Religion: Ein wichtiges Thema der israelischen Wahlen

Religion: Ein wichtiges Thema der israelischen Wahlen

13. Februar 2013 um 15:29 | Veröffentlicht in Israel | Hinterlasse einen Kommentar 
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Manfred Gerstenfeld (direkt vom Autor)

Die Zersplitterung der israelischen Wahlkampf-Diskussion – der ein zentrales Thema fehlte – verschleiert viel von dem, was dort bekannt wurde. Versucht man zu klassifizieren, was die Schlüsselentwicklungen waren, dann sieht man einiges Offensichtliche, während anderes undeutlich bleibt.

Der bestimmende Faktor des Wahlkampfs war die Entscheidung von Likud und Israel unsere Heimat, gemeinsam anzutreten. Das stellte sicher, dass es keinen Wettbewerb zwischen ihnen geben und ihre Liste die größte werden würde. Man mag verstehen, was den Parteichef von Israel unsere Heimat, den damaligen Außenminister Avigdor Lieberman, motivierte diesen Schritt zu unterstützen. Sein zweiter Platz auf der Liste öffnete ein Fenster dafür, in der Zukunft eine große Partei zu führen. Dieses Wagnis könnte es wert gewesen sein, selbst wenn ein paar Sitze verloren wurden.

Was den Likud-Chef Benjamin Netanyahu zu diesem Schritt motivierte, bleibt allerdings nicht so klar. Glaubte er dem republikanischen Guru Arthur Finkelstein – dass die gemeinsame Liste  mehr als die 42 Sitze erhalten würde, die sie in der bisherigen 18. Knesset inne hatte, auch wenn das allen Erfahrungen der früheren Wahlen widersprach? War seine Hauptsorge, dass eine links von der Mitte angesiedelte Mega-Partei gegründet würde, die die Position des Likud als größte Partei und damit sein Premierministeramt bedrohte? Werden wir jemals wirklich wissen, was er sich dabei dachte?

Andererseits wird ein Thema von den Analysten weitgehend ignoriert; es ist die wichtige Rolle, die die Religion in diesem Wahlkampf spielte. Viele grundverschiedene Elemente führten dazu, dass dieser Aspekt verschleiert wurde. Doch es wird als zentrales Thema in den Koalitionsverhandlungen weitergeführt. Die meisten nicht religiösen jüdischen Parteien setzten religiöse Kandidaten auf aussichtsreiche Positionen auf ihren Listen. Das trifft nicht nur auf den Likud und Israel unsere Heimat zu, sondern auch für Yair Lapids Es gibt eine Zukunft und Tzipi Livnis Bewegung. Mindestens 38 religiöse Abgeordnete wurden gewählt was ihre Zahl in jeder früheren Wahl weit überschreitet.1

Im Wahlkampf wurden ideologische Themen nicht allzu sehr angesprochen. Eines der wenigen, das länger andauernde Aufmerksamkeit erhielt, war die Forderung nach Gleichheit bei der Last des militärischen und Zivildienstes für den ultrareligiösen Sektor. Mehrere Parteien, insbesondere Es gibt eine Zukunft, machten Wahlkampf mit dem Militär- und Zivildienst für die Ultrareligiösen als wichtigem Thema. Neue und weitreichende Gesetzgebung zu diesem Dienst war eine der Hauptforderungen der Partei bei den ersten Koalitionsgesprächen nach der Wahl zwischen Netanyahu und Lapid.2 Auch Livni erwähnte die Gleichbehandlung bei dieser Last als eine ihrer Bedingungen dafür, in die Regierung einzutreten.3

Ein wichtiges Wahlergebnis war die Wiederkehr des national-religiösen Sektors als Kraft in der israelischen Politik. Dieser ist bei den letzten Wahlen zunehmend marginalisiert worden.Das Jüdische Haus gewann zwölf Sitze, gleich viele wie die nationalreligiösen Parteien in der Vergangenheit meistens hatten. Die Partei zog auch viele säkulare Wähler an und hat eine relativ junge Wählerschaft.4 Ihr junger neuer Anführer Naftali Bennett spielte ein zentrale Rolle im Wahlkampf und wurde schnell zu einer landesweit bekannten Person. Eine Neuheit war, dass Das Jüdische Haus eine weibliche und nicht religiöse Kandidatin weit oben auf ihre Liste setzte. Für Bennett und seine Partei ist auch eine gleichmäßigere Verteilung der Last des Armeedienstes ein wichtiges Thema.5

Aus Umfrageergebnissen erkannte die ultrareligiöse Shas-Partei, dass Das Jüdische Hausnicht nur ein starker Wettbewerber werden, sondern sie sogar als größte religiöse Partei ablösen könnte. Shas begann Bennetts Partei daraufhin bei mehreren Gelegenheiten zu attackieren, wozu diffamierende Bemerkungen zu deren gewissenhafter Religionsausübung gehörten. Ihr spiritueller Mentor, der ehemalige Oberrabbiner Ovadia Yosef, fragte: „Sind das religiöse Leute?“ Er führte an: „Sie sind gekommen um die Torah auszureißen. Wer immer für sie stimmt, leugnet die Torah. Ist das ein jüdisches Haus? Es ist ein jüdisches Haus für Nichtjuden.“ Der Rabbiner fügte hinzu, dass es verboten sei für sie zu stimmen.6

Eines von mehreren Themen, mit denen Bennett sich den Zorn der Shas-Führung zuzog, war seine Kritik an der Korruption des religiösen Establishments, bei der ihre Anhänger eine wichtige Rolle spielen. Ein weiteres war sein Wunsch seine Lösung für den Konversions-Prozess zum Übertritt ins Judentum zu finden.7 Jetzt erscheint ein Wettbewerb zwischen den beiden Parteien zur Kontrolle des Oberrabbinats wahrscheinlich.

Der Shas-Abweichler MK Rabbi Haim Amsalem versuchte vergeblich mit einer neuen Partei –Das Ganze Israel – in die Knesset einzuziehen; auch er brachte religiöse Fragen in die Debatte ein. Er sagte, die Shas-Führer dienten nicht den Interessen ihrer Wähler, die in ihren Herkunftsländern immer gemäßigte Leute gewesen seien. Amsalem fügte an, dass nur einigen wenigen, ausgezeichneten Studenten gestattet werden sollte all ihre Zeit dem jüdischen Lernen zu widmen, während alle anderen in der Armee dienen sollten.

Er merkte an, dass Israelis viel von den untergegangenen jüdischen Gemeinden Nordafrikas zu lernen haben. Die dortigen Rabbiner, sagte Amsalem, waren intelligent genug alle Juden in ihren orthodoxen Gemeinden zu akzeptieren, ungeachtet des Grades ihrer Religionsausübung.8 Nach heftigen Attacken durch die Shas wurde sein Aufruf zu traditioneller Moderatheit nicht von vielen in der Öffentlichkeit gehört und seine Liste überwand die Zweiprozenthürde nicht.

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Mitglied des Aufsichtsrats des
Jerusalem Center of Public Affairs, dessen Vorsitzender er 12 Jahre lang war.

 

1 Lahav Harkov: Record number of female, religious MKs in Knesset. The Jerusalem Post, 23. Januar 2013.
2 Jonathan Lis: As coalition talks begin, Yesh Atid presents its list of demands to Netanyahu. Ha’aretz, 3. Februar 2013.
3 Moran Azulay: Lapid sets agenda for next government. YNet, 23. Januar 2013.
4 Gil Hoffman: Bayit Yehudi gains 3 seats in a week, ‘Post’ poll finds. Jerusalem Post, 28. Dezember 2012.
5 Moran Azualay: Lapid sets agenda for next government. YNet, 23. Januar 2013.
6 Yair Ettinger: Feud between Shas and Habayit Hayehudi heats up. Ha’aretz, 20. Januar 2013.
7 ebenda.
8 Matti Friedman: A party of one. The Times of Israel, 4. Dezember 2012.

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