“Auge um Auge, Stein um Stein”

Stefanie Galla

Früher hieß es, Juden würden Brunnen vergiften und aus dem Blut christlicher Kinder Matzen backen. Später dann, der Jude sei ein Dämon der Zersetzung, ein Parasit, der ganze Völker befällt. Heute glaubt man, Israel sei die größte Bedrohung für den Weltfrieden. Wobei niemand fragt, welcher Weltfrieden überhaupt gemeint sein könnte – bei all den Kriegen und Konflikten, die derzeit stattfinden. 

Der Glaube, Juden seien Brunnenvergifter und Volkszersetzer, gilt als Antisemitismus, während der Vorwurf, der jüdischen Staat gefährde den Weltfrieden, unter “legitime Israelkritik” fällt. 65 % der Deutschen sahen bereits im Jahre 2003 in einer von der EU beauftragten Umfrage in Israel die größte Bedrohung für diesen Weltfrieden. Dass im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen Israel immer wieder die Sprache auf die sogenannte jüdische Lobby in den USA (oder auch nur den Zentralrat der Juden in Deutschland) kommt, kollidiert nicht mit der Behauptung, dass es sich keineswegs um ein Ressentiment gegen Juden, sondern nur um “legitime Kritik” am jüdischen Staat handle.

Die deutsche Medienlandschaft hat fast einhellig Jakob Augstein verteidigt. Augstein sei kein Antisemit, ihn auf Platz 9 der Top-Ten-Antisemiten zu platzieren, sei absurd – so der allgemeine Tenor. Das Simon Wiesenthal Center kürt auf seiner Liste aber nicht die zehn größten Antisemiten, sondern benennt dort die nach Meinung des Centrums zehn schlimmsten antiisraelischen/ antisemitischen Slurs, zu deutsch: Verunglimpfungen. 

Neben Augsteins Unterstellung, die Atommacht Israel sei die größte Gefahr für den Weltfrieden, findet man dort auch ein ins Englische übersetztes Zitat von ihm, wonach die jüdischen „Ultraorthodoxen oder Haredim“ aus dem gleichen Holz geschnitzt seien wie die islamistischen Fundamentalisten, von denen Israel bedroht werde. Diese islamistischen Fundamentalisten beschießen Israel mit Raketen und verüben blutige Terroranschläge; ganz zu schweigen davon, dass sie auch ihre eigenen Leute terrorisieren. Augstein fügte noch hinzu, dass es sich bei den ultraorthodoxen Juden mitnichten um eine kleine Splittergruppe handeln und drei solche Gruppierungen in der Regierung Nethanjahu vertreten wären.

Augstein verdreht die Wirklichkeit, indem er fundamentalistische Islamisten, die Israel bedrohen, mit ultraorthodoxen Juden gleichsetzt, von denen viele den Dienst an der Waffe verweigern. Er geht aber noch einen Schritt weiter, indem er so tut, als gehörten – den islamistischen Fundamentalisten vergleichbare jüdische Gruppen – auch der Regierung Nethanjahu an. Das ist eine grobe Verfälschung der Realität – unter dem Titel „Gesetz der Rache“. Es ist das alte Klischee des rachsüchtigen Juden, mit dem Augstein spielt, das „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

Das Simon Wiesenthal Center führt weitere Beispiele auf, wie Augstein die Tatsachen verdreht. Aber anstatt sich mit den konkreten Vorwürfen auseinanderzusetzen und zu schauen, ob das Simon Wiesenthal Center zumindest mit seiner Behauptung Recht haben könnte, dass es sich um Verunglimpfungen handelt, wird Augstein verteidigt, werden die Vorwürfe gegen ihn pauschal als unhaltbar und skandalös zurückgewiesen.

Es gibt verschiedene Arbeitsdefinitionen für Antisemitismus. Es wäre ein Leichtes gewesen zu prüfen, ob Augsteins Aussagen, auch wenn sie sich vordergründig gegen die Politik des Staates Israel richten, dennoch als antisemitisch zu bewerten sind. Stattdessen wurden das Simon Wiesenthal Center und Henryk Broder, der im Zusammenhang mit Augstein auf der Liste zitiert wurde, in den Fokus der Kritik gerückt.

Die Deutschen bekommen ihre Informationen über Israel und den Nahost-Konflikt aus den Medien. Nach dieser Diskussion darf es keinen wundern, dass 65 % der Deutschen in Israel die größte Bedrohung für den Weltfrieden sehen. Es ist bereits bemerkenswert, dass die Deutschen vom Ausland her darauf aufmerksam gemacht werden mussten, dass das Bild von Israel in den deutschen Medien verzerrt wird. Die Reaktionen darauf, eine Front der Abwehr, war die falsche Antwort. Man hätte zumindest prüfen sollen, ob an den Feststellungen des Simon Wiesenthal Centers etwas dran sein könnte. Es sei denn, man will das gar nicht, denn, wenn die Israelis sich heute so aufführen wie die Nazis damals, können wir ja gar nicht so schlimm gewesen sein, und müssen daher auch keine Rücksichten mehr nehmen.

Siehe auch: 
Dr. Moshe Kantor, the head of the European Jewish Congress (EJC), accused Der Spiegel journalist Jakob Augstein of using his columns to stoke hatred against Israel and Jews. 
http://www.jpost.com/JewishWorld/JewishNews/Article.aspx?id=298846

Quelle: achgut 9.1.2013