Israelbezogener Antisemitismus – ein überladenes Problem

Anetta Kahane

Wenige Themen der öffentlichen Debatte sind so schwierig und derart überladen wie der 
israelbezogene Antisemitismus. Das hat verschiedene Ursachen und drückt sich unterschiedlich aus. Fakt aber ist: es gibt ihn, den Israelhass, der antisemitisch daherkommt 
und auch so gemeint ist. Sogar wenn er nicht so gemeint ist, taucht er auf, mal direkt, mal 
indirekt, doch stets bewacht von vielen Emotionen. Gegen die Emotionen ist eigentlich 
nichts auszusetzen, die Frage ist nur, wen oder was sie beschützen. Die Antwort: in der 
Regel ist es mit den heftigen Gefühlen in dieser Debatte wie mit einer Falle, die sich umso 
fester schließt, je mehr man sich zu befreien versucht. Je leidenschaftlicher eine Diskussion 
über Israel jeden Antisemitismus darin bestreitet, desto präsenter ist er. 
Wann genau ein Diskurs über Israel antisemitische Züge annimmt, soll hier dargelegt 
werden, doch mindestens ebenso wichtig erscheint die Frage, warum Israel überhaupt so 
allgegenwärtig die öffentlichen Debatten bewegt. Erst wenn es darüber Klarheit gibt, finden inhaltliche oder auch polemische Beiträge ihren angemessenen Platz. 
Wie kein anderes Land auf der Welt steht Israel unter ständiger, missbilligender Beobachtung. In Europa und besonders in Deutschland verfolgt die Öffentlichkeit nahezu 
obsessiv, was in diesem kleinen Land geschieht. Dabei steht der Konflikt mit den Palästinensern stets im Mittelpunkt aller Betrachtung. Bezugspunkt jeder Bewertung Israels ist 
das »himmelschreiende Unrecht« gegenüber den Palästinensern, das alle anderen Konflikte der Welt als Nebenschauplätze erscheinen lässt. Weshalb ist das so? Woran erregt sich 
die deutsche Gemütslage so grundsätzlich und vehement? Weshalb gerade hier und nicht 
an anderen großen oder kleineren Konflikten, die meist härter, ungerechter, blutiger und 
fundamentaler geführt werden als die Auseinandersetzungen in Israel und den Palästinensergebieten? 
Die Quellen des Hasses existieren noch immer 
Das hat mit der Geschichte zu tun, heißt es. Und das stimmt auch. Der Massenmord an 
den europäischen Juden, geplant und exekutiert von Deutschen, mit mehr oder weniger 
engagiertem Zutun aus anderen europäischen Ländern hat für unabsehbare Zeit eine Verbindung zu Israel und den Juden hervorgebracht, wie es sie zu anderen nicht gibt. Diese 
Verbindung aber muss man sich genau anschauen, denn sie ist geprägt von Schuld und 
Schuldabwehr, von Projektionen und vom ganz banalen Antisemitismus, der sich durch 
den Holocaust nicht einfach in Luft aufgelöst hat. Doch gerade angesichts des Menschheitsverbrechens kann er nicht mehr länger in seiner plumpen Form daherkommen. Denn 
wenn er es tut, wie bei Nazis und Neonazis, ist das Geschrei groß. Zu Recht. Nicht alle 
aber, die da schreien, sind selbst frei davon. Zu groß ist die Scham darüber, warum man 
eigentlich die Juden hasst. Und dass die Quellen des Hasses noch immer existieren. Es ist 
eine Mischung aus Neid und Verachtung, eine Furcht vor dem Kosmopolitischen, dem 
Abstrakten, dem Kapitalistischen, dem Revolutionären, dem Verschwörerischen und dem 
Intellektuellen. Das alles steckt in der antisemitischen Projektion, die freilich nichts mit 
dem realen Judentum zu tun hat. Es sind Urängste, tief sitzender Neid, bitterste Verachtung, niedrigste Bauchgefühle. Die Projektionen auf die Juden sind so komplex, dass sie 
eigentlich tun können, was sie wollen – es wird immer irgendein Ressentiment bestätigt. 
Nach dem Holocaust lässt sich das aber nur schwer zugeben, doch Gott sei Dank gibt es ja 
jetzt Israel. Das lässt sich gut mit als Kritik verkleidetem Ressentiment überschütten. Und 
in der täglichen Politik gibt es dafür auch immer wieder Anlass genug. 
Rassismus als Kampfbegriff
Ein grundsätzliches Missverständnis taucht immer wieder auf, wenn es um Israel geht. 
Dem Staat wird vorgeworfen, in seinem Kern rassistisch zu sein. Das ist umso bemerkenswerter, als dass diejenigen Länder, aus denen der Vorwurf kommt, hier ganz explizit Deutschland, den Rassismus im eigenen Lande verleugnen. Jeder Versuch, Rassismus 
explizit und konkret anzusprechen, ist wie ein vergebliches Rufen im Walde. Es bleibt 
im besten Fall ungehört und im schlechtesten wird der Rufer bestraft. Israel jedoch wird 
selbst von Spitzenpolitikern als jüdischer Apartheidstaat bezeichnet. So oft Rassismus in 
Bezug auf Israel als Kampfbegriff eingesetzt wird, so wenig gilt er im eigenen Lande. 
Das Judentum, Ziel des Antisemitismus, zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus. 
Jude zu sein, bedeutet sowohl eine im modernen Sinne ethnische Zugehörigkeit, als auch 
eine Religion. Man kann also Jude sein durch Geburt von einer jüdischen Mutter oder 
durch Religiosität. In vielen Fällen ist beides gleichzeitig der Fall. Dennoch gibt es Juden, 
die nicht vom Stammesverständnis her, sondern durch Beitritt – also Konversion zu Juden 
werden. Da im Judentum nicht missioniert wird, sind solche Übertritte vergleichsweise 
selten, doch es gibt sie. Wer sich entschließt, Jude zu werden, kann es auch, doch er muss 
sich auf einen mühsamen Weg machen. Anders als bei Christen oder Muslimen reicht 
kein Glaubensbekenntnis. Viele Israelis sind daher zwar Juden von Geburt, aber nicht religiös. Und umgekehrt sind nicht alle Religiösen von Geburt an Juden. Das Judentum ist 
also eine Mischung aus unterschiedlichen Formen des Bezugs. Was jedoch alle verbindet, 
ist die Geschichtsidentität. Ob säkular oder religiös, ob aus Israel oder sonst wo auf der 
Welt, alle Juden kennen ihre Geschichte seit über 5000 Jahren, die an einem Ort spielt, 
der Israel heißt. Israel – ein Begriff, der das Volk des alten Israel genauso bezeichnet wie 
einen geographischen Punkt auf der Landkarte. 
Israel, kein Staat wie jeder andere
Nach der Metzelei an den europäischen Juden wurde der Wunsch nach einem eigenen 
Staat, in dem man als Jude in der Mehrheit ist, immer nachdrücklicher. Dass ausgerechnet 
jene Ecke der Welt dafür ausgesucht wurde, die den Bezug zur eigenen Identität verkörpert, hatte also seine Logik. In diesem Staat aber sollen die Juden die Mehrheitsgesellschaft 
bilden. Also müssen säkulare und religiöse Perspektiven im Aufbau des Staates berücksichtigt werden. Und das ist schwer in der modernen Welt. Ein Privilegieren der Juden als 
Mehrheit in einem jüdischen Staat bedeutet, Nicht-Juden dieses Privileg vorzuenthalten. 
Das wiederum ist in einer Demokratie nicht möglich. Also sind die Gesetze innerhalb 
Israels an der Stelle kompliziert, statt einfach. Einfach wäre es zu sagen: alle sind gleichberechtigt. Doch das würde bedeuten, keinen jüdischen Staat zu haben, sondern einen Staat 
wie jeden anderen. 
Davor jedoch fürchten sich die Juden, denn ihre Lage in der Region ist sehr schwierig. 
Der Hass der umliegenden Staaten bedroht ihre Existenz. Und zwar weil Israel nicht 
nur ein jüdischer, s
ondern eben auch ein säkularer, moderner, demokratischer Staat ist, 
dessen Gesellschaft äußerst heterogen und multikulturell ist. Israel ist westlich orientiert, 
hat eine intensive Debattenkultur, über alles wird gestritten; es ist eine Insel vital gelebter 
Demokratie inmitten einer Region, in der um wichtige Parameter der Menschenrechte 
wie Pressefreiheit, Religionsfreiheit, freie Wahlen und vieles mehr noch gekämpft werden 
muss. Der Hass auf Israel ist ein Ventil für die Wut und Resignation über das Stagnieren 
der Region auf einem niedrigen ökonomischen Niveau. Viele Länder im Mittleren Osten 
haben noch einen schwierigen und langen Weg von Despotie zu Demokratie zu gehen. 
Doch statt sie dabei zu unterstützen und für die Menschenrechte einzutreten, ist es für 
viele Europäer leichter, Israel zu dämonisieren und die Juden dabei zu meinen. 
Gewiss ist die Mehrheit-Minderheit-Konstruktion in Israel für Europäer schwer zu verstehen, und die Folgen auch schwer gutzuheißen, doch der einfache Rückzug auf ein Ressentiment belegt nur den Mangel an Bereitschaft, sich in die israelische Lage hineinzudenken. Dass es darüber hinaus auch jegliche Art von Kritik an der jeweiligen politischen Ausrichtung der Regierung geben kann, versteht sich von selbst. Meist sind aber das Ressentiment und der Mangel an Bereitschaft zu Empathie die Quellen der Kritik und nicht die ohnehin komplizierte Sachlage. Israelfeindschaft oder – wie wir es nennen – israelbezogener Antisemitismus hat den klassischen Antisemitismus als Gesellschaftstheorie längst abgelöst. 
Antisemitismus jenseits der extremen Rechten
Dieser Antisemitismus kommt nicht mehr nur bei Rechtsextremen vor, im Gegenteil. 
Gerade Menschen, die den Kapitalismus ablehnen und den Imperialismus bekämpfen, 
benutzen Israel als ihre Projektionsfläche. Israel und die Juden sind für sie fast gleichbedeutend mit Kapitalismus und Imperialismus. Auch das ist ein altes antisemitisches Ressentiment, Juden mit Geld und Verschwörung zu verbinden, sie als heimliche Herrscher 
der Welt zu fantasieren. Oder als gnadenlose Rächer gegenüber den »unterdrückten Völkern« der Region. Viele antikapitalistische Gruppen und Verbände haben eine irrationale 
Haltung zu Israel und den Juden. In ihrer Ideologie zeigen sich die alten Klischees, die 
Gerüchte über die Juden. Und sie behaupten, man dürfe Israel nicht kritisieren, um so 
jeder Auseinandersetzung von vorn herein aus dem Weg zu gehen oder jeden Widerspruch 
zu delegitimieren. Und schon entstehen wieder heftige Emotionen, die keinerlei Vernunft 
mehr zugänglich sind. 
Israel entstand in einer Zeit des weltweiten Umbruchs. Nach den beiden Weltkriegen 
sind viele Staaten neu entstanden und andere verschwanden. Grenzen wurden neu gezogen, gerade in Europa, Bevölkerungen wurden ausgetauscht. Polen, Ukrainer, Ungarn, 
Rumänen, Tschechen, Deutsche – überall in Mittel- und Osteuropa gerieten die Grenzen, Staaten und ihre Bewohner in Bewegung. Die meisten Juden, die dort lebten waren 
umgebracht worden, die überlebten, suchten nach einem neuen Weg. Und viele führte 
dieser Weg in ein neues, eigenes Land, in dem weder Invasoren noch Nachbarn sie einfach 
töten konnten. Alle diese neuen Grenzen sind inzwischen Normalität. Niemand will mehr 
ernsthaft, dass die Vertriebenen nach Polen, Russland oder sonst wohin zurückkehren. 
Ebenso wenig wollen das alle anderen. Denn in dem Fall müssten die meisten Europäer 
noch einmal komplett umziehen. Mitsamt aller ihrer Nachfahren. Niemand will sich die 
Konflikte, Probleme und Kämpfe, die daraus heute entstehen würden, wirklich vorstellen. 
Warum also soll Israel das einzige Land sein, dem nicht zugebilligt wird, als Produkt 
der europäischen und speziell der deutschen Geschichte anerkannt zu werden? Weshalb 
gerade Israel? Wozu die Obsession? Um israelbezogenen Antisemitismus aufzulösen, muss 
man zuerst verstehen. Dazu wollen wir mit diesem Heft beitragen. 

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Anetta Kahane ist Vorsitzende der Amadeu Antonio.Stiftung