Prof. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn: Erziehung nach Augstein

 Prof. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn  
16.01.2013:


Erziehung nach Augstein

Da nun Konsens besteht, dass die Jakob Augsteins dieser Welt keine Julius Streichers sind, erfordert das auch eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit ihnen. Schließlich wollen sie weder Michael Friedmann noch Salomon Korn umbringen oder auch nur aus Deutschland vertreiben. Mit dem Vernichtungsantisemitismus ab 1933 liebäugeln die wenigsten von ihnen.

Nach 1945 muss man Studenten aus der Tätergeneration und Schüler mit blutbefleckten Vätern oder Brüdern erziehen. Das Besuchen der Lager, die Beschreibung der Gaskammern, die Fotos der Leichenberge, der herausgerissenen Zähne und der abgeschnittenen Haare werden unverzichtbar, um dem hartnäckigen Ableugnen des Genozids beizukommen. Nach Auschwitz holt man die Zöglinge mithin da ab, wo sie stehen. Ihr glaubt das Morden nicht? Wir werden es euch beweisen. Man aktiviert gerade dafür ihren Forscherdrang. Pennäler werden zu Historikern und schreiben die Geschichte der Juden ihrer Städte und Gemeinden. Andere kümmern sich um die Einladung von Entkommenen in die alte Heimat. KZ-Überlebende sprechen in Schulen, Kirchen und Universitäten. Da gibt es bemerkenswertes Engagement. Und der Einsatz wird belohnt. Die Auschwitzleugnung bleibt in Deutschland, Österreich und anderen westlichen Territorien eine Randerscheinung, die man getrost Polizei und Justiz überlassen kann.

Doch die danach Heranwachsenden sind ebenfalls abzuholen, wo sie geistig gefangen sind. Auch ihr Forscherdrang muss dabei ins Spiel kommen dürfen. Aber die ihn inspirierende Frage lautet nicht mehr, ob es den Holocaust gegeben hat oder man ihn bestreiten kann. Heute steht ein Lehrer vor gewieften Jugendlichen, die aus unzähligen Medien womöglich noch ganz andere Details der Verbrechen kennen als er. Die Aufmerksamkeit der Klasse aber gewinnt er, wenn er beginnt: Warum sind wir rastlos auf der Suche nach schuldigen Juden? Das verstehen sie sofort. Denn wenn – lau EU-Umfrage – 65 Prozent der Deutschen schon 2003 die größte Bedrohung für den Weltfrieden in Israel verorten, obwohl kein Land öfter mit Ausrottung bedroht wird als diese kleine Republik, dann soll man die Schüler nicht für dumm verkaufen. Nicht die 15 Prozent harten Antisemiten, also die 12 Millionen Deutschen, die auch den 100,000 Juden hierzulande an den Kragen wollen, sondern die 52 Millionen mit ihrem Ingrimm auf die sechs Millionen Juden Israels sind ihr Milieu. Die Aufmerksamsten unter ihnen warten auf diese Frage schon lange. Denn selbst sie sind „gegen Israel in Stellung“, wie SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein das schon vor zwanzig Jahren ausdrückt. Er selbst will 1993 durchaus selbstkritisch weg von dieser Wut, kann sie aber nicht mehr aufbrechen. Er scheitert nicht zuletzt aufgrund des Erfolges seiner eigenen Leitartikel gegen den jüdischen Staat. Gerade sie liefern der hiesigen Intelligenz über Jahrzehnte hinweg die Rechtfertigung für ihre Obsession gegen Jerusalem.

Schnell wird dem Lehrer ein Frechdachs zurufen, dass die Juden ja auch wirklich am schuldigsten seien, weil sie dauernd Kriege vom Zaun brächen. Das sage sogar der berühmte Regisseur und Schauspieler Mel Gibson, der als Australier doch wohl unverdächtig sei. Doch einige Schüler würden die Ermutigung zur Eigenrecherche aufgreifen und bald herausfinden, dass zu den 72 Konflikten seit 1948 mit mehr als 10,000 Toten zwar fünf arabische Kriege mit Israel und seit 65 Jahren auch der Palästinakonflikt gehören, letzterer bei der Opferzahl von rund 14,000 aber nur auf Rang 71 liegt. Es sei tatsächlich merkwürdig, das Konflikt 71 allein mehr Aufmerksamkeit erfahre als die übrigen Konflikte mit mehr als 80 Millionen Toten zusammen. 

Weil sie mit den Arabern in Gaza anstellten, was die Nazis mit Europas Juden gemacht haben, tönt es dennoch zornig aus einer anderen Ecke. Doch wieder befindet ein junger Forscher, dass Völkermord weit hergeholt sei, wenn – was die israelischen Waffen doch möglich machten – die Bevölkerung im Gazastreifen keineswegs bis auf kleine Reste verschwunden sei, sondern seit 1950 um den Faktor 8 von 200,000 auf 1,6 Millionen regelrecht explodiert ist.

Weil sie so viele Muslime töten, würde jedoch flugs einer dagegen halten. Die ehrgeizigen Forscher aber würden parieren, dass in der Tat seit 1948 rund 55.000 Muslime in Kriegen gegen Israel ihr Leben verlieren, was aber lediglich 0,5%, also eines von zweihundert der rund 11 Millionen muslimischen Gewaltopfer seit 1948 ausmache.

Weil sie „Abkömmlinge von Affen und Schweinen sind“, wie 2010 (23-09) selbst Ägyptens heutiger Präsident Morsi bestätigt habe – und zwar im libanesischen Fernsehen, damit alle Araber es wissen können. Dagegen wendet die Forschungsfraktion ein, dass unter Nobelpreisträgern jeder Fünfte jüdisch ist, während das unter den Menschen der Erde nur für einen von fünfhundert zutrifft. Die Affen oder gar Schweine, die da mithalten könnten, solle man erst einmal vorweisen.

Weil sie Land raubten, kommt es postwendend zurück. Ja, heftigen Streit um Land gibt es. Aber notorischen Raub könne man nicht erkennen. Denn welcher andere Eroberer hätte mehr Land wieder herausgerückt als Israel, das den Sinai für Ägypten, die Sheba-Farmen für Libanon und Gaza für seine Einwohner räumt und mehrfach auch noch fast die gesamte West-Bank im Austausch für Frieden angeboten habe.

Weil sie so reich seien, spielt einer seinen letzten und gleich globalen Trumpf aus. Ja, bestätigen die Forscher, Juden bezögen in den USA, wo so etwas gemessen wird, tatsächlich die höchsten Einkommen. Dafür schnitten sie aber auch bei den Examen am besten ab und solche Leute verdienten auch in Ländern ohne Juden die Spitzengehälter. Überdies hätten sie längst Konkurrenz bei Amerikas Koreanern und Chinesen, die oft noch bessere Prüfungen hinlegten und in etlichen Branchen auch schon besser verdienten..

Spätestens jetzt würde es den helleren Schülern reichen. Wir haben’s begriffen, bekäme der der Lehrer zu hören. Nun solle endlich er sagen, warum denn alle Welt nach schuldigen Juden suche. Vielleicht, sinnieren aber einige schon wieder ganz eigenständig, weil sie nicht nur als lebende Anklage, sondern immer auch als Zeugen von Verbrechen der Deutschen und all ihren europäischen Mitläufer herumliefen, mit denen die jetzt Lebenden allerdings nichts zu tun hätten. Man wisse ja aus Mafia-Filmen, dass nach Beseitigung der Zeugen oft auch die Anlage zusammenbreche. Und wenn jemand die Zeugen beschütze, wie bisher Amerika die Vernichtung Israels verhindere, könne man Juden eben nur anschwärzen und unglaubwürdig machen, um sie so als Zeugen ausschalten. Ob deshalb all die überzogenen Anwürfe und Verurteilungen ergingen?

Gleichwohl könne man den Ingrimm der Klassenkameraden auch nachvollziehen. Denn Auschwitz hänge heute doch entschieden Unschuldigen wie ein Mühlstein um den Hals. Und selbst wer bereit sei, in der Wahrheit zu leben, könne nun einmal nicht dauernd auf den Knien der Vergebung liegen. Einer aber gluckst schon vor sich hin: Also führen wir uns auf wie die verfolgte Unschuld?

Diese Schüler dauern den Lehrer. Doch gerade bei ihnen weiß er, dass er ihnen etwas zumuten kann. Falsche Beschuldigungen von Juden heute – so verstehen sie leicht – führen genau in die Isolierung wie das Bestreiten des Holocaust gestern. Es gehe den Jugendlichen ein wenig wie den Mongolen, holt er weit aus. Die haben mit den Verbrechen der Horden des Mittelalters auch nichts zu tun. Immerhin liegen die ein Dreivierteljahrtausend zurück. Und doch trifft sie unwillkürlich – nur für eine Zehntelsekunde – der fragende, aber halb auch schon beschuldigende Blick, ob in ihnen ein Dschingis Khan stecke. Wird man – so fürchten die Jungen – auch noch im Jahre 2700 Deutsche daraufhin beäugen, ob sie zu einem Auschwitz fähig sind?

Noch kann dem kaum jemand entgehen – nicht einmal die Kanzlerin auf ihren Reisen über den europäischen Kontinent. Selbst die sympathisierende Seite muss als Zumutung abgewiesen werden, wenn sie einem – wie so gerne in muslimischen Gebieten – als Glückwunsch für und herzliche Einladung aufgrund von Adolf Hitler nahe kommt. Die Schüler beginnen die Last einer Weisheit zu spüren, die Thomas Hobbes schon 1651 im Leviathan erkennt: „Wer jemandem mehr Schaden zugefügt hat, als er wieder gutmachen kann, wird sein Opfer hassen.“ Zvi Rix, Israeli aus der Wiener Leopoldstadt und mit viel mehr Leidenschaft Forscher als Arzt, münzt das – nach Mitteilung seiner Witwe Melitta an den Autor – in die Sentenz: Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen. Die wenigen Humoristen unter den Schülern spüren, dass man sich besser mit der Rätselfrage vorstellt, dass man (a) nicht Schweizer sei und (b) aus einem berühmten Mördervolk Mitteleuropas stamme, denn als Verbohrter, der von den Missetaten der Menschheit nur diejenigen Israels auswendig hersagen kann.