Frank Jansen: Im heiligen Krieg

Sicherheitsbehörden warnen vor der deutschen Salafistenszene. Neben Druck und Verboten bräuchte es noch mehr Prävention.

Unter der Wut leidet auch die Rechtschreibung. „Demokratie ist Dreck, schmutz, schmutziger als Schweinekott“ erregt sich Mohammed Mahmoud im Internet. „Eure Demokrtie und eurer Grundgesetz sind wallahi (ich schwöre zu Gott, die Redaktion) nicht mal als Klopapier tauglich“. Es geht entsprechend weiter. Der Amir – Anführer – des am 14. Juni verbotenen Salafistenvereins Millatu Ibrahim tobt sich in seinem Blog „Al-Ghorabaa“ (die Fremden) in einer „Stellungnahme über die Razzien in Deutschland“ aus. Die Tirade klingt lächerlich, doch die Sicherheitsbehörden nehmen den Hass ernst. Es sei zu befürchten, dass sich Salafisten für den Schlag rächen wollten, den Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gegen Millatu Ibrahim und zwei weitere Vereine geführt hat, warnen Experten.

Und Mahmoud äußert zumindest indirekt, was kommen könnte.

In den Wutzeilen nennt er die afghanischen Taliban „unsere Brüder“. „Wir werden nicht aufhören, die Mujahidin (Kämpfer) zu lieben und hinter, ja sogar vor ihnen zu stehen“, schreibt der Salafist. Von Anschlägen spricht er nicht, doch wie solche Hetze über das Internet wirken kann, ist spätestens seit dem 2. März 2011 hinreichend bekannt. Damals fuhr der junge, in Frankfurt lebende Kosovare Arid Uka, radikalisiert durch salafistische Online-Propaganda, mit einer Waffe im Rucksack zum Flughafen. Vor dem Eingang zum Terminal zwei schoss Uka auf US-Soldaten, die in einen Bus stiegen. Zwei Amerikaner waren sofort tot, zwei weitere erlitten schwere Verletzungen. Der Dschihad hatte erstmals in der Bundesrepublik Tote gefordert.

Eine solche Tat, sagen Sicherheitsexperten, könne jederzeit wieder passieren. Erst recht in einem so aufgeheizten Klima wie nach dem Verbot von Millatu Ibrahim und angesichts der von Friedrich angeordneten Verfahren gegen die Vereine „Dawa FFM“ und „Die wahre Religion“, die mit Millatu Ibrahim vernetzt sind.

Die vom islamistischen Terror ausgehende Gefahr scheint sich zu verlagern. Neben dem unvermindert bedrohlichen Szenario eines Anschlags von Tätern, die Al Qaida oder eine andere Organisation aus dem Ausland schickt, wächst das Risiko, dass junge, orientierungsuchende Muslime vor ihrem Computer zu Mördern werden. Diesem „selfmade terrorism“ vorzubeugen ist für Polizei und Nachrichtendienste viel schwerer als bei den „konventionellen“ Methoden von Al Qaida und verbündeter Gruppierungen wie der Islamischen Bewegung Usbekistans und der Islamischen Dschihad Union. „Was aus Wasiristan kommt, haben wir weitgehend im Blick“, sagt ein Sicherheitsexperte, „was in deutschen Wohnungen passiert, weit weniger“. Zudem nehme angesichts der permanenten US-Drohnenangriffe in der deutschen Szene die Neigung ab, nach Wasiristan zu reisen.

Es ist schon schwierig, die Größe des Spektrums der Salafisten in der Bundesrepublik zu erfassen. Die Behörden nennen Zahlen von 3000 bis 5000 Personen. Nicht alle seien militant, heißt es. Wie viele als gewaltorientiert gelten müssen, ist aber ebenfalls offen. Sicherheitsexperten sprechen von mehreren Hundert, die Zahl könne aber angesichts der Fanatisierung eines Teils der salafistischen Milieus auch höher sein – und in Zeiten wie diesen rasch steigen.

Der Überblick fällt schwer, denn die Milieus der Salafisten sind nur lose strukturiert. Vereinigungen wie Millatu Ibrahim sind Netzwerke, die auf eine Homepage fokussiert sind. Viele Nutzer solcher Websites treten nie auf der Straße in Erscheinung und sind auch keine regelmäßigen Besucher einer einschlägig bekannten und deshalb vom Verfassungsschutz beobachteten Moschee.

So ist es beispielsweise kaum möglich herauszufinden, wie viele Anhänger eine ganz spezielle Führungsfigur von Millatu Ibrahim hat: der aus Berlin stammende Denis Cuspert. Einst bekannt geworden als Rapper Deso Dogg, ist Cuspert heute einer der populärsten und den Terror verherrlichenden Einpeitscher der Salafisten. Bei seinen „Islamseminaren“ und Liederabenden mit Kampfliedern, den „Dschihad-Nasheeds“, ist die Zahl der Besucher noch übersichtlich – aber wie viele junge Muslime hat Cuspert, der sich heute Abu Talha al-Almani nennt, über das Internet erreicht? Und so aufgehetzt, dass sie im Heiligen Krieg sterben wollen, ob nun in Pakistan oder Afghanistan oder Somalia oder gleich in Deutschland?

Diese Propaganda ist offenbar kaum zu stoppen. Cusperts Hasspredigten und Hetzlieder bleiben trotz des Verbots von Millatu Ibrahim bei Youtube eingestellt. Obwohl die Sicherheitsbehörden mehr als 100 Provider schriftlich gebeten haben, Millatu Ibrahim aus dem Netz zu entfernen. Nun ist die Website des Vereins weg, doch Videos von Millatu-Ibrahim.com mit Auftritten Cusperts sind mühelos aufzurufen.

Könnten Staat und Zivilgesellschaft der Gefahr dennoch mehr entgegensetzen als bisher? Vermutlich nur, wenn neben der Repression auch die Prävention gestärkt wird. Ein Ansatz wäre der Ausbau von Angeboten zum Ausstieg aus der Szene. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) betreibt seit zwei Jahren ein Aussteigerprogramm namens Hatif. Das arabische Wort für Telefon dient als Abkürzung für das Leitmotiv „Heraus aus Terrorismus und Islamistischem Fanatismus“. Gleichzeitig ist „Hatif“ ein Hinweis auf die Hotline des BfV, über die aussteigewillige Islamisten, aber auch ihre Angehörigen und Freunde, mit Experten in Kontakt treten können, auch auf Türkisch und Arabisch. Die Resonanz ist verhalten. Mit dem Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten hat das BfV erheblich mehr Erfolg. Seit 2001 haben mehr als 1100 Neonazis und andere Rechte den Kontakt zur Behörde gesucht. Dass diese Zahl in vergleichbarer Zeit bei Islamisten erreicht werden könnte, ist unwahrscheinlich. Der Verfassungsschutz stößt in der Szene auf eine Härte, die es auch schwer macht, V-Leute zu rekrutieren.

Für viele Islamisten wäre ein Ausstieg oder Spitzelei für den Staat ein Verrat an Allah, an Gott. Das ist eine mentale Hürde, die deutlich höher ist als die der Neonazis. Die Rechtsextremen fühlen sich einer betont irdischen Ideologie verpflichtet, das senkt die Schwelle zur Annahme staatlicher Gelder oder von Hilfe beim Ausstieg.

Mehr als eine Behörde könnten zivilgesellschaftliche Initiativen bei der Deradikalisierung von Islamisten erreichen, glaubt Claudia Dantschke. Die Berliner Islamismus-Expertin leitet die Beratungsstelle „Hayat“, die parallel zu „Exit Deutschland“, dem bekannten Programm für aussteigewillige Neonazis, beim Zentrum Demokratische Kultur angesiedelt ist. Hayat, Leben, hilft muslimischen wie nicht muslimischen Eltern
, deren Kinder in islamistische Milieus abdriften. „Die Angehörigen leiden wahnsinnig, ihr ganzes Leben wird infrage gestellt“, sagt Dantschke. Sie versucht, Eltern zu „stabilisieren“, damit diese die Radikalisierung des Sohnes oder der Tochter bremsen können. Bevor es zu spät ist und ein Jugendlicher dem Terror verfällt. Das kann ein langes, zähes Ringen sein. Und der Erfolg ist nie gewiss.

Dantschke schildert typische Fälle. Ein Schüler fühlte sich an einem Gymnasium überfordert und isoliert. Salafistische Jugendliche präsentierten ihm eine schlichte Lösung: „Was du auf dem Gymnasium lernst, ist sowieso falsch, komm’ zu uns. “ Der Junge driftete ab, die Eltern waren entsetzt. Dantschke empfahl einen Ortswechsel, aber das gelang der Familie nicht. Der Sohn boykottierte jeden Versuch, einen Ausbildungsplatz zu finden. Inzwischen ist er ohne Job und vollends gefangen in der Salafistengruppe. Dennoch gibt Dantschke den Fall nicht verloren und stärkt die Eltern in ihrem Bemühen, ihren Jungen nicht aufzugeben.

In einem anderen Fall weigerte sich ein von Salafisten gelockter Sohn schon bald, einer Frau die Hand zu geben. Das Familienleben wurde zum Dauerkonflikt. Dantschke riet den Eltern zu Deeskalation, aber auch Hartnäckigkeit. „Man muss nicht jede Geste des Sohnes zum Konflikt machen“, sagt sie, „wichtig ist vielmehr, zuzuhören, Interesse zu zeigen und zu signalisieren: Wir halten am familiären Band fest, allerdings auch an unserer Meinung zum Extremismus“. Es hat geholfen. Der Jugendliche ist zwar weiter ultrafromm, aber er landete nicht in einem Terrorcamp.

Bei der Beratung kooperiert Dantschke mit Muslimen, die als religiöse Autoritäten gelten. Sie habe sich ein Netzwerk aufgebaut, „denn ohne die Einbindung von Muslimen kann die Zivilgesellschaft nichts erreichen“. Und sie fordert, dass Initiativen, die sich mit Rechtsextremismus auseinandersetzen, den Radius auf den Salafismus ausweiten. Als Beispiel nennt Dantschke Solingen, wo im Mai Salafisten randalierten, als die islamfeindliche Partei Pro NRW provozierte – und wo 1993 bei einem rassistischen Brandanschlag fünf Türkinnen starben. Die gesellschaftlichen Bündnisse, die sich 1993 gebildet haben, seien jetzt auch sensibilisiert für das Thema Salafismus. Und wie in Solingen sollten generell Moscheegemeinden „auf Augenhöhe eingebunden werden“, sagt Dantschke. Das sei für die Zivilgesellschaft leichter als für den Staat. Denn muslimische Verbände hätten in der Kommunikation mit Behörden oft den Eindruck, sie würden „in eine Rechtfertigungshaltung gedrängt“. Da verwundere kaum, dass der Staat mit seinen – wenigen – Ansätzen zur Deradikalisierung kaum Erfolg habe.

Andere Länder seien da viel weiter, sagt Dantschke. Dabei sei es dringend notwendig, dem militanten Islamismus präventiv zu begegnen. Nach dem Verbot von Millatu Ibrahim stilisiere sich die Szene der gewaltorientierten Salafisten zu Märtyrern. Trotzdem verteidigt sie die Maßnahme des Innenministers, denn ein Verbot „zwingt Extremisten erst mal, sich zu reorganisieren“. Zudem hätten die Krawalle vom Mai in Solingen und Bonn heftige Debatten in der salafistischen Szene ausgelöst, es gebe auch starke Kritik an der Hardcore-Fraktion. Doch Dantschke weiß auch, „die Anhänger von Millatu Ibrahim denken jetzt, sie haben nichts mehr zu verlieren“. Zumal der Terrorist Yassin Chouka, der aus Bonn stammt, im Mai vom pakistanischen Wasiristan aus zu Attentaten aufgerufen hat. Auf die Frage nach einer Gefahrenprognose sagt Dantschke lakonisch, „Deutschland ist jetzt Dschihad-Gebiet“.

Quelle Tgsp 1.7.2012