist einer der führenden Finanzwissenschaftler Deutschlands. Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen München und Chef des Wissenschaftlichen Beirats beim Finanzministerium. Konrad promovierte 1990 an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er forschte an der Freien Universität Berlin, der Universität Bergen und der University of California in Irvine. Sein jüngstes Buch veröffentlichte er 2012 zusammen mit “Welt”-Redakteur Holger Zschäpitz: “Schulden ohne Sühne? Was Europas Krise uns Bürger kostet” (dtv, 284 Seiten)