How to Blow Up a Pipeline – Eine Filmkritik

HOW TO BLOW UP A PIPELINE  – Eine Filmkritik

Am 26.9.2022 werden in der Ostsee, nahe der Insel Bornholm, in schwedischen und dänischen Hoheitsbereichen, zwei deutsch-russische Pipelines, die Nordstream-Gas-Pipelines gesprengt. Das austretende Gas wird gefilmt und in den internationalen Medien weltweit gezeigt. Die Behörden der zwei skandinavischen Länder nehmen die Untersuchungen auf und schnell wird klar, es war kein Unfall, es war Sabotage. Die Sprengungen lösten seismisches Beben aus, das auf Detonationen von mindestens jeweils 500 kg Sprengstoff hinweisen. Eine der insgesamt vier Stränge der Nordstream 1 und 2 Pipelines blieb allerdings unversehrt. Dort hat die Zündung versagt. Die anderen Bomben konnten von den Schweden geborgen und analysiert werden. Was sie genau gefunden haben, halten sie aber geheim. Die schwedischen Ermittler gehen davon aus, dass es sich um staatliche Akteure gehandelt habe. Russische Ermittler wurden vor Ort nicht zugelassen, die deutschen Ermittler kamen zu spät. Aber schnell wurde in Umlauf gesetzt, es müsse sich um russische Täter gehandelt haben, Putin sei schuld.

Der international renommierte Investigativjournalist Seymour Hersh, der seit Jahrzehnten insbesondere Verbrechen US-amerikanischer Akteure, darunter das Massaker im vietnamesischen My Lai vom 16. Mai 1968 mit ca. 500 ermordeten Zivilisten, aufgedeckt hat, beschrieb fünf Monate nach der Pipelinesprengung, im Frühjahr 2023, wie US-Navy-Spezialisten aus Panama-City im Staate Florida mit norwegischer Unterstützung die Tat begangen haben. Er stützte sich auf Whistleblower aus amerikanischen Regierungskreisen, die er aber nicht namhaft machen kann, um sie vor Gefängnisstrafen zu bewahren, die wie Chelsea Manning, Edward Snowden oder Julian Assange erdulden mussten bzw. zu erwarten hätten. Demnach hat das führende NATO-Mitglied, die USA, ein anderes NATO-Mitglied, die Bundesrepublik Deutschland mittels eines terroristischen Akts angegriffen, das nach Völkerrecht einem Kriegsakt gleichkommt. Weder die USA noch die angegriffene Bundesrepublik konnten das aus unterschiedlichen Gründen eingestehen. Also musste weiter behauptet werden, Putin stecke dahinter oder eine andere Spur musste gefunden werden.

Da die Russenspur inzwischen immer wackliger wurde, wer schmeißt so mir nichts dir nichts einfach ein paar Milliarden Dollar in die Mülltonne, um einen Geschäftspartner zu ärgern, wurde eine neue Täter-Theorie in Umlauf gesetzt. Die zuständigen deutschen Behörden legten sich auf eine Gruppe von sechs nichtstaatlichen Ukrainern fest, die ein 15 Meter langes Segelboot namens Andromeda gemietet hätten, mit dem sie von deutschen Häfen aus quer über die Ostsee zur Insel Bornholm geschippert wären, um dort in ca. 80 bis 90 Metern Tiefe die Sprengsätze an die weit voneinander entfernt liegenden Pipelines anzubringen. Am 2. Juni 2023 wurde die Wohnung einer Frau in Frankfurt/Oder von der deutschen Kripo durchsucht, deren verschwundener Lebensgefährte ein Ukrainer ist und mit der sie ein gemeinsames Kind hat. Es wurde Beweismaterial sichergestellt, darunter Haare des Kindes, um Mittels einer DNA-Analyse feststellen zu können, ob DNA-Material, das auf der Andromeda gefunden wurde, mit dem des tatverdächtigen Ukrainers aus Frankfurt/O identisch ist. Ein Ergebnis wurde bislang nicht veröffentlicht.  

Einen Tag nach der Razzia bei der Frau in Frankfurt/Oder, am 3.6.2023, lud Fugu-Filmverleih im „Atelier Gardens“ zur Voraufführung des US-Films „How to Blow Up a Pipeline“ ein, der am 8. Juni in die deutschen Kinos kommt. Die Frage stellt sich naturgemäß, hat der Film irgendetwas mit der realen Sprengung in der Ostsee zu tun? Die Macher des Films behaupten „nein“, obwohl die Parallelen auf der Hand liegen. Der Regisseur, Daniel Goldhaber, antwortet auf meine Nachfrage, die Motive seien völlig andere. Damit ließ er es bewenden. Die Ähnlichkeiten interessierte ihn nicht.

Gut, gehen wir sowohl den Unterschieden als auch den Ähnlichkeiten nach. Bei den Nordstream Pipelines handelt es sich um ein sehr wichtiges Infrastrukturobjekt, das die deutsche und westeuropäische Industrie mit billigem Gas versorgt hat, um international wettbewerbsfähig sein zu können. Die Sprengung hat hauptsächlich Nachteile für Deutschland, da Alternativen wesentlich teurer und bezüglich des Umweltschutzes wesentlich dreckiger sind. Die Nachteile für Russland sind weniger gravierend, da perspektivisch andere Abnehmer des Gases bereits bereitstehen. Die Sprengung im Film findet nicht unter Wasser statt, sondern in der texanischen Wüste, eine Sprengung in zwei Meter Höhe, die zweite zwei Meter unterhalb des Wüstensandes. Die Filmakteure bezwecken mit ihrer Sprengung keinen Dauerschaden, sondern wollen schlicht Aufmerksamkeit erreichen für die von ihnen gesehene Gefahr des Klimawandels durch zu hohe CO2 Emissionen, die durch das Verbrennen von Öl verursacht werden. Unterschiedlich sind die verursachten Kosten. Die Reparatur der Nordstream-Pipelines kostet vermutlich Milliarden, die Texas Pipeline im Film könnte relativ schnell und einfach für vielleicht eine Million Dollar repariert werden. Ein anderer Unterschied liegt in der Qualität der Akteure. In der Ostsee handelt es sich, gemäß Seymour Hershs Erkenntnissen, um staatliche Profis, im Film um Amateure. Im Film geben sich zwei Beteiligte als Täterinnen zu erkennen, von den Ostsee-Terroristen gibt es kein Täterbekenntnis.

Was sind nun die Ähnlichkeiten? Beide Fälle richten sich gegen teure Infrastrukturobjekte für die Energieversorgung. Gas der Nordstream und Öl aus der texanischen Wüste verursachen bei ihrer Verbrennung CO2 Emissionen, die den Klimawandel bewirken. Die Sabotage dieser Infrastruktur liegt deshalb im Interesse von Teilen der Klimawandel-Bewegung. Nicht von ungefähr klatschte die angeblich grüne Regierungspartei in Deutschland Beifall, wenn auch verbrämt als Maßnahme gegen das zu „ruinierende“ Russland, das sich durch eine eventuelle NATO-Mitgliedschaft der Ukraine bedroht fühlt und deshalb einen von ihr so bezeichneten „Präventiv-Krieg“ führt. Beide Aktionen sind also in diesem Sinne erfolgreich, nicht nur in der Sprengung, sondern zum Teil auch in ihren Zielen. Dass mit den für Deutschland benötigten Energiealternativen, Kohle und Fracking Gas, nunmehr viel mehr CO2 erzeugt wird als mit dem eher sauberen „Russen-Gas“, spielt für die angebliche Öko-Regierungspartei dabei keine Rolle.

Eine weitere Ähnlichkeit der beiden Fälle liegt mehr im fiktiven Bereich. Da die Täterschaft der US-Navy-Spezialisten nicht zugegeben werden darf, die Folgen wären dann politisch dramatisch, muss eine fiktive Lösung des Problems herhalten. Die Razzia in Frankfurt/Oder weist auf das Szenario hin, das von deutschen Behörden favorisiert wird. Die Gruppe von sechs Amateuren, vermutlich aus der Ukraine stammend, findet sich zusammen, um drei bzw. vier äußerst schwere Sprengladungen an die vier Pipelinestränge anzubringen, die mit einem Betonmantel umgeben sind, also besonders schwierig zu sprengen sind. Angeblich wurden auf der Andromeda Sprengstoffspuren gefunden, was bedeutet, dass sie den Sprengstoff dort irgendwie gemixt haben müssten. Von den sechs Tätern weiß man nicht viel, nur dass unter ihnen ein Kapitän ist, eine Ärztin, eine Arzthelferin, und drei Taucher. Woher man das weiß, ist unklar. Bei Anmietung der „Andromeda“ wurde mit gefälschten Pässen operiert, von denen zwei von den Behörden gefunden worden seien. Welche politischen oder sonstige Gemeinsamkeiten sie vor der Tat hatten, ist unbekannt. Der Mann aus Frankfurt/O gilt als verschwunden, wie die fünf anderen auch.

Die Gruppe im Film besteht aus acht Aktivisten, vier Frauen und vier Männern, ethnisch und gendermäßig fein gemischt, zwei Afro-Amerikaner, ein Sioux aus Süd-Dakota, ein gemischtes Lesbenpärchen, ein weißes Kokser-Freakpärchen, und ein junger weißer Mann, dem durch „Eminent Domain“ ein Teil seines Bauernhofs für die Verlegung einer Pipeline konfisziert worden war. Die eine Frau befand sich im Endstadium von Leukämie, die sich entwickelt hatte, weil sie jahrelang neben einer Luftverpestende Öl-Raffinerie gelebt hatte. Ihre Lebensgefährtin machte aus Solidarität zu ihr mit. Eine andere Frau protestierte vorher gegen zu hohen Benzinverbrauch durch SUVs und Bootsyachten, indem sie Reifen zerstach bzw. die Elektronik von Yachten zerstörte. Bei dem freakigen Pärchen blieb der Zusammenhang mit der Ökobewegung unklar, es war irgendwie gegen alles, außer Kokskonsum. Der Afro-Amerikaner war mit der Reifenstecherin befreundet und verteilte gelegentlich Flugblätter für nicht näher erkennbare Gruppen. Er agitierte das Freak-Pärchen mitzumachen und brachte die ganze Gruppe irgendwie zusammen. Der Native-American war von seinem Leben in South-Dakota so frustriert, dass er sich ständig mit fremden Leuten anlegte. Er entpuppte sich als der Bombenspezialist. Einig waren sich aber alle, dass niemand direkt zu Schaden kommen sollte. Es sollte eine friedliche Sabotage sein und Aufsehen erregen, um die Bevölkerung zum Nachdenken zu bewegen. Sie verstehen sich daher nicht als Terroristen, obwohl ihnen eine mögliche Zuweisung als solche egal gewesen wäre. Jeder, der sich auflehnt, würde von den Herrschenden ohnehin als solcher bezeichnet werden, meinten sie.

Diese acht Amateure finden eher zufällig zueinander, waren vorher nicht gemeinsam in der Green Party oder sonst wo organisiert. Die Sprengladungen hat der Sioux aus Süd-Dakota in einem eigens angemieteten Schuppen selbst zusammengemixt, in riesengroße Fässer gestopft, und am Sprengungsort mit Zündern Marke Eigenbau versehen. Die Fässer waren fast zu schwer, um sie bewegen zu können, insbesondere an dem zwei Meter hohen, nicht mit Beton ummantelten Pipeline-Strang zu befestigen. Für die andere Sprengung musste ein zwei Meter tiefes Loch in den Sand gebuddelt werden.

Seymour Hersh weist auf das Skript zur Nordstream-Sprengung hin, das von Victoria Nuland, stellvertretende Außenministerin und Jake Sullivan, Sicherheitsberater von J. Biden, stammt. Beide hätten ein Team zusammengestellt, das den Plan in langer Vorbereitungszeit akribisch ausgearbeitet habe. Biden hätte nur noch den Termin festlegen und auf den Knopf drücken müssen.

Das Skript zum Film stammt von einem Buch des schwedischen Assistenzprofessors und Öko-Aktivisten Andreas Malm, das auch auf Deutsch erschienen ist: „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt – Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“. Im Text seines Berliner Verlages, Matthes & Seitz, wird Malms Intention so beschrieben: „…. Ist es also an der Zeit, das kaputt zu machen, was uns kaputt machen wird? In diesem mitreißen­den Manifest fordert Andreas Malm nichts weniger als die Eskalation: Wir müssen die Förderung fossiler Brennstoffe zum Stillstand bringen – mit unserem Handeln, unseren Körpern, mit allem, was uns zur Verfügung steht…. Mit der Leidenschaft eines Aktivisten und dem Wissen eines Forschers diskutiert Andreas Malm das Spannungsfeld zwischen Gewaltfreiheit und direkter Aktion, Strategie und Taktik, Demokratie und sozialer Veränderung. Und zeigt uns, wie wir in einer Welt kämpfen können, die längst in Flammen steht.“ In vergangenen Kämpfen, Frauenrechte und Apartheid werden genannt, wurde auch „Eigentum zerstört, Infrastruktur angegriffen. Nur so konnte der notwendige Druck aufgebaut werden, um Veränderung voranzutreiben“, schreibt der Verlag.

Der große Saal im ehemaligen UfA-Gelände war mit ca. 300 Zuschauern vollgefüllt. Der Film wurde im Original mit deutschen Untertiteln gezeigt. Der Regisseur diskutierte im Anschluss zusammen mit einem Panel wie der Film zu interpretieren sei. Der Film wurde im September 2022 in den USA fertig gestellt, also zum gleichen Zeitpunkt der Bombardierung der Nordstream-Pipelines. Diese Koinzidenz spielte in der Diskussion keine Rolle, so wie auch die Sprengung der Nord Stream weder vom Regisseur, noch vom Panel oder einem Diskutanten aus dem Publikum je erwähnt wurde.

Die Panelteilnehmer und das Publikum waren alle ziemlich jung. Der älteste im Panel war ein Mann, der bei den WTO-Protesten in Seattle in den 90igern dabei war und seitdem aktiv ist. Es fiel daher niemanden auf, dass es eklatante Ähnlichkeiten zu Bewegungen in den 60igern bzw. den 70igern gibt. Der Unterschied liegt natürlich in der Motivlage, aber nur zum Teil in der Art der Durchführung. Damals gab es ein antiimperialistisches Vorverständnis, heute ein grünes Vorverständnis. Anfänglich erzielte sogar die RAF eine, wenn auch verhaltene, Zustimmungsrate in der Bevölkerung, die man sich heutzutage nicht mehr eingestehen will. Im Juli 1971 ermittelte Allensbach eine Sympathierate von 20% bei unter 30-Jährigen. Heute hat sich ein grünes Vorverständnis bis in die Regierungs- und Oppositionsparteien entwickelt. Das Filmpublikum reagierte entsprechend. An mehreren Stellen gab es großen Applaus bei den mehrheitlich jungen Zuschauern, insbesondere als die Sprengung erfolgreich war und die Pipeline an den zwei präparierten Stellen in die Luft flog. Öl wurde dabei nicht emittiert, da es dem Freakpaar gelang, den Hahn kurz vor der Sprengung abzudrehen.

Der Film, der außer der Sprengung, wenig Action beinhaltete, kam also gut an beim Publikum. Er transportierte demnach die beabsichtigte Message. Er war in diesem Sinne also erfolgreiche Agitation, ganz im Sinne des Regisseurs und der Panelteilnehmer. Die Messerstechereien und andere Sabotageaktionen wurden in keiner Weise infrage gestellt, auch nicht vom Publikum. Die Parole wurde ausgegeben: Sabotage als Selbstverteidigung. Der Film solle Aufmerksamkeit in den Medien erzeugen und zum Dialog anregen. Das Publikum klatschte begeistert Beifall. Deutsche Rezensenten in „Die Zeit“ und in der evangelischen Zeitung „Chrismon“ kommentieren sehr positiv, ohne die Parallelen zu Nordstream zu erwähnen. Das fast Gleiche in Springers Welt, wo immerhin auf die Problematik des propagandistisch gelungenen Sabotageaufrufs hingewiesen wird. Nur der Bezug zu den Klimaklebern wird hergestellt. Ich fühlte mich in die Endsechziger zurückversetzt und erinnerte mich an Holger Meins mit seinem Film, „Wie baue ich einen Molotov-Cocktail“, der im vollgefüllten Audimax der TU in Berlin am 1. Februar 1968 während der Vorbereitung eines geplanten Springertribunals gezeigt wurde, woraufhin ein Strafprozess gegen ihn eröffnet wurde. Damals fand sich kein Film-Professor bereit, den Film als abstraktes, nicht zur Gewaltanwendung aufrufendes Kunstwerk zu deklarieren. Der Prozess wurde eingestellt, nachdem er sich im Gefängnis als Gefangener der RAF zu Tode gehungert hatte.

8.6.2023, Günter Langer

Bilder und Moral in Vietnam und in der Ukraine

Die moralische Kraft der Bilder  in Vietnam und in der Ukraine

Warum ist die Reaktion zum US-Krieg gegen Vietnam in den Sechzigern anders als die Reaktion in den Zwanzigern bezüglich des Krieges in der Ukraine?

Es sind die Bilder. Journalisten waren in Vietnam, anders als später im Irak oder in Afghanistan, noch nicht „embedded“, also noch nicht unter direkter Kontrolle der Militärs. Sie konnten sich noch relativ frei bewegen und relativ frei ihre Berichte und Fotos machen. Insbesondere die Bilder der Folgen der US-Bombenangriffe und anderer Kriegsverbrechen, wie die in My Lai, erzeugten moralische Abscheu. Antiimperialisten gelang es diese moralische Abscheu, die sich in den Universitäten und in der Bevölkerung verbreiteten, in Antikriegsaktivitäten zu lenken. Das bedeutete aber nicht, dass die Mehrheit der Antikriegsgegner die Natur des Imperialismus theoretisch durchdrungen hatte. Nachdem der Krieg beendet war, der moralische Protest damit obsolet war, wurde die US-Außenpolitik geostrategisch so weitergemacht, als ob es den Vietnamkrieg gar nicht erst gegeben hätte. Kriege in Jugoslawien, Irak, Afghanistan, und Regimechangeoperationen in Syrien und Libyen folgten ohne große Proteste.

Auch im Ukrainekrieg sind es die Bilder. Jeden Tag wird von den Folgen des Krieges berichtet und es bildet sich, wie im Falle Vietnams, moralische Abscheu, diesmal nicht gegen die USA, sondern gegen Russland, obwohl die USA sozusagen mitschießen, da sie eindeutig Partei im Konflikt sind. Nicht umsonst wird vom Proxy War, also vom Stellvertreterkrieg gesprochen. Anders als im Irakkrieg sind die Medien in der Ukraine nicht „embedded“, es sind ja keine Gis involviert, sie sind aber auch nicht frei wie im Vietnamkrieg, sondern sie beschränken sich in ihrer Berichterstattung auf eine Seite, sie haben von vornherein Partei ergriffen. Deutlich wurde das bereits mit der Darstellung der Maidan-Ereignisse und des illegalen Regimechange in Kiew 2014. Von der Rebellion der von der neuen Regierung diskriminierten russischsprachigen Bevölkerung im Donbas und der Krim wurde kaum oder sehr einseitig berichtet. Insbesondere wurden keine Opferbilder oder Berichte produziert, die durch den militärischen Kampf gegen die Rebellen entstanden sind. Westliche Medien ignorierten die Leiden der Rebellenrepubliken, die sich auf ca. 14000 Tote aufsummierten. Kriegerische Auseinandersetzungen begannen also bereits 2014, für die Konsumenten der westlichen Medienberichterstattung aber erst mit der russischen Invasion 2022. Der moralische Protest richtete sich quasi automatisch, bzw. von interessierter Seite gelenkt, gegen den angeblich „unprovozierten Aggressor“. Eine Analyse der geostrategischen Interessen der am Krieg direkt und indirekt Beteiligten wird nur in bislang einflusslosen Zirkeln geleistet. 

In beiden Fällen, in Vietnam und in der Ukraine, spielt also die Moral eine äußerst wichtige Rolle. Der Protest blieb aber in beiden Fällen in der Moral stecken. Die den Kriegen zugrundeliegenden geostrategischen und Profitinteressen blieben bzw. bleiben außen vor. Diese Interessen müssen analysiert werden. Nur dann können Wege gefunden werden, an wen welche Forderungen gestellt werden müssen. 

Günter Langer, 28.5.2023

Compliance-Regeln

von Günter Langer

Compliance

In Sachen Habeck-Filz wird von Grünen und ihren Medientrolls davon fabuliert, die Compliance-Regeln seien nicht vollständig eingehalten worden, ohne zu erklären, was diese Regeln beinhalten. Als des Englischen einigermaßen mächtig (25 Jahre Englischlehrer) und als politisch ebenfalls einigermaßen Interessierter (Obama-Wahlhelfer und drei Jahre Präsident einer Home Owner Association in Florida) kramte ich in meinem Gedächtnis, ob ich diesem Terminus früher schon einmal begegnet bin. Fehlanzeige.

Es hieß, der Minister sei von einem seiner Untergebenen über Bekanntschafts- und Verwandtschaftsgrade von Bewerbern für hochdotierte Jobs in dessen „Wärmewende-“ Arbeitsbereich im Wirtschaftsministerium nicht transparent genug unterrichtet worden. In gutem Deutsch hätte man auch artikulieren können, die normalen Bewerberverfahren seien nicht korrekt eingehalten worden. Was also bedeutet „compliance“? Langenscheid  übersetzt „to comply“ mit „Regeln befolgen“, bzw. „Regeln einhalten“, mit anderen Worten der Begriff „Compliance-Regeln“ bedeutet also die „Befolgung von Regeln“.  Da dieser Begriff keinerlei Hinweis darauf gibt, was für Regeln das sein könnten, ist er so gebraucht also sinnlos. 

Da in diesem Zusammenhang auf die normale Sprache verzichtet wurde, die normal gebildete Bürger verstehen, liegt der Verdacht nahe, dass mit der Wahl dieser eher kryptischen Sprache, die niemand versteht, irgend etwas bezweckt wird. Soll der Vorgang vielleicht harmloser aussehen, als er ist? Wenn niemand versteht, worum es eigentlich geht und nur irgendeine unwichtige bürokratische Regel nicht eingehalten wurde, kann es eigentlich nichts Schlimmes gewesen sein, jedenfalls nicht so etwas wie Filz, Korruption oder persönliche Bereicherung. Orwell hätte mit diesem Sprachgebrauch sicher auch seine Freude gehabt. Schwarz ist weiß, Krieg ist Frieden….

25.5.2023

Meine Weihnachtslektüre – Kampf um Hegemonie

Weihnachtslektüre 2023 – Kampf um Hegemonie

1. Ludwig Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie – Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte, Scherpe Verlag Krefeld, Erstauflage 1948
2. Klaus von Dohnanyi, National Interessen – Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche, Siedler Verlag, München 2022
3. Wolfgang Gehrke/Christiane Reymann (Hg.), Ein willkommener Krieg? – NATO, Russland und die Ukraine, PapyRossa Verlag, Köln 2022
4. Oskar Lafontaine, Ami, It’s Time to Go!, Plädoyer für die Selbstbehauptung Europas, Westend Verlag, Frankfurt/M 2022
5. Ray Dalio, Principles for Dealing with the Changing World Order – Why Nations Succeed and Fail, Avid Reader Press, New York 2021

Am 24. Februar 2022 habe es eine Zeitenwende gegeben, proklamierte am selben Tage der deutsche Bundeskanzler. Als Grund nannte er militärische Verbände, die eine international anerkannte Staatsgrenze ohne Erlaubnis überquert hätten. Niemand bestreitet diesen Vorgang. Allerdings diesen Fakt als Zeitenwende zu deklarieren, muss als äußerst fragwürdig angesehen werden, da derartige interstaatliche Aktionen häufig stattfinden. Erinnert sei an Saudi-Arabiens Überfall auf den Jemen, auf den Überfall Aserbaidjans auf Armenien, auf die türkischen Militäraktionen im Irak und im Nordosten Syriens zur gleichen Zeit. Niemand ist in diesen Fällen die Vokabel Zeitenwende eingefallen, obwohl es dort ungleich mehr Tote zu beklagen gibt als in der Ukraine. Daraus kann man schlussfolgern, dass nicht die Anzahl der Verluste oder Gräueltaten ausschlaggebend ist, die die Qualität einer Wende ausmacht. Aber was dann?

Die fünf o.g. Bücher geben indirekt eine Antwort auf diese Frage, eine negative. Es geht nicht um die Anzahl von Opfern, es geht um Herrschaft, um Macht und Hegemonie. Es geht um die Frage, wer die internationale Ordnung regulieren kann, ob im Fall der Ukraine sich Russland dem bisherigen Hegemon gefällig erweist. Die „militärische Spezialoperation Z“ war dazu das „Njet“ aus Moskau. So gesehen lag Herr Scholz völlig falsch mit seiner Begrifflichkeit. In einer wirklichen Zeitenwende gäbe es einen Wechsel der Macht zwischen den Großmächten. Der wird zwar allseits angestrebt, ist aber bislang keineswegs erfolgt. Scholz hat das vermutlich nicht bedacht. Für ihn ging es schlicht um Parteinahme für den derzeitigen Hegemon, ob freiwillig oder gezwungen ist dabei egal.

Der US-Investmentbanker Ray Dalio untersucht die geschichtsmächtigen Faktoren für das Auf und Ab von Imperien der letzten 400 bzw. 2000 Jahre. Insbesondere interessiert ihn dabei das Schicksal des jeweiligen Hegemons, wobei er derzeit ein Patt zwischen China und den USA sieht. Anders als ehemalige Hegemone wie Großbritannien, die direkt militärische Eroberungen vornahmen, kontrollieren die USA eher durch Belohnungen und Drohungen, abgesehen von den Militärbasen in mehr als 70 Ländern. Dalio reiht sich ein in eine Vielzahl von US- und anderen englischsprachigen Autoren, die alle vom „American Empire“ als einer Hegemonialmacht ausgehen, die sich mehr und mehr in Rivalität oder sogar bereits in Feindschaft mit China befindet.
So auch der deutsche Exminister und Bürgermeister Klaus von Dohnanyi. Der Sozialdemokrat sieht sich politisch in der Tradition von Willy Brandt und Helmuth Schmidt. In seinen historischen Betrachtungen beruft er sich nicht etwa auf Marx, Bebel usw., sondern auf den Historiker Ludwig Dehio, der sich selbst als Ergänzer Leopold von Rankes begreift. Nach Ende des letzten deutschen Hegemonialstrebens 1948 sah Dehio bereits eine gewisse Kontinuität des Verhältnisses Zwischen Russland und den USA, wobei China und die „Farbigen“, so bezeichnete er das was später als Trikont, als Dritte Welt, benannt wurde, sich auf dem Weg zu ihrer „General-Emanzipation“ dem kommunistischen Russland zuneigten.

Klaus von Dohnanyi kann inzwischen davon ausgehen, dass es nunmehr hauptsächlich um die Rivalität zwischen China und den USA geht, und Russland längst ins Hintertreffen geraten ist. Worauf der Name seines Buches hinweist, ist sein Hauptargument. Jedes Land, jede Nation hat eigene Interessen, die „wir verstehen müssen“ und die es zu berücksichtigen gilt. Er unterscheidet dabei souveräne Länder und nicht-souveräne. „Deutschland und Europa sind heute in Fragen der Sicherheit und der Außenpolitik nicht souverän. Es sind die USA, die hier in Europa die Richtung vorgeben.“ Und weiter: „Auf dieser Grundlage ziehen sie uns in ihre Konflikte mit den anderen Weltmächten hinein,“ also Russland und China. „Die Interessen der USA sind immer hart geopolitisch, ökonomisch und tief verwurzelt in ihrem Selbstverständnis als ‚exceptional nation‘, also als einzigartige Nation.“ Wobei es zu erkennen gelte, „dass es schon seit dem 19. Jahrhundert eine imperialistische Grundlinie US-amerikanischer Außenpolitik gibt. Adenauer und de Gaulle hatten das schon frühzeitig erkannt.“ Und: „Wir Europäer sind Objekt US-amerikanischen geopolitischen Interesses und waren niemals wirklich Verbündete.“ Das Ziel der US-Außenpolitik sieht Dohnanyi erklärtermaßen darin, die „einzige Weltmacht“ zu bleiben. Europa soll dazu gezwungen werden, als Juniorpartner dabei mitzuhelfen. Dieser auch von Biden verfolgte Kurs „ist gefährlich für Europa und die Welt.“ Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis kommt Dohnanyi auf den auch von Dehio verehrten Leopold von Ranke zurück, den er zitiert: „In der Natur vorwaltender Mächte liegt es nicht, sich selbst zu beschränken: die Grenzen müssen ihnen gesetzt werden.“ Anstatt nun zu diskutieren, wie der „exceptional nation“ Grenzen gesetzt werden können, verliert er sich in gerade auch deren Ziele, wenn er meint, „Europa darf Russland … nicht an China verloren geben.“

Positiv sind Dohnanyis Zusammenfassungen der neueren und älteren Literatur zu den Interessen der Mächte, insbesondere der von Russland, China, Europa, den USA und der NATO. In Bezug auf das vieldiskutierte Völkerrecht meint er, die USA könnten sich am wenigsten darauf berufen, denn die USA erkennen einige Institutionen im Rahmen des Völkerrechts wie den Haager Gerichtshof nicht an und haben etliche Male militärisch andere Länder angegriffen bzw. überfallen, inklusive des völkerrechtswidrigen „targeting killing“ per Drohnen. Inwiefern „Wirtschaftskriege“, darunter „Wirtschaftssanktionen“, mit dem Völkerrecht vereinbar sind, untersucht er nicht. In Bezug auf Nordstream 2 fragt er nur, noch bevor die Pipelines gesprengt wurden, was die USA es angeht, sich in ein europäisches Projekt einzumischen. Das gleiche gilt für die Sanktionen gegen Kuba. Die Differenz zwischen Europa und den USA fasst er so zusammen: „Europa will Frieden, die USA wollen Macht.“

Nach all den Beschreibungen der US-Interessen bleibt er allerdings inkonsequent in der Behauptung, Europa würde „durch die NATO geschützt“. Und: „Die NATO heute aufzukündigen wäre ein gefährlicher Fehler,“ obwohl er auch da noch konzedieren muss, dass „über Krieg oder Frieden in Europa letztlich von den USA“ entschieden werde. Die NATO ist demnach auch in seinen Augen nur ein Instrument der US-Interessen. Von daher sind seine Argumente zum Verbleib in der NATO äußerst fragwürdig. Sie können eigentlich nur erklärt werden mit seinem Verbleib in inner-imperialistischer Sichtweise. Er macht sich Gedanken, wie Europa „eigene militärische Potenz aufbauen“ kann, um „in Regionen außerhalb Europas friedensstiftende Aufgaben wahrnehmen zu können.“ Afghanistan, Mali, Syrien usw. lassen grüßen. Als Mitglied in der NATO wird es demnächst nicht bei der Beteiligung in der Ukraine gehen, sondern auch bald bei Konflikten im pazifischen Raum, um China zu begegnen. Ferner meint auch er, Russland würde sich in Europa nur wegen der NATO „zurückhalten“ und anderen militärischen Bedrohungen wie Terror und Cyberattacken sei auch vorzubeugen. Sein Plädoyer für Entspannungspolitik im Brandtschen Sinne bleibt auch deshalb hohl, weil er nicht erklären kann, wie der US-Maschine „Grenzen“ gesetzt werden können.

Im Weiteren beschreibt er detailliert, warum die Europäische Union eine „deutsche Aufgabe“ sei. Zu beachten sei „The Quest for Self-Determination“, also das Selbstbestimmungsrecht als Basis der Demokratie, die ohne Legitimität nicht überleben könnte. Die EU dürfe deshalb kein Bundesstaat werden, sondern müsse ein Staatenbund bleiben. Darüber hinaus diskutiert er die Öffnung der Wirtschaftsmärkte hin zur Globalisierung und des Neo-Liberalismus, und in deren Folge eine Neubestimmung nationaler Interessen. „Wer Deutschlands ökonomische Entwicklung behindert, zerstört die EU“, ist ein Kernsatz. Das zu sehen sei die Beachtung nationaler Interessen, aber kein Nationalismus. Wenn Staaten die negativen Nebeneffekte der Globalisierung nicht durch sozialpolitische Maßnahmen abfedern, komme es als Folge zu Erscheinungen des Populismus, wie bei Trump. Für Deutschland gilt daher: „Der Sozialstaat im Verbund mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft – das ist auch heute im Kern deutsch Identität und deutsches Interesse“.

Trotz all der realistischen, wenn auch stark verkürzten, Beschreibungen der Weltlage, kann er sich nicht lösen von einer naiven Vorstellung einer friedensstiftenden transatlantischen Gemeinschaft. Die NATO und die EU müsse eine aktive Entspannungspolitik gegenüber Russland „einleiten“ und es von China lösen. Allerdings betont er noch einmal Willy Brandts Diktum: „Ostpolitik beginnt im Westen“, also gegenüber den USA. Und es gelte „anzuerkennen, dass es keine Freundschaften zwischen Völkern und Staaten gibt, sondern nur harte Interessen.“

Der andere alt-sozialdemokratische Matador, Oskar Lafontaine, hat sich von Dohnanyis Inkonsequenz lautstark verabschiedet: Wenn es eine Weltmacht gibt, die auf Teufel komm raus, „einzige Weltmacht bleiben will und deshalb Kriege führt, kann niemals ein Verteidigungsbündnis anführen!“ Und: „Die NATO ist nichts anderes als ein geopolitisches Instrument der USA, einer Macht, die zur Durchsetzung ihrer Interessen in aller Welt verdeckte Kriege, Wirtschaftskriege, Drohnenkriege und Bombenkriege führt.“ Für ihn steht außer Frage, wer die Pipelines Nordstream 1 und 2 gesprengt hat. Antwort: „Dieses Bestreben der USA, die einzige Weltmacht zu sein und keinen ernsthaften Rivalen aufkommen zu lassen, bestimmt die weltpolitische Lage. Wer etwas anderes sagt, belügt die Leute, täuscht sie oder täuscht sich selbst.“ Die Sprengung der Pipelines sei „eine Kriegserklärung an Deutschland“. Lafontaine versteht wie seinerzeit die 68er den Charakter der US-Politik in der Kontinuität des aggressiven Vorgehens, in den „mörderischen Kriegen in Korea, Vietnam, Laos, Kambodscha, Irak, Jugoslawien, Afghanistan, Syrien und Libyen“. Die Europäer, allen voran Deutschland, sind für ihn reine „Vasallen“, die die „aggressive US-Außenpolitik alle mittragen“. Der Ukraine-Krieg ist für ihn folgerichtig kein Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern „ein Stellvertreterkrieg“ zwischen den USA und Russland. Warum sehen das so wenige? Weil „das Pentagon jede Lüge verbreiten kann – und die westlichen Medien sie alle schlucken“.

Die Reaktion der deutschen Politiker ist für Lafontaine völlig inakzeptabel. Scholz sei „mutlos“ und Bearbocks Sprache („Russland ruinieren“) sei „faschistisch“, und Strack-Zimmerhin spricht praktisch nur für die Interessen der Großfirma in ihrem Wahlkreis, Düsseldorf 1, den Rüstungskonzern Rheinmetall. Wie auch Dohnanyi wendet sich Lafontaine gegen den Vorwurf „der US-Vasallen“ ein Nationalist oder „Anti-Amerikaner“ zu sein. Es gehe schlicht darum, „eine Abwanderung europäischer Betriebe in die USA und der enormen Verteuerung der Energiepreise in Europa in der Folge des Ukraine-Krieges und der von den USA vorgegebenen Sanktionen, die Europa und vor allem Deutschland schaden“, zu verhindern. Selenskyi, der von einem Oligarchen ins Amt gehievt wurde, und Biden, der zusammen mit seinem Sohn Hunter in krumme Geschäfte in der Ukraine verwickelt ist, sind für ihn korrupte Politiker, die sich mit den Bandera-Faschisten gemein machen. Überhaupt muss geschlussfolgert werden, dass wir in einer Welt des „Oligarchen-Kapitalismus“ leben, der „notwendigerweise zum Krieg führt“. Als Lösung für den Ukraine-Konflikt verweist er auf den Vorschlag von Otto Schily, der der Ukraine ein Schweizer Modell vorschlägt mit autonomen Kantonen und international verbriefter Neutralität. Und: „Wir brauchen ein Europa, das seine eigene Politik formuliert und das sich nicht in die Auseinandersetzung der atomaren Supermächte hineinziehen läßt. Das gilt für die drei derzeitigen Großmächte, Russland und China.“

Für die Aufsatzsammlung „Ein willkommener Krieg?“ hat Oskar Lafontaine das Vorwort geschrieben, in dem er kurz und knapp die USA, Russland und die Ukraine als „Oligarchen-Systeme“ bezeichnet, „die alle nach den gleichen Regeln spielen.“ Welche das genau sind, lässt er hier offen. An der Grenze zu den USA, also in Mexiko oder Kanada, stehen keine russischen Truppen, wohl aber rund um Russland NATO-Truppen. Der wichtigste Satz hier: „Es ist nicht das Recht eines Landes, an der Grenze einer Atommacht, die mit anderen Atommächten rivalisiert und auf eine Zweitschlagskapazität angewiesen ist, Atomraketen einer anderen Macht ohne Vorwarnzeiten aufzustellen.“ Die Monroe-Doktrin erwähnt er hier nicht, wohl aber die Kuba-Krise von 1962.

Die insgesamt 16 Autoren beleuchten unterschiedliche Aspekte des Ukraine-Dramas, wobei keiner die Z-Kampagne als berechtigt ansieht. Gehrcke und Reymann informieren uns, dass in der Ukraine „alles, was Kiew für kommunistisch hält, unter Strafe von fünf bis zehn Jahren Gefängnis“ steht. Sevim Dagdelen geht davon aus, dass „die NATO nunmehr offen einen Proxy-War, einen Stellvertreterkrieg, in der Ukraine gegen Russland“ führt, der „in letzter Instanz auf den neuen Hauptfeind China“ zielt. Sie befasst sich u.a. auch mit den Kosten für die Ukraine-Unterstützernationen, wobei sie auch Japan erwähnt, das sich inzwischen auf dem Weg zum Billiglohnland befindet, wo z.B. „ein in Tokio ansässiger Softwareingenieur jetzt 30% billiger als einer in Vietnam“ ist.
John Neelsen bezieht sich auf eine Studie der RAND-Corporation von 2017, in der beschrieben wird, dass es um die „Einkreisung und letztliche Eliminierung Russlands als militärischer Rivale“ geht. Und: „Am Ende geht es im Kern um die Aufrechterhaltung der USA als machtpolitischer Hegemon“ und um die „Regelbasierte internationale Ordnung (RiO).“ Hier wird „die Volksrepublik China als der entscheidende Gegner“ gesehen.
Lühr Henken erwähnt die EU-Sicherheitsdirektorin Florence Gaub, die sich die Frage stellt, weshalb Russland jetzt zugeschlagen hat, und mit der Meinung aufwartet, dass die Ukraine in etwa zwei Jahren so stark aufgerüstet worden wäre, dass sie sich „die Krim hätten zurückhole können“. Außerdem befasst sich Henken mit der geplanten Stationierung der „Dark Eagle“ in Grafenwöhr, einer High-Tech-Waffe, die für eine Erstschlagskapazität gegen Russland dienen soll, vor der sich Putin bezüglich eines „Enthauptungsschlages fürchtet“.
Bernhard Trautvetter betont den Umstand, dass „ein Großteil der Ökologiebewegung blind gegenüber der militärisch bedingten Klimaschädigung“ ist. Jörg Kronauer sieht wie Dagdelen die USA um ihre globale Vormachtstellung bangen und deshalb die NATO auf einen Anti-China-Kurs dirigiert. Ähnlich argumentiert Norman Paech, wenn er über das Völkerrecht räsoniert und dabei den „Völkerrechtsnihilismus“ der USA aufs Korn nimmt, die nach dem Zweiten Weltkrieg etliche illegale Kriege als „Welthegemon“ geführt haben. Die „US-Vasallenstaaten“ werden in die „America First“- Strategie mit eingezogen. Eine „Auflösung der NATO“ läge deshalb im Interesse des „Weltfriedens“.
Die Langzeit-Pazifistin Daniela Dahn sieht das auch so und fragt sich, ob „das Völkerrecht überhaupt noch ein Referenzraum ist“. Sie fragt sich, weshalb die meisten Deutschen so vehement gegen Russland Stellung bezogen haben: „Befreit sich Deutschland jetzt von seinen Befreiern?“ Dabei lässt sie außer Acht, dass ja auch die USA zu den Befreiern gehören. Zustimmend verweist sie auf die Stellungnahme des DGB. Der DGB lehnt das 100 Mrd und 2%-Aufrüstungsprogramm ab. Dahn resümiert, dass sich die Friedensbewegung weiterhin gegen die NATO aktiv wenden müsse.
Der Katholik Eugen Drewermann sagt es deutlich: „Raus aus der NATO!“ Und: „Mit ihr ist kein Frieden möglich, weil er nicht sein soll.“ Er bezieht sich auf die Tatsache, dass „die Bundesrepublik als Aufmarschglacis gegen die Sowjetunion“ gegründet worden sei. Der damalige SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer, der sich diesem Kurs widersetzte, „stand auf der Liste der Bedrohung US-amerikanischer Imperialziele“. Die NATO ist eine „Propaganda imperialistischer Machtdurchsetzung.“ Aber auch: „Putins Krieg ist ein Verbrechen, schlimmer noch, er ist ein Fehler!“
Die übrigen Autoren befassen sich mit Vorgeschichte und Nebeneffekten des Krieges, wie z.B. Viktoria Nulands „Fuck the EU“- Kampagne zur Durchsetzung eines den USA genehmen Präsidenten für die Ukraine nach dem Maidan-Putsch, der von ihr mit über 5 Mrd Dollar vorbereitet worden war, mit den Kosten für die Energie, mit den sozialen Kosten usw., alles Themen, die auch anderswo bereits diskutiert worden sind. Alles in allem, eine interessante und lesenswerte informative Zusammenstellung, nicht zuletzt die von Drewermann vorgetragene christliche Sicht.

Günter Langer, Berlin-Rudow

Willi Jasper – Der gläserne Sarg

Willi Jasper, Der gläserne Sarg – Erinnerungen an 1968 und die deutsche „Kulturrevolution“, Matthes & Seitz, Berlin 2018

Am 3. Februar 2023 ist der 1945 geborene Willi Jasper gestorben. Anstatt eines gewöhnlichen Nachrufs soll hier eine Rezension seines eigenen Rückblicks in seine maoistischen Verstrickungen dienen. Er lebte als Kulturwissenschaftler und Publizist in Berlin. Bis 2010 war er Professor für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Potsdam.  

In „Der gläserne Sarg“ beschreibt er die Geschichte seiner maoistischen Vergangenheit, gespickt mit Deutungen der deutschen und chinesischen Geschichte. Im Alter von 21 Jahren kommt er 1966 aus der westdeutschen Provinz in die damalige Frontstadt Berlin, um dort an der FU Germanistik und Politologie zu studieren. Er stolpert hinein in die bereits unruhige Studentenszene. Erste sit-ins haben schon stattgefunden, wie auch studentische Demos in der Stadt gegen imperialistische Einmischungen der Westmächte in Ländern der Dritten Welt, wie im Kongo und besonders in Vietnam. Kaum ist Jasper da, im Folgejahr wird im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Besuch der US-Marionette Reza Pahlavi, dem Shah von Persien, der Germanistikstudent Benno Ohnesorg von der Polizei hinterrücks ermordet. Jasper identifiziert sich schnell mit den Protesten. Als dann ein weiteres Jahr später der große und bedeutende Internationale Vietnamkongress stattfindet und kurze Zeit später Rudi Dutschke angeschossen wird, nimmt er Teil an Bemühungen, die Proteste in maoistische Bahnen zu lenken. Er wird einer der führenden Funktionäre einer Gruppe, die meint, in die Schuhe der KPD der Vornazizeit schlüpfen zu können, völlig außer Acht lassend, dass diese Partei in der BRD vom Verfassungsgericht 1956, also drei Jahre nach Stalins Tod und dem Beginn des Tauwetters, verboten worden und in der DDR zur SED mutiert war.

Was oder wer Jasper dazu überzeugt haben mag, Kommunist sein zu wollen, bleibt unklar. Er ist eben in einer Menge sozusagen mitgeschwommen, wie er dann nach dem schließlichen Misserfolg seiner Minipartei sich offenbar ebenso umstandslos in die publizistische und akademische Gesellschaft einbringen konnte. Die authentische KPD wurde verboten, weil sie sich nicht von dem Ziel der von Marx proklamierten „proletarischen Diktatur“ distanzieren wollte oder konnte, die maoistische Imitat-KPD dagegen wurde von den Behörden toleriert, obwohl sie sich in der Folge des mörderischen Diktators Stalin sah. Solche Widersprüche gehen dem Professor völlig ab, stattdessen berichtet er, wie er mit seinen Genossen 1977 von der KPChinas in Peking und Schanghai empfangen wurde, um teilzuhaben an der Politik, die sich an der „Theorie der drei Welten“ orientierte. Der Mao-Nachfolger Hua Guo-feng hatte diese Mao-Linie noch zugespitzt. In Jaspers Worten: „Ein neuer Weltkrieg sei auf Dauer unvermeidlich, wobei der sowjetische Sozialimperialismus zur gefährlichsten kriegstreiberischen Supermacht erklärt wurde.“ Der Mao-KPD wurde nahegelegt, sich mit den USA zu „nationalrevolutionären Befreiungskriegen auch in Europa“ zu verbünden. Dem stimmten Jasper und Genossen ausdrücklich zu und warnten ihre Gastgeber bei ihrem Besuch in Peking vor Außenminister Genscher, der zur gleichen Zeit dort weilte, weil dieser als Entspannungspolitiker „sich niemals auf eine Front gegen Moskau einlassen“ werde. Jaspers engste „Genossen“, mit denen er zusammen 1977 das Buch „Partei kaputt“ veröffentlichte, Karl Schlögel und Bernd Ziesemer, halten sich bis heute an diese Maxime. Schlögel als renommierter Professor mit seiner Einschätzung des Ukraine-Konflikts und Ziesemer als Autor im Handelsblatt und Capital. 

Abgesehen von diesen Ungereimtheiten beschreibt Jasper viele Details aus der Zeit der Apo-Revolte, so zB die Reaktion des Lehrpersonals der FU-Germanistik auf die Aktivitäten der Studiker, aber auch zu mehr oder weniger bekannten Studentenführern, wie Rudi Dutschke, Gaston Salvatore, von dem er (fälschlich) behauptet, der sei auch Maoist gewesen, Hans-Jürgen Krahl, Peter Neitzke, Jürgen Horlemann und Christian Semmler. Er berichtet auch von Yvonne Stangos und Petros Stangos, der eine Filiale seiner Partei (EKKE) im faschistischen Griechenland aufbauen sollte, dort verhaftet und gefoltert wurde. In Köln lebte Kurt Holl, ein Sympathisant der Jasperschen Partei, der von dem berüchtigten Kölner Richter, Victor Henry de Somoskeoy, verknackt wurde, daraufhin Berufsverbot erhielt und sich anschließend der Sinti-und Romasolidarität verschrieben hatte. Willi Münzenberg und Babette Gross vergisst er nicht, weil er verstehen will, warum deren Propaganda erfolgreich war und seine als Chefredakteur seiner Parteizeitung nicht. Paul Breitner wird bemüht, weil dieser gelegentlich mit Mao kokettiert hatte und deshalb Ärger mit Franz Beckenbauer erntete, der aber selbst dann nach Peking flog und dort höchstpersönlich die Fußballbegeisterung unterstützte. Die Chinesen behaupteten, schon länger als die Engländer, mindestens schon 2000 Jahre lang, ein fußballartiges Spiel (Cuju) gepflegt zu haben.

Der Streik in Hannover gegen das dortige Nahverkehrssystem, ÜSTRA, mit der Roten Punkt-Aktion beschreibt Jasper ausführlich, so auch die Besetzung des Germanisten-Seminars an der FU. Nach der Auflösung des SDS bemächtigten sich Jasper und seine maoistischen Germanistikstudenten in einer Nacht- und Nebelaktion der INFI-Bibliothek: „Mit einem Lastwagen eigneten wir uns einen großen Teil der von dem italienischen Verleger und Anarchistenfreund Giangiacomo Feltrinelli gestifteten Bibliothek der internationalen Arbeiterbewegung an.“ Diese Bibliothek hatte damals einen Wert von über 30,000 DM oder sogar mehr. Was aus dieser Bibliothek geworden ist, gibt er nicht bekannt. Er berichtet aber von der linken Theaterszene in Berlin, über Brecht, Peter Stein, Dieter Sturm und dem Theater am Halleschen Ufer, wo die Maoisten zu einem produktiven Einfluss kamen. Die insbesondere von Wolfgang Schwierdzik betriebene Aufführung der „Märzstürme“, in Anlehnung an den Arbeiteraufstand 1921 in Sachsen und Thüringen unter Max Hölz, würdigt er detailliert. 

Gespannt sucht man eine Erklärung, weshalb Willi Jasper zum Maoisten wurde. Eine direkte Antwort gibt er nicht. Stattdessen zitiert er aus einem Statement des Springer/Welt-Journalisten Alan Posener, der bei seinem Germanistikstudium an der FU Berlin von der Intellektualität der dortigen maoistischen Studenten fasziniert war. Für ihn war es eher eine persönliche Entscheidung, denn eine politische, den Maoisten beizutreten. Posener meinte, sonst wäre er vielleicht bei der RAF gelandet. Wer wisse das schon, wo man bleibt, wenn man ideologisch völlig offen ist. Jasper selbst will darstellen, dass er 1969/70 im San Marino am Savigny-Platz zusammen mit Christian Semmler versucht hätte, Horst Mahler und Mitglieder der Wieland-Kommune die Idee einer Berliner Stadtguerilla auszureden. Da beweist er allerdings ein Erinnerungsvermögen, dass den Fakten nicht standhält, da Mahler und die Kommunarden keine Gemeinsamkeiten in dieser Frage verband. Für Mahler galten die Kommunarden als undisziplinierte Wirrköpfe, mit denen die von ihm angestrebte „Rote Armee Fraktion“ nicht kompatibel gewesen wäre. Mahler hatte tatsächlich einen eher autoritären Stil präferiert, weshalb er nach der Aktion der „Bewegung 2. Juni“, also dem Kidnapping des CDU-Chefs Peter Lorenz im Jahre 1975, sich weigerte den Knast zu verlassen und nach Aden ausgeflogen zu werden. Er wollte stattdessen vom „revolutionären Proletariat“ unter Führung der Jasperschen KPD befreit werden: „Vorwärts mit der KPD!“. 

Ausführlich bemüht er sich die Bedeutung der chinesischen Kulturrevolution und die sich verändernde Linie der KPCH darzustellen. Die Schanghaier Kommune und Maos Witwe, die angebliche Anführerin der „Viererbande“, kommen bei ihm dabei nicht gut weg, obwohl er nähere Einsichten in deren Positionen vermissen lässt. Die sind für ihn schlicht „Linksradikale“ unter anarchistischem Einfluss.  Andererseits zitiert er bürgerliche Autoren, die Sympathien für China bzw. auch für Mao Tse Tung in ihren Äußerungen zum Ausdruck gebracht haben, so Klara Blum (Wien) und Uwe Kräuter (Ex-KBW), die in Schanghai leben, Jürgen Theobald und Hans Mayer, Roxane Witke, die eine Biografie von Jiang Quing, Maos Frau, geschrieben hat.

Ende der 70iger ging es dann mit Jaspers Partei dem Ende entgegen. Man traf sich mit Rudolf Bahro und mit Leuten, die eine ökologisch ausgerichtete Partei gründen wollten auf einer „Sozialistischen Konferenz“. Rudi Dutschke habe Bahro und die „KPD-Kader“ agitiert, sich dem „Bundesverband der Grünen“ anzuschließen, was mit der Auflösung der Jasperschen Partei 1980 dann auch passierte. Der Niedergang seiner Partei sei ein Ergebnis des Niedergangs aller Linken. Erstaunlich findet er die „schnellen neuen politischen und gesellschaftlichen Karrieren zahlreicher Führungskader“ sowohl in der Partei “Die Grünen” als auch generell im Management. Am Schluss warnt er vor „inhaltslosen Parolen“ wie „Wir schaffen das“. Die würden nur „die weltweiten sozialen Ungleichheiten verschleiern und bei ärmeren Schichten der Bevölkerung zu Recht die Sorge auslösen, die Hauptlastenträger von Kriegsfolgen, ökologischen Katastrophen und Flüchtlingskrisen“ zu sein. Dem Spruch auf Herbert Marcuses Grabstein auf dem Berliner Dorotheenstädtischen Friedhof sei zuzustimmen: „Weitermachen!“

Berlin, 30.4.2023

Der Doppelwumms: Deutschland im Zweifrontenkrieg


Gefangen in der Biden-Doktrin

Die deutschen Eliten wiederholen ihre Fehler des 20. Jahrhunderts. Während sie in den zwei Weltkriegen aus der geografischen Mittellage Europas heraus glaubten, gleichzeitig imperialistisch-aggressiv gegen die Nachbarn im Westen und im Osten Krieg führen zu müssen, verhalten sie sich im neuen Jahrtausend ein wenig zurückhaltender. Das heißt aber nicht, dass sie die richtigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen hätten, d.h. keinen Zweifrontenkrieg mehr zuzulassen. Immerhin haben sie ihn nicht aus freien Stücken begonnen. Diesmal haben sie sich im Interesse anderer Mächte darin verwickeln lassen. Als treuer Verbündeter der westlichen Supermacht USA, die ein Interesse daran haben, die Ukraine in die NATO zu integrieren, um sie als Bollwerk gegen Russland nutzen zu können, glauben sie, diese strategischen US-Interessen unterstützen zu müssen. Kanzler Scholz wollte oder konnte sich nicht weigern. Er zeigte sich zögerlich, vielleicht um einen Weg zu finden, sich auszuwieseln. Dies ist gänzlich misslungen, weil er von seiner Ampelkoalition keinerlei Rückendeckung finden konnte. Im Gegenteil, die Koalitionspartner der Grünen und der Liberalen zeigten sich besonders untertänig bei der Verfolgung der kriegerischen US-Politik, bis zur Erklärung der Grünen Außenministerin, „wir befinden uns im Krieg gegen Russland“. Diese Kriegserklärung wurde glücklicherweise von den Russen nicht als formale Kriegserklärung angenommen, sondern wohl als spinnerten Ausrutscher einer verrückten, unerfahrenen jungen Dame angesehen. Dennoch ist diese Erklärung ja nicht ganz falsch, da die Bundesrepublik praktisch einen Wirtschaftskrieg qua Sanktionen gegen Russland führt, und jede Menge Kriegsgerät, einschließlich neuester Panzermodelle, an die Ukraine liefert.

Diese servile Haltung gegenüber der angeblichen „Schutzmacht“ aus Übersee ist den dortigen Eliten nicht servil genug. Um sicherzustellen, dass Scholz nicht doch irgendwie aus der ihm zugedachten Rolle ausschert, wurde eine deutliche Warnung an ihn gerichtet. Offenbar war Scholz nicht eindeutig genug, die Ukraine gegen Russland zu unterstützen, mit modernen Waffen und ggf. auch mit Personal bzw. Uniformierten. So hat man ihm mit vier Bomben in fast 90 Meter Tiefe in der Ostsee vor der Insel Bornholm klargemacht, dass es um alles geht. Einen Sachschaden mittels eines Terroranschlags von 14 Milliarden Euro zu verursachen und die deutsche, bzw. europäische Infrastruktur auf Dauer zu schwächen, was hunderte Milliarden Euro ausmachen kann, wird von Völkerrechtlern als Kriegsakt angesehen. Während Putin Baerbocks Kriegserklärung an Russland praktisch ignoriert, ignoriert Scholz Bidens Kriegserklärung an Deutschland ebenso. Dennoch befindet sich Deutschland nunmehr erneut in einer Zweifrontenlage, Krieg auf zwei Seiten.

Der Ukraine-Krieg ist ohne Berücksichtigung geostrategischer Konkurrenz nicht zu verstehen, die notwendigerweise durch absichernde Gewalt erst ermöglicht wird. Die Frage ist nur, ob eine „regelbasierte Weltordnung“ für das kapitalistische Geschäft möglich ist, die auf Konsens beruht und nicht nur von einem oder zwei Mächten durchgesetzt wird, weil sie militärisch und ökonomisch die Stärksten sind. Renate Dillmann beschreibt das kurz und knapp so: „Staatliche Souveräne zwingen sich wechselweise zur Anerkennung ihrer Existenz und handeln – unter Einsatz aller ihnen zur Verfügung stehenden Erpressungsmittel – die Bedingungen des globalen Geldverdienens aus“. Und sie zitiert den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, dem folgendes in Bezug auf Deutschland rausgerutscht ist: „Meine Einschätzung ist aber, dass wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg. […] Es wird wieder Todesfälle geben. […] Man muss auch um diesen Preis am Ende seine Interessen wahren. […]“. Dillmann fasst zusammen: „Die ganze Gewalttätigkeit und Aggressivität der heutigen Weltordnung ist eben nicht – wie es in der Presse oft dargestellt wird – Ausdruck egomanischer, durchgeknallter Politiker. Sie ist vielmehr Ausdruck dessen, in welchem Umfang unversöhnliche Gegensätze die Wirtschaftsinteressen kapitalistischer Staaten bestimmen – also von Akteuren, die alle dasselbe wollen, nämlich Geld aneinander verdienen und sich dabei mit ihren Interessen unvermeidlich in die Quere kommen.“ [1]


Was in dieser Lage nottut, ist ein Verständnis von mindestens drei Handelnden zu gewinnen, von Biden, von Putin, und von Scholz. Was Biden angeht, ist es notwendig, die US-Tradition zu berücksichtigen und zu klären, ob es eine wirkliche Änderung der US-Außenpolitik, weg von unipolar orientierten Dominanzkriegen, hin zu einer Akzeptanz einer multipolaren Welt gibt. Putins Politik hat sich vom misslungenen Versuch, sich in die westliche Welt zu integrieren, hin entwickelt zu einer Verteidigungspolitik Russlands gegen vermeintliche oder tatsächliche Gefahren konkurrierender Mächte. Beide Positionen, die Bidens und die Putins, sind aus diesen Sichten relativ einfach zu verfolgen und damit auch zu verstehen. Bei Scholz ist das komplizierter. Die deutsche Tradition des 20. Jahrhunderts der imperialistisch-militärischen Eroberungspolitik ist mit den Niederlagen unmöglich geworden. Stattdessen wurde auf wirtschaftliche Erfolge und Durchdringung ausländischer Märkte gesetzt. Diese Strategie steht nunmehr auf dem Spiel, da sie auf billige Energie aus Russland basierte und auf lukrative Absatzmärkte in Nordamerika und anderswo. Scholz muss also, wenn möglich, einen Weg finden, trotz teurerer Energie wettbewerbsfähig bleiben zu können. Danach sieht es leider nicht aus.

 A. Was sind die Strategien der USA, RU und der BRD?

1.  USA
 a) Manifest Destiny

Eine expansive Außenpolitik kann als DNA der USA angesehen werden. Seit den ersten europäischen Siedlungen in der Neuen Welt dehnt sich das von Europäern dominierte Territorium aus. Ständig werden Kriege geführt, gegen die Ureinwohner, gegen Spanier und Mexikaner. Selbst die Westküste hielt sie nicht auf. Hawaii wurde okkupiert und die Philippinen kolonialisiert. Dieser Drang in den Westen wurde mit dem Begriff „Manifest Destiny“ (Klare Bestimmung) belegt, der Einfluss anderer europäischer Mächte in der Neuen Welt wurde bekämpft mit der proklamierten Monroe-Doktrin, die auch zur Rechtfertigung kolonialer Eroberungen in der Karibik und im Westpazifik diente.[2]

Als die britischen Kolonisten, die sich in der Neuen Welt niedergelassen hatten, sich von ihrer eigenen Herkunft und Herrschaft abnabeln wollten, weil ihnen das zu teuer erschien, revoltierten sie erfolgreich gegen ihren fernen König Georg und gründeten einen unabhängigen Staat. Militärische Erfahrung hatten sie schon gegen die einheimische Bevölkerung erworben und diese in ihren Kolonien unterdrückt bzw. ausgemerzt. Nach erfolgreicher Revolution gegen King George musste sich die neue staatliche Union weiterhin gegen England kriegerisch erwehren. Unter einander gab es auch Streit, der im Bürgerkrieg endete. Auch die Ausdehnung über die Grenzen der ursprünglichen 13 Staaten hinaus wurde militärisch gegen die einheimische Bevölkerung abgesichert, als auch gegen Frankreich, Spanien und Mexiko. Russland zog es vor, ihre amerikanischen Besitzungen kampflos an den expandierenden Staat zu verkaufen. Am 6. April 1917 erklärten die USA Krieg gegen Deutschland, weil Deutschland versucht hatte, US-Lieferungen an Groß-Britannien mittels Schiffe-Versenken zu unterbinden. Genau ein Jahr später, im August 1918, landete das Infanterie-Regiment 339 im Norden Russlands, in Archangelsk, um an der Seite Weißer Truppen die junge Sowjet-Republik zu bekämpfen. 222 US-Soldaten der 5000 Mann starken Truppe verloren dabei ihr Leben. Erst am 16. November 1933, als die Nazis schon Deutschland beherrschten, wurde die Sowjetunion offiziell anerkannt. Am 11. Dezember 1941 erklärte Nazi-Deutschland, zusammen mit Italien, den Krieg gegen die USA, in Bündnistreue zu Japan, das vier Tage vorher Pearl Harbor überfallen hatte. Nach dem 2. Weltkrieg teilte sich die Welt auf in zwei Einflussbereiche, wobei die USA die Mission einer Pax Americana verfolgten, die durchgesetzt werden sollte mit einem „kräftigen Export von amerikanischer Macht und Werten“. Gerechtfertigt wurde die dazugehörige Politik globaler Einmischung mit der Exzeptionalität, also mit der Außergewöhnlichkeit der USA.[3]


Nachdem die USA, zusammen mit ihren Verbündeten, Großbritannien und Sowjetunion, die Nazis niedergerungen hatten, begann die neue Auseinandersetzung zwischen den ehemals Alliierten und es kam zu blutigen Konflikten, insbesondere in Korea und Indochina mit vielen Millionen Toten. Die USA wollten das Selbstbestimmungsrecht der dortigen Nationen verhindern. In Vietnam wurde beispielsweise 1956 die im Genfer Abkommen von 1954 vertraglich vereinbarte Wahl verhindert, weil die USA davon ausgingen, dass die Vietnamesen sich für Ho Tschi Minh, den Führer der Kommunisten, mehrheitlich entscheiden würden. 1975 mussten die letzten US-Soldaten das Land fluchtartig verlassen. Wenige Jahre später folgten die Irak-Kriege, Afghanistan und verschiedene Regime-Change-Abenteuer in Syrien und Libyen mit dem Erfolg der Zerstörung dieser Länder und der Ausbreitung islamischer Faschisten.

Die USA verfügten im Jahr 2015 über insgesamt 4.855 militärische Stützpunkte für ihre aggressive Politik. Der größte Teil der Einrichtungen lag im Gebiet der Vereinigten Staaten, 114 lagen in US-Außengebieten. 587 Stützpunkte waren im Ausland angesiedelt, davon 181 in Deutschland[4] und in ca. 70 anderen Ländern.[5] Die Menge der offenen und subversiven Einflußnahmen in andere Länder ist kaum zu überblicken. Der 2018 verstorbene William Blum hat sie in verschiedenen Büchern beschrieben. Jedes Jahr erstellte er neue Listen der mehr oder weniger illegalen Aktionen. In Deutschland unterhalten die USA u.a. die bekannten Stützpunkte Grafenwöhr, Ramstein und den Fliegerhorst Büchel in der Eifel bei Cochem an der Mosel, Heimat des Jagdbombergeschwaders 33 der deutschen Luftwaffe, mit geschätzten 10 bis 20 US-Atombomben. Ca 130-140 US-Spezialisten warten die Anlage.[6]

Damit an diesen Stationierungen nicht gerüttelt wird, muss eine direkte Abhängigkeit geschaffen werden. Dafür dient die Kontrolle über den Energiebedarf der NATO-„Partner“. Russisches Gas passt da nicht ins Bild, denn, wie es Ex-Außenministerin Condoleezza Rice bereits 2014 mit Blick auf die russischen Gaslieferungen im deutschen Fernsehen formuliert hat: „Eine der wenigen Instrumente, die wir haben  … auf Dauer, Du must einfach die Struktur der Energieabhängigkeit ändern.“ Und sie fügt hinzu: „Ihr solltet mehr auf die Nord-Amerikanische Energieplattform setzen (depend on), auf die riesigen Schätze von Öl und Gas, die wir in Nord-Amerika finden.“ [7]

Der designierte Vize-Präsident unter einer Möchtegern-Präsidentin Hillary Clinton, Tim Kaine, beschrieb seinerzeit die damalige Phase als „bipolare Konkurrenz zwischen dem Sowjet-Block und dem von den USA geführten Block“. Die dazugehörige Politik gilt als „Truman-Doktrin“, die Kaine für das neue Jahrtausend erneuern und wiederaufleben lassen will, allerdings nunmehr unter Berücksichtigung der Tripolarität, d.h. der drei Pole: demokratische Staaten, autoritäre Staaten und nichtstaatliche Akteure. Kaine meint, diese neue Phase müsse „offen interventionistisch“ sein, und die USA müssen „wenn nötig unilateral agieren“.[8] Obama setzte dieses Programm tatsächlich um. Das kapitalistische Russland wird als autoritärer Staat bezeichnet, der die „westlichen Werte“ nicht vertritt, Russland sei nicht „demokratisch“ und daher ein Systemkonkurrent. Außer Acht dürfe aber auch China nicht gelassen werden. Deshalb versprach Obama sich mehr um den „pivot Asia“, also China zu kümmern, was Trump mit Handelsbeschränkungen verstärkte und Biden beibehielt.

Das von den USA geführte Konglomerat von Staaten versteht sich zusammen als „der Westen“. In Europa ist es die NATO, deren Existenz mit der Verteidigung gegen den angeblich expansiven Sowjet-Kommunismus begründet wurde. Aber nachdem sich der von der SU angeführte Block des Warschauer Pakt-Systems aufgelöst hatte, blieben die Stützpunkte der USA überall bestehen, und die „Gastländer“ wagten es nicht, daran zu rütteln, mit Ausnahme Frankreichs. Der angebliche Nordatlantische Verteidigungspakt, die NATO, blieb auch ohne den alten Feind, die SU, bestehen und sucht seit der Auflösung des Warschauer Pakts vor nunmehr 30 Jahren ständig neue Daseinsberechtigungen. Militärisch funktionierte das bereits Ende der 90iger im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Serbien, um aus dem serbischen Staat eine Provinz, den Kosovo, herauszubrechen. Gegenwärtig wird daran gearbeitet, das Betätigungsfeld bis in den Pazifik auszuweiten. Mit China steht seit Obamas Zeiten dort der neue Feind bereits fest.

Während die Periode nach dem 2. Weltkrieg von der Politik der sogenannten Eindämmung (containment), also anti-kommunistisch geprägt war, trat unter Kruschtschow die Politik der Friedlichen Koexistenz ein, d.h. ohne direkte Einmischung in der Ukraine, beschränkt auf anti-kommunistische Propaganda. Mit Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Paktes orientierten sich die USA neu. Berühmt-berüchtigt ist hierbei die Studie des Carter-Beraters Zbigniev Brzinzski, der die Ukraine als äußerst wichtigen Ort strategischer Interessen beschrieb. Wie die US-Diplomaten, die russische Elite, und deutsche Außenpolitiker über die Möglichkeit eines NATO-Beitritts der Ukraine noch vor dem Maidanputsch dachten und kommunizierten, zeigen die vonAssange geleakten Depeschen. Die US-Vertreter verfolgten diese Strategie unablässig, die Deutschen warnten vor zu schnellem Vorgehen, und die russische Elite fühlte sich bedroht geostrategisch eingekreist zu werden.[9]

Schon während seiner Amtszeit als Vize-Präsident erklärte Joseph Biden in einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2009: „Wir werden nicht anerkennen, dass eine Nation eine Einflusssphäre beansprucht. Es bleibt unsere Ansicht, dass souveräne Staaten das Recht haben eigene Entscheidungen zu treffen und ihre Allianzen selbst wählen.“ In einem Aufsatz in Foreign Affairs in 2018 macht er deutlich, dass sich diese Auslassung bereits auf die Ukraine bezog. In diesem Aufsatz machte er deutlich, dass es ihm darum geht, auch Georgien und die Ukraine in die NATO bzw. in die EU zu integrieren. Dazu sei es im Übrigen nötig sich „gegen russische Subversion zu verteidigen“ und „die bösartigen Einflussnetzwerke des Kremls auszurotten“.[10] Drei Jahre später schreibt Professor Hal Brands von der John Hopkins Universität Biden eine eigene Doktrin zu der zufolge die Welt vom Wettkampf zwischen Demokratie und Autokratie dominiert würde. Die USA müssten eine „Position der Stärke“ aufbauen und das Pentagon Budget den neuen Erfordernissen anpassen.[11] Die Biden-Doktrin ersetzt den Kommunismus in der Truman-Doktrin mit Autokratie. Das ist praktisch, da es gegen die gleichen Staaten geht wie vorher, also primär gegen Russland und China. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Geostrategie wichtiger ist als Systempolitik.

Während die anfänglichen Annäherungsversuche Putins an die EU und NATO vor allem von den USA nicht aufgenommen wurden, zeigte sich der Westen sehr interessiert, die Ukraine in den eigenen Orbit zu ziehen, mit Überlegungen das Land in die EU und auch in die NATO zu integrieren. Das ließen sich die USA auch einiges kosten, wie die von Nuland erwähnten 5 Mrd Dollar. Das außen vorgelassene Russland verstand diese Politik als gegen sich gerichtet und formulierte schließlich die Rote Linie, nicht zuzulassen, dass die Ukraine Mitglied einer gegen Russland gerichteten Militärallianz wird, ähnlich dem Vorgehen der USA während der Kuba-Krise 1962. Die Elite der völkisch-nationalistischen Ukrainer störte das nicht. Sie roch die Chance, den Westen für eigene Interessen einspannen zu können.

Die USA hätten eine Politik ähnlich der Friedlichen Koexistenz während des Kalten Krieges wählen können und damit verhindern können, dass sich Russland dem eigentlichen Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt, China, annähert. Diese Strategie wird von Teilen der US-Elite verfolgt, so wie es der konservative Journalist Tucker Carlson auf FOX-News propagiert. Stattdessen ging es in Richtung Konfrontation, und damit zur Eskalation. Die Eskalation hat für die US-Wirtschaft den schönen Nebeneffekt, den deutschen Konkurrenten die Hörner zu stutzen. Deutschland wird von seinem eigentlich natürlichen Handelspartner, Russland mit billigem Gas und immensen anderen Rohstoffen, abgeschnitten und verpflichtet, das überteuerte Gas aus den USA zu beziehen. Da die Bundesregierung ihre Unabhängigkeit nicht ganz aufgeben wollte, zögerte Kanzler Scholz sich ganz in den Krieg in der Ukraine einspannen zu lassen und auch mit China zu brechen. Die Pipelinebomben haben klargemacht, dass auf die Ukraineunterstützung nicht verzichtet wird, und was China anbelangt, die Bundesmarine hat bereits eine Fregatte in den Pazifik geschickt, aber da die deutsche Wirtschaft dort zu viel zu verlieren hat, wird den USA bislang noch ein wenig Widerstand entgegengesetzt.

Aber der Reihe nach. Nach der Oktoberrevolution in Russland 1917 spielte die Ukraine für die USA noch keine primäre Rolle. Das änderte sich aber mit Beginn des Kalten Krieges nach dem 2. Weltkrieg. Die ukrainischen Verbündeten der NAZIs waren den USA nützlich als Verbündete gegen das Rote Reich.

b) Die USA und ihre ukrainischen Helfer im Kalten Krieg und danach

In einer 2004 deklassifizierten CIA-Studie, Cold War Allies, wird das beschrieben. Der US-Geheimdienst, The Strategic Services Unit (SSU), der Nachfolger des Office of Strategic Services (OSS) und Vorläufer der Central Intelligence Agency (CIA), in Person des Münchener Büroleiters Boleslav A Holtsman, kontaktierte die Mitglieder der anti-Sowjetischen Ukrainischen Widerstandsbewegung, die sich in der amerikanischen Besatzungszone aufhielten. Hierbei half ihm ein Ungarischer CIA Mitarbeiter, Zsolt Aradi, der die Führer der ukrainischen Nationalisten mit der SSU zusammenbrachte, mit Hrinioch, Lopatinsky, Mykola Lebed, der zusammen mit Bandera 1934 den polnischen Innenminister Bronislaw Pieracki umgebracht und deswegen auch zum Tode verurteilt worden war, und mit Andrej Melnik und eben mit Bandera. Diese Männer seien “fast religiöse Anbeter ihrer Nation und misstrauen allem fremden, vorrangig den Polen, dann den Russen und dann den Deutschen.“ Bei Mitte 1946 startete die Gruppe unter verschiedenen Operationsnamen (Belladonna, Lynx, Trident, Ukulele) ihre Spionagetätigkeit. Die Spionagetätigkeit fiel nicht zur Zufriedenheit der SSU aus, aber zwei Jahre später, unter der neu formierten CIA, fingen dann auch „Kurierdienste und direkte Assistenz für Dissidenten“ (Apostles) an. Ab Sommer 1949 wurden Antisowjetische Gruppen in der Ukraine selbst materiell unterstützt (Androgen, Cartel). Allerdings wurden die ersten Agenten, die bei Lvov (Lemberg) per Fallschirm abgesetzt wurden, von den sowjetischen Behörden abgefangen. Ab 1950 beteiligten sich dann auch die Briten, die Banderas OUN (0rganizacya Ukrainskych Nationaltiv, Organisation der Ukrainischen Nationalisten) unterstützten, während die CIA die ZPUHVR (Ukrainska holovna vyzvolna rada, Ukrainischer Oberster Befreiungsrat), die praktisch der politische Arm der UPA (Ukrainska povstanska armiia, Ukrainische Aufstandsarmee) war, bevorzugten. Die CIA war von dem aktiven bewaffneten Kampf der UPA gegen sowjetische Truppen beeindruckt und fand sie deshalb für eigene Interessen nützlich. Geleitet wurden die Operationen vom MOB (Munich Operation Base) unter dem Namen REDSOX. Ihr Leiter war Gordon M. Stewart.

Ab 1953 wurde die Unterstützung der Ukrainischen Nationalisten umgestellt auf Propaganda, die Gründung eines Instituts in den USA und der Herausgabe von Zeitschriften wie der Suchasnist (Gegenwart), Suchasna Ukrainia (Ukraine Heute), Informatiosnbulletins. Diese Hilfe dauerte an bis zum Zerfall der Sowjetunion. Die Zusammenarbeit mit diesen Gruppen wurde durchgeführt, obwohl der CIA deren Komplizenschaft mit den Nazis und deren Gräueltaten gegen Polen, Juden und Russen bekannt war. Nach eigener Aussage meinte die CIA, die Nutzung dieser Gruppen sei eine „Notwendigkeit des Kalten Krieges“ gewesen.[12] Bandera-Fans[13] sind auch heute noch aktiv in den USA, so die Ukrainian American Freedom Foundation (UAFF), das Center for US-Ukrainian Relations (CUSUR) , das seit 2010 meist jährlich einen »US-Ukraine Security Dialogue« und andere Konferenzen veranstaltet, an denen auch immer wieder ranghohe Militärs, Exminister und Staatssekretäre teilnehmen, beispielsweise Victoria Nuland.[14] Auch Paul Grod ist dabei, Präsident des Ukrainian World Congress, der 2010 die Waffen SS Galicien verherrlichte als „Kämpfer für die Freiheit und für die alte Ukrainische Heimat“.[15] Der Geschäftsführer von CUSUR ist Walter Zaryckyj, ehemals Mitglied der American Friends of Anti-Bolshevik Bloc of Nations, der 1943 von dem stellvertretenden Führer des Bandera-Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B) und Vernichtungsantisemiten Jaroslaw Stezko gegründet worden war. Laut dem Investigativjournalisten Moss Robeson ist Zaryckyj heute der Führer der verdeckt agierenden OUN-B in den USA. Darüber hinaus werden sie vom Hudson Institute unterstützt und sie haben Einfluss auf den Antibolschewistischen Block der Nationen (ABN), sowie auf den Verein Free Idel-Ural.[16]

 

Nach Ende des 2. Weltkriegs, als beide Fraktionen Guerilla-Truppen gegen die Sowjets befehligten, selbst aber im deutschen Exil zubrachten, stellte sich für die westlichen Geheimdienste die Frage, wie mit ihnen umgehen, bzw. wie sie für eigene Zwecke nutzbar zu machen. Den US-Diensten, dem Army Counter-Intelligence Corps (CIC), bzw. ab der 1947 gegründeten CIA, war die Bandera-Fraktion zu extrem und unkontrollierbar, weshalb sie die Hriniock-Melnik-Lebed-Fraktion für sich rekrutierte und mit ihr bis 1990 und teilweise darüber hinaus zusammenarbeitete. Bandera selbst sprach sich 1951 schließlich gegen die USA aus, weil diese ich angeblich nicht für eine unabhängige Ukraine einsetzen würden. Der britische MI6 nahm Bandera unter seine Fittiche, zumindest bis 1954, wenn selbst MI6 die Zusammenarbeit nicht länger glaubte verantworten zu können. Stattdessen sprangen der italienische Geheimdienst (SIFAR) und der BND unter dem Ex-Nazi Gehlen ein und finanzierten ihn weiter und lieferten auch Waffen. Gehlen-Vertraute Heinz Danko Herre und Gerhard von Mende wurde abgestellt, ihn zu beschützen. Von Mende hatte vorher schon eine ähnliche Funktion, in der Betreuung des Großmuftis von Jerusalem. Es nutzte nichts, 1959 wurde Bandera von einem KGB-Agenten ermordet. Banderas bester Mann, Stetsko, drückte unmissverständlich aus, was die Ziele ihrer Bewegung waren, eine homogene Bevölkerung ohne Minderheiten und Juden: „Ich unterstütze die Zerstörung der Juden, und die deutsche Methode sie in der Ukraine auszurotten.“ Flugblätter mit solchem Inhalt wurden im Namen der OUN in Lemberg/Lwow und anderswo verteilt. Erst im US-Exil eliminierte Lebed den Antisemitismus aus der banderistischen Propaganda. Das beeindruckte 1977 auch den Sicherheitsberater von Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, der die exil-ukrainische Propaganda stark würdigte, die seiner Meinung nach „beeindruckende Dividenden“ erzeugen würden.[17]

 

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine beginnt ein neues Interesse der USA an den Zuständen der Ukraine. Alte Vorbehalte gegen Bandera werden fallen gelassen, auch der Zusammenarbeit mit den Bandera-Anhängern steht nichts mehr im Wege. In der West-Ukraine wird Bandera von fast allen politischen Gruppen, mit Ausnahme der Kommunisten und Sozialisten, verehrt. „Nationalismus ist unsere Religion. Bandera ist unser Prophet,“ ist ihr Motto. In der Maidan-Bewegung spielen seine Anhänger eine maßgebliche Rolle. Stepan Banderas 114. Geburtstag am 1. Januar 2023 wurde in der Ukraine auf Fackel-Märschen gefeiert, wo er als Held der Ukraine verehrt wird, so auch in der Rada (Parlament), obwohl er und seine Armee um die hunderttausend Polen und zehntausende Juden ermordet hatte. Auch Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj sieht sich selbst als Banderist. All das ist kein Geheimnis, nur wird es in deutschen Medien nicht berichtet, kommentiert, oder gar verurteilt. Nur die polnische und israelische Regierung haben dagegen protestiert, da sie es nicht hinnehmen wollen, dass mit dieser Verehrung praktisch die hunderttausendfachen Morde verharmlost oder gar vergessen gemacht werden sollen.[18]


Berichtet wird auch nicht, dass die Nationalisten davon träumen, nach Wiedergewinnung des Donbass und der Krim auch Teile Russlands und Weißrusslands zu erobern: „Mitunter träumt man unter den Nationalisten in der Ukraine auch schon davon, dass die Rückeroberung einschließlich der Krim nur der erste Schritt ist. Gespielt wird mit dem Gedanken, seinerseits russische und auch belarussische Gebiete zu erobern und zu annektieren, die 1919 für wenige Wochen die Ukrainische Republik für sich beansprucht hatte. Damit spielen nicht nur Banderistas wie Dmitro Jarosch, sondern auch der Militärdienstchef Bogdanow und offenbar auch der Oberbefehlshaber des ukrainischen Militärs. Walerij Saluschnyj hatte am 1. Januar ein Selfie von sich vor einem Bild des als „Volkshelden“ angesehenen Stepan Bandera auf dem Twitter-Account der Rada mit dem Zitat des UPA-Führers veröffentlicht: „Der vollständige und endgültige Sieg des ukrainischen Nationalismus wird eintreten, wenn das russische Imperium aufhört zu existieren.“ Dazu hieß es, die Richtlinien Banderas“ seien dem Oberbefehlshaber bekannt. Es geht also nicht nur um unbedeutende Spinner, sondern um Nationalisten an den Schalthebeln der (militärischen) Macht.“[19]

Rosa Reich fasst in der linken Zeitung Junge Welt, gestützt auf Berichte in der Monthly Review[20] und Consortium News[21], zusammen: „Eine Zusammenarbeit von US-Regierungen mit den Banderisten gibt es fast durchgehend seit den 1940er Jahren, als die ukrainischen Faschisten vor der Roten Armee nach Westdeutschland, Kanada und in die USA flohen. Unter Dwight D. Eisenhower, Richard Nixon, Ronald Reagan, der als ihr Türöffner ins Weiße Haus galt; auch der Bush-Clan unterhielt enge Kontakte. Nach Ende des Kalten Krieges wurden sie unter dem ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko (2005–2010), einem überzeugten Bandera-Anhänger und Transatlantiker, ausgebaut. Unlängst traf sich Außenminister Antony Blinken mit der ­UCCA-Führung (Ukrainian Congress Committee of America) in Chicago, die im vergangenen Herbst eine Asow-Delegation eingeladen und geehrt hatte.“ Und bezüglich der Pipelines haben die ukrainischen Rechtsextremisten eine eindeutige Position, wie Rosa Reich weiter ausführt: „Mykhailo Gonchar, Präsident des Kiewer Center for Global Studies und Mitglied des Strategierats der vom Rechten Sektor und anderen Nazis getragenen »Widerstandsbewegung gegen Kapitulation«, einer Initiative gegen das Minsker Friedensabkommen, forderte, »durch gemeinsame Anstrengungen der USA, Polens, der Ukraine, der baltischen Staaten und unserer Partner in Deutschland, die Nord-Stream-2-Pipeline zu stoppen«.“[22]

c) Die Ukraine auf dem Weg zur Roten Linie

Da die NATO gegründet worden war, der Ausdehnung des Sowjet-Kommunismus entgegen zu wirken, war sie mit der Auflösung des Warschauer Paktes eigentlich obsolet geworden. Aber anstatt die NATO ebenfalls aufzulösen, trat das Gegenteil ein. Ihre Raison d’ètre wurde neu definiert und soll nunmehr „the rules“ (Regeln) weltweit sicherstellen. Die Regeln setzen die stärkste Kraft der NATO, die USA, fest. Die Frage ist, wie die „rules“ sichergestellt werden können. Der Ukraine-Konflikt zeigt beispielhaft, wie das funktioniert. John Pilger hat bereits 2014 im Zusammenhang mit der Ukraine folgendes im The Guardian zusammengefasst: Seit 1945 haben die USA versucht mehr als 50 Regierungen zu stürzen, viele davon demokratisch gewählt; haben sich in Wahlen in über 30 Ländern eingemischt, haben zivile Bevölkerung in 30 Ländern bombardiert; haben chemische und biologische Waffen benutzt, und versucht politische Führer in vielen Ländern zu ermorden.[23] Bezüglich der Ukraine warnte auch Seumas Milne im Guardian, ebenfalls noch 2014: “Die USA und die EU haben in der Ukraine bereits überzogen. Weder Russland noch der Westen wollen in der Ukraine direkt intervenieren, und der Ukrainische Premier, der laut über einen Dritten Weltkrieg räsoniert, ist vermutlich nicht von seinen Sponsoren in Washington autorisiert. Aber ein Jahrhundert nach 1914 sollte das Risiko von ungewollten Konsequenzen deutlich sein als eine Drohung der Wiederkehr von Großmachtkonflikten.[24] Milnes Artikel befasst sich daneben auch mit der Rolle der Nazis in der Ukraine. Sowohl Pilgers als auch Milnes Texte wären heutzutage, acht Jahre später, dermaßen außerhalb des Mainstreams, dass The Guardian sie nicht mehr zulassen würde. Darauf hat kürzlich die Australische Bloggerin Caitlin Johnston hingewiesen.[25]

Im Ukrainekrieg koordiniert die NATO zwar die Unterstützung des Kiewer Regimes, nimmt aber offiziell an den Kriegshandlungen gegen Russland nicht teil. Nach Aussagen des österreichischen Oberst Reisner in der Wiener Diplomatischen Akademie sind die in der Ukraine tätigen westlichen Soldaten nicht als NATO-Mitglieder dort, sondern als „Privatpersonen“. Wie viele das sind, wollte er nicht sagen, aber die Zahl 20,000, die im Raum stand, hat er nicht dementiert. Hätte die NATO sich seit Unterzeichnung der Minsk-Abkommen für die Durchsetzung dieser Abkommen eingesetzt, hätte es keinen Ukraine-Krieg gegeben, so zumindest der erfahrene hanseatische Sozialdemokrat Klaus von Dohnanyi.[26] Diese Haltung ist zurückzuführen auf Entscheidungen in den US-Kabinetten von Obama über Trump bis Biden.[27] Neuerdings ist herausgekommen, dass die Minsk-Abkommen nie ernst gemeint gewesen sind. Angela Merkel hat das kürzlich ausgeplaudert. Minsk sei nur verhandelt worden, um Zeit für die Ukraine zu gewinnen, sich aufzurüsten.

d) Die USA und die Unabhängigkeit der Ukraine

Joe Biden hatte seit seiner Zeit als Obamas Ukraine-Beauftragter in typischer Großmachtmanier die Ukraine als Druckmittel gegen Russland auf dem Schirm. Nachdem seine Armee aus Afghanistan flüchten musste, dürfte ihm die Zuspitzung um die Ukraine herum gelegen gekommen sein, um seinen innenpolitischen Kritikern zu zeigen, dass er kein außenpolitisches Weichei ist. Die Geschichte der Ukraine und welche Einflussnahmen von Seiten der USA, Victoria Nuland und Hunter Biden beispielsweise, dabei eine Rolle spielen, hat der ehemalige Wirtschaftsexperte Reagans, David Stockman, wunderbar zusammengefasst.[28] Stockmans Hauptthese ist, dass die Ukraine praktisch keine eigene Geschichte hat und mehr oder weniger von dominanten Nachbarländern wie Polen, Litauen, Österreich und Russland bestimmt wurde. Es sei ein multiethnisches Konglomerat mit zu stark divergierenden Interessen und kann und wird keinen dauerhaften Bestand in seinen jetzigen Grenzen haben. Die ukrainische Identität wird von Experten wie dem ukrainischen Schriftsteller, Journalisten und Gründer der Zeitschrift Krytyka Mykola Rjabčuk tatsächlich eher als „eine regionale (d.h. westukrainische) denn als eine gesamtnationale Identität verstanden“.[29] Nicht vergessen werden darf auch die Rolle des Antisemitismus und des Polenhasses bei der Gründung des Staates Ukraine zwischen 1918 bis 1921.[30]

Während es also in der langen Periode nach 1953 hauptsächlich um antikommunistische Propaganda ging, änderte sich die Lage mit dem Zerfall der Sowjetunion. Die Ukraine erklärte sich für unabhängig, was Moskau auch akzeptierte, da die ukrainischen Führer noch nicht anti-russisch agierten und die russischen Stützpunkte auf der Krim nicht anzutasten versprachen. Das hinderte jedoch die USA nicht daran, zu versuchen in der Ukraine langfristig Fuß fassen zu können. Die NATO-Osterweiterung, die entgegen den Versprechungen an Gorbatschow während der deutschen Vereinigung, peu á peu vorangetrieben wurde, sollte nach dem Willen der USA auch Georgien und die Ukraine möglichst schnell umfassen. Aus den von Julian Assange geleakten diplomatischen Depeschen geht hervor, dass die Bundesrepublik unter Angela Merkel sich dem nicht anschloss. Nach Aussagen der deutschen Diplomaten Rolf Nikel und Norman Walter plädierte Deutschland eher für ein langfristiges Vorgehen. Deutschland lehnte deshalb auch den von den USA propagierten Membership Action Plan (MAP), die Vorstufe einer eventuellen Mitgliedschaft, ab.[31]

Das hatte sich allerdings bis 2012/14 geändert, als die EU der Ukraine Avancen für eine Assoziation machte und der neutralistisch gesinnte Präsident Viktor Janukowitsch sich an einigen bündnistechnischen Details im vorgeschlagenen Vertragswerk störte und das deshalb ablehnte. Victoria Nuland, die für die Ukraine zuständige Außenamtsmitarbeiterin im Kabinett Obama/Biden/Hillary Clinton, sah darin eine Chance, diesen im Westen nicht geliebten Präsidenten loszuwerden. Mit einer Finanzspritze von fünf Milliarden Dollar ausgestattet unterstützte sie vom Wertewesten gesteuerte NGOs, einen Umsturz des Präsidenten zu organisieren. Mobilisiert für diesen Zweck wurden außer den NGOs auch rechtsextreme Gruppen wie der Rechte Sektor und Nazi-Milizen wie die Asow-Brigade. Rechtsextremisten oder Geheimdienste organisierten eine False Flag Aktion. Während einer Demonstration auf dem Maidan wurden Schüsse auf Demonstranten und Polizisten abgefeuert, ein Verbrechen mit vielen Toten, das bis heute als nicht aufgeklärt gilt, aber flugs dem Präsidenten in die Schuhe geschoben wurde. Der fürchtete um sein Leben und floh nach Russland. Der spätere Präsident Petro Poroshenko brüstet sich damit, den Maidan-Putsch mit seinem Fernsehsender, der eine äußerst wichtige Funktion dabei gespielt habe, organisiert zu haben, im Beisein von Victoria Nuland und Catherine Ashton von der EU.  Strittig war dann, wer Regierungschef werden sollte. Angela Merkel favorisierte den in Deutschland wohlbekannten Boxer Vitali Klitschko, während Nuland Arseniy Yatseniuk durchsetzte. In dem Zusammenhang kam es zu dem Spruch Nulands „Fuck the EU“. [32] Anschließend, 2019, wurde Wladimir Selenski, protegiert von seinem Arbeitgeber Igor Kolomoisky, ins Amt gehievt. Kolomoisky ist ein zwielichtiger Billionär, der die wichtigsten Medien kontrolliert und ihm genehme Gruppen, darunter auch rechtsradikale, finanziell unterstützt. Kurioserweise wurde er bis dato vom US-Außenministerium als „signifikant in Korruption verwickelt“ gesehen und deswegen sogar sanktioniert.[33]

Dieser Regierungswechsel brachte die Unterdrückung der russischen Minderheiten mit sich, was zum Aufstand dieser Bevölkerungsschicht auf der Krim und im Donbass führte. In Mariupol und Odessa wurde der Aufstand sofort blutig vom Nazi-Asow-Bataillon, dem Rechten Sektor und der Partei Svoboda unterdrückt. In Odessa wurden pro-russische Demonstranten im Gewerkschaftshaus eingeschlossen und verbrannt, ein Ereignis, das bis heute ebenfalls als nicht aufgeklärt gilt, obwohl es reichlich Bildmaterial dazu gibt. Die rechten Milizen wurden inzwischen in die nationale Armee eingegliedert, wo sie ca. 40% der Streitkräfte, d.h. 100,000 Mann, ausmachen.

Die persönliche Einflussnahme des damaligen Vize-Präsidenten Joseph Biden, dessen Sohn Hunter von einem Oligarchen in der Fa Burisma zu lukrativen Bedingungen ($50,000 per Monat) eingestellt worden war, ist auch nie vollständig aufgeklärt worden. Trumps Anwalt, der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani, reiste nach Kiev, um diesbezüglich Material zu sammeln, blieb aber eher erfolglos. Als ein Laptop Hunter Bidens mit intimen Informationen auftauchte, wurde öffentlich behauptet, der sei nicht echt und der Bericht darüber in der New York Post wurde von Twitter und Facebook im Auftrage der Biden-Regierung unterdrückt. Die New York Post berichtet am 11.4.2023 von dem ehemaligen Stenographen im Weißen Haus Mike McCormick, der zusammen mit Jake Sullivan, dem damaligen Biden-Berater und späteren Sicherheitsberater  des Präsidenten Biden im Air Force 2 am 21. April 2014, kurz nach dem Maidan-Coup, nach Kiev flog, um Hunter und Joe Bidens Bemühungen zu unterstützen, die ukrainische Gasexploration zu intensivieren. Sullivan habe ihm gesagt, dass mittel- und langfristige Strategien der Gasgewinnung mit den ukrainischen Behörden diskutiert werden sollten, um von den „unkonventionellen ukrainischen Gasreserven“ Nutzen zu ziehen. [34]

David Stockman hält es für möglich, dass die Inszenierung des Maidan-Putsches eine Revanche für Russlands Syrienpolitik gewesen sein könnte, da Russland dort dafür gesorgt hat, dass der vom Westen verhasste Assad nicht gestürzt werden konnte. Die Neo-Cons in der Obama-Regierung hätten nun umso mehr auf die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine gesetzt. Stockman verweist auch darauf, dass im Europa nach dem 1. Weltkrieg ständig Grenzen verändert wurden, Nationen sich aufteilten usw., mit einer Ausnahme, der Ukraine, obwohl dort nie eine wirkliche Einheit bis heute existierte. Nur der eiserne Wille der Sowjetführer und jetzt der Wille des Westens habe das Land zusammengehalten.

Die faktische Abspaltung der Krim und des Donbass schwächte naturgemäß die pro-russischen Kräfte in der Ukraine, da sie bei Wahlen nun keine Mitsprache mehr hatten und die ukrainisch-völkischen Nationalisten allein das Feld beherrschten. Deutschland hat nicht gegen die Unterdrückung an sich protestiert, aber zur Entschärfung des Problems die Minsk-Vereinbarungen mit auf den Weg gebracht, wenn auch mit dem Hintergedanken, damit für die Aufrüstung der Ukraine Zeit zu gewinnen.


 2. Russland/Sowjetunion – von der Breschnew- zur Putin-Doktrin
„Keine NATO in der Ukraine“

Die Mainstreammedien in den USA waren sehr zurückhaltend mit ihrer Berichterstattung zum Bombenattentat in der Ostsee. Eine unabhängige Nachrichtenshow für das amerikanische Publikum bietet Aljazeera und dort wurden die Löcher in den Ostsee-Pipelines gezeigt und berichtet, dass die Saboteure noch nicht namhaft gemacht seien. Die Bundesregierung weigerte sich der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht Auskunft über eventuell gewonnene Erkenntnisse zu geben[35]. In der Deutschen Welle, die vom Außenministerium betrieben wird und deutsche Kultur im Ausland verbreiten soll, wird in den Nachrichten ein sogenannter Experte namens Simon Young interviewt, der eine russische Urheberschaft insinuiert. Das scheint das Narrativ zu sein, das wir Bürger nun schlucken sollen.

Mir kamen da allerdings Schluckbeschwerden hoch, die Assoziationen freisetzten von der unrühmlichen Breschnew-Doktrin, die mit Panzern in Ost-Berlin 1953, Ungarn 1956 und CSSR 1968 durchgesetzt wurde. Breschnew hat damit den Verfall des Ostblocks hinauszögern, aber letztendlich nicht verhindern können. Heute haben wir nur noch den Rumpf des alten Imperiums übrig und dieser Rumpf begnügt sich mit einer Putin-Doktrin: Keine NATO in der Ukraine und Georgien. Aber warum sollte Putin eine viele Milliarden teure Pipeline, die Russland selbst gebaut hat, nun wieder zerstören wollen? Ökonomisch machte das überhaupt keinen Sinn und politisch erst recht nicht. Denn, wenn es stimmt, was deutsche Politiker und Medien ihrem Publikum erzählen, dass Putin mit den Pipelines qua Abhängigkeiten Druck auf die Bezieher des Gases ausüben wolle, geht das ohne intakte Pipelines ja nicht mehr.

3. Deutschland in der Zange

a) Deutschland und die Ukraine

Deutschland spielte schon seit dem 1. Weltkrieg eine zwielichtige Rolle in der Ukraine. Dem Kaiser wurde von Industriellen wie Thyssen in einer Denkschrift [36]nahegelegt, Russland zu zwingen, große Teile des westlichen Russlands inklusive des Don-Gebiets, Odessa und die Krim an Deutschland abzutreten. Russische Kriegsgefangene wurden in Deutschland ethnisch aufgeteilt. Minderheiten wie die Ukrainer wurden besser behandelt als ethnische Russen.[37] Die Staatsgründung der Ukraine wurde während des Ersten Weltkriegs ermöglicht durch den Vertrag von Brest-Litowsk, der zwischen dem Deutschen Reich und den Bolschewiki ausgehandelt worden war. Die Kommunisten stimmten dem Vertrag zu, weil sie befürchteten, die deutsche Armee könnte sonst ihre Sowjetrepublik im Rest des russischen Reiches gefährden. Ab 1920/21 wurde die Ukraine Teil der Sowjetunion. Erst der deutsche Angriff im Zweiten Weltkrieg gab den völkischen Nationalisten um Bandera und Melnyk die Hoffnung auf einen unabhängigen Staat. Diese Hoffnung traf auf wenig Gegenliebe bei Hitler, der nur einen Vasallenstaat zulassen wollte, aber auch erst dann, als es militärisch gegen die Sowjetunion bergab ging.

Eine 2010 deklassifizierte Studie von Richard Breitman und Norman J.W. Goda, Hitler’s Shadow: Nazi War Criminals, U.S. Intelligence, and the Cold War, beschreibt die ukrainischen Nationalisten und ihre Politik der Zusammenarbeit mit den Nazis bzw. danach mit westlichen Geheimdiensten. Stepan Bandera und Jaroslaw Stetsko, die Führer der OUN seit ihrer Gründung 1929, beteiligten sich, bzw. ordneten die massenhafte Ermordung von Polen und Juden an. Sie formten die radikalere Fraktion der OUN und wollten auch keine Kompromisse mit den deutschen Eroberern eingehen. Sie strebten eine sofortige Unabhängigkeit in Form einer persönlichen Diktatur Banderas an, weshalb die Nazis sie zeitweilig in Berlin und Sachsenhausen internierten. Die eher pragmatische Fraktion unter Andrei Melnik versprach sich mehr von einer Unterordnung unter die Deutschen, um den Zielen einer ukrainischen Unabhängigkeit näher zu kommen. Nach dem 2. Weltkrieg flohen Bandera und viele seiner Anhänger nach Deutschland, wo sie, wie oben beschrieben, von westlichen Geheimdiensten „betreut“ wurden.

 

Rosa Reich fasst in der jw vom 22.4.2023 zusammen: „Michailo Gontschar, Präsident des Kiewer Center for Global Studies und Mitglied des Strategierats der vom »Rechten Sektor« und anderen von Nazis getragenen »Widerstandsbewegung gegen Kapitulation«, einer Initiative gegen das Minsker Friedensabkommen, forderte, »durch gemeinsame Anstrengungen der USA, Polens, der Ukraine, der baltischen Staaten und unserer Partner in Deutschland, die Nord-Stream-2-Pipeline zu stoppen«. Diese Ziele fanden sich auch im politischen Wunschleitfaden »Biden und die Ukraine: Eine Strategie für die neue Regierung« des Atlantic Council, der einen Tag nach Ende des »US-Ukraine Security Dialogue« erschien. Brisant: An der CUSUR-Konferenz haben fünf von sechs Autoren des Papiers vom Atlantic Council teilgenommen. Die überaus mächtige Denkfabrik mit dem Betriebszweck der Absicherung der US-Vorherrschaft, die zwei Monate später Annalena Baerbock als »nächste Kanzlerin von Deutschland« bewarb (neben Karen Donfried, Vizeaußenministerin für europäische und eurasische Angelegenheiten und Expräsidentin des transatlantischen German Marshall Fund), ist auffallend intensiv an dieser Schnittstelle zwischen dem organisierten Krypto-Banderismus und dem US-Politikestablishment engagiert. Keine unerhebliche Rolle dürfte spielen, dass sich unter den Hauptsponsoren des Atlantic Councils die Investmentgesellschaft Blackrock und Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin – Produzent der Himars-Raketenwerfer und der von Kiew geforderten F16-Jets –, finden, die gewaltig vom Ukraine-Krieg profitieren.“[38]

b) Die Pipelinebomben

Die auf „Regeln basierende Weltordnung“ wird vom Hegemon USA politisch, diplomatisch, als auch per Gewalt gegen widerspenstige Länder sichergestellt, je nachdem, was erforderlich erscheint. In den „befreundeten“ Staaten genügte bislang die Diplomatie, die sich auf wirtschaftlichen und politischen Druck stützen konnte. Militärisch wurde nicht direkt eingegriffen. Das hat sich am 26. September 2022 geändert, als in dänischen und schwedischen Hoheitsgewässern die Nord-Stream Pipelines gesprengt worden sind. Der Wehrtechnik-Experte Thorsten Pörschmann, der die als erstes veröffentlichten Fotos ausgewertet hat, stellte fest, dass von den zwei wahrscheinlichsten Szenarien nicht die eher lautlose „Schneidetechnik“, die mit einer speziellen Rundexplosion Pipelines trennen kann, angewandt wurde, sondern mit einer Rumms-Technik, mit Tief-Mienen, gearbeitet wurde, um nicht nur Zerstörung zu erreichen, sondern um gleichzeitig ein weltweit hörbares Signal zu setzen. Beide Techniken sind nur möglich mit Hilfe von U-Booten, weil die von den skandinavischen Teststationen gemessenen Druckwellen der Unterwasserexplosionen mindestens jeweils 500 kg (TNT) Sprengstoffstärken erfordern. Die Fotos beweisen die Richtung des Explosionsdrucks nach unten, der Sandfurchen im Meeresboden erzeugt hat.[39] Die Fotos zeigen auch, wie der Meeresboden aufgewühlt wurde, eine, wie sich herausgestellt hat ökologische Katastrophe.

Ende November 2022 fotografierte Greenpeace, von der Beluga aus, die gesprengte Pipeline in 79 Meter Tiefe. Die Crew entnahm auch Boden- und Wasserproben, um sie von der toxikologischen Fakultät der Kieler Universität auf eventuell durch die Explosion freigesetzte Giftstoffe untersuchen zu lassen[40], Giftstoffe aus dem 1. Weltkrieg, etwa 11.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe (Chemical Warfare Agents, CWA), die nach dem 2. Weltkrieg durch die Sowjets 1947 dort in der Ostsee entsorgt worden waren. Es gibt vermutlich verschiedene CWA-Rückstandsverbindungen, die entweder von Senfgas oder von auf Arsen basierenden CWAs herrühren. Der Sprengstoffsachverständige Fritz Pfeiffer, der für Greenpeace die Analyse gemacht hat, hält daher eine Sprengung in der Nähe der Pipeline für wahrscheinlich. Nach seiner vorläufigen Einschätzung sind circa 200 bis 400 kg C4-Sprengstoff (Hexogen) für den untersuchten Abschnitt eingesetzt worden.[41] Auch eine neue Studie[42] vom Anfang 2023 stellte massive Schäden am Meeresboden in diesem besonders gefährdeten Gebiet der Ostsee fest. Die vier Explosionen haben demnach 250.000 Tonnen kontaminierten Meeresboden aufgewühlt – eine Fläche, die doppelt so groß ist wie Bornholm. Eigentlich hätten gemäß dem Genfer Protokoll von 1925 alle chemischen Kampfstoffe vernichtet werden müssen: „Die Deutschen haben ihre Chemiewaffen aus dem Ersten Weltkrieg nicht vernichtet, sondern gelagert. Sie sollten im Zweiten Weltkrieg in Leningrad eingesetzt werden. Doch dazu kam es nicht mehr,“ sagte der Leiter der Forschungsgruppe, Hans Sanderson vom Institut für Umweltwissenschaften der Universität Aarhus der Berliner Zeitung. 1947 oblag es der sowjetischen Armee, die Chemiewaffen zu entsorgen. Sie holten sich dazu arbeitslose Wehrmachtsoldaten und fuhren mit drei Schiffen aufs Meer. Eigentlich sollte die giftige Fracht in der Nordsee in der Nähe der Färöer-Inseln entsorgt werden. Doch als die Sowjets sahen, dass die Fracht zu schwer war, wurden die CMAs nahe Bornholm ins Meer gekippt.[43]

Ex-Bundeswehroffizier Pörschmann legt sich über die Urheber der Explosionen nicht fest, aber er lässt kaum Zweifel übrig, wen er am verdächtigsten hält. In der Tat, dem cui bono folgend, zeigt die Motivlage eindeutig in eine Richtung. Seit Reagan opponieren die USA gegen Gasexporte Russlands nach Deutschland bis zu Biden, der deutlich machte: „Wir wissen, wie wir das machen können“. Daraus kann nur der Schluss folgen, die Explosion richtete sich gegen Deutschland, einem angeblich „befreundeten“ Staat und „engem Alliierten“. Aber auch Großbritannien (GB) käme als Täter in Frage, wie auch Dänemark und Schweden als Anrainerstaaten, die aber noch nie als derart aggressiv aufgefallen sind. Polen oder die baltischen Staaten würden das ohne US-Zustimmung ebenfalls nicht gemacht haben.

Während in Deutschland zunächst der Verdacht auf Putin gelenkt wird, sieht das in den USA etwas differenzierter aus. So schreibt die ex-taz-Autorin Eva Schweitzer bereits am 30.9.2022: „ Joe Biden und die Demokratische Partei will eine Eskalation gegen Putins Russland, wenngleich ohne die Haut der eigenen Soldaten zu riskieren, während viele Medien, die den Republikanern nahestehen, die USA bezichtigen, die Sabotage in der Ostsee selbst verursacht zu haben.“[44] Der renommierte US-Ökonom von der Columbia University in New York Jeffrey Sachs bestätigt diese Sicht. Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines nennt der US-Ökonom einen weiteren schweren Schlag für Deutschland, da sie eine schnelle Rückkehr zu russischen Gasflüssen noch schwieriger mache. „Die Pipelines wurden wohl auch deswegen zerstört“, vermutet Jeffrey Sachs.[45] Die deutschen Mainstreammedien halten sich bedeckt, wiederholen nur die offensichtliche Lüge einer russischen Täterschaft. Ähnlich wie die Pörschmann-Darstellung hingegen ist eine aufschlussreiche Doku des rechten Compact-Online-TV, die lange vor Hersh’s Recherche ebenfalls die USA als Täter bezeichnen.[46]

b) Der Hauptverdächtige: Die Neue Biden-Doktrin

Gewaltanwendung gegenüber sogenannten Alliierten kann nunmehr als die Neue Biden-Doktrin bezeichnet werden, da der US-Präsident die von ihm definierten Regeln nicht nur gegenüber gegnerischen Regimen durchsetzen will, sondern auch gegenüber schwankenden, euphemistisch so bezeichneten, Freundstaaten. Eine solche Politik ist konsistent für die USA. Sie basiert auf militärischer Stärke. Die 1813 vom US-Kongress verkündete Monroe-Doktrin, die europäische Einmischung im amerikanischen Kontinent verhindern sollte, ist bis heute erfolgreich und führte 1962 in der Kuba-Krise fast zum Atomkrieg. Die Länder, die nicht zum sogenannten Wertewesten gehören, also die Mehrzahl, will sich nicht unbedingt der Biden-Doktrin unterwerfen. „Der Westen“ folgt i.d.R. dem Rudelführer. Es fragt sich, warum. Es ist zu vermuten, dass diese Länder sich materielle Vorteile versprechen, Teil des dominanten Imperiums zu sein, dass es sich auszahlt, die negativen Aspekte der Unterordnung zu ignorieren. Abgesichert wird dieses Abhängigkeitsverhältnis mit einer gigantischen und äußerst erfolgreichen Medienpolitik.  Hinzu kommt eine Selbsttäuschung, die ähnlich dem wirkt, was als Stockholm Syndrom bekannt ist, also einer Identifikation mit dem Aggressor, dem Geiselnehmer, so lange, wie der nicht allzu sehr sich danebenbenimmt und ein freundliches Gesicht zeigt. Es gibt da nur geringe Ausnahmen, so z.B. als Trump sich rüpelhaft gegenüber der EU und NATO zeigte.

Professor Hal Brands[47], Autor eines Foreign Policy Artikels[48], beschreibt Bidens geostrategisches Denken.  Biden definiere seine Weltsicht als “Wettkampf mit den Autokraten“, die Welt sei an einem „inflection point“, also an einer Wendemarke angekommen, bei der sich entscheiden wird, ob die „demokratische Dominanz“ die Oberhand behält oder die aufkommenden Autokratien. Was wird obsiegen, Demokratie oder Autokratie? Trump habe nur von einem Handelswettbewerb gesprochen, Biden dagegen habe eine umfassende Strategie im Auge, die vorrangig Russland und speziell China betrifft. Darüber hinaus gelte es Gefahren wie Covid und andere Pandemien, sowie grenzübergreifende Korruption einzubeziehen, nicht zu vergessen auch innenpolitische Probleme der Demokratie. Die Antwort sei die Stärkung der Demokratie im Innern, wie auch global. Deshalb müsse innenpolitisch und global gehandelt werden. Dafür müsse eine „Position der Stärke“ aufgebaut und das Pentagon Budget den neuen Erfordernissen angepasst werden.

Dieser zwei Jahre alte Artikel hat die Richtung gezeigt, wo es tatsächlich lang geht. US-Dominanz wird mit Demokratie gleichgesetzt und damit als das „Gute“ und wer sich dem widersetzt, kann nur Diener der Autokraten sein, Diener des „Bösen“ bzw. der „Böse“ selbst sein. Ausbeutung, Gleichheit, Fairness, Verständigung, Gleichberechtigung, Selbstbestimmung sind nur gültige Faktoren, wenn sie dem „Guten“ dienen, sonst können sie missachtet werden. Biden hat seine Doktrin nie offiziell verkündet, aber er hat sie Kanzler Scholz unverblümt auf der gemeinsamen Pressekonferenz am 7. Februar 2022 in Washington indirekt verkündet, wobei Scholz nur betreten, dumm aus der Wäsche guckte, und mit dem Doppel-Rumms unter Wasser wurde sie der Welt bekannt gemacht.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich, an einen Wortwechsel zwischen einer Reporterin und Joe Biden während des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz am 7. Februar 2022 in Washington zu erinnern. Scholz stand dabei, als die folgenden Worte gewechselt wurden:
Präsident Biden: „Wenn Russland einmarschiert … dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.“
Reporter: „Aber wie wollen Sie das genau machen, da… das Projekt unter deutscher Kontrolle ist?“
Biden: „Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sein werden, das zu tun.“[49]

Bidens Aussagen waren definitiv kein Versprecher. Er führt nur fort, was schon lange in den Neocon-Zirkeln diskutiert wurde. So hat zB der ehemalige US-Botschafter in Moskau, Michael McFaul, in einem Artikel in der Foreign Affairs bereits 2018 formuliert, dass die Nord Stream 2 Pipeline nicht ins Bild passt und aufgegeben werden sollte.[50] Denn in dieselbe Richtung gehen Äußerungen der US-Außenstaatssekretärin mit Jüdisch-Ukrainischen Vorfahren[51], Victoria Nuland, die bereits am 27. Januar gesagt hatte: „Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 auf die eine oder andere Weise nicht vorankommen.“ Nach den Bomben äußert sich Nulands Boss, Anthony Blinken, erfreut, als er davon spricht, dass dies eine „bedeutende strategische Möglichkeit für viele zukünftige Jahre bringt“. [52] Nuland legt im Congress nach, wo sie auf eine Frage von Senator Ted Cruz, der von Anfang an ein Scharfmacher gegen die Pipeline war, am 26.1.2023 sagte, dass sie und die Regierung erfreut (gratified) seien, dass die Pipelines nun „ein Haufen Schrott am Meeresboden“ sind.[53] Sie wollte damit dem Texaner zeigen, dass sie erfolgreicher war als er im Kampf gegen Nord Stream 2. Immerhin hatte der bereits 2019 zusammen mit Jeanne Shaheen (D-NH), John Barrasso (R-WY), und Tom Cotton (R-AR) den Protecting Europe’s Energy Security Act[54] im US-Senat eingebracht, in dem harte Sanktionen für alle Beteiligten am Bau der Pipeline vorgesehen waren.[55] Dieses Gesetzesvorhaben wurde im Text begründet mit dem “Verhältnis der USA mit Deutschland, das kritisch ist für die nationale Sicherheit der USA“. Im Text hieß es ferner, Deutschland habe Führung gezeigt, in Europa und in anderen Foren dafür gesorgt zu haben, dass Sanktionen gegen Russland auch eingehalten werden. Trump hat das Gesetz dann unterschrieben. Anfang 2022 erneuerte Ted Cruz seinen Kreuzzug gegen die Pipelines und verlangte noch härtere, permanente Sanktionen, unabhängig von russischer Politik: „Wir brauchen Gesetze, die die Sanktionen permanent machen, dass diese Pipeline niemals in Gang gesetzt wird.“[56] Nuland hat sichergestellt, dass Gesetze nicht mehr gebraucht werden. Der russische Außenminister Sergej Lavrov versteht die Aussage Nulands als Geständnis,[57] obwohl ansonsten der Kreml zumeist behauptet hatte, Großbritannien stecke dahinter.[58]

Die Ampelregierung weigert sich, auf die Auswirkungen der Biden-Doktrin adäquat zu reagieren. Auf Anfrage der Bundestags-Abgeordneten Sahra Wagenknecht, welche Kenntnisse die Regierung über die Unterwasserbomben habe, wurde ihr mitgeteilt, dass darüber aus Staatsraison nichts veröffentlicht würde. Die Berliner Zeitung fasst das zusammen: „Die Bundesregierung sei „nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können.“ Grund dafür sei die „Third-Party-Rule“ für die internationale Zusammenarbeit der Geheimdienste. Danach unterliegt der internationale Erkenntnisaustausch besonders strengen Geheimhaltungsauflagen. „Die erbetenen Informationen berühren somit derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt und das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss.“ Im Klartext: Es gibt vermutlich Erkenntnisse, die die Bundestagsabgeordneten aber nicht erfahren dürfen.”[59] Damit bricht das Narrativ zusammen, das Medien, Politiker und US-Geheimdienstler bis dahin verbreitet hatten, dass eventuell Russland selbst die Bomben gelegt haben könnte.[60] Ähnliches weiß der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla zu berichten, der ebenfalls vom Kanzleramt keine Auskünfte erhalten hat, aber der nunmehr überzeugt ist, dass eine befreundete Macht dahintersteckt. Er sagt, der Regierung sei der Täter „bekannt“[61], schweige sich aber geflissentlich aus. Er meint, „wenn es Russland gewesen wäre, dann hätten wir diese Information schon sehr deutlich.“ [62] Prompt wurde er von Dieter Janecek, Ex-Vorsitzender der bayrischen Grünen, in Hexenjagd-Manier des berüchtigten US-Senators Joe McCarthy aus den 50igern, als „Sprecher Putins“ denunziert.[63] 

Jeffrey Sachs, der einflussreiche US-Ökonom vermutet, dass die meisten europäischen Offiziellen auch davon ausgehen, die USA hätten die Aktion selbst oder einer ihrer Alliierten durchgeführt, würden sich aber nicht trauen, die USA öffentlich dafür anzuprangern. Die Europäer interpretieren die Bomben vermutlich als Signal, keine eigenständige Außenpolitik zu verfolgen, bzw. sich Washington zu widersetzen. Für Jonathan Cook von der Mint-Pressist klar, die USA verlangen von ihren sogenannten Verbündeten absolute Gefolgstreue und müssen den US-Befehlen gehorchen. „Dieser Sabotageakt stranguliert Europa wirtschaftlich und treibt es in eine Rezession, erhöht die Schulden und macht es zum Energie-Sklaven der USA. Statt Zuckerbrot bietet Biden nunmehr die Peitsche. Die Zerstörung der Pipeline müsse verstanden werden als ein Akt der Verzweiflung: Der letzte Versuch Washingtons die Hegemonie zu halten angesichts des Versuchs von Russland, China und anderen Gemeinsamkeiten zu finden, um den amerikanischen Behemoth (Riesenmonster) herauszufordern, sowie ein wütender Schlag gegen Europa, um die Lektion zu erteilen, keine Alleingänge zu wagen.“[64]

Die ursprüngliche Idee, Pipelines durch die Ostsee nach Deutschland zu führen, sollte die Unwägbarkeiten und die Kosten für durch fremde Länder führende Pipelines vermeiden. Insbesondere war dadurch natürlich die Ukraine und Polen betroffen, die hohe Gebühren für die durch ihre Gebiete führende Pipelines kassieren konnten. Mit Nord Stream waren diese Einnahmequellen gefährdet. Auch wenn sie mal die Rechnungen für selbst gekauftes Öl und Gas nicht bezahlte, konnte Russland den Gasfluss nicht einfach einstellen. Die Ukraine hatte also einen guten Hebel, Russland zum Stillhalten zu zwingen. Durch die Drushba-Pipelines fließt nach wie vor Öl durch die Ukraine, selbst wenn es mal Schwierigkeiten mit der Zahlung gibt.[65] Die alte Devise, folge dem Geldstrom, also den Profitinteressen, gilt auch für die Verdächtigen in diesem Bombenfall. Florian Warweg fasst auf den Nachdenkseiten am 17.4.2023 zusammen: „ Während die deutsche und russische Wirtschaft sowie Politik ein nachvollziehbares Interesse hatten, ab Anfang der 2000er-Jahre ihre Energiepartnerschaft zu verstärken und mit Nord Stream über eine Pipeline zu verfügen, die sie unabhängig macht von unzuverlässigen Transferländern mit eigenen Agenden, sieht es insbesondere im Falle der USA und Polen genau spiegelverkehrt aus. Sowohl in Washington wie in Warschau sah und sieht man eine zunehmende Zusammenarbeit von Berlin und Moskau seit Jahrzehnten mit Argusaugen und versucht alles, um diese zu verhindern… Schon ab Februar 1982 haben die USA der Bundesrepublik Deutschland massiv mit Konsequenzen gedroht, würde man das im November 1981 mit der Sowjetunion abgeschlossene Industrieabkommen zum Bau von Pipelines und der Lieferung von sibirischem Erdgas im Gesamtvolumen von jährlich 16 Milliarden Mark nicht aufkündigen. Unterschied zu heute: Der damalige Kanzler Helmut Schmidt ließ sich nicht einschüchtern und erklärte an die USA gewandt: „Da können andere noch so viel quaken, es bleibt bei dem Geschäft.“ ”[66]

c) Motiv, Täter und Ablenkungsversuche

Ende des Jahres, am 28.12.22, berichtet die New York Times über den Stand der Dinge bezüglich der Aufklärung der Verantwortlichen für das Attentat in der Tiefe der Ostsee. Sie kann allerdings nicht viel Neues berichten, weil die untersuchenden Behörden in Dänemark und Schweden angeblich nicht weitergekommen sind. Die im Westen gerne verbreitete Theorie, die Russen hätten die von ihnen selbst gebaute und wirtschaftlich wie politisch für sie außerordentlich wichtigen Pipelines selbst gesprengt, wird dort infrage gestellt, da Russland leise begonnen habe, teure Reparaturen an den Pipelines vorzunehmen. Das „kompliziere die Theorien über die Hintermänner der Sabotageakte vom September“[67]. Dessen ungeachtet wird in einem Artikel in der Berliner Zeitung am 30.12.2022, verfasst von Tomasz Kurianowicz, der sich auf diesen NYT-Artikel stützt, das Gegenteil suggeriert. „Die Sabotage von Nord Stream schafft Unsicherheit darüber, welche anderen Infrastrukturen durch Russland angegriffen werden könnten, so die NYT….. ‚Die Russen senden so ein Signal‘, sagt Martin Kragh“ (ein Politologe und Ostexperte) und suggeriert ein angeblich russisches Denken: „Wir können so etwas tun. Und wir können es auch anderswo tun.“[68]

Anders sah das sofort nach der Tat der ehemalige Außenminister und jetzige polnische EU-Abgeordnete Radek Sikorski, der den USA öffentlich gedankt hat, die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines durchgeführt zu haben.[69] Dem stimmte der Erzfeind des Polen,Lawrow, in einer Meldung des russischen Außenministerium sofort zu, die Lecks an den Nord-Stream-Pipelines seien in einer Zone aufgetreten, die „von den US-Geheimdiensten kontrolliert“ werde.[70] Die Russen schienen Großbritannien als direkte Täter zu halten.[71] Russia Today (RT) berichtet es wie folgt: „Matthias Warnig, Geschäftsführer der Nord Stream AG, offenbarte in einem Interview, dass Russland nicht an den Terroranschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines beteiligt gewesen sei. Hinter diesen stecke ein NATO-Land, hieß es.  Präsident Putin bezeichnete die Sabotage als “offensichtlichen Terroranschlag” und die “Angelsachsen” als Verantwortliche für den Vorfall. Am 29. Oktober erklärte das russische Verteidigungsministerium, dass britische Marinespezialisten in den Angriff verwickelt gewesen seien. London wiederum dementierte die Vorwürfe. Kurz danach äußerte sich diesbezüglich auch der Chef des russischen Sicherheitsrates Nikolai Patruschew. Er offenbarte, die damalige britische Premierministerin Liz Truss habe unmittelbar nach den Explosionen an den Gaspipelines eine SMS an US-Außenminister Antony Blinken geschickt, in der es hieß: “It’s done” (zu Deutsch: “Es ist vollbracht”). Sergei Naryschkin, Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, unterstrich, es gebe indirekte Hinweise darauf, dass es einen Zusammenhang zwischen der SMS von Truss und den Sabotageakten an den Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 gebe.“[72]

Ein halbes Jahr nach der Sprengung der Pipelines, russische Experten wurden bei der Untersuchung des Tatorts nicht zugelassen, gibt es immer noch fast keine Veröffentlichung der Erkenntnisse durch die skandinavischen Behörden, die sich bekanntlich dem Wertewesten zurechnen (Dänemark als NATO-Mitglied und Schweden als NATO-Aspirant). Offenbar gibt es nach wie vor keine wirklichen Indizien einer russischen Täterschaft, die ursprünglich von westlichen Medien verbreitet wurde. Immerhin haben die Skandinavier klargemacht, dass die Sprengungen von mindestens 400 bis 500 TNT verursacht worden seien und nur staatliche Akteure in Frage kämen.

Die Frage nach dem cui bono ist allerdings eindeutig und zeigt mehr und mehr in eine Richtung, die Oskar Lafontaine, Ex-Bundes-Finanzminister und Ex-Ministerpräsident des Saarlandes,  so zusammenfasst: Die Sprengung der Pipelines sei „eine Kriegserklärung an Deutschland“, nicht etwa durch Russland, sondern durch die USA, die „auf Teufel komm raus die einzige Weltmacht bleiben will und deshalb Kriege führt“. Lafontaine versteht, wie seinerzeit die 68er, den Charakter der US-Politik in der Kontinuität des aggressiven Vorgehens, in den „mörderischen Kriegen in Korea, Vietnam, Laos, Kambodscha, Irak, Jugoslawien, Afghanistan, Syrien und Libyen“. Die Europäer, allen voran Deutschland, sind für ihn reine „Vasallen“, die die „aggressive US-Außenpolitik alle mittragen“. Der Ukraine-Krieg ist für ihn folgerichtig kein Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern ein Proxy War, „ein Stellvertreterkrieg“ zwischen den USA und Russland. Warum sehen das so wenige? Weil „das Pentagon jede Lüge verbreiten kann – und die westlichen Medien sie alle schlucken“.[73] 
Die ehemalige demokratische Präsidentschaftskandidatin Tulsi Gabbard bestätigt das: “Nulands Aussage  1) entlarvt die Lügen der Biden-Regierung über die Beteiligung an der Pipeline-Sabotage und  2) schafft ein gefährliches Beispiel, dass Sabotage jetzt eine akzeptable Strategie ist, riskiert zukünftige Angriffe auf unsere Infrastruktur –   und unterminiert damit unsere Sicherheit & Demokratie.“[74] In der populärsten US-News-Show, erhebt der Moderator, Tucker Carlson, am 24.3.2023 zur Hauptsendezeit um 20 Uhr auf FOX-NEWS die Behauptung, die USA hätten nichts mit der Sprengung zu tun, zur größten Lüge der letzten 12 Monate.


Generalleutnant Igor Konaschenkow, Pressesprecher des russischen Verteidigungsministeriums, hat in einem täglichen Briefing berichtet, dass Vertreter der britischen Marine an der Planung und Durchführung der Sabotage an den Leitungen der Pipelines Nord Stream 1 und 2 beteiligt gewesen seien: “Nach den vorliegenden Informationen waren Vertreter dieser britischen Marineeinheit an der Planung, Versorgung und Durchführung des Terroranschlags in der Ostsee am 26. September beteiligt, als die Gas-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 gesprengt wurden.” Konaschenkow wies auch darauf hin, dass die Angriffe auf Schiffe der Schwarzmeerflotte und zivile Schiffe in Sewastopol von ukrainischen Militärangehörigen durchgeführt worden seien, die wiederum von britischen Militärspezialisten ausgebildet worden waren, die ebenfalls hinter den Nord-Stream-Explosionen steckten, so der Pressesprecher.[75]

Die Frage stellt sich, weshalb auch in kritischen Medien wenig über diesen Kriegsakt diskutiert wird. Offenbar können nur wenige Friedensfreunde sich der harten Realität und den daraus folgenden politischen Notwendigkeiten stellen. Da muss erst wieder ein Amerikaner in die Bresche springen. Das tut dann tatsächlich der renommierte Pulitzerpreisträger und erfolgreiche Investigativjournalist Seymour Hersh, dessen Methode zumeist von Medien und Politikern als nicht respektabel bezeichnet wird, weil er seine Quellen nicht preisgibt, nicht preisgeben kann, weil denen dann langjährige Haftstrafen drohen würden, aber dennoch im Ergebnis immer richtig lag. Hersh ist also der Bombe nachgegangen und beschreibt den Tathergang ziemlich präzise. Der US-Präsidentensicherheitsberater Jake Sullivan hatte zuerst die Idee und organisierte eine Arbeitsgruppe mit dem CIA-Chef William Burns, um die Idee in die Tat umzusetzen. Navy-Spezialisten aus der Basis in Panama City im nördlichen Florida wurden auf eine Basis in Norwegen gebracht, die während eines NATO-See-Manövers in der Ostsee im Juni 2022 (Baltic Operations 22, or BALTOPS 22) vor der Küste Bornholms die Plastiksprengsätze (vermutlich C4, also Composition 4 mit 91% Hexogen, Kosten im 7-stelligen Bereich) an den Pipelines anbrachten, mit Zeit-Zündern, die erst später mittels einer von der norwegischen Marine abgesetzten Sonar-Boje bei Bedarf ausgelöst werden konnten. Den Zeitpunkt hat dann Präsident Biden nach seinem Gusto bestimmt, also den 26.September 2022.[76]

Die Medienresonanz auf diese Enthüllung war fast eindeutig negativ. Hersh mit seinen 85 Jahren auf dem Buckel sei ein „ehemaliger Investigativjournalist“, der aber in den letzten Jahren nur noch sehr umstrittene Themen veröffentlicht habe, die „krude Verschwörungsmythen“ beinhalteten. Den Gipfel dabei schoss die ARD-Tagesschau ab. Deren „Faktchecker“ Pascal Siggelkow brachte es fertig, zu behaupten, der Sprengstoff hätte nach Hersh aus Pflanzen bestanden. Der Mann meinte aus Hershs Originaltext Widersprüche zu finden, wobei er das englische Wort „plant“ total missverstand. Plant kann als Substantiv „Pflanze“ bedeuten, als Verb aber „platzieren“. Die Tagesschau fühlte sich sogar bemüßigt den Lehrbeauftragten für Sprengtechnik am Karlsruher Institut für Technologie, David Domjahn, nach auf Pflanzen basierenden Sprengstoff zu befragen. Domjahn hielt zwar diese These für „abenteuerlich“, aber klärte den Faktenchecker nicht auf dessen Sprachdefizit hin auf. T-Online hat dankenswerterweise diesen Skandal veröffentlich, dabei aber selbst Unsinn hinzugefügt. Es wird behauptet Hersh habe norwegische Taucher statt der Navy-Spezialisten aus Panama City in Nord-Florida benannt, die Sprengladungen in 30 Meter Tiefe anstatt 90 Meter Tiefe angebracht zu haben.[77] Hersh legte nach und verwies auf die Komplizenrolle Norwegens in der Tonking-Affäre als die USA vietnamesische Streitkräfte beschuldigte US-Schiffe mit Torpedos angegriffen zu haben. Norwegen hatte Spezialboote geliefert mit denen die Küste Nordvietnams penetriert werden konnte.[78] Offiziell dementieren die USA jegliche Beteiligung an dem völkerrechtswidrigen Attentat, aber, so fragt der ehemalige CDU-Grande am 7.2.2023, Jürgen Todenhöfer, „tun sie das nicht immer, wenn sie erwischt werden?“[79]

Während die Oppositionspolitiker der Linken, Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen, Aufklärung durch die Bundesregierung fordern bzw. eine internationale Untersuchungskommission anregen, meint der AfD-Politiker Tino Chrupalla etwas radikaler, es gehe um die Frage, ob „die Führungsmacht der Nato in europäischen Gewässern einen Anschlag auf lebenswichtige kritische Infrastruktur unseres Landes verübt“ habe. Sollte dies so sein, könnten US-Truppen nicht mehr in Deutschland bleiben: „Der Abzug aller US-Truppen wäre die Konsequenz.“[80] Das hatte Oskar Lafontaine ja schon vor dem Anschlag in seiner letzten Buchpublikation gefordert: „Ami, it’s time to go!“[81]

Russland brachte fünf Monate nach dem Terrorakt den Fall vor den UN-Sicherheitsrat und fordert eine unabhängige Untersuchungskommission der UN, um den Fall aufzuklären.[82] Die Regierungen Dänemarks, Schwedens und Deutschlands unterbreiteten einen Brief, in dem mitgeteilt wurde, dass ihre eigenen Untersuchungen noch andauern und deshalb eine weitere Untersuchung unnötig sei. Professor Jeffrey Sachs und der Ex-CIA-Mann Ray McGovern waren geladen, die Erkenntnisse Sy Hershs vorzustellen. Die Vertreter Russlands, Chinas und Mozambiks sprachen für Annahme des Antrags, die Vertreter Großbritanniens, Frankreichs, der USA, und andere lehnten ihn ab. Der US-Vertreter bezeichnete die Hersh-Studie als „Verschwörungstheorie aus dem Internet“, die bar jeder Realität sei.[83] Der einflussreiche deutsche Soziologe Wolfgang Streeck hatte schon vorher in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau drastisch formuliert, dass er wissen möchte, „ob es irgendjemanden gibt, der sich, um im Kommiss-Jargon zu sprechen, nicht die Hose mit der Kneifzange anzieht, der nicht glaubt, dass die Pipeline vom US-amerikanischen Militär auf Befehl Bidens gesprengt wurde. Die Rolle der USA als der bei weitem größten Militärmacht der Welt war von Anfang an zentral.“[84] 

Einen Monat nach Hershs Aufdeckung der Bombenattentäter, die von den USA und auch der Mainstreampresse fast total verschwiegen wird, nach Abflug Kanzler Scholz vom Weißen Haus Richtung Heimat, kommt die CIA qua New York Times am 7. März 2023[85] mit einer missglückten Alibiversion raus. Demnach sei eine pro-ukrainische „Gruppe“ verantwortlich, aber ohne Beziehungen zu irgendwelchen staatlichen Stellen. Über die Gruppe sei aber sonst nichts bekannt. Etwa gleichzeitig, vermutlich in Koordination, berichten deutsche Medien, darunter öffentlich-rechtliche (Kontraste, SWR) als auch das Wochenblatt Die Zeit[86]. Sie wissen angeblich ein wenig mehr als die Amis. Eine Ukrainern gehörende in Polen registrierte Ostseeyacht, die „Andromeda[87], ein 15 Meter Seegelboot der Bavaria-Klasse 50[88], benannt nach der schönen Tochter von Cepheus und Cassiopeia nackt an einen Fels gefesselt und von Perseus gerettet und geheiratet, sei ausfindig gemacht worden, für den Anschlag benutzt worden zu sein. Angeblich wurden vier Monate nach der Tat Sprengstoffspuren auf dem Tisch des Bootes nachgewiesen. Welcher Sprengstoff bleibt unklar, und wer die Ukrainer sein sollen, die das Boot gemietet hatten, ist unbekannt, weil gefälschte Pässe[89] benutzt worden wären, die die Attentäter liegen gelassen haben sollen. Weitere Personen an Bord seien der Kapitän und eine Ärztin gewesen. Auch ist unklar, wie die angeblichen zwei Taucher plus zwei Tauchassistenten ohne spezielles Gerät die jeweils 400-500 kg Sprengladungen in einer 70 – 90 Meter Tiefe angebracht haben sollen. Zum Auftauchen hätten die Taucher Dekompressionskammern benötigt, die aber kaum auf die Jolle gepasst hätten.

Die ganze Story widerspricht den zuvor offiziell verkündeten Erkenntnissen, dass eine solche Operation nur mit staatlichen Mitteln durchgeführt werden kann, und es gäbe nur etwa sechs Staaten, die derartige Möglichkeiten hätten. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hält sogar eine False Flag Operation für möglich, ohne allerdings zu sagen, wer diese und zu welchem Zweck durchgeführt haben könnte. Pistorius fürchtet offenbar eine Schwächung der Unterstützung für die Ukraine, deren Offizielle flugs in scharfen Worten jede Beteiligung oder auch nur Wissen von der Aktion dementierten. [90] In den Redaktionsstuben dämmerte es, dass ihre Stories nicht gut ankamen. Flugs legte Die Zeit nach und interviewte einen „Profitaucher und Sicherheitsexperten“ aus München, Achim Schlöffel, der es für möglich hält, dass seine „80-jährige Mama“ diese „kinderleichte“ Aktion durchgeführt haben könnte.[91]

Nach den US und den deutschen Medien meldet sich auch die Londoner Times, mit Maxim Tucker zu Wort, der meint, ein ukrainischer Oligarch stecke hinter dem Attentat, aber dessen Name sei noch nicht bekannt. Skandinavische Geheimdienste hätten schon zwei Wochen nach dem Bomben-Anschlag den Verdacht auf diese Person gehabt, aber darüber geschwiegen, um die Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine nicht zu belasten.[92] Ins gleiche Horn stößt Florian Rötzer: „Der Verdacht entsteht, dass man in Washington vielleicht eine Möglichkeit sucht, doch die Ukraine belasten zu können, wenn man sich aus dem Krieg zurückziehen will oder wegen der republikanischen Opposition zurückziehen muss.“[93] Wenn der reale Täter einfach ignoriert werden kann, warum nicht die Russen neu ins Spiel zu bringen? Das zumindest lässt sich Corriere della Sera einfallen, in der gemutmaßt wird, ob nicht ein in Deutschland aufgewachsener Nazi-Russe, Denis Kasputin (aka Kapustin, Nikiti), Begründer des Russischen Freiwilligen Corps (RDK)[94], der den Ukrainern helfen und Putin schaden will, die Tat vollbracht haben könnte.[95] Um soviel Unfug entgegenzutreten, interviewt Tucker Carlson die ehemalige Demokratische Präsidentschaftskandidatin Tulsi Gabbard. Beide sind sich einig, dass ihr eigener Präsident den Befehl gegeben hat und damit einen Kriegsakt gegen Russland und gegen den NATO-Verbündeten Deutschland begangen hat, was eindeutig verfassungswidrig wäre, da nur der Kongress befugt ist, Kriegserklärungen vorzunehmen.[96] Am 6. März 2023 wird Scholz im Weißen Haus von Biden empfangen. Scholz kam ohne Journalisten und ohne Wirtschaftsvertreter, um sich zwei Stunden mit Biden unter vier Augen, Dolmetscher wurden nicht benötigt, zu unterhalten. Es gab keine Pressekonferenz danach, nur ein nichtssagendes Interview mit Fareed Zakaria von CNN. Zwei Tage später kam die New York Times, Die Zeit und die ARD mit ihren neuen Märchenerzählungen über die angebliche ukrainische Spur raus.[97]

Seymour Hersh legt bei der Aufklärung der Nordstream-Sabotage mit schweren Vorwürfen nach und beschreibt die Vertuschungsversuche auf höchster Ebene. In seinem neuen Artikel “The Cover-up” schildert Hersh jetzt, dass Bundeskanzler Scholz seit vergangenem Herbst “eindeutig an der Unterstützung der Vertuschung der Operation der Biden-Regierung in der Ostsee beteiligt war”. Ob er über die Zerstörung der Pipeline im Voraus informiert war oder nicht, bleibe eine “offene Frage”. Nach dem nichtöffentlichen Treffen von Scholz und Biden im Weißen Haus Anfang März fütterten, so Hersh weiter, US-amerikanische und deutsche Geheimdienste mit Falschmeldungen die Presse – die New York Times und die Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT.  Im “Recherche”-Verbund mit öffentlich-rechtlichen Medien präsentierten sie in der Folge alternative Tätergeschichten direkt aus der CIA-BND-Giftküche über eine kleine “pro-ukrainische Gruppe”, um Hershs Berichte zu widerlegen, dass Präsident Biden für die Zerstörung der Pipelines verantwortlich ist. Eine “Quelle innerhalb der amerikanischen Geheimdienst-Community” habe ihm gesagt: “Es war eine totale Erfindung des amerikanischen Geheimdienstes, die an die Deutschen weitergegeben wurde und darauf abzielte, ihre eigene Verwicklung zu vertuschen.”[98] Und weiter: „Mir wurde von jemandem mit Zugang zu diplomatischen Geheimdienstinformationen gesagt, dass es eine Diskussion über den Pipeline-Plan gab und dass infolgedessen bestimmte Elemente in der Central Intelligence Agency gebeten wurden, in Zusammenarbeit mit dem deutschen Geheimdienst eine Titelgeschichte vorzubereiten, die die amerikanische und deutsche Presse mit einer alternativen Version für die Zerstörung von Nord Stream 2 versorgen würde. In den Worten des Geheimdienstes sollte die Agentur ‚to pulse the system‘, um die Behauptung zu widerlegen, Biden habe die Zerstörung der Pipelines angeordnet.“[99] In einem Interview mit Chris Hedges gibt Hersh den Rat an die Presse, bei einer Pressekonferenz Biden zu befragen, warum er die US-Intelligence-Community, also die 17 Geheimdienste, noch nicht beauftragt habe, die wahren Täter zu ermitteln. Die NSA und die anderen Dienste hätten doch ihre Horchposten überall, Obamas Abhöraktion gegen Angela Merkel dient da als Beispiel, so dass denen nichts entgangen sein könnte.[100]

Der Ex-DKP-Genosse Robert Farle (AfD) aus Gladbach stößt, als einziger Redner in der Bundestagsdebatte am 15.3.2023 zum von Harald Weyel vorgetragenen AfD-Antrag zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zum Thema Pipeline-Bomben, ins gleiche Horn und bezeichnet Biden und Scholz als „Komplizen“, die bei ihrem „Geheimtreffen“ eine Woche vorher in Washington DC die Ablenkungsmanöver besprochen hätten. Der Antrag wurde erwartungsgemäß abgelehnt. Die Sprecher der Ampel-Fraktion verstiegen sich zu wüsten Argumenten, wie Sy Hersh sei ein „ehemaliger Journalist“ mit „abstrusen Behauptungen“ (Dr Zanda Martens von der SPD), seine Enthüllung sei eine „krude Story“ bzw. „reine Spekulation“, die nur von „Putinfreunden“ wie Sarah Wagenknecht (Linke) und Michael Kretschmer (CDU-Ministerpräsident von Sachsen) geglaubt und verbreitet würden. Patrick Schnieder (CDU) verstieg sich zur Behauptung, es bestünde kein „öffentliches Interesse“ und Leon Eckert (Grün) meinte, Hersh verbreite „Verschwörungsmythen“, für Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ist der Antrag „anti-amerikanisch“ und Philipp Hartewig (FDP) wusste, dass es keine deutsche Beteiligung gegeben habe und deshalb der Antrag unzulässig sei. Der Sprecher der Linkspartei, Dr. André Hahn, hielt den Zeitpunkt für einen solchen Antrag für verfrüht.[101]

Am 24.3.2023 wird schließlich gemeldet, die Dänen hätten eventuell die Sonar-Boje gefunden, die die Sprengung ausgelöst hatte. Dänemark lud Russland ein, bei der Bergung der Boje zu helfen.[102] Etwa gleichzeitig kommt t-online mit einer weiteren Räuberpistole raus. Das t-online-Team hat gleich eine große russische Flotte ausgemacht, die in der Tatortgegend ihr Unwesen getrieben haben soll. Angebliche Quelle ihrer Story: „Sicherheitskreise“. Welche verraten sie leider nicht. Offizielle Stellen weigern sich zu kommentieren, aber eins ist klar. Diese Indizien weisen gemäß t-online in Richtung Moskau.[103] Bernd Müller berichtet am 8.4.2023 in telepolis, dass all diese Theorien an Boden verlieren. Schwedische Behörden betonen, dass hauptsächlich weiterhin bislang unbekannte staatliche Stellen als Täter anzunehmen seien. Nach einem halben Jahr kommen die Dänen plötzlich raus mit der Meldung, dass russische Schiffe zur Tatzeit nahe der Pipeline-Bomben waren. Dagbladet meldete am 28.4.2023, dass ein dänisches Patrolboot 26 Fotos eines russischen Spezialschiffes gemacht hätte, das ein AS-26 Priz Mini-U-Boot an Bord gehabt hatte. Die Fotos wurden nicht gezeigt, da die Behörden sie angeblich für weitere Untersuchungen noch nicht für eine Veröffentlichung freigegeben hätten.[104] Offensichtlich nahmen die meisten Mainstreammedien dieses neue Ablenkungsmanöver auch nicht mehr ernst. Es blieb praktisch ohne Resonanz. Müller verweist auf die Washington Post und New York Times, die übereinstimmend schreiben, dass die westlichen Staats- und Regierungschefs wenig Interesse daran haben, die Anschläge aufzuklären und möglicherweise eine unbequeme Antwort zu finden.[105] Staatsanwalt Mats Ljungqvist erklärt Anfang April 2023 gegenüber der schwedischen Nachrichtenagentur TT: „Aber dann haben wir es mit sehr wenigen Unternehmen oder Gruppen zu tun. In Anbetracht aller Umstände ist unsere wichtigste Spur, dass ein Staat dahintersteckt.“[106]

Am 5. April 2023 legt Hersh nach. Der stellvertretende Chefredakteur von Die Zeit, Holger Stark, der in der Vergangenheit bei der NYT mit Hersh bekannt war, steckte Hersh, dass die Behörden von Dänemark, Schweden und Deutschland nach den Explosionen versucht hatten, die vierte, nicht explodierte Bombe zu sichern, aber zu spät kamen, weil ein US Schiff schneller war und alles Material, das auffindbar war, einschließlich der Bombe, innerhalb von ein oder zwei Tagen mit sich nahm. Wie die Schweden, weigern sich die US-Behörden ihre Erkenntnisse mit den anderen Ermittlern zu teilen.[107] Hersh konsultierte einen nicht namentlich erwähnten Sicherheitsexperten, der ihn auf eklatante Diskrepanzen in der von den Medien gehypte Alternativstory mit der Yacht Andromeda aufmerksam machte. 1) Ein Segelboot kann in einem Meer mit einer Tiefe von mehr als 90 Metern nicht ankern. 2) Es ist kaum möglich eine Yacht mit einem falschen Pass zu mieten, weil man einen Kapitän benötigt, der entweder vom Eigner des Bootes oder von dessen Agenten gestellt wird, oder der Kapitän muss ein durch maritimes Recht erfordertes, legales Kapitänszeugnis vorlegen. Die Taucher und die Ärztin hätten ebenfalls ihre Kompetenz nachweisen müssen bezüglich der Nutzung des für Tiefseetauchen erforderlichen Gasgemischs, Nitox. 3) Wie kann ein 16 Meter Segelboot Pipelines in den Tiefen der Ostsee finden, die in keinerlei Charts für private Boote eingezeichnet sind? Die Taucher in ihren Tauchanzügen mit ihren bis zu 15 Minuten reichenden Gasflaschen würden vier Jahre brauchen, um nur eine Quadratmeile abzusuchen. 4) Wo ist das legal erforderliche Logbuch, das der Verleiher haben müsste? 5) Wer hat die Segel bedient und wer hat für die Verpflegung gesorgt und ggf. gekocht?[108]  Diese Fragen werden nirgendwo gestellt, geschweige denn beantwortet. Stattdessen wird weiter an der Andromeda-Story gebastelt. Am 23.5.2023 kommen die Autoren Manuel Bewarder und Florian Flade sowohl in der Süddeutsche Zeitung und als auch in der Tagesschau auf das Segelboot zurück. Eine dubiose Briefkastenfirma in Kiew sei gefunden worden, die den Segler angemietet haben soll, die urplötzlich im letzten Jahr im Gegensatz zur Vergangenheit viel Geld eingenommen habe. Aber wie das bei Briefkastenfirmen so ist, konnte sonst nichts über sie herausgefunden werde. Zwei Namen tauchen auf, ein weiblicher und ein männlicher, aber die Personen können nicht kontaktiert werden, um Auskunft zu geben.[109]

Der ehemalige Demokratische Präsidentschaftskandidat Dennis Kucinic hat eine Gesetzesvorlage erarbeitet, die die USA zwingen soll, Auskunft über die Rolle der Regierung bezüglich der Bomben umfassend Auskunft zu geben. Er geht in seinem Report davon aus, dass völkerrechtswidrig und entgegen der US-Verfassung ein Kriegsakt begangen worden sei. Da nach Hershs Recherchen die Tat von der Navy ausgeübt wurde, verlangt Kucinic die Vorladung des Navy-Ministers vor einen Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses, um detailliert Auskunft zu insgesamt 13 speziellen Fragen zu geben. Die Aufklärung sei notwendig, um illegalen Aktivitäten der Regierung vorzubeugen, die in einen Dritten Weltkrieg münden könnten.[110] Pünktlich zum 2. Juni berichtet der Tagesspiegel und andere Mainstreammedien von einer Spur, die mit Bezug auf die Segeljacht Andromeda nach Brandenburg, nach Frankfurt an der Oder führt. Eine Wohnung einer ansonsten unschuldigen Person sei durchsucht worden. Unklar bleibt, was dort gesucht bzw. was gefunden wurde. Es heißt lediglich, dass Es sich um die Wohnung der ehemaligen Lebensgefährtin eines ukrainischen Verdächtigen handeln soll. Mit DNA-Proben des mutmaßlichen gemeinsamen Kindes wollen die Ermittler herausfinden, ob sich der ukrainische Mann auf der Segeljacht “Andromeda” befunden hat.[111] Ansonsten werden verschiedene andere Spuren referiert, mit Auslassung der US-Spur. [112] Die deutschen Behörden werden weiterhin zum Schweigen verurteilt. So hat BND-Chef Bruno Kahl Hoffnungen auf eine schnelle Klärung gedämpft, wer die Explosionen an den Erdgaspipelines Nord Stream in der Ostsee verursacht hat. “Es gibt Hinweise in alle möglichen Richtungen”, sagte Kahl am Montagabend, dem 22.5.2023, in Berlin bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks).[113]

Neue “Enthüllungen” zu Nord Stream werden aus den USA gestreut. Die Washington Post[114] zitiert am 6.6.2023 aus den Leaks, die auf Discord veröffentlich worden sind. Demnach habe es einen Plan des ukrainischen Militärs schon im Sommer 2022 gegeben, die Pipelines in der Ostsee zu sprengen. Der Plan sah so ähnlich aus, wie das Andromeda-Szenario. Er sei von einem europäischen Geheimdienst, der nicht genannt wird, entdeckt worden. Die Erkenntnisse seien an den CIA und andere westliche Geheimdienste noch zwei Monate vor dem Terrorangriff weiter gereicht worden. Deutsche Medien (ARD, Handelsblatt[115] u.a.)  schreiben von der WP schlicht ab, wie auch die linke Junge Welt[116]. Ali Al-Dailami

, stellvertretender Vorsitzender und verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke, und Sahra Wagenknecht nehmen die von der Washington Post in Umlauf gesetzte ukrainische Täterversion ernst und fordern: „Die Bundesregierung muss den Deutschen erklären, warum sie die Anschläge nicht verhindert hat und warum sie weiter Waffen in einen blutigen Konflikt liefert – an einen “Partner”, der unsere Infrastruktur sprengt und unsere Energieversorgung und damit unseren Wohlstand sabotiert!“[117] Damit weichen sie ab von der Erkenntnis, die Seymour Hersh bekannt gemacht hat.

Der einflussreiche französische Historiker Emmanuel Todd konnte auch schon ohne Hershs Recherchen rein logisch deduzieren: „Die Deutschen wissen nur zu genau, dass Nord Stream von den Amerikanern zerstört wurde. Durch eine gemeinsame militärische Aktion der Amerikaner, Briten und Polen. Gegen Deutschland. Aber sie können es nicht sagen. In Tat und Wahrheit sind die Deutschen von den Amerikanern angegriffen worden. Man wollte sie vom russischen Gas abkoppeln. Immerhin, Deutschland hat nicht völlig kapituliert: Scholz reiste nach Peking. Deutschland verweigert den Amerikanern die Abnabelung von China…. In diesem Krieg geht es um Deutschland“.[118] Genauso sah es auch der schweizerische Oberst, Geheimdienstler, NATO- und UNO-Mitarbeiter Jacques Baud, noch vor der Bombenattacke: „Nord-Stream II ist auf Anfrage der Deutschen gebaut worden. Es ist grundsätzlich ein deutsches Projekt. Denn Deutschland braucht mehr Gas, um seine Energie- und Klimaziele zu erreichen.  Die USA wollten den Druck auf Deutschland erhöhen, Nord-Stream II abzustellen. Sie wollten, dass die Ukraine Russland provoziert und dass, wenn Russland darauf reagiert, Nord-Stream II auf Eis gelegt wird. Ein solches Szenario wurde anlässlich des Besuches von Olaf Scholz in Washington angetönt, und Scholz wollte klar nicht mitmachen. Aber seit dem 2. Weltkrieg war es immer die Politik der USA, zu verhindern, dass Deutschland und Russland bzw. die UdSSR enger zusammenarbeiten.“[119] Dieses Ziel ist nun mindestens für die nähere Zukunft erreicht, verbunden mit dem schönen Nebeneffekt, eigenes Fracking-Gas nun zu höheren Preisen an den Rivalen in Übersee verkaufen zu können.

Während die Mainstreamallianz von Politik und Medien die Pipelines offenbar für dauerhaften Schrott halten, regt sich eine einsame Stimme in Sachsen, die des dortigen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer:  “Die Frage nach russischem Erdgas stellt sich nicht, solange der Krieg tobt”, sagte er. Aber „die Betreiber sollten dafür sorgen, dass die Pipeline repariert werden kann.“ Deutschland müsse sich “die Option erhalten, nach Ende des Krieges nicht nur das sehr teure Flüssiggas zu nutzen. Es liege im nationalen Interesse zu prüfen, aus welchem Land dann günstigere Gasalternativen erworben werden könnten.“[120]

d) Die doppelte Kriegserklärung

Statt sich der Tatsache zu stellen, wer Deutschland per Gewalt zu beherrschen sucht, wird so getan, als ob „wir“ von Russland angegriffen worden wären und „wir“ deshalb „Krieg gegen Russland“ führen müssten.  Das Pentagon hat sich lange geweigert, US-Panzer der Marke Abrams in die Ukraine zu schicken. Die seien zu kompliziert, schwer zu bedienen, schlucken zu viel Benzin, brauchen zu viel Wartung usw. Biden wollte stattdessen die Deutschen zwingen, ihren Leopard 2 zu schicken. Bundeskanzler Olaf Scholz zögerte und schob vor, nur dann zu liefern, wenn auch die USA ihre Abrams liefern. Diesem Drängen gab Biden nun nach, aber begleitete es mit der Erklärung, dies sei kein Kriegsakt gegen Russland. Man sei nicht im Krieg mit Russland, beteuerte Biden: Die Lieferung westlicher Kampfpanzer an die Ukraine stelle keine “offensive Bedrohung” für Russland dar, meldet Die Welt am 25.1.2023 in ihrer Morgenausgabe.[121] 

Und nun wurde es völlig verrückt. Nicht nur, dass die grüne Außenministerin Deutschlands, Annalena Baerbock, sich nach eigener Aussage nicht darum kümmert, was ihre Wähler von ihr wollen, sondern sich an ihr Versprechen halten will, der Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland beizustehen und sich immer engstens mit dem US-Außenminister abzusprechen, schwadroniert am 25.1.2023 öffentlich bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg auf Englisch: „We are fighting a war against Russia…“. Auf gut Deutsch: „Wir“ (sie meint Deutschland und die NATO) „kämpfen einen Krieg gegen Russland…“.[122]  Semantisch ist das etwas völlig anderes als zu sagen, unsere Leopards sollen der Ukraine helfen gegen Russlands Truppen im Land. Letzteres wäre eine Definition, die man bei gutem Willen als defensiv bezeichnen könnte. „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“ ist semantisch offensiv zu verstehen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Die Linke-Politikerin Sevim Dagdelen hat das auf Twitter ebenso gegeißelt und hat damit etliche US-Trolle auf den Plan gerufen und einen mäßigen Shitstorm gegen sich ausgelöst.[123] Annalena Baerbock ist aber nicht die Einzige, die nicht versteht, was sie sagt und sogar ihrem Mentor aus dem Weißen Haus quasi widerspricht. Vor ihr hat NATO-Chef Jens Stoltenberg indirekt das Gleiche gesagt, als er zu bedenken gab, wenn die Ukraine verliert, verliert auch die NATO. Postwendend hat dann der russische Ex-Präsident und Putin-Vertraute, Medwedew, bestätigt, dass die NATO praktisch Krieg gegen Russland führt.[124] So sehen das auch Stimmen in russischen Medien, so zB Wladimir Kornilow: „Der Westen ist nun offiziell im Krieg gegen Russland. Die entsprechende Erklärung der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock auf der PACE-Tagung war nicht nur ein Getuschel am Rande, sondern Teil ihrer offiziellen Rede auf einer offiziellen Veranstaltung. Entsprechend offiziell sollten diese Worte auch bewertet werden.”[125]

Ein wenig wurde offiziell immerhin zurückgerudert. Auf Nachfrage von „Bild“ hat das Außenministerium klargestellt, dass Baerbocks Formulierung nicht bedeute, dass Deutschland Kriegspartei sei.[126] Das wird zwar auch von einigen US-Experten, wenn auch etwas kleinlaut geteilt.  Baerbocks Aussage sei wohl nicht als Kriegserklärung zu interpretieren, so zumindest Professorin Hillary Appel vom Claremont McKenna College in Claremont, Kalifornien, im Wochen-Magazin Newsweek, Baerbock habe „sich falsch ausgedrückt“. Appel bezeichnete die Aussage Baerbocks als „einen faszinierenden und wichtigen Fehler, der den Interessen Russlands dient“. Russland versuche nämlich ständig zu erklären, dass sein übergeordneter Krieg gegen die Nato gerichtet sei, nicht nur gegen die Ukraine. Aber damit hat Frau Appel unrecht und die Ampel hat gleich doppelt unrecht. Deutschland befindet sich in einem verdeckten Krieg mit seinem Großen Bruder und gleichzeitig indirekt mit Russland. Ein wahrhafter Doppelwumms.[127]

Es stellt sich die Frage, wie groß Deutschlands politischer Handlungsspielraum (etwa auch für eine diplomatische Initiative zur Beendigung des Krieges) angesichts der mit dem Anschlag einhergehenden energiepolitischen Abhängigkeit von den USA überhaupt noch ist. Treffend stellt  der Ökonom Hans-Werner Sinn unter Verweis auf den unmittelbar nach dem Anschlag verfassten Tweet des Europa-Abgeordneten und früheren polnischen Verteidigungs- und Außenministers Radoslaw Sikorski („Thank you, USA“) fest: „Hier geht es auch um die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland.“[128]

Auch die EU-Resolution vom 06. Oktober 2022[129] zeigt die begrenzte Souveränität Deutschlands, in der nur kurz nach dem Anschlag auf die Pipelines für die vollständige Stilllegung beider Nord-Stream-Pipelines („to be completely abandoned“) gestimmt wurde. Damit hat man Überlegungen, die Pipelines zu reparieren (wie es aktuell Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer für Nord Stream 1 fordert) oder die Gaslieferung durch den noch intakten Strang von Nord Stream 2 fortzusetzen, wie es Russland angeboten hatte, einen Riegel vorgeschoben. Dass das EU-Parlament hiermit in der Hauptsache über Deutschlands Energieversorgung bzw.-infrastruktur abgestimmt hat, ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, auch wenn Nord Stream 1 nicht nur Deutschland mit Gas versorgte.

Wolfgang Streeck, Soziologe und emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, trug eine interessante These vor. In einem unter dem Titel „The End of German Empire“ auf YouTube[130] veröffentlichten Interview sagte Streeck vor einigen Monaten, dass ein eigenständiges Europa ohne eine wie auch immer geartete Einigung mit Russland nicht denkbar sei. (Das ist inhaltlich also die Umkehrung der gegenwärtig weit verbreiteten Auffassung, wonach nur durch die komplette Loslösung von Russland Europa sich die politische Unabhängigkeit bewahre). Je länger der Ukraine-Krieg dauere, desto stärker werde die Abhängigkeit Europas von den USA. Deutschland bzw. auch Europa werde in Zukunft in seiner Bedeutung auf die Stufe einer bloßen US-Hilfstruppe in der großen Auseinandersetzung gegen China herabsinken. Streeck führt als Beispiel die erstmalige Teilnahme der deutschen Luftwaffe im letzten Jahr an einer Übung im Indo-Pazifik an: „Ein seltsames Schauspiel, das darin bestand, dass fünf Eurofighter der deutschen Luftwaffe den ganzen Weg nach Australien fliegen, um ihre Gefolgschaft gegenüber den USA zu zeigen… Fünf Flugzeuge, was komplett symbolisch war…Und das ist für mich eine symbolische Demonstration, dass Deutschland und der westliche Teil des europäischen Subkontinents sich zu einer Hilfstruppe für die Vereinigten Staaten entwickeln für die bevorstehende Konfrontation mit China.“

Ferner äußert Streeck sich in einem FR-Interview zum Status der Bundesrepublik im internationalen Geflecht: „Wie sehr Deutschland unter der amerikanischen Kuratel steht, zeigt die schweigende Hinnahme der Sprengung der Pipelines, aber nicht nur die. Deutschland ist nach Okinawa die Weltgegend mit dem größten amerikanischen Truppenkontingent – 35 000, wenn ich recht informiert bin – und einer gigantischen militärischen Infrastruktur, die unter anderem sämtliche Operationen des amerikanischen Militärs und der CIA im Nahen Osten koordiniert. Zu dieser Infrastruktur gehört eine unbekannte Anzahl von Atomsprengköpfen, die gegebenenfalls auf amerikanische Anweisung von den deutschen Tornados auf von den USA vorgegebene Ziele abgeworfen werden können („nukleare Teilhabe“ heißt das).”

Auf die Frage, wie es mit der Ukraine weitergehen wird, entwirft er Szenarien, in den Deutschland nichts zu entscheiden hat: „Der „Player“ hier ist Biden bzw. der amerikanische Kongress, nicht Scholz. Was Scholz angeht, so kann man nur hoffen, dass es ihm halbwegs gelingt, Deutschland irgendwie aus dieser Zukunft herauszuwieseln; die Aussichten darauf sind nicht gut, zumindest solange die Grünen in der Regierung sind. Die Amerikaner, da kann man sicher sein, meinen es bitter ernst. Die Ukraine und Europa sind nur das Vorspiel.” [131] Er glaubt, die USA würden sich der „Vorbereitung eines fernöstlichen Krieges gegen China, etwa um Taiwan, zuwenden.“ In einem Aufsatz in American Affairs wird er noch deutlicher. Dort meint er, Biden setze auf einen Abnutzungskrieg, um die Europäer qua NATO noch besser unter Kontrolle zu behalten und um eine eurasische Friedensordnung zu verhindern. Das würde die amerikanische Kontrolle über Westeuropa „betonieren“, und es wäre im Interesse der USA eine „globale Allianz in einem anstehenden Kampf mit China über die nächste Neue Weltordnung (New World Order) zu bilden.“[132]

Die Frage stellt sich, ob Bundeskanzler Scholz noch der richtige Mann ist, um Schaden von den Bürgern seines Landes abzuwenden. Wenn man sich sein Verhalten und seine Charakterisierung des US-Präsidenten anschaut, kommen einem Zweifel auf. Als Biden öffentlich ankündigte, die Pipelines abzuknipsen, stand Scholz wie ein dummer Junge daneben und sagte nichts. In dem Interview mit Fareed Zakaria von CNN am 5.3.2023 sagte er „I like him“. Es klang fast wie „I love him“. Er lobte die Zusammenarbeit und Verständigung in den höchsten Tönen. Wie kann eine solch servile Haltung erklärt werden? Was hat Biden über ihn in der Tasche? Professor Michael Klundt fragt sich, ob Scholz mit CumEx oder anderen Verfehlungen (Wirecard?) erpressbar ist.[133] Der Schweizer Bundesrat und Herausgeber der Weltwoche, Roger Köppel, hat die Sprengung der Ostsee-Pipelines als eine terroristische Kriegserklärung an Europa und Deutschland interpretiert[134],  und er sinniert über dieselbe Frage und wundert sich, ob nicht auch die Hauptopposition, also die CDU mit Friedrich Merz an der Spitze, eingeweiht ist und der Bombe zugestimmt habe. In diesem Falle, meint Köppel, der davon ausgeht, dass das Wohl der eigenen Bevölkerung über das Interesse fremder Mächte zu stehen habe, wäre das Hochverrat an der eigenen Nation. Wenn Scholz nicht bald eindeutig Stellung nimmt, könnten wir demnächst eine gefährliche Staatskrise am Hals haben.


Günter Langer, 25.5. 2023
 https://guenterelanger.substack.com/p/der-doppelwumms-deutschland-im-zweifrontenkrieg


[1] https://overton-magazin.de/top-story/ein-jahr-ukraine-krieg-abweichende-bemerkungen/#comment-27461

[2] https://countercurrents.org/2023/02/the-monroe-doctrine-is-soaked-in-blood/

[3] Professor Charles A Kupchan, The Clash of Exceptionalisms, in Foreign Affairs, März/April 2018

[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1134544/umfrage/militaerische-einrichtungen-der-us-streitkraefte/

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Milit%C3%A4rbasen_der_Vereinigten_Staaten_im_Ausland

[6] Otfried Nassauer, Atomwaffen in D und Europa,  http://www.bits.de/public/stichwort/atomwaffen-d-eu.htm

[7] https://www.mintpressnews.com/evidence-united-states-role-nord-stream-pipeline-blasts/282149/

[8] Tim Kaine, A New Truman Doctrine – Grand Strategy in a Hyperconnected World, in Foreign Affairs, July/August 2017

[9] https://www.actvism.org/wp-content/uploads/2023/03/Was-wir-dank-WikiLeaks-wissen-Vorgeschichte-des-Ukrainekriegs.pdf

[10] Joseph Biden/Michael Carpenter, How to Stand Up to the Kremlin – Defending Democracy Against Its Enemies, Foreign Affairs, Januar/Februar 2018

[11]Hal Brands, The Emerging Biden-Doctrine, Foreign Affairs, June 29, 2021, https://www.foreignaffairs.com/articles/united-states/2021-06-29/emerging-biden-doctrine?check_logged_in=1

[12] Cold War Allies: The Origins of CIA’s Relationship with Ukrainian Nationalists
by Kevin C Ruffner, online: https://www.cia.gov/readingroom/docs/STUDIES%20IN%20INTELLIGENCE%20NAZI%20-%20RELATED%20ARTICLES_0015.pdf

[13] https://www.jungewelt.de/artikel/450630.krieg-in-osteuropa-faschist-auf-spendentour.html?sstr=Balko

[14] https://www.jungewelt.de/artikel/449320.faschisten-schauriger-pakt.html?sstr=Rosa%7CReich%7CSchauriger%7CPakt

[15] https://mronline.org/2023/03/06/top-biden-officials-address-pro-war-rally-led-by-ukrainian-nazi-supporters/

[16] Gerhardt Fock, Faschist auf Spendentour, junge Welt, 12.5.2023, S.6

[17] Richard Breitman undNorman JD Goda, Hitler’s Shadow: Nazi War Criminals, U.S. Intelligence, and the Cold War, 2010

[18] https://overton-magazin.de/top-story/die-richtlinien-von-stepan-bandera-sind-dem-oberbefehlshaber-wohlbekannt/

[19] Florian Rötzer am 7.1.2023 in Overton: https://overton-magazin.de/top-story/habeck-wir-werden-nicht-aufhoeren-waffen-an-die-ukraine-zu-liefern/

[20] https://mronline.org/2023/01/04/on-the-influence-of-neo-nazism-in-ukraine/

[21] https://consortiumnews.com/2022/12/29/on-the-influence-of-neo-nazism-in-ukraine/

[22] https://www.jungewelt.de/artikel/449320.faschisten-schauriger-pakt.html?sstr=Rosa%7CReich%7CSchauriger%7CPakt

[23] https://www.theguardian.com/commentisfree/2014/may/13/ukraine-us-war-russia-john-pilger

[24] https://www.theguardian.com/commentisfree/2014/apr/30/russia-ukraine-war-kiev-conflict

[25] https://caitlinjohnstone.com/2023/01/27/the-mass-media-used-to-publish-perspectives-on-ukraine-that-they-would-never-publish-today/

[26] Klaus von Dohnanyi am 2.6.2022, https://www.youtube.com/watch?v=p0xylPYq5bY

[27] https://www.jeffsachs.org/newspaper-articles/d2hlnp24c7hyewetypd6rjgfesszm4

[28] https://original.antiwar.com/david_stockman/2023/01/04/ukraine-was-not-built-to-last/

[29] Rjabčuk, Mykola (2009). Ambivalentes Grenzland: Die ukrainische Identität zwischen Ost und West, in: Meyer, Thomas/Eisenberg, Johanna (Hrsg.): Europäische Identität als Projekt Innen- und Aussensichten, Wiesbaden :: VS Verlag für Sozialwissenschaften / GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden, S. 155; zitiert nach Katharina Rauch, „Repräsentationen der OUN und UPA im kollektiven Gedächtnis der Ukraine nach der Orangen Revolution“, Diplomarbeit in Wien 2012, S.29, online: https://core.ac.uk/download/pdf/11598355.pdf .

[30] Manfred Breitenberger, 12.1.2023,   https://thinktankboy.wordpress.com/2023/01/12/die-oktoberrevolution-und-die-pogrome-von-1918-bis-1921-in-der-ukraine/

[31] https://www.actvism.org/wp-content/uploads/2023/03/Was-wir-dank-WikiLeaks-wissen-Vorgeschichte-des-Ukrainekriegs.pdf

[32] https://original.antiwar.com/david_stockman/2023/01/04/ukraine-was-not-built-to-last/

[33] Geoffrey Cain,Ukraine versus Afghanistan. Lessons in National Solidarity, in American Affairs, Volume VI, Number 2, Summer 2022, p. 100

[34] https://nypost.com/2023/04/11/ex-biden-stenographer-says-fbi-ignored-prezs-role-in-hunters-business-dealings/

[35] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/exklusiv-nord-stream-explosionen-ostsee-linke-politikerin-sahra-wagenknecht-bundesregierung-verweigert-informationen-zu-pipeline-anschlaegen-li.277250

[36] https://www.jungewelt.de/artikel/450664.geopolitik-der-kaiserzeit-wer-kiew-hat-kann-russland-zwingen.html?sstr=Claus%7CRemer

[37] Arnold Schölzel, Wer Kiew hat, kann Russland zwingen, Junge Welt, 12.5.2023, der sich auf Claus Remer, Die Ukraine im Blickfeld deutscher Interessen. Ende des 19. Jahrhunderts bis 1917/18, Verlag Peter Lang, FfM 1997, stützt. https://www.jungewelt.de/artikel/450664.geopolitik-der-kaiserzeit-wer-kiew-hat-kann-russland-zwingen.html?sstr=Claus%7CRemer

[38] https://www.jungewelt.de/artikel/449320.faschisten-schauriger-pakt.html?sstr=Rosa%7CReich%7CSchauriger%7CPakt

[39] Interview von Prof. Christian Rieck mit Thorsten Pörschmann am 23. Oktober 2022,    https://www.youtube.com/watch?v=kf_IIf2e0Ek,

[40] https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/nord-stream1-explosion-101.html

[41] Tagesschau, 30.11.2022, https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/nord-stream1-explosion-101.html

[42] Environmental impact of sabotage of the Nord Stream pipelines, by Hans Sanderson, Michał Czub, Sven Koschinski, Jakob Tougaard, and 9 more, in Research Square Preprints

https://www.researchsquare.com/article/rs-2564820/v1

[43] https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/nord-stream-anschlag-geschah-am-schlimmsten-ort-den-man-sich-vorstellen-kann-li.323438

[44] https://overton-magazin.de/kolumnen/transatlantic-mediawatch/zerstoerte-pipelines-seltsame-allianzen/

[45] https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/nord-stream-pipelines-wohl-deswegen-zerstoert-jeffrey-sachs-hat-neue-theorien-zu-den-lecks-li.273634

[46] https://youtu.be/W1olzy7qxAA

[47] Hal Brands is Henry A. Kissinger Distinguished Professor of Global Affairs at the Johns Hopkins School of Advanced International Studies, a Senior Fellow at the American Enterprise Institute, and a Bloomberg Opinion columnist.

[48] https://www.foreignaffairs.com/articles/united-states/2021-06-29/emerging-biden-doctrine?check_logged_in=1

[49] Im Original: Pres. Biden: “If Russia invades…then there will be no longer a Nord Stream 2. We will bring an end to it.” Reporter: “But how will you do that, exactly, since…the project is in Germany’s control?” Biden: “I promise you, we will be able to do that.” http://abcn.ws/3B5SScx.  Auf Deutsch: https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/700420/EU-Abgeordneter-dankt-USA-fuer-Zerstoerung-von-Nord-Stream-Pipelines

[50] Michael McFaul, Russia as It Is – A Grand Strategy for Confronting Putin, in Foreign Affairs, July/August 2028, S. 89

[51] Großvater Meyer Nudelman immigrierte aus der Ukraine in die USA, https://en.wikipedia.org/wiki/Sherwin_B._Nuland, Victoria ist verheiratet mit Paul Kagan, dem Vordenker der imperialistisch-militaristischen NeoCons.

[52] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/700420/EU-Abgeordneter-dankt-USA-fuer-Zerstoerung-von-Nord-Stream-Pipelines. Im Original: And for those still puzzled by what motive the U.S. might have for perpetrating such an outrage, Nuland’s boss helpfully offered an answer last Friday. Secretary of State Anthony Blinken described the destruction of the Nord Stream pipelines, and the consequent environmental catastrophe, as offering “tremendous strategic opportunity for the years to come”. https://twitter.com/aaronjmate/status/1576326018893492225

[53] https://www.facebook.com/TulsiGabbard/videos/494512976094599 “I am and the administration is very gratified that the pipelines are now just a hunk of metal on the bottom of the sea.” https://thepressunited.com/updates/top-us-official-hails-nord-stream-2-blast/

[54] https://www.barrasso.senate.gov/public/_cache/files/a1c8952e-77ef-43e4-a624-18953b0a0c95/ros19505.pdf

[55] https://www.atlanticcouncil.org/blogs/new-atlanticist/us-congress-would-undermine-transatlantic-alliance-with-nord-stream-2-sanctions/

[56] https://nymag.com/intelligencer/2022/03/was-ted-cruz-right-about-russia-and-nord-stream-2.html

[57] https://socialbites.ca/politics/167145.html

[58] https://www.nytimes.com/2022/12/26/world/europe/nordstream-pipeline-explosion-russia.html

[59] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/exklusiv-nord-stream-explosionen-ostsee-linke-politikerin-sahra-wagenknecht-bundesregierung-verweigert-informationen-zu-pipeline-anschlaegen-li.277250

[60] https://www.racket.news/p/who-blew-up-the-nord-stream-pipelines?

[61] In der Talk Show mit Markus Lanz am 30.11.2022, https://www.merkur.de/politik/markus-lanz-ukraine-afd-chrupalla-putin-biden-usa-nord-stream-2-lng-gas-kriegsverbrecher-westen-moskau-kreml-zr-91947604.html

[62] https://www.rtl.de/cms/tino-chrupalla-afd-chef-kritisiert-ermittlungen-zu-nord-stream-sabotage-5012037.html

[63] https://www.merkur.de/politik/chrupalla-gibt-keine-beweise-fuer-russische-sabotage-an-den-gasleitungen-91818165.html 

[64]Jonathan Cook (mintpressnews):https://www.mintpressnews.com/evidence-united-states-role-nord-stream-pipeline-blasts/282149/ .

[65] https://www.telesurenglish.net/news/Ukraine-Stops-Transit-of-Russian-Oil-Through-Its-Territory-20220809-0007.html?utm_source=planisys&utm_medium=NewsletterIngles&utm_campaign=NewsletterIngles&utm_content=14

[66] https://www.nachdenkseiten.de/?p=96339

[67] https://www.nytimes.com/2022/12/26/world/europe/nordstream-pipeline-explosion-russia.html.

[68] https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/new-york-times-spekuliert-ueber-sabotage-und-die-schuldigen-des-nord-stream-attentats-li.301417.

[69] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/700420/EU-Abgeordneter-dankt-USA-fuer-Zerstoerung-von-Nord-Stream-Pipelines

[70] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/700449/Russland-macht-USA-fuer-Anschlag-auf-Nord-Stream-verantwortlich

[71]Tagesschau 29.10.2022,  https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-vorwurf-nord-stream-explosion-101.html

[72] https://pressefreiheit.rtde.tech/international/161100-nord-stream-geschaeftsfuehrer-deutet-an/

[73] https://lucidaintervalla.com/meine-weihnachtslekture-der-kampf-um-hegemonie/.

[74] https://www.facebook.com/watch/?v=494512976094599

[75] https://internetz-zeitung.eu/7431-staatsterrorismus-der-usa-besser-als-is-terror

[76] https://seymourhersh.substack.com/p/how-america-took-out-the-nord-stream

[77] https://www.t-online.de/unterhaltung/tv/id_100134408/ard-format-faktenfinder-blamiert-sich-mit-uebersetzungsfehler.html,.

[78] https://countercurrents.org/2023/02/covert-operations-in-vietnam-the-incomplete-history-of-u-s-norway-collaboration/

[79] https://www.facebook.com/reel/744966593641386

[80] https://www.tagesspiegel.de/politik/gaspipelines-nord-stream-afd-fordert-untersuchungsausschuss-zu-explosionen-9318281.html?bezuggrd=NWL&utm_source=sondermailing

[81] https://lucidaintervalla.com/meine-weihnachtslekture-der-kampf-um-hegemonie/

[82] https://news.antiwar.com/2023/02/22/un-security-council-holds-meeting-on-nord-stream-sabotage/

[83] https://original.antiwar.com/mcgovern/2023/02/22/washington-post-lets-hershs-dangerous-cat-out-of-the-bag/

[84] https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/soziologe-wolfgang-streeck-die-amerikaner-meinen-es-bitterernst-92108110.html?

[85]NYT By Adam EntousJulian E. Barnes and Adam Goldman

[86] https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-03/nordstream-2-ukraine-anschlag?utm_source=substack&utm_medium=email

[87]Bild-TV,  https://www.bild.de/video/clip/politik-ausland/mysterioese-mission-pipeline-die-segeljacht-andromeda-83178582.bild.html

[88] https://www.facebook.com/100063736837895/videos/2248198985380377

[89] ZDF,  https://twitter.com/LViehler/status/1633237927915319296

[90] https://responsiblestatecraft.org/2023/03/08/on-nyt-nord-stream-theory-german-official-raises-specter-of-false-flag/

[91]https://epaper.zeit.de/article/23f159a3562a3b9470feadf9d4bf64bf687bc26b8553b33be84b6ba83fa49b9b?fbclid=IwAR10gEMBGe37nBSiI4bkXjRDOq9jYD75ynsbIscn_VQ3p28bW-GHwApcUcU

[92] https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/angeblich-soll-ein-privater-ukrainischer-geldgeber-die-anschlaege-auf-die-nord-stream-pipelines-organisiert-haben

[93] https://overton-magazin.de/top-story/was-steckt-hinter-an-die-nyt-durchgestochenen-informationen-ueber-den-nord-stream-anschlag/

[94] https://antifascist-europe.org/russia/rdk-claims-responsibility-for-the-attack-on-villages-in-the-bryansk-region-of-russia/

[95] https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/nord-stream-war-das-die-letzte-warnung-an-putin-li.325515

[96]https://www.facebook.com/watch/?v=703687348116686&aggr_v_ids[0]=703687348116686&aggr_v_ids[1]=5995492650487660&notif_id=1678386717416320&notif_t=watch_follower_video_explicit&ref=notif

[97] https://mate.substack.com/p/in-nord-stream-attack-us-officials?utm_source=post-email-title&publication_id=100118&post_id=107139196&isFreemail=true&utm_medium=email 

[98] https://seymourhersh.substack.com/p/the-cover-up

[99] https://overton-magazin.de/top-story/seymour-hersh-vertuschen-scholz-und-biden-den-anschlag-auf-nord-stream-durch-cover-stories/

[100] https://www.youtube.com/watch?v=6cOWwd6zShM&ab_channel=TheRealNewsNetwork

[101] https://www.youtube.com/watch?v=D_WR9_z4qq8

[102] https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/nord-stream-daenemark-findet-mysterioesen-gegenstand-auf-dem-meeresgrund-li.331224

[103] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/aussenpolitik/id_100144520/nord-stream-sabotage-putin-schickte-vor-explosionen-ein-u-boot-an-den-tatort.html

[104] https://www.themoscowtimes.com/2023/04/28/russian-special-vessel-spotted-before-nord-stream-blasts-danish-media-a80972

[105] https://www.telepolis.de/features/Nord-Stream-Ermittlungen-Lag-Seymour-Hersh-doch-richtig-8729812.html

[106] https://www.fr.de/politik/ermittlungen-details-nord-stream-pipelines-anschlag-explosionen-russland-ukraine-usa-92198728.html

[107] https://scheerpost.com/2023/04/05/seymour-hersh-the-nord-stream-ghost-ship/

[108] https://original.antiwar.com/cook/2023/04/13/why-the-media-dont-want-to-know-the-truth-about-the-nord-stream-blasts/

[109] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/nordstream-andromeda-ukraine-russland-100.html

[110] https://denniskucinich.substack.com/p/the-bombing-of-nord-stream-this-act?utm_source=substack&utm_medium=email&utm_content=share

[111] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/nord-stream-ermittlungen-anschlag-ukraine-russland-100.html

[112] https://www.tagesspiegel.de/internationales/eine-spur-fuhrt-bis-nach-brandenburg-das-ist-uber-den-anschlag-auf-nord-stream-bekannt-9919244.html

[113] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/nord-stream-attentaeter-bnd-kahl-krieg-russland-100.html

[114] https://www.washingtonpost.com/national-security/2023/06/06/nord-stream-pipeline-explosion-ukraine-russia

[115] https://www.msn.com/de-de/nachrichten/welt/nord-stream-sabotage-neue-indizien  

[116] https://www.jungewelt.de/artikel/452803.geheimniskr%C3%A4merei-leak-ums-leck.html

[117] https://www.facebook.com/sahra.wagenknecht/photos/a.1826036450747077/7139586246058711/

[118] https://weltwoche.de/story/in-diesem-krieg-geht-es-um-deutschland/  (Weltwoche vom 07.01.2023). https://bachheimer.com/images/PDF/In_diesem_Krieg_geht_es_um_Deutschland_Weltwoche_7.1.23_Emmanuel_Todd.pdf?

[119] https://lucidaintervalla.com/2022/05/ukraine-interview-mit-generalmajor-baud/

[120] https://www.stern.de/gesellschaft/regional/sachsen/gaspipeline–kretschmer-fordert-weiter-reparatur-von-nord-stream-1-33099698.html

[121] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/usa-abrams-kampfpanzer-biden-ukraine-100.html

[122] https://twitter.com/i/status/1618228732568928258.

[123] https://twitter.com/SevimDagdelen/status/1618692752577036288.

[124]  https://www.rt.com/news/564503-medvedev-stoltenberg-nato-war/

[125] https://pressefreiheit.rtde.tech/meinung/161192-beste-gelegenheit-seit-zweiten-weltkrieg-deutschland-erneut-gegen-russland-gehetzt/

[126] https://www.welt.de/politik/deutschland/article243421273/Auswaertiges-Amt-erklaert-Baerbocks-Krieg-gegen-Russland-Satz.html.

[127] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/anfrage-an-bundesregierung-sind-wir-im-krieg-mit-russland-li.311186?

[128] https://www.youtube.com/watch?v=78ntekFBE4o

[129] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0353_EN.html

[130] https://www.youtube.com/watch?v=mUYrsA4sJeE

[131] https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/soziologe-wolfgang-streeck-die-amerikaner-meinen-es-bitterernst-92108110.html

[132] Wolfgang Streeck, The EU after Ukraine, in: American Affairs, Volume VI, Number 2, Summer 2022, p 120f.

[133] https://www.nachdenkseiten.de/?p=94571#more-94571

[134] https://www.youtube.com/watch?v=tVrxYPDRs2w&ab_channel=DIEWELTWOCHE%28Wochenmagazin%29

Endspiel Europa

Ein durchtrenntes Europa

Europa wird wieder geteilt und damit zurück ins 20. Jahrhundert katapultiert – aber diesmal ohne Marshall-Plan. Mit den USA als Ordnungsmacht kann Europa keinen Frieden auf dem Kontinent finden – und ohne die sibirischen Rohstoffe und den chinesischen Markt keinen dauerhaften Wohlstand. So die Analyse von Ulrike Guérot und Hauke Ritz in ihrem neuen Buch „Endspiel Europa“, aus dem Multipolar Auszüge veröffentlicht. Die beiden Autoren schildern darin auch detailliert, wie der aktuelle Krieg von westlichen Akteuren minutiös und zielstrebig vorbereitet wurde.

ULRIKE GUÉROT UND HAUKE RITZ, 25. Oktober 2022, 4 KommentarePDF

Die älteste Karte der Europa von 1534, Europa Prima Pars Terre in Forma Virginis, „Europa, erster Teil der Erde, in Gestalt einer Jungfrau“, zeigt eine majestätische Frauenfigur, die den ganzen europäischen Kontinent abbildet. Spanien ist der Kopf und trägt die Krone. Francia ist die Brust, Germania das Herz, Großbritannia hängt lose am linken Arm, Italia ist der rechte Arm. Weiter im Bauch beziehungsweise im Unterleib der Europa befinden sich, lose angeordnet und ohne klare Grenzen, Polonia, Bulgaria, Albania, Rumania und Russia, die ganzen europäischen Völker eben. Die Karte endet mit einem üppig ausraffenden Kleid hinter Moskau im Norden und im Süden am Bosporus. Die Europa steht mit zwei Füßen fest auf der russischen Landmasse, während sie ihren Kopf in den Atlantik neigt. Sicher hat man sich 1534 etwas bei dieser Karte gedacht, als man die Füße Europas nicht auf das Wasser des Atlantiks gestellt hat. 

Dieser Europa wird jetzt der Garaus gemacht. Die derzeitige Politik des Westens im Ukraine-Krieg zielt im Wesentlichen darauf, die ehemalige Mauer des Eisernen Vorhangs von 1989 rund 1500 Kilometer weiter östlich wieder aufzubauen. Europa wird damit zurück ins 20. Jahrhundert katapultiert, aber diesmal ohne Marshall-Plan, sondern mit einem Abo auf das „Zwei-Prozent-Ziel“ der NATO, also der Verpflichtung für alle EU-Staaten, dauerhaft zwei Prozent ihres Haushaltes für die NATO aufzubringen. Das kommt de facto der endgültigen Beerdigung einer unabhängigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gleich, die trotz jahrzehntelanger Vorsätze seit dem Maastrichter Vertrag von 1992 stets nur eine Seifenblase geblieben ist. 

Um im Bild der Karte zu bleiben: Die Europa wird jetzt unterhalb ihres Bauchnabels, mitten im Leib, durchtrennt und wird gleichsam zu einem europäischen Rumpf gemacht. Vom Baltischen Meer bis zum Schwarzen Meer wird wieder eine harte Grenze zwischen zwei Blöcken zementiert, die doch seit 1989 überwunden geglaubt war. Diese von Russland und Asien abgetrennte europäische Halbinsel wird im Wettbewerb der Mächte keine Chance haben. Europa wird dann keine „zweite Welt“ zwischen „Chimerica“ werden, die der amerikanisch-pakistanische Autor Parag Khanna schon vor zehn Jahren als plausible europäische Option skizziert hat. Mit den USA als Ordnungsmacht kann Europa keine stabile politische Einheit werden und keinen konföderalen Frieden auf dem Kontinent finden. Und ohne die sibirischen Rohstoffe und den chinesischen Markt gibt es auch keinen dauerhaften Wohlstand für Europa. Es geht hier nicht um eine Dämonisierung der USA, sondern um europäische Emanzipation. (…)

Lange vorbereiteter amerikanischer Stellvertreterkrieg

Wir zeichnen in drei Kapiteln jeweils für die 1990er, 2000er und 2010er Jahre mit groben Strichen nach, wie und warum Europa in den letzten dreißig Jahren das, was es eigentlich werden wollte, aus den Augen verloren hat und die EU als politisches Projekt spätestens seit der Jahrtausendwende keine Chance mehr hatte. 

Wir leiten aus amerikanischen Quellen her, dass der russisch-ukrainische Krieg ein lang vorbereiteter amerikanischer Stellvertreterkrieg ist, eine Apotheose jahrzehntelanger amerikanischer Geostrategie, deren eigentliches Ziel die Verfestigung der amerikanischen Dominanz in Europa ist. Europa soll von seinen wirtschaftlichen Adern im Osten abgeschnitten werden, jener Landmasse, auf der die Füße der Europa stehen. Es ist eine Politik der „restricted damage“, der kontrollierten, aber bewussten wirtschaftlichen Schädigung, die vor allem die Kappung des deutschen Handelsüberschusses, der im Osten erwirtschaftet wird, zum Ziel hat. Europa wird wirtschaftlich und strategisch von den USA gebraucht, soll sich aber in amerikanischen Augen eben nicht emanzipieren und dadurch möglicherweise zu einem Konkurrenten einer längst kränkelnden Weltmacht werden, die ihren eigenen Untergang fürchtet. 

Die hier vorgetragene Analyse entspringt dem Wunsch nach einem geeinten Europa und einer kontinentalen Friedensordnung, die wir im Schlussteil dieses Buches einer näheren Betrachtung unterziehen werden. Wir wollen mit diesem Essay dazu beitragen, Europa aus der Verdrängung und Selbstablehnung des Eigenen herauszuholen: Es geht um die letzte Chance einer europäischen Emanzipation! (…)

Wer hat den Krieg begonnen?

Zu den häufigsten semantischen Setzungen seit Kriegsbeginn zählt die Rede vom „russischen Überfall“ oder dem „russischen Angriffskrieg“ auf die Ukraine. Keine Nachrichtensendung kommt bis dato ohne diese Formulierung aus. Damit wird insinuiert, dass sowohl die Ukraine als auch der Westen vom Krieg überrascht worden seien und ihn nicht haben kommen sehen, geschweige denn vorbereitet haben. 

Eine genaue Analyse der Vielzahl an militärischen Aktivitäten, die Dutzende NATO-Staaten, aber insbesondere Großbritannien, die USA und Kanada, seit 2014 in der Ukraine entfaltet haben, zeigt indes deutlich, dass dem nicht so war. (…) Im Grunde genommen müsste die Frage, wer diesen Krieg wirklich begonnen hat, neu erforscht werden. Es geht eher um angelsächsische – nämlich amerikanische, britische und kanadische – Kriegsvorbereitungen gegen Russland, die zwar nicht in den Medien besprochen wurden, aber doch durch öffentliche Dokumente zugänglich waren und sind. (…) 

Studiert man die westlichen Kriegsvorbereitungen im Detail, so wird deutlich, dass der Ukraine die Rolle zukam, stellvertretend für den Westen einen Krieg mit Russland zu beginnen, der dann militärisch und logistisch von NATO-Mitgliedstaaten unterstützt werden sollte, ohne die Allianz insgesamt direkt in den Krieg zu involvieren. Dieser Prozess sollte begleitet werden durch einen Wirtschaftskrieg (Sanktionen), Informationskriegsführung (antirussische Propaganda) und eine nukleare Einkreisung Russlands, die vor allem durch das Raketenschild in Rumänien und Polen sowie seegestützte Kräfte, insbesondere Zerstörer der Arleigh-Burke-Klasse, sichergestellt werden sollte. All diese Maßnahmen entsprachen dem Streben der USA nach „Full Spectrum Dominance“ und zielten darauf ab, die Russische Föderation auf mehreren Ebenen so weit zu schwächen, dass das Land sein Gleichgewicht verlieren und innere Konflikte zum Sturz der Regierung führen würden. 

Westliche Manöver und Kriegsvorbereitungen im Jahr 2021

Eine Beschreibung der Aktivitäten im letzten Jahr vor Kriegsbeginn dürfte ausreichen, die obige These zu erhärten: 

  • Am 24. März 2021 verabschiedete die Ukraine eine Militärstrategie, die die Regierung dazu verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen – einschließlich militärischer – zur Wiedereingliederung der Krim sowie der Republiken Donbass und Lugansk zu ergreifen.
  • Ebenfalls im März 2021 erklärte das britische Verteidigungsministerium, seine Aktivitäten im Schwarzen Meer verstärken zu wollen. Noch im gleichen Monat begann die Militärübung „Defender Europe 21“ an der 28 000 Soldaten aus 26 Ländern in unmittelbarer Nachbarschaft der Ukraine teilnahmen
  • Im April 2021 veröffentlichten die türkische und ukrainische Regierung eine gemeinsame Stellungnahme, in der die Türkei die Schritte zur Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine unterstützte.
  • Im Mai und Juni 2021 kam es zu mehreren gemeinsamen Manövern zwischen der Ukraine und westlichen Ländern: Steadfast Defender 2021 mit 9000 Soldaten aus 20 NATO Ländern. 
  • Im Juni einigten sich ukrainische und britische Regierungsvertreter auch auf das „Naval Capabilities Enhancement Programme“, im Zuge dessen britische Kriegsschiffe an die Ukraine verkauft werden sollten.
  • Ebenfalls im Juni fand im Rahmen des Manövers Defender Europe 21 die Übung „Noble Jump“ statt, an der im ukrainischen Nachbarland Rumänien 13 Nationen und 4000 Soldaten teilnahmen.
  • Beim NATO-Gipfeltreffen im gleichen Monat in Brüssel erneuerten die NATO-Mitgliedstaaten ihr 2008 in Bukarest gegebenes Bekenntnis zu einer zukünftigen Mitgliedschaft der Ukraine. 
  • Vom 28. Juni bis 20. Juli 2021 fand die Militärübung „Sea Breeze“ unter amerikanisch-ukrainischer Führung im Schwarzen Meer statt. An dieser Übung nahmen 32 Schiffe, 40 Flugzeuge und Hubschrauber sowie 5000 Soldaten aus 24 Nationen teil.
  • Vom 12. bis 19. Juli 2021 fand die Militärübung „Breeze 2021“ statt, an der 30 Schiffe und 2000 Soldaten teilnahmen.
  • Am 7. Juli 2021 wies das Europäische Parlament in einem Beschluss darauf hin, dass die EU eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der von der NATO verfolgten Politik ausüben könnte.
  • Ebenfalls im Juli 2021 fand die Übung „Three Swords“ mit 1200 ukrainischen, polnischen, litauischen und amerikanischen Soldaten statt. Außerdem fand im im gleichen Monat das ukrainisch-britische Manöver „Cossack Mace 2021“ statt, an dem neben 900 ukrainischen auch 500 Soldaten verschiedener NATO-Länder teilnahmen.
  • Am 23. August 2021 nahm der stellvertretende Generalsekretär der NATO an der Auftaktveranstaltung der Krim-Plattform teil. Im gleichen Monat überflog eine Formation britischer Kampfjets die ukrainische Hauptstadt Kiew anlässlich der Feierlichkeiten zum 30. Jahrestages der Loslösung von der Sowjetunion.
  • Im September 2021 fand das von der Ukraine und den USA organisierte Manöver „Rapid Trident 2021“ mit 4000 ukrainischen und 2000 ausländischen Soldaten statt, die neben den USA, Kanada, sechs EU-Staaten sowie Georgien, Moldau, die Türkei, Jordanien und Pakistan mit einschlossen.
  • Im September wurde auch eine gemeinsame Erklärung zur US-amerikanisch-Ukrainischen strategischen Partnerschaft veröffentlicht.
  • Im Oktober 2021 besuchte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin Kiew, um mit der Ukraine an der Umsetzung des Strategischen Verteidigungsabkommens zu arbeiten.
  • Im Oktober fand zudem die britisch-ukrainische Übung Warrior Watchers statt, bei der die Verteidigung von Flugplätzen geübt wurde.
  • Im Oktober berichteten Medien schließlich von einem internen Arbeitspapier des Europäischen Auswärtigen Dienstes, in dem erwogen wurde, ob nicht auch die EU eine eigenständige militärische Ausbildungsmission für die Ukraine einleiten könne.
  • Im November 2021 unterzeichneten Großbritannien und die Ukraine ein Abkommen, im Zuge dessen die Ukraine 1,7 Milliarden britische Pfund für die Entwicklung seiner Marine erhält.
  • Am 10. November kam es zur Unterzeichnung der „US-amerikanischen-ukrainischen Charta der strategischen Partnerschaft“. In dem Dokument heißt es, dass „die USA […] nie die versuchte Annexion der Krim durch Russland akzeptieren [werden].“
  • Ebenfalls am 10. November berichteten amerikanische Medien über einen Aufmarsch der russischen Armee entlang der ukrainischen Grenze. Parallel dazu kam es auch zu einem Aufmarsch ukrainischer Truppen entlang der Grenze zu den unabhängigen Republiken Donezk und Lugansk sowie an der Grenze zur Krim. Es entstand eine Übermacht ukrainischer Militäreinheiten an der Grenze zu den beiden Republiken. Russland interpretierte den ukrainischen Aufmarsch als Kriegsvorbereitung. 
  • Am 8. Dezember 2021 wurde in einem gemeinsamen Kommuniqué zwischen Großbritannien und der Ukraine noch einmal der Status der Ukraine als „NATO Enhanced Opportunities Partner“ unterstrichen.
  • Am 14. Dezember verabschiedete das ukrainische Parlament das Gesetz „über die Zulassung bewaffneter Einheiten der Streitkräfte anderer Staaten auf dem Territorium der Ukraine im Jahr 2022“. Das Gesetz bezieht sich auf die für das Jahr 2022 geplanten Manöver Rapid Trident, Cossack Mace, Light Avalance, Silver Sabre, Sea Breeze, Riverine, Maple Arch und Viking und erlaubt die längere Präsenz ausländischer Truppen in der Ukraine.
  • Um den 27. Januar 2022 herum scheiterte der diplomatische Briefwechsel zwischen Moskau und den USA. Die USA lehnten die russischen Kernforderungen wie den Verzicht auf die NATO-Osterweiterung, Rückbau der NATO-Präsenz gemäß NATO-Russland-Akte von 1997 sowie den Verzicht auf die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen ab.
  • Am 7. Februar 2022 erklärte der ukrainische Außenminister in einer Pressekonferenz mit der deutschen Außenministerin Baerbock, dass „es keinen direkten Dialog seiner Regierung mit den prorussischen Rebellen im Osten der Ukraine geben“ werde. Damit wurde öffentlich zugegeben, das Minsker Abkommen nicht umsetzen zu wollen.
  • Am 14. Februar 2022 sagte der ukrainische Botschafter in Großbritannien, man erwäge anstelle einer sofortigen NATO-Mitgliedschaft auch zusätzliche bilaterale Abkommen mit den USA und Großbritannien.
  • Ebenfalls am 14. Februar äußerte US-Präsident Joe Biden, dass er mit einem Angriff Russlands auf die Ukraine am 16. Februar rechne. Tatsächlich begann am 16. Februar 2022 ein immer stärkerer Beschuss der Republiken Donezk und Lugansk durch die Ukraine. Am 18. Februar war der Beschuss gegenüber dem 14. Februar bereits um das 34-Fache gestiegen. Für den Fall, dass die Ukraine selbst eine Offensive geplant hätte, wäre zu erwarten gewesen, dass diese ganz ähnlich begonnen hätte, nämlich mit massivem Artilleriebeschuss. In gewisser Weise könnte man deshalb ebenso den 16., 17. oder 18. Februar zum Tag des Kriegsbeginns erklären. 
  • Am 16. Februar kam es zu 591 Waffenstillstandsverletzungen und 316 Explosionen, was eine Verachtfachung gegenüber dem 14. Februar darstellte. Am 17. Februar kam es wiederum zu einer zu einer Verdoppelung des Beschusses, bei dem sich die Streitkräfte der Republiken Donezk und Lugansk deutlich in der Defensive befanden. Die OSZE registrierte 870 Waffenstillstandsverletzungen und 654 Explosionen. Am 18. Februar zeigte sich das gleiche Bild. Nun registrierte die OSZE bereits 1566 Waffenstillstandsverletzungen und 1413 Explosionen. Am Wochenende vom 19. und 20. Februar 2022 registrierte die OSZE sogar 3231 Waffenstillstandsverletzungen und 2026 Explosionen. 
  • Am 19. Februar 2022 erklärte der ukrainische Präsident Selenski auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass sein Land aus dem Budapester Memorandum aussteigen würde, sofern es keine festen Sicherheitsgarantien der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, einschließlich Deutschlands und der Türkei gäbe. Damit kündigte der Präsident indirekt an, Atomwaffen erwerben zu wollen. 
  • Am 21. Februar 2022 erkannte Moskau die Unabhängigkeit der beiden unabhängigen Republiken Donezk und Lugansk an. Die OSZE registrierte an diesem Tag 1927 Waffenstillstandsverletzungen und 1481 Explosionen.
  • Am 22. Februar 2022 kam es zu 1710 Waffenstillstandsverletzungen und 1420 Explosionen. Die Republiken Donezk und Lugansk konnten dem militärischen Druck von Seiten der Ukraine kaum noch standhalten und reichten eine Bitte um militärische Hilfe bei der russischen Regierung ein.
  • Der Bericht über den 23. Februar spricht nur noch von einer stark verschlechterten Sicherheitslage.
  • Am 24. Februar überschritten russische Truppen die Grenze zur Ukraine. (…)

Asymmetrische Abhängigkeit

Die letztendliche Ursache dafür, dass ein 1989 scheinbar geeintes, von zwei Weltkriegen zum Frieden bekehrtes Europa erneut an der Lunte des Krieges zündelt, liegt mithin in der unkritischen und nicht ausbalancierten transatlantischen Ausrichtung Europas begründet, die keine gleichberechtigte Partnerschaft ist, sondern eine asymmetrische Abhängigkeit bedeutet. Daran müsste sich etwas ändern, damit sowohl die europäische Einheit als auch eine friedliche Partnerschaft mit Russland auf dem Kontinent gesichert werden können. (…)

In Europa könnte – so wie sich die Dinge mit Blick auf die Ukraine entwickeln – durch eine Übersprunghandlung zum dritten Mal ein Weltkrieg beginnen. Das Zeitgeschehen ist darum ein gleich dreifacher Verrat an Europa, ein Kulturbruch sondergleichen mit 70 Jahren Aufbauarbeit an Europa und Zivilität! 

Die einzige und unmittelbare Verantwortung, die sich daraus für Europa ergibt, ist, sich mit all seinem politischen Gewicht, flankiert von UNO und OSZE, für einen sofortigen Waffenstillstand auszusprechen und Friedensverhandlungen anzuberaumen. In diesen Friedensverhandlungen muss es nicht nur um einen Friedensschluss für die Ukraine gehen, sondern um eine europäische Grand Strategy, einen neuen, großen Entwurf für Europa im 21. Jahrhundert. Die USA sollten von diesen Verhandlungen eigentlich ausgeschlossen werden. Zwischen Europa und Russland müsste es möglich sein, sich auf eine neutrale Ukraine innerhalb einer föderalen Ordnung zu einigen, damit zu den Zielen des Minsker Abkommens (Minsk II) zurückzukehren und zugleich eine Sicherheitsordnung anzustreben, in der keiner sich bedroht fühlt. Dies würde genau der Idee einer kooperativen, föderalen Ordnung für den gesamten Kontinent entsprechen, wie sie 1989 nach dem Mauerfall angestrebt wurde. 

Ulrike Guérot / Hauke Ritz, Endspiel Europa. Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist und wie wir wieder davon träumen können, Westend, 208 Seiten, 20 Euro

Über die Autoren:

Ulrike Guérot, Jahrgang 1964, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Bonn, Münster und Paris. Als Autorin, Aktivistin und Professorin arbeitet sie vor allem zu den Themen Europa und Demokratie, mit Stationen in Denkfabriken und an Universitäten in Paris, Brüssel, London, Washington, Berlin und Wien. Seit 2021 ist sie Professorin für Europapolitik an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms Universität Bonn.

Hauke Ritz, Jahrgang 1975, studierte an der FU und HU Berlin. Nach seiner Dissertation im Fach Philosophie mit dem Schwerpunkt Geschichtsphilosophie beschäftigte er sich intensiv mit dem Ost-West-Konflikt, dessen Fortbestehen er seit 2008 im Zuge verschiedener Publikationen und seit 2014 durch regelmäßige Russlandreisen erforscht. Er hat an der Universität Gießen, der MSU und RGGU in Moskau sowie der Universität Belgorod unterrichtet und war zuletzt für den DAAD in Moskau tätig.

Warum der Holocaust in Deutschland geschah – Die Ideologie des Todes Christentum, Antijudaismus und Antisemitismus – Drei Autoren recherchierten

Warum der Holocaust in Deutschland geschah – Die Ideologie des Todes
Christentum, Antijudaismus und Antisemitismus – Drei Autoren recherchierten

1. Tilman Tarach, Teuflische Allmacht – Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus, Edition Telok, Berlin & Freiburg 2022
2. John Weiss, Ideology of Death – Why the Holocaust Happened in Germany, Elephant Paperbacks, Chicago 1997
John Weiss, Der lange Weg zum Holocaust, Hoffmann & Campe, Hamburg, 1998
3. Jürgen Elsässer, Antisemitismus – das alte Gesicht des neuen Deutschland, Dietz Berlin, 1992

Diese drei Titel sind Werke mit sehr ähnlicher Tendenz. Sie beantworten die Frage, weshalb die christlichen Kirchen einen so starken Einfluss auf die Herausbildung der Nazi-Ideologie hatten. Die jahrhundertalte Feindschaft der christlichen Kirchen gegenüber Juden hat zwar nicht in allen christlich dominierten Ländern die verheerend-mörderischen Folgen gezeitigt wie in Deutschland, aber sie war sine qua non für die Nazis, um daran andocken zu können.


1. Tilman Tarach

Tarach weist darauf hin, dass bereits im Neuen Testament, in der Offenbarung des Johannes von der „Synagoge des Satans“ die Rede ist, wenn die Juden gemeint sind. In Julius Streichers Der Stürmer wird das dann während des Dritten Reiches einfach zitiert. Das ist Tarachs Vorgehen, die direkten Bezüge der Nazis auf Aussagen und Texte der Kirchen, wenn es darum ging, die Juden zu verteufeln. Hitler selbst habe Jesus für seinen Antisemitismus vereinnahmen wollen, wenn er ihn als ersten Antisemiten bezeichnet hat, der die Juden aus dem Tempel verjagt habe. Aus dieser Begebenheit sei die jüdische Feindseligkeit gegen die Christen entstanden und vor diesem Hass müsse die christliche Kirche gerettet werden. Die Oberammergauer Passionsspiele oder z. B. auch Mel Gibsons Film Die Passion Christie würden diesen Vorwürfen selbst in unserer Zeit noch Vorschub leisten.

Der angebliche Verrat einiger Juden an Jesus wurde ebenfalls bereits in den Paulusbriefen behauptet. Diese Aussage bietet bereits eine Basis für Verschwörungstheorien und dient als Anknüpfungspunkt für Antisemitismus in frühchristlichen Zusammenhängen. Die antijüdischen Exzesse in der Geschichte sind nicht unmittelbar Gegenstand dieses Buches. Den Autor interessiert mehr, welche modernen antisemitischen Aspekte auf christlichem Mist gewachsen sind, so hat z.B. sogar die Bekennende Kirche kurz nach der Nazi-Zeit in ihrem „Wort zur Judenfrage“ es fertig gebracht zu formulieren, dass „Israel den Messias kreuzigte“. Sie ist sich damit mit der EKD einig, die an der sogenannten Substitutionstheologie festhält: „Weil Gott nur in Jesus, dem Juden, erschienen sei und sein Volk ihn abgelehnt und getötet habe, habe es sich selbst vom Heil ausgeschlossen.“ Da Christen Jesus als göttlich ansehen, hätten die Juden an Jesus einen Gottesmord begangen. So noch der Papst 1965. Wenn auch die Kirchen diesen Mord inzwischen nicht mehr „den Juden“, sondern nur einzelnen Personen anlasten, verschwindet diese Differenz in der Masse der Gläubigen. Danach lag in Umfragen der Wert, derjenigen, die der Kollektivthese anhängt, zwischen 14 % (Deutschland), 17% (USA), bis zu 46% (Polen). Damit seien „die Juden“ schuld an jedem Unglück dieser Welt und eine Abwehr gegen die Schuldverursacher ist immer und überall gerechtfertigt und notwendig. Obskuranten wie die Pius-Brüder, der Professor Rolf Peter Sieferle, und auch einige AfD-Politiker wie Martin Hohmann und Wolfgang Gedeon vertreten diese Art von Theorien.
Selbst der sog. Judenstern basiert auf christlicher Tradition, der Gelbe Fleck, wie auch die Behauptung bezüglich angeblicher jüdischer Ritualmorde. Erstmalig wurde 415 in Antiochia ein Mord an einem christlichen Knaben behauptet, später dann z.B. im 12 Jahrhundert in Norwich, England. Viele tausend Juden haben mit dem Vorwurf der Ritualmorde ihr Leben eingebüßt. Die Nazis haben ebenfalls ständig mit den behaupteten Ritualmorden Propaganda gemacht. Der Nazi-Propagandist Frederik de Gast schlussfolgerte daraus offen die „radikale Vernichtung des Judentums“. Der Autor meint, diese Ritualmordpropaganda habe eine zentrale Rolle gespielt bei der Fanatisierung der Bevölkerung.
Im Zarenreich wurden häufig Pogrome veranstaltet, besonders auch in der Ukraine, wo während des Bürgerkrieges mehr als 50,000 Juden ermordet wurden. Selbst nach Ende des 2. Weltkriegs wurden mit Verweis auf Ritualmorde 42 Juden in der polnischen Stadt Kielce ermordet. Auch in unseren Tagen lebt diese Story in einem anderen Zusammenhang wieder auf, wenn „Reichsbürger“ oder eine Gruppe „Christen im Widerstand“ von Satanisten reden, die „rituellen Kindesmissbrauch“ begehen würden. Tarach verweist auch auf Gruppen der „Querdenker“, die mit der Q-Anon-Bewegung aus den USA sympathisieren, die ähnlich abstruse Ideen von Kinderopfern verbreiten. Selbst die Pop-Kultur sei nicht davor gefeit, wie die Fälle von Naidoo und Sido zeigen.
Der nazistische Ariernachweis kennt ebenfalls einen christlichen Vorläufer, eine Regelung namens pruebas de limpiezas, auf gut deutsch Reinheitsbeweis. Dieser Beweis beruhte auf der limpieza de sangre – Reinheit des Blutes –. Damit mutierte der religiös begründete Antijudaismus im Spanien des 15. Jahrhunderts zum rassistischen Antisemitismus. Mit dieser Regelung sollten die Conversos, also die zum Christentum übergetretenen Juden, weiterhin Sondergesetzen unterworfen, also auch rechtlich diskriminiert werden können. Auch Martin Luther sprach vom „Geblüt und Stamm Israel“, vom „jüdischen Blut“ und „Blutstamm“. Religiöser Antijudaismus trug demnach den rassistischen Antisemitismus bereits in sich.
Die Nazis übernahmen diese aus christlichen Traditionen stammenden Merkmale, hatten aber objektive Schwierigkeiten menschliche Rassen zu differenzieren, insbesondere in Deutschland einen naturwissenschaftlich begründeten Unterschied zwischen Juden und sogenannten Ariern zu definieren. Für den Ariernachweis stützten sie sich auf die Archive der Kirchen. Wenn beispielsweise ein Urgroßvater zum Christentum übergetreten war, konnte der Urenkel problemlos eine Arierbescheinigung erhalten. Im Blut ließ sich bekanntlich kein Rassemerkmal herauslesen. Den Vätern der Nürnberger Gesetze, Wilhelm Stuckart und Hans Globke war das selbstverständlich bewusst und sie mussten konstatieren: „Es gibt ein deutsches Volk, aber keine deutsche Rasse. Und wie es keine deutsche Rasse gibt, so gibt es streng genommen auch keine jüdische.“ Julius Streichers Stürmer verstieg sich sogar dazu, zu behaupten, die alten kirchlichen Bestimmungen gegen Juden seien radikaler als die Nürnberger Gesetze.
Auch in moderneren Zeiten, Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts hauten Katholiken noch in dieselbe Kerbe, wenn sie von Rasse schreiben und die Juden meinen. Selbst die Nazi-Theorie vom schaffendem und raffendem Kapital nehmen sie vorweg. Und Martin Luther sprach bereits von Vernichtung im Hinblick auf die Juden. Katholiken und andere Antisemiten, wie Adolf Stöcker, wünschten sich eine starke Person, einen „Befreier“ herbei, der das christliche Volk „vom Juden befreien“ könne. Zum Problem der Irrationalität der Nazis bemerkt Tarach: „Das Handeln der Nazis wurde wesentlich von ihrer Ideologie bestimmt, nicht von Zweckmäßigkeitserwägungen. Ihre antisemitische Raserei stellten sie über ihre objektiven Interessen.“
In einem Exkurs weist der Autor darauf hin, dass auch die sog. „Christlichen Zionisten“ im Grunde Antisemiten seien. Sie würden Juden für ihre Endzeitvisionen zu instrumentalisieren suchen. Es mag kurios anmuten, aber der Vatikan unterhielt gute Beziehungen zum Hitlerfreund, dem sog. Großmufti von Jerusalem und dessen Neffen, Jassir Arafat. Sie waren sich alle einig, „the Jewish people have crucified the founder of Christianity.” Der von den Postkolonialisten so hochverehrte Edward Said vertritt ebenfalls die Gottesmordthese, also das “endlose Golgatha“. Wie Edward Said war auch die PLO-Organisation PFLP christlich orientiert. Das hinderte sie allerdings nicht daran ihrem Antisemitismus freien Lauf zu lassen, als sie mit einigen Mitgliedern beim „Schwarzen September“ dabei war, israelische Sportler bei der Münchener Olympiade 1972 als Geiseln zu nehmen.
Ein Kapitel ist der sog. Damaskusaffäre gewidmet, der „Blutanklage von Damas“ aus dem Jahre 1840. Ein Pater Tomaso da Sardegna von den Kapuzinermönchen sei angeblich von Juden ermordet worden, um dessen Blut rituell beim Pessachfest für das Matzebrot zu backen. Der Vatikan hat daraus eine antijüdische Kampagne betrieben. Der syrische Außenminister Mustafa Tlas hat noch in den 70igern und 80igern des 20. Jahrhundert diese Geschichte zu Propagandazwecken benutzt. Er war allerdings nicht der einzige Muslim, der die Ritualthematik aufgegriffen hat. Für die Muslime ist Jesus nicht am Kreuz gestorben, sondern ein Simon von Kyrene an seiner statt. Demnach haben die Juden mit Jesus keinen Gottesmord zu verantworten, da Jesus ohnehin nur ein Prophet, aber kein Gott war. Stattdessen behaupten die Muslime, die Juden hätten es auf Mohammed abgesehen gehabt. Allah habe das aber verhindert. Juden werden einerseits verachtet und als Unterlegene angesehen, andererseits dämonisiert: „Rabbi trinkt Kinderblut“. Wie die Christen sind auch die Juden Dhimmis, also nur Menschen zweiter Klasse.
Tarach erwähnt die Pogrome von Granada aus dem Jahre 1066 bei denen ca 4000 Juden ermordet worden sind. Die Gründung des Staates Israel widerspricht eklatant dem Status der Dhimmis und der „Niedergang des Osmanischen Reiches verstärkte die narzisstische Kränkung der Muslime.“ Der Gründer der Muslimbruderschaft, Sayyid Qutb, wünschte den Juden „die schlimmste Art von Strafen“ für ihre Dreistigkeit einen Staat zu gründen. Er verwies dabei u.a. auch auf Hitler, der von Allah gegen die Juden geschickt worden sei. Im übrigen sei Jesus Palästinenser gewesen, den „die Juden“ in der Via Dolorosa gekreuzigt, also ermordet hätten. Auch die angeblichen Ritualmorde werden von PLO-Leuten erneut in Umlauf gesetzt, selbst Brunnenvergiftungsmärchen werden bemüht. Unterstützung erfahren palästinensische und jüdisch-antizionistische Gruppen in ihrem Wirken gegen den Staat Israel von christlichen Organisationen wie Pax Christi und Ländern wie Deutschland, das ca 200 Millionen Euro jährlich ohne Bedingungen palästinensischen Gruppen zur Verfügung stellt. Tarach sieht hierin eine „Delegation“ des Antisemitismus auf die arabischen Gruppen.
In den Schlusskapiteln widerlegt der Autor Behauptungen, die christlichen Kirchen hätten dem Nazitum widerstanden, weder die katholische und schon gar nicht die evangelische. Selbst die führenden Köpfe der Bekennenden Kirche, wie Niemöller und Bonhoeffer, seien Antisemiten gewesen und hätten sich zum Teil den Nazis angedient. Nach der Nazizeit versuchten sich führende Christen zu entlasten indem sie behaupteten, die Nazis seien Gottlose gewesen, genau wie die Bolschewisten, und zusammen seien diese beiden Bewegungen das eigentliche Übel. Die Shoah war das Werk eines neuheidnischen Regimes gewesen. „Sein Antisemitismus hatte seine Wurzeln außerhalb des Christentums“, so der Vatikan. Von daher nimmt es nicht Wunder, dass die Kirchen gemeinsame Sache machten mit den Nazis. Sie begrüßten ausdrücklich die sofortige Unterdrückung der Freidenkerverbände bereits kurz vor und dann nach der Machtübernahme 1933. Atheisten wurden z.B. auch nicht in die SS aufgenommen. Diese Übereinstimmung von Kirche und Nazis drückte sich nach dem Ende des Regimes noch darin aus, dass den Mördern geholfen wurde der Strafjustiz zu entgehen. Sie wurden in Klöstern versteckt oder ins sichere Ausland verbracht.
Da die christliche Lehre Unterordnung unter die jeweilige Obrigkeit predigt, hat der Gläubige kein Recht auf Rebellion. Er kann sich nur auf die Gnade Gottes verlassen, und wenn die zu wünschen übrig lässt, kommt es dazu, dass der erniedrigte und geknechtete Mensch Ersatzobjekte für seine Wut sucht und ihn im Juden findet. Einzig „die individuelle Selbstbestimmung und Freiheit, die Emanzipation des Individuums vom Kollektiv“, so der Autor schlussfolgernd, kann dem Antisemitismus den Boden entziehen.

2. John Weiss

Das Buch von Weiss hat neben der original englischen auch eine deutsche Ausgabe. Auffällig dabei ist die unterschiedliche Akzentsetzung im Titel. Im deutschen Titel glaubte der Verlag offenbar auf den Begriff der „Ideologie des Todes“ verzichten zu müssen, wie auch auf die Fragestellung, warum gerade in Deutschland diese Ideologie des Todes zum Holocaust führte.
Weiss geht zwei Hauptfaktoren für die Entwicklung der Ideologie des Todes nach, zunächst beschreibt er ausführlich die christliche Judenfeindschaft, um dann die spezifisch deutsche, völkische Entwicklung zur Staats- und Nationenbildung als Nährboden für den eliminatorischen Antisemitismus nachzuzeichnen. Wobei der erste Faktor das gesamte Volk beeinflusste, wie eben auch in anderen europäischen Ländern, aber der zweite eine Besonderheit aufwies. Weiss erkennt einen fundamentalen Unterschied in den sozialen Klassen. Während die oberen Klassen und die gebildeten Schichten, wie auch das Kleinbürgertum den antisemitischen Parolen christlicher Prediger und schließlich der Nazi-Agitatoren wohlwollendes Gehör schenkten, war die arbeitende abhängige Bevölkerung, das Proletariat, insbesondere die Arbeiterorganisationen immun dagegen. Selbst in Hochzeiten von Hitlers Popularität lehnte die Hälfte der Deutschen, hauptsächlich die Progressiven und Linken, aber nicht nur die, die rassistische Gewalt ab.
Weiss weist auf die christliche Tradition hin, den Juden als Kollektiv den Gottesmord zu unterstellen. Religiöse Lehrer und Päpste haben den Deizit zum zentralen Argument für die Diskriminierung der Juden bis hin zu Pogromen gemacht. Die Reformation hat dann in Deutschland diese Tendenz durch Matin Luther eher verstärkt als gemäßigt, während die Calvinisten wie die Hugenotten sie eher abmilderten. Die strenggläubigen, wie Luther, glorifizierten das Landleben und misstrauten den Städten. Luther war der einzige Reformer, der nationale Gefühle ansprach und sich mit der „deutschen Nation“ identifizierte. Die katholische Gegenreformation brachte verstärkte Diskriminierung der Juden mit sich, so auch die Verpflichtung der Juden, den Gelben Stern zu tragen.
Die Philosophen der Aufklärung sprachen sich gegen die Diskriminierung der Juden aus, wobei sie allerdings beide Religionen des Alten und Neuen Testaments als „absurd“ kritisierten. In Diderots Enzyklopädie wurde Jesus als Sohn einer Prostituierten und eines römischen Legionärs beschrieben. Allerdings hat sich Voltaire trotzdem antisemitisch geäußert, indem er den Juden Wucher und ähnliches nachgesagt hat. Diese Haltung setzte sich in Frankreich, England und den Niederlanden nicht durch. Dort wurde die Tradition jüdischer Erfolge im Handel akzeptiert und eher positiv gesehen. Nur in Deutschland, das keine internationalen Beziehungen qua Kolonien hatte, drehten die Reaktionäre diesen Punkt in antisemitische Propaganda um. Den Gegensatz von Frankreich und Deutschland beschreibt Weiss dann für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts im Detail, wie die Befreiung von den Fesseln, die den Juden bis dahin auferlegt worden waren.
Die deutschen Philosophen akzeptierten die Aufklärung nur für die materielle Welt, nicht jedoch für gesellschaftliche Zusammenhänge. Dort blieben sie dem Christentum verbunden und damit auch in gewissem Grade dessen Anti-Judaismus. Die aufklärerische Idee, dass die Gesellschaft die Individuen formt, lehnte z. B. der besonders einflussreiche Fichte explizit ab. Daraus folgerte er, dass der Mensch einen freien Willen bezüglich seiner Moralvorstellungen habe. Diese Eigenschaft wurde auf die Völker übertragen, die ihren jeweils eigenen Volksgeist entwickeln. Da Juden schon seit alters her von vielen Dingen der Gesellschaft ausgeschlossen waren, wurden sie als etwas „Anderes“ angesehen und dem Volksgeist gegenüber gestellt. Schopenhauer wollte sie deshalb vom öffentlichen Dienst ferngehalten sehen, und Fichte wollte sie gar aus Deutschland vertrieben sehen.
Als Kern der deutschen Entwicklung sieht Weiss den Zustand und die Rolle Preußens, wo das Patriarchat, die Familie und das Dorf den Kern von Preußens Größe ausmachten. Verunsichert einerseits von Napoleons Modernität und andererseits von aristokratischer Reaktion suchten deutsche Intellektuelle einen dritten Weg und fanden ihn mythisch-deutscher Tradition und neu entstehendem Nationalismus. Nach Napoleons Niederlage wurde die rassistische Literatur vulgärer und härter. Den Deutschen, den deutschen Kriegshelden, wurde eine spirituelle Höherwertigkeit und dem jüdischen Blut Gefahren zugesprochen. Friedrich Wilhelm III und sein Tutor Friedrich Carl von Savigny wollten die Juden erneut ins Ghetto stecken, so auch Ernst Moritz Arndt und Turnvater Jahn. Der Antisemitismus in Preußen entwickelte sich exzeptionell, anders als in anderen westlichen Nationen oder anderen deutschen Ländern. Die Konservative Partei, Bismarck und sein Leibblatt, die Kreuzzeitung, sowie die Gartenlaube, knüpften daran an. Dazu gesellten sich Otto Glagau, Constantin Frantz, Heinrich von Treitschke, Bernhard Förster, Adolf Stöcker u.a. Das katholische Blatt Germania und Papst Pius IX gab ihnen Munition. In populärer Literatur von Gustav Freytag, Brüder Grimm, Wilhelm Raabe, wurden Juden negativ dargestellt. Schon 1879 wurde „Kauft nicht bei Juden“ an jüdische Geschäfte geschmiert. Die Hälfte aller Studenten unterschrieb antisemitische Forderungen. Anarchisten wie Johann Most versuchten in direkter Konfrontation dagegen zu halten. Wie Most waren auch die Sozialdemokraten gegen den Antisemitismus. Der spätere Kaiser Wilhelm II war schon in jungen Jahren begeisterter Anhänger des bekanntesten Antisemiten Adolf Stöcker.
Weiss verfolgt dann den nächsten Schritt vom gemeinen Antisemitismus zum „populären Antisemitismus“ an Hand von der Agitation von Wilhelm Marr, Adolf Stöcker, Otto Böckel, Herrmann Ahlward, Theodor Fritsch, Alfred Ploetz, H.S. Chamberlain, Wilhelm Schack, Ludwig Langemann, Eugen Dühring, die Österreicher Guido von List und Lanz von Liebenfels. Diese Männer hatten großen Einfluss auf Bismarcks Konservative Partei. Nachdem Bismarck 1890 abdanken musste, gewann für kurze Zeit General Caprivi mit seinem gemäßigten Kurs die Oberhand, der Polen und Juden mehr Rechte zubilligte. Weiss meint, Caprivi hätte mehr wie ein Deutscher regiert, nicht so sehr als Preuße, der er eigentlich war.
Mit Otto von Manteuffel eroberten die Antisemiten 1892 den Vorsitz in der Konservativen Partei und erreichten bis 1894, dass Caprivi die Unterstützung des Kaisers verlor und er zurücktrat. Manteuffel, die Stoecker-Anhänger und Graf Eulenberg, Ministerpräsident von Preußen, vereinigten sich mit dem Bauern-Bund, geführt von Berthold von Ploetz, um einen schärferen antisemitischen Kurs durchzusetzen. Die Kreuzzeitung unter der Regie von Georg von Hammerstein führte die Kampagne an, jüdische Immigration zu stoppen. 1890 gründete Heinrich Class die All-Deutsche Liga, deren Ziel die Verstärkung imperialistischer Politik war, aber auch den Antisemitismus förderte. Dazu gehörte Alfred Hugenberg, in jener Zeit preußischer Wirtschaftsminister. Dazu gesellte sich auch Carl Peters, Chef der Kolonial-Liga. Eine Massenbasis erhielt diese Elite von ca 2,5 Millionen Veteranen, die in diversen Clubs organisiert waren. Alle streng auf imperialistischem und antisemitischem Kurs. Dem Kaiser gefiel diese Entwicklung und im Jahre 1900 ernannte er Prinz von Bülow zum Kanzler, der die Sozialdemokratie bekämpfen und mit der parlamentarischen Demokratie aufräumen sollte. 1901 befreundete sich der Kaiser mit H.S. Chamberlain, dem rassistischen Intellektuellen par excellence. Weiss sieht darin einen Beweis, der vielen Historikern widerspricht, die behaupten, der Kaiser sei kein Antisemit gewesen. Chamberlain vertrat wie Diderot die These, dass Jesus ein Kind eines römischen Legionärs und einer nichtjüdischen Frau gewesen sei.
Weiss zieht eine Verbindung zu Propagandisten der Eugenik, die später von den Nazis aufgegriffen wurde, um ihre Rassereinheitsideologie zu untermauern. Eugenik und Rassetheorien fanden besonders Anklang bei Lehrern und Ärzten. Der kaiserliche Historiker Heinrich von Treitschke tat sich besonders hervor in der Propagierung imperialistischer und antisemitischer Politik. Paul de Lagarde und Julius Langbehn wurden gefördert mit ihren rassistischen Theorien, die auch die Forderung nach mehr Lebensraum für das deutsche Volk enthielt. Langbehn war so extrem, dass er sogar die deutsche Presse als „palästinisiert“ (sic!), also als jüdisch, ansah. Weiss hält auch die Ansicht vieler Historiker für falsch, die behaupten, dieser Antisemitismus sei völlig anders als der christliche Antijudaismus. Selbst der atheistische Antisemit Wilhelm Marr schonte die Christen in seiner Polemik, wenn er Unterstützung für seine antisemitischen Kampagnen brauchte. Im Anschluss an Chamberlains These, dass Jesus kein Jude gewesen war, forderten Lagarde und Langbehn ein deutsches Christentum. Richard Wagner propagierte dagegen mehr den deutschen Mythos, die Götterdämmerung, die stark antisemitisch besetzt war.
Ein spezielles Kapitel widmete Weiss den Gegnern des Antisemitismus, also insbesondere der Sozialdemokratie. Selbst Marx, der in seinen Frühschriften antijüdische Bemerkungen verfasste, hätte niemals rassistisch argumentiert oder für antijüdische Diskriminierungen plädiert. Rasse sei für Marx und die Marxisten irrelevant gewesen, Klasse war dagegen entscheidend. Friedrich Engels und Karl Kautsky hätten sich explizit gegen Antisemitismus gewandt. Obwohl linke Strömungen mehr Einfluss bis 1914 gewannen, oder vielleicht gerade deswegen, wuchs der Antisemitismus und Imperialismus in höheren und mittleren Schichten stark an. Zu Kriegsbeginn dominierten schon die Ideologien, die wir nach dem Krieg als Nazi-Ideologie identifizieren können.
Ein Sonderkapitel befasst sich mit dem Antisemitismus in Österreich, wo insbesondere die katholische Kirche ihren Einfluss ausübte. Karl Lueger, Bischof Keppler, Georg Ritter von Schoener, und Prinz Alois Liechtenstein stimmten Otto Glogaus Formel zu, „die soziale Frage ist die jüdische Frage“. Die Deutsch-Österreicher waren die schärfsten Antisemiten im westlichen Europa, verbunden mit anti-tschechischer Hetze. Hitler passte perfekt rein in dieses Milieu.
Die Zeit unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg sah linke Bewegungen, Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten im Vormarsch. Die Konservativen und Reaktionäre identifizierten sie allesamt als jüdisch-bolschewistisch und knüpften an das rassistische Vorurteil der Vorkriegszeit an. Die jeweiligen Militärs sorgten für die Niederlage der Räterepubliken, mit Ausnahme natürlich in Russland. In diesem Zusammenhang schlichen sich auch Fehler in Weiss‘ Beschreibung ein. Er behauptete bspw., dass nicht nur Rosa Luxemburg jüdischen Ursprungs war, sondern fälschlicherweise auch Karl Liebknecht, der aber aus einem protestantischen Milieu schon großväterlicherseits stammte. Er sah die neugegründete KPD von Moskau, bzw. von Lenin gesteuert, ohne das allerdings näher zu begründen. Der kurze Zeit später versuchte Staatsstreich, der sog. Kapp-Putsch, wurde dann schon direkt von Antisemiten, Wolfgang Kapp, einem Freund General Ludendorffs, durchgeführt. Der Putsch wurde von Freikorps und der Erhardt Brigade unterstützt, die bereits das Hakenkreuz-Banner nutzten.
In der Nachkriegssituation zeigte sich die Konservative Partei (DNVP) als genauso antisemitisch wie die Nazi-Partei, desgleichen Bauernverbände, die Vaterlandspartei, in der sich Kapp, Ludendorff, von Tirpitz, Hauptmann Bauer u.a. organisiert hatten, die Thule Gesellschaft, der Stahlhelm, 300,000 Freikorps-Mitglieder, General Graf Rüdiger von der Goltz, General Karl Wolff und viele andere. Selbst der spätere Hitler-Gegner Pfarrer Martin Niemöller war anfangs pro-Nazi wie auch viele frühere Wandervogel-Mitglieder, Burschenschaftler usw. Die Ermordung Erzbergers und Rathenaus und die militärische Intervention Bayerns gegen die linke Regierung in Sachsen und Thüringen zeigten bereits den enormen Einfluss der reaktionären Kräfte, und damit auch des Antisemitismus, in der Weimarer Republik.
Ein spezielles Kapitel widmet Weiss der Kunstszene in der Weimarer Republik, wobei es ihm besonders George Groß angetan hat, aber auch Brecht, Tucholsky, Piscator usw., die er den pro-Nazi-Ideologen wie Artur Dinter, Ludwig Klages, Martin Heidegger, Konrad Lorenz, Werner Sombart, Oswald Spengler, Hans Grimm usw. gegenüberstellt.
Als die Weltwirtschaftskrise Deutschland erfasste, hatten die Nazis leichtes Spiel an die antisemitischen Traditionen, die die Konservativen und eben auch die christlichen Parteien und Gruppen gepflegt und vorbereitet hatten, anzuknüpfen. Weiss betont, ohne diese antisemitische Tradition hätten die Nazis nie die Macht erobern können, und es „gibt kein Zweifel, dass der Rassismus die zentrale Rolle spielte“ für die Wahlerfolge der Nazis.
Eine entscheidende Rolle spielte auch das Militär, so z.B. der Oberkommandierende Armeegeneral Kurt von Hammerstein, der davon überzeugt war, dass Militär und Nazis die gleichen Ziele verfochten, wenn nicht sogar dringlicher. Andere Eliten, wie die Kaisertreuen, die Aristokraten selbst und die Wirtschaftskreise sahen das genauso. Bischof Otto Dibelius stieß ins gleiche antisemitische Horn. Kein Wunder, dass rund ein Drittel aller protestantischen Kirchen sich antisemitisch und pro-NAZI verstanden. Die Katholiken waren etwas gemäßigter, suchten aber ihrerseits Kompromisse mit den NAZIs. Hitler sorgte dafür, dass seine Kohorten die katholische Kirche in Ruhe ließen und antikirchliche Agitation unterblieb. Die Universitäten waren ebenfalls NAZI-nah, die Hälfte aller Studenten votierte für die NAZIs. Insbesondere in den medizinischen und juristischen Fakultäten fanden sie Anklang.
Nach der Machtübernahme gab es kein Halten mehr. Theologen wie Gerhard Kittel predigte, Juden würden das deutsche Volk korrumpieren und müssten von ihren Berufen ausgeschlossen und ausgebürgert werden. NAZI-Kirchenratsmitglieder machten nun über 70% aus. Selbst die Bekennende Kirche konnte sich nicht durchringen den bedrängten Juden zu helfen, wenn sie keine Konvertiten waren. Pastor Niemöller konnte es z.B. selbst 1935 nicht lassen von der Blutschuld der Juden zu faseln. Kein Wunder, dass weniger als die Hälfte ihrer Mitglieder Hitler ablehnten, die Mehrheit also den NAZIs wohlwollend gegenüberstanden. Ein Viertel der SS-Männer war praktizierende Katholiken. Andere Kirchen wie die Methodisten und Mormonen verhielten sich ähnlich NAZI-affin. Einzig die Zeugen Jehovas leisteten aktiven Widerstand.
Der Kristallnacht folgte der Blitzkrieg, die Eroberung von Lebensraum, der Rassismus gegen die Slawen, der Genozid an Juden und Zigeunern, die Endlösung. Weiss meint, der Holocaust sei keine Folge des Krieges, sondern ein Ziel des Krieges mit der höchsten Priorität gewesen, wie auch die Vernichtung der Zigeuner (500,000). In der Vernichtungsmaschine beteiligten sich kroatische, rumänische, ukrainische und ungarische Faschisten, sowie die Faschisten der drei baltischen Länder, die zwischen Russen, Juden und Kommunisten keine Unterschiede machten. Die relativ große jüdische Bevölkerung von Odessa (ca 1/3 der Gesamtbevölkerung) wurde von rumänischen Einheiten ermordet, nicht ohne sie vorher gefoltert und vergewaltigt zu haben.
Während das Bürgertum mehr oder weniger mitmachte, kam Widerstand nur von links, von Kommunisten und Sozialisten. 95% aller Richter waren PGs und nicht ein einziger wurde von ihnen nach dem Kriege belangt. Erst mit der Studentenbewegung in den 60igern wurde die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Nazi-Verbrechen gelenkt. Nazis waren integriert in höchste Regierungsämter, wie General Reinhard Gehlen oder Hans Globke. Gehlen baute den BND auf und empfahl seine Nazi-Kollaborateure z.B. aus der Ukraine an die US-Dienste, die sie prompt gegen den neuen Feind, die SU, einsetzten.

3. Jürgen Elsässer
Für Elsässer war Anfang der 90iger die deutsche Nation eine „kollektive Halluzination“, wo „Blut und Boden“, sowie „Gefühl und Gemüt“ die Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ersetzt haben. Wegen der Shoah sei in Deutschland keine positive nationale Identität möglich, die eine identifikationsfähige Vergangenheit benötigen würde. Wenn man also eine positive nationale Identität in diesem Deutschland begründen will, meint Elsässer, müsse die deutsche Geschichte vom Holocaust entsorgt, die Geschichte also gereinigt werden, bzw das Dritte Reich zum Betriebsunfall, zur historischen Nebensächlichkeit degradiert werden. Dies sei der Kern des Historikerstreits zwischen Ernst Nolte, Habermas usw gewesen. Ein zweiter Faktor habe die Diskussion um Deutschlands „geografische Mittellage“ beinhaltet, worauf der Kanzler-Kohl-Berater Michael Stürmer hingewiesen habe, indem er sich auf Bismarck bezog, der für Preußen die Situation als Amboss oder Hammer beschrieben hatte. Der US-amerikanische Historiker Harold James schlug angesichts der ökonomischen Schwierigkeiten während der Wiedervereinigung vor, auf die Nation zu setzen, denn nur sie könne das Ende des Kommunismus erträglich machen. Die Nation sei „ein Refugium in einer Welt von Veränderlichkeit und Fluss“. WELT-Chefredakteur Herbert Kremp schlug in diesem Zusammenhang bereits vor, sich auf Osteuropa, „bis in die Tiefen Russlands“ zu orientieren. Der Mann war im September 1990 bereits sehr vorausschauend, so als ob er die Ampel vorausgeahnt hätte. Die Habermassche Gegenposition des Verfassungspatriotismus ist spätestens mit der Ampel obsolet.
Elsässer beschäftigt sich dann mit der schleppenden Verfolgung alter Nazi-Verbrecher und den Erfolgen von Neo-Nazis (NPD, DVU, REP) bei aktuellen Wahlen. Im Unterschied zu rechten Wahlerfolgen in Frankreich oder Italien sieht er bei deutschen Rechten eine Hinwendung zur Vergangenheit, zum Revanchismus. Sodann beschäftigt er sich mit „Antisemitismus ohne reale Juden“, mit dem Zusammenhang zwischen Rassismus und Antisemitismus und mit dem Zusammenhang von Antizionismus und Antisemitismus, wobei er konzediert, dass ca 1/3 der Antizionisten nicht gleichzeitig Antisemiten sein müssen. Als antisemitische Hassobjekte in einigen Mainstreammedien (Spiegel, BILD u.a.) beschreibt er die Fälle von Gysi, Schalck-Golodkowski, Wiesental und Galinski. Meinungsumfragen zeigen einen relativ breiten Resonanzboden für Antisemitismus in Ost und West, wobei es rund um die Wiedervereinigung Unterschiede zu verzeichnen gab. In der offiziellen Außenpolitik gab es ebenfalls eine Differenz in der Sichtweise Israels. Im Außenministerium (Gerhard Schröder/CDU) gab es größere Vorbehalte gegenüber einer Unterstützung israelischer Positionen, was in Augsteins Spiegel auf Beifall stieß, insbesondere in der Frage der Wiedergutmachungszahlungen.
Spezielle Aufmerksamkeit erfährt der Antisemitismus in der Linken. Historisch betrachtet ist der Antisemitismus in der deutschen Linken marginal, als „Sozialismus des dummen Kerls“ eher verharmlosend. Um 1910 schien „die volle Assimilierung der jüdischen Bevölkerungsgruppe nur noch eine Frage von kurzer Zeit“. Der virulente kaiserliche Imperialismus habe den Antisemitismus zeitweilig verdrängt. In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu der Behauptung in linken Medien (Radio Dreyeckland, autonomer Infoladen) einiger Protagonisten (Professor Dr. Helmut Spehl, Said Dudin) die Juden hätten eine Mitschuld am Holocaust gehabt, und der neuaufkommende Nationalismus habe wie der Imperialismus 80 Jahre vorher ähnlich gewirkt.
Marx habe seine antisemitismusaffinen Bemerkungen in seinen Frühschriften (Zur Judenfrage) im „Kapital“ korrigiert, woraus sich eine Perspektive entwickeln lässt, dass „Antisemitismus als notwendiger Schein von der Warengesellschaft ständig neu erzeugt wird.“ Daher sei auch „das antikapitalistische Ressentiment potentiell“ antisemitisch. Das Gleiche gilt auch für den Nationalismus in der Wendezeit. Der linke Oskar Lafontaine habe das erkannt und deshalb für eine langsamere Gangart bei der Vereinigung plädiert, während die CDU/CSU eine völkisch-nationale Kampagne angezettelt hätte. Elsässer warnt zum Schluss vor den sich freisetzenden Nationen in Osteuropa, die sich schon immer völkisch definiert hätten. Die Barbarei drohe bei den „zu spät gekommenen“ Nationen, die versuchen würden zur DM zu kommen. Von daher sei „das Denken in den Kategorien von Volk und Nation zu denunzieren“.
Günter Langer, Berlin, 18.9.2022

History of the Ukraine conflict by Jacques Baud

The military situation in Ukraine, as seen by an ex-member of the Swiss strategic intelligence

Is it possible to actually know what has been and is going on in Ukraine? Jacques Baud is a former member of the Swiss strategic intelligence and specialist in Eastern countries. He takes a fact-driven down-to-earth approach to analyze the conflict and the role the West plays in it.

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 Contributing Reporter

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April 18, 2022

By Jacques Baud*

RIO DE JANEIRO, BRAZIL –  Part One: The Road To War – For years, from Mali to Afghanistan, I have worked for peace and risked my life for it. It is therefore not a question of justifying war, but of understanding what led us to it. [….]

Let’s try to examine the roots of the [Ukrainian] conflict. It starts with those who for the last eight years have been talking about “separatists” or “independentists” from Donbass. This is a misnomer.

The referendums conducted by the two self-proclaimed Republics of Donetsk and Lugansk in May 2014, were not referendums of “independence” (независимость), as some unscrupulous journalists have claimed, but referendums of “self-determination” or “autonomy” (самостоятельность).

The qualifier “pro-Russian” suggests that Russia was a party to the conflict, which was not the case, and the term “Russian speakers” would have been more honest. Moreover, these referendums were conducted against the advice of Vladimir Putin.

In fact, these Republics were not seeking to separate from Ukraine, but to have a status of autonomy, guaranteeing them the use of the Russian language as an official language–because the first legislative act of the new government resulting from the American-sponsored overthrow of [the democratically-elected] President Yanukovych, was the abolition, on February 23, 2014, of the Kivalov-Kolesnichenko law of 2012 that made Russian an official language in Ukraine.

A bit as if German-speaking ‘putschists’ decided that French and Italian would no longer be official languages in Switzerland.

This decision caused a storm in the Russian-speaking population. The result was fierce repression against the Russian-speaking regions (Odessa, Dnepropetrovsk, Kharkov, Lugansk and Donetsk) which was carried out beginning in February 2014 and led to a militarization of the situation and some horrific massacres of the Russian population (in Odessa and Mariupol, the most notable).

At this stage, too rigid and engrossed in a doctrinaire approach to operations, the Ukrainian general staff subdued the enemy but without managing to actually prevail. The war waged by the autonomists [consisted in].… highly mobile operations conducted with light means. With a more flexible and less doctrinaire approach, the rebels were able to exploit the inertia of Ukrainian forces to repeatedly “trap” them.

In 2014, when I was at NATO, I was responsible for the fight against the proliferation of small arms, and we were trying to detect Russian arms deliveries to the rebels, to see if Moscow was involved.

The information we received then came almost entirely from Polish intelligence services and did not “fit” with the information coming from the OSCE [Organization for Security and Co-operation in Europe]—and despite rather crude allegations, there were no deliveries of weapons and military equipment from Russia.

The rebels were armed thanks to the defection of Russian-speaking Ukrainian units that went over to the rebel side. As Ukrainian failures continued, tank, artillery, and anti-aircraft battalions swelled the ranks of the autonomists. This is what pushed the Ukrainians to commit to the Minsk Agreements.

But just after signing the Minsk 1 Agreements, the Ukrainian President Petro Poroshenko launched a massive “anti-terrorist operation” (ATO/Антитерористична операція) against the Donbass.

Poorly advised by NATO officers, the Ukrainians suffered a crushing defeat in Debaltsevo, which forced them to engage in the Minsk 2 Agreements.

It is essential to recall here that Minsk 1 (September 2014) and Minsk 2 (February 2015) Agreements did not provide for the separation or independence of the Republics, but their autonomy within the framework of Ukraine.

Those who have read the Agreements (there are very few who actually have) will note that it is written that the status of the Republics was to be negotiated between Kiev and the representatives of the Republics, for an internal solution within Ukraine.

That is why since 2014, Russia has systematically demanded the implementation of the Minsk Agreements while refusing to be a party to the negotiations, because it was an internal matter of Ukraine.

On the other side, the West—led by France—systematically tried to replace Minsk Agreements with the “Normandy format,” which put Russians and Ukrainians face-to-face. However, let us remember that there were never any Russian troops in the Donbass before 23-24 February 2022.

Moreover, OSCE observers have never observed the slightest trace of Russian units operating in the Donbass before then. For example, the U.S. intelligence map published by the Washington Post on December 3, 2021 does not show Russian troops in the Donbass.

In October 2015, Vasyl Hrytsak, director of the Ukrainian Security Service (SBU), confessed that only 56 Russian fighters had been observed in the Donbass. This was exactly comparable to the Swiss who went to fight in Bosnia on weekends, in the 1990s, or the French who go to fight in Ukraine today.

The Ukrainian army was then in a deplorable state. In October 2018, after four years of war, the chief Ukrainian military prosecutor, Anatoly Matios, stated that Ukraine had lost 2,700 men in the Donbass: 891 from illnesses, 318 from road accidents, 177 from other accidents, 175 from poisonings (alcohol, drugs), 172 from careless handling of weapons, 101 from breaches of security regulations, 228 from murders and 615 from suicides.

In fact, the Ukrainian army was undermined by the corruption of its cadres and no longer enjoyed the support of the population. According to a British Home Office report, in the March/April 2014 recall of reservists, 70 percent did not show up for the first session, 80 percent for the second, 90 percent for the third, and 95 percent for the fourth.

In October/November 2017, 70% of conscripts did not show up for the “Fall 2017” recall campaign. This is not counting suicides and desertions (often over to the autonomists), which reached up to 30 percent of the workforce in the ATO area. Young Ukrainians refused to go and fight in the Donbass and preferred emigration, which also explains, at least partially, the demographic deficit of the country.

The Ukrainian Ministry of Defense then turned to NATO to help make its armed forces more “attractive.” Having already worked on similar projects within the framework of the United Nations, I was asked by NATO to participate in a program to restore the image of the Ukrainian armed forces. But this is a long-term process and the Ukrainians wanted to move quickly.

So, to compensate for the lack of soldiers, the Ukrainian government resorted to paramilitary militias…. In 2020, they constituted about 40 percent of the Ukrainian forces and numbered about 102,000 men, according to Reuters. They were armed, financed, and trained by the United States, Great Britain, Canada, and France. There were more than 19 nationalities.

These militias had been operating in the Donbass since 2014, with Western support. Even if one can argue about the term “Nazi,” the fact remains that these militias are violent, convey a nauseating ideology, and are virulently anti-Semitic…[and] are composed of fanatical and brutal individuals.

The best known of these is the Azov Regiment, whose emblem is reminiscent of the 2nd SS Das Reich Panzer Division, which is revered in the Ukraine for liberating Kharkov from the Soviets in 1943, before carrying out the 1944 Oradour-sur-Glane massacre in France. [….]

The characterization of the Ukrainian paramilitaries as “Nazis” or “neo-Nazis” is considered Russian propaganda. But that’s not the view of the Times of Israel or the West Point Academy’s Center for Counterterrorism. In 2014, Newsweek magazine seemed to associate them more with… the Islamic State. Take your pick!

So, the West supported and continued to arm militias that have been guilty of numerous crimes against civilian populations since 2014: rape, torture, and massacres….

The integration of these paramilitary forces into the Ukrainian National Guard was not at all accompanied by a “denazification,” as some claim. Among the many examples, that of the Azov Regiment’s insignia is instructive:

In 2022, very schematically, the Ukrainian armed forces fighting the Russian offensive were organized as:

  • The Army, subordinated to the Ministry of Defense. It is organized into 3 army corps and composed of maneuver formations (tanks, heavy artillery, missiles, etc.).
  • The National Guard, which depends on the Ministry of the Interior and is organized into 5 territorial commands.
  • The National Guard is therefore a territorial defense force that is not part of the Ukrainian army. It includes paramilitary militias, called “volunteer battalions” (добровольчі батальйоні), also known by the evocative name of “reprisal battalions,” and composed of infantry. Primarily trained for urban combat, they now defend cities such as Kharkov, Mariupol, Odessa, Kiev, etc.

PART TWO: THE WAR

As a former head of analysis of Warsaw Pact forces in the Swiss strategic intelligence service, I observe with sadness—but not astonishment—that our services are no longer able to understand the military situation in Ukraine. The self-proclaimed “experts” who parade on our TV screens tirelessly relay the same information modulated by the claim that Russia—and Vladimir Putin—is irrational. Let’s take a step back.

  • The Outbreak Of War
  • Since November 2021, the Americans have been constantly threatening a Russian invasion of Ukraine. However, the Ukrainians at first did not seem to agree. Why not?
  • We have to go back to March 24, 2021. On that day, Volodymyr Zelensky issued a decree for the recapture of the Crimea, and began to deploy his forces to the south of the country.
  • At the same time, several NATO exercises were conducted between the Black Sea and the Baltic Sea, accompanied by a significant increase in reconnaissance flights along the Russian border. Russia then conducted several exercises to test the operational readiness of its troops and to show that it was following the evolution of the situation.
  • Things calmed down until October-November with the end of the ZAPAD 21 exercises, whose troop movements were interpreted as a reinforcement for an offensive against Ukraine. However, even the Ukrainian authorities refuted the idea of Russian preparations for war, and Oleksiy Reznikov, Ukrainian Minister of Defense, states that there had been no change on its border since the spring.
  • In violation of the Minsk Agreements, Ukraine was conducting air operations in Donbass using drones, including at least one strike against a fuel depot in Donetsk in October 2021. The American press noted this, but not the Europeans, and no one condemned these violations.
  • In February 2022, events came to a head. On February 7, during his visit to Moscow, Emmanuel Macron reaffirmed to Vladimir Putin his commitment to the Minsk Agreements, a commitment he would repeat after his meeting with Volodymyr Zelensky the next day.
  • But on February 11, in Berlin, after nine hours of work, the meeting of political advisors to the leaders of the “Normandy format” ended without any concrete result: the Ukrainians still refused to apply the Minsk Agreements, apparently under pressure from the United States.
  • Vladimir Putin noted that Macron had made empty promises and that the West was not ready to enforce the agreements, the same opposition to a settlement it had exhibited for eight years.
  • Ukrainian preparations in the contact zone continued. The Russian Parliament became alarmed; and on February 15 it asked Vladimir Putin to recognize the independence of the Republics, which he initially refused to do.
  • On 17 February, President Joe Biden announced that Russia would attack Ukraine in the next few days. How did he know this? It is a mystery.
  • But since the 16th, the artillery shelling of the population of Donbass had increased dramatically, as the daily reports of the OSCE observers show. Naturally, neither the media, nor the European Union, nor NATO, nor any Western government reacted or intervened.
  • It would be said later that this was Russian disinformation. In fact, it seems that the European Union and some countries have deliberately kept silent about the massacre of the Donbass population, knowing that this would provoke Russian intervention.
  • At the same time, there were reports of sabotage in the Donbass. On 18 January, Donbass fighters intercepted saboteurs, who spoke Polish and were equipped with Western equipment, and who were seeking to create chemical incidents in Gorlivka.
  • They could have been CIA mercenaries, led or “advised” by Americans and composed of Ukrainian or European fighters, to carry out sabotage actions in the Donbass Republics.
  • In fact, as early as February 16, Joe Biden knew that the Ukrainians had begun intense shelling of the civilian population of Donbass, forcing Vladimir Putin to make a difficult choice: to help Donbass militarily and create an international problem or to stand by and watch the Russian-speaking people of Donbass being crushed.
  • If he decided to intervene, Putin could invoke the international obligation of “Responsibility To Protect” (R2P). But he knew that whatever its nature or scale, the intervention would trigger a storm of sanctions.
  • Therefore, whether the Russian intervention was limited to the Donbass or went further to put pressure on the West over the status of Ukraine, the price to pay would be the same.
  • This is what he explained in his speech on February 21. On that day, he agreed to the request of the Duma and recognized the independence of the two Donbass Republics, and, at the same time, he signed friendship and assistance treaties with them.
  • The Ukrainian artillery bombardment of the Donbass population continued, and, on 23 February, the two Republics asked for military assistance from Russia. On 24 February, Vladimir Putin invoked Article 51 of the United Nations Charter, which provides for mutual military assistance in the framework of a defensive alliance.

In order to make the Russian intervention seem totally illegal in the eyes of the public, Western powers deliberately hid the fact that the war actually started on February 16. The Ukrainian army was preparing to attack the Donbass as early as 2021, as some Russian and European intelligence services were well aware.

In his speech on February 24, Vladimir Putin stated the two objectives of his operation: “demilitarize” and “denazify” Ukraine. So, it was not a question of taking over Ukraine, nor even, presumably, of occupying it; and certainly not of destroying it.

From then on, our knowledge of the course of the operation is limited: the Russians have excellent security for their operations (OPSEC) and the details of their planning are not known. But fairly quickly, the course of the operation allows us to understand how the strategic objectives were translated on the operational level.

Demilitarization:

  • ground destruction of Ukrainian aviation, air defense systems and reconnaissance assets;
  • neutralization of command and intelligence structures (C3I), as well as the main logistical routes in the depth of the territory;
  • encirclement of the bulk of the Ukrainian army massed in the southeast of the country.
    Denazification;
  • destruction or neutralization of volunteer battalions operating in the cities of Odessa, Kharkov, and Mariupol, as well as in various facilities in the territory.

Demilitarization

The Russian offensive was carried out in a very “classic” manner. Initially—as the Israelis had done in 1967—with the destruction on the ground of the air force in the very first hours.

Then, we witnessed a simultaneous progression along several axes according to the principle of “flowing water”: advance everywhere where resistance was weak and leave the cities (very demanding in terms of troops) for later.

In the north, the Chernobyl power plant was occupied immediately to prevent acts of sabotage. The images of Ukrainian and Russian soldiers guarding the plant together are of course not shown.

The idea that Russia is trying to take over Kiev, the capital, to eliminate Zelensky, comes typically from the West…. But Vladimir Putin never intended to shoot or topple Zelensky. Instead, Russia seeks to keep him in power by pushing him to negotiate, by surrounding Kiev. The Russians want to obtain the neutrality of Ukraine.

Many Western commentators were surprised that the Russians continued to seek a negotiated solution while conducting military operations. The explanation lies in the Russian strategic outlook since the Soviet era.

For the West, war begins when politics ends. However, the Russian approach follows a Clausewitzian inspiration: war is the continuity of politics and one can move fluidly from one to the other, even during combat. This allows one to create pressure on the adversary and push him to negotiate.

From an operational point of view, the Russian offensive was an example of previous military action and planning: in six days, the Russians seized a territory as large as the United Kingdom, with a speed of advance greater than what the Wehrmacht had achieved in 1940.

The bulk of the Ukrainian army was deployed in the south of the country in preparation for a major operation against the Donbass. This is why Russian forces were able to encircle it from the beginning of March in the “cauldron” between Slavyansk, Kramatorsk and Severodonetsk, with a thrust from the East through Kharkov and another from the South from Crimea. Troops from the Donetsk (DPR) and Lugansk (LPR) Republics are complementing the Russian forces with a push from the East.

At this stage, Russian forces are slowly tightening the noose, but are no longer under any time pressure or schedule. Their demilitarization goal is all but achieved and the remaining Ukrainian forces no longer have an operational and strategic command structure.

The “slowdown” that our “experts” attribute to poor logistics is only the consequence of having achieved their objectives. Russia does not want to engage in the occupation of the entire Ukrainian territory. In fact, it appears that Russia is trying to limit its advance to the linguistic border of the country.

Our media speak of indiscriminate bombardments against the civilian population, especially in Kharkov, and horrific images are widely broadcast. However, Gonzalo Lira, a Latin American correspondent who lives there, presents us with a calm city on March 10 and March 11.

It is true that it is a large city and we do not see everything—but this seems to indicate that we are not in the total war that we are served continuously on our TV screens. As for the Donbass Republics, they have “liberated” their own territories and are fighting in the city of Mariupol.

Denazification

In cities like Kharkov, Mariupol and Odessa, the Ukrainian defense is provided by the paramilitary militias. They know that the objective of “denazification” is aimed primarily at them. For an attacker in an urbanized area, civilians are a problem. This is why Russia is seeking to create humanitarian corridors to empty cities of civilians and leave only the militias, to fight them more easily.

Conversely, these militias seek to keep civilians in the cities from evacuating in order to dissuade the Russian army from fighting there. This is why they are reluctant to implement these corridors and do everything to ensure that Russian efforts are unsuccessful—they use the civilian population as “human shields.”

Videos showing civilians trying to leave Mariupol and beaten up by fighters of the Azov regiment are of course carefully censored by the Western media.

On Facebook, the Azov group was considered in the same category as the Islamic State [ISIS] and subject to the platform’s “policy on dangerous individuals and organizations.” It was therefore forbidden to glorify its activities, and “posts” that were favorable to it were systematically banned.

But on February 24, Facebook changed its policy and allowed posts favorable to the militia. In the same spirit, in March, the platform authorized, in the former Eastern countries, calls for the murder of Russian soldiers and leaders. So much for the values that inspire our leaders.

Our media propagate a romantic image of popular resistance by the Ukrainian people. It is this image that led the European Union to finance the distribution of arms to the civilian population. In my capacity as head of peacekeeping at the UN, I worked on the issue of civilian protection. We found that violence against civilians occurred in very specific contexts. In particular, when weapons are abundant and there are no command structures.

These command structures are the essence of armies: their function is to channel the use of force towards an objective. By arming citizens in a haphazard manner, as is currently the case, the EU is turning them into combatants, with the consequential effect of making them potential targets.

Moreover, without command, without operational goals, the distribution of arms leads inevitably to the settling of scores, banditry, and actions that are more deadly than effective.

War becomes a matter of emotions. Force becomes violence. This is what happened in Tawarga (Libya) from 11 to 13 August 2011, where 30,000 black Africans were massacred with weapons parachuted (illegally) by France. By the way, the British Royal Institute for Strategic Studies (RUSI) does not see any added value in these arms deliveries.

Moreover, by delivering arms to a country at war, one exposes oneself to being considered belligerent. The Russian strikes of March 13, 2022, against the Mykolayev air base follow Russian warnings that arms shipments would be treated as hostile targets.

The EU is repeating the disastrous experience of the Third Reich in the final hours of the Battle of Berlin. War must be left to the military and when one side has lost, it must be admitted.

And if there is to be resistance, it must be led and structured. But we are doing exactly the opposite—we are pushing citizens to go and fight, and at the same time, Facebook authorizes calls for the murder of Russian soldiers and leaders.

Some intelligence services see this irresponsible decision as a way to use the Ukrainian population as cannon fodder to fight Vladimir Putin’s Russia…. It would have been better to engage in negotiations and thus obtain guarantees for the civilian population than to add fuel to the fire. It is easy to be combative with the blood of others.

THE MATERNITY HOSPITAL AT MARIUPOL

It is important to understand beforehand that it is not the Ukrainian army that is defending Mariupol, but the Azov militia, composed of foreign mercenaries.

In its March 7, 2022 summary of the situation, the Russian UN mission in New York stated that “Residents report that Ukrainian armed forces expelled staff from the Mariupol city birth hospital No. 1 and set up a firing post inside the facility.”

On March 8, the independent Russian media Lenta.ru, published the testimony of civilians from Mariupol who told that the maternity hospital was taken over by the militia of the Azov regiment, and who drove out the civilian occupants by threatening them with their weapons. They confirmed the statements of the Russian ambassador a few hours earlier. The hospital in Mariupol occupies a dominant position, perfectly suited for the installation of anti-tank weapons and for observation.

On 9 March, Russian forces struck the building. According to CNN, 17 people were wounded, but the images do not show any casualties in the building and there is no evidence that the victims mentioned are related to this strike. There is talk of children, but in reality, there is nothing. This does not prevent the leaders of the EU from seeing this as a war crime. And this allows Zelensky to call for a no-fly zone over Ukraine.

In reality, we do not know exactly what happened. But the sequence of events tends to confirm that Russian forces struck a position of the Azov regiment and that the maternity ward was then free of civilians.

The problem is that the paramilitary militias that defend the cities are encouraged by the international community not to respect the rules of war.

It seems that the Ukrainians have replayed the scenario of the Kuwait City maternity hospital in 1990, which was totally staged by the firm Hill & Knowlton for US$10.7 million in order to convince the United Nations Security Council to intervene in Iraq for Operation Desert Shield/Storm.

Western politicians have accepted civilian strikes in the Donbass for eight years without adopting any sanctions against the Ukrainian government. We have long since entered a dynamic where Western politicians have agreed to sacrifice international law toward their goal of weakening Russia.

Part Three: Conclusions

As an ex-intelligence professional, the first thing that strikes me is the total absence of Western intelligence services in accurately representing the situation over the past year…. In fact, it seems that throughout the Western world intelligence services have been overwhelmed by the politicians.

The problem is that it is the politicians who decide—the best intelligence service in the world is useless if the decision-maker does not listen. This is what happened during this crisis.

That said, while a few intelligence services had a very accurate and rational picture of the situation, others clearly had the same picture as that propagated by our media… The problem is that, from experience, I have found them to be extremely bad at the analytical level—doctrinaire, they lack the intellectual and political independence necessary to assess a situation with military “quality.”

Second, it seems that in some European countries, politicians have deliberately responded ideologically to the situation. That is why this crisis has been irrational from the beginning. It should be noted that all the documents that were presented to the public during this crisis were presented by politicians based on commercial sources.

Some Western politicians obviously wanted there to be a conflict. In the United States, the attack scenarios presented by Anthony Blinken to the UN Security Council were only the product of the imagination of a Tiger Team working for him—he did exactly as Donald Rumsfeld did in 2002, who “bypassed” the CIA and other intelligence services that were much less assertive about Iraqi chemical weapons.

The dramatic developments we are witnessing today have causes that we knew about but refused to see:

  • on the strategic level, the expansion of NATO (which we have not dealt with here);
  • on the political level, the Western refusal to implement the Minsk Agreements;and
  • operationally, the continuous and repeated attacks on the civilian population of the Donbass over the past years and the dramatic increase in late February 2022.

In other words, we can naturally deplore and condemn the Russian attack. But WE (that is: the United States, France and the European Union in the lead) have created the conditions for a conflict to break out.

We show compassion for the Ukrainian people and the almost 5 million refugees. That is fine. But if we had had a modicum of compassion for refugees from the Ukrainian populations of Donbass massacred by their own government and who sought refuge in Russia for eight years, none of this would probably have happened.

[….]

Whether the term “genocide” applies to the abuses suffered by the people of Donbass is an open question. The term is generally reserved for cases of greater magnitude (Holocaust, etc.). But the definition given by the Genocide Convention is probably broad enough to apply to this case.

Clearly, this conflict has led us into hysteria. Sanctions seem to have become the preferred tool of our foreign policies. If we had insisted that Ukraine abide by the Minsk Agreements, which we had negotiated and endorsed, none of this would have happened.

Vladimir Putin’s condemnation is also ours. There is no point in whining afterward—we should have acted earlier. However, neither Emmanuel Macron (as guarantor and member of the UN Security Council), nor Olaf Scholz, nor Volodymyr Zelensky have respected their commitments. In the end, the real defeat is that of those who have no voice.

The European Union was unable to promote the implementation of the Minsk agreements—on the contrary, it did not react when Ukraine was bombing its own population in the Donbass.

Had it done so, Vladimir Putin would not have needed to react. Absent from the diplomatic phase, the EU distinguished itself by fueling the conflict. On February 27, the Ukrainian government agreed to enter into negotiations with Russia.

But a few hours later, the European Union voted a budget of 450 million euros to supply arms to Ukraine, adding fuel to the fire. From then on, the Ukrainians felt that they did not need to reach an agreement.

The resistance of the Azov militia in Mariupol even led to a boost of 500 million euros for weapons.

In Ukraine, with the blessing of the Western countries, those who are in favor of negotiation have been eliminated. This is the case of Denis Kireyev, one of the Ukrainian negotiators, assassinated on March 5 by the Ukrainian secret service (SBU) because he was too favorable to Russia and was considered a traitor.

The same fate befell Dmitry Demyanenko, former deputy head of the SBU’s main directorate for Kiev and its region, who was assassinated on March 10 because he was too favorable to an agreement with Russia—he was shot by the Mirotvorets (“Peacemaker”) militia.

This militia is associated with the Mirotvorets website, which lists the “enemies of Ukraine,” with their personal data, addresses, and telephone numbers so that they can be harassed or even eliminated; a practice that is punishable in many countries, but not in the Ukraine.

The UN and some European countries have demanded the closure of this site—but that demand was refused by the Rada [Ukrainian parliament].

In the end, the price will be high, but Vladimir Putin will likely achieve the goals he set for himself. We have pushed him into the arms of China. His ties with Beijing have solidified.

China is emerging as a mediator in the conflict…. The Americans have to ask Venezuela and Iran for oil to get out of the energy impasse they have put themselves in—and the United States has to piteously backtrack on the sanctions imposed on its enemies.

Western ministers who seek to collapse the Russian economy and make the Russian people suffer, or even call for the assassination of Putin, show (even if they have partially reversed the form of their words, but not the substance!) that our leaders are no better than those we hate—sanctioning Russian athletes in the Para-Olympic Games or Russian artists has nothing to do with fighting Putin. [….]

What makes the conflict in Ukraine more blameworthy than our wars in Iraq, Afghanistan or Libya? What sanctions have we adopted against those who deliberately lied to the international community in order to wage unjust, unjustified, and murderous wars?

Have we adopted a single sanction against the countries, companies, or politicians who are supplying weapons to the conflict in Yemen, considered to be the “worst humanitarian disaster in the world?”

To ask the question is to answer it… and the answer is not pretty.

*Jacques Baud is a former colonel of the General Staff, ex-member of the Swiss strategic intelligence, and specialist on Eastern countries.

He was trained in the American and British intelligence services. He has served as Policy Chief for United Nations Peace Operations. As a UN expert on rule of law and security institutions, he designed and led the first multidimensional UN intelligence unit in Sudan.

He has worked for the African Union and was for 5 years responsible for the fight, at NATO, against the proliferation of small arms. He was involved in discussions with the highest Russian military and intelligence officials just after the fall of the USSR.

Within NATO, he followed the 2014 Ukrainian crisis and later participated in programs to assist the Ukraine.

He is the author of several books on intelligence, war and terrorism, in particular Le Détournement published by SIGEST, Gouverner par les fake news , L’affaire Navalny . His latest book is Poutine, maître du jeu? published by Max Milo.

This post is mirrored. You can find the original in French here


Ukraine – Interview mit Generalmajor Baud

«Die Politik der USA war es immer, zu verhindern, dass Deutschland und Russland enger zusammenarbeiten»

05.04.22 – Thomas Kaiser für Zeitgeschehen im Fokus – Pressenza Zürich

Dieser Artikel ist auch auf Englisch verfügbar

Interview mit Jacques Baud* über die historischen, politischen und wirtschaftlichen Hintergründe des Ukraine-Kriegs.

*Jacques Baud hat einen Master in Ökonometrie und ein Nachdiplomstudium in internationaler Sicherheit am Hochschulinstitut für internationale Beziehungen in Genf absolviert und war Oberst der Schweizer Armee. Er arbeitete für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst und war Berater für die Sicherheit der Flüchtlingslager in Ost-Zaire während des Ruanda-Krieges (UNHCR-Zaire/Kongo, 1995-1996). Er arbeitete für das DPKO (Departement of Peacekeeping Operations) der Vereinten Nationen in New York (1997-99), gründete das Internationale Zentrum für Humanitäre Minenräumung in Genf (CIGHD) und das Informationsmanagementsystem für Minenräumung (IMSMA). Er trug zur Einführung des Konzepts der nachrichtendienstlichen Aufklärung in Uno-Friedenseinsätzen bei und leitete das erste integrierte UN Joint Mission Analysis Centre (JMAC) im Sudan (2005-06). Er war Leiter der Abteilung «Friedenspolitik und Doktrin» des Uno-Departements für friedenserhaltende Operationen in New York (2009-11) und der Uno-Expertengruppe für die Reform des Sicherheitssektors und die Rechtsstaatlichkeit, arbeitete in der Nato und ist Autor mehrerer Bücher über Nachrichtendienste, asymmetrische Kriegsführung, Terrorismus und Desinformation.

Zeitgeschehen im Fokus: Herr Baud, Sie kennen die Region, in der im Moment Krieg herrscht. Welche Schlüsse haben Sie aus den letzten Tagen gezogen, und wie konnte es so weit kommen?

Jacques Baud: Ich kenne die Region, um die es jetzt geht, sehr gut. Ich war beim EDA [Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten] und in dessen Auftrag fünf Jahre abkommandiert zur Nato im Kampf gegen die Proliferation von Kleinwaffen. Ich habe Projekte in der Ukraine nach 2014 betreut. Das heisst, ich kenne Russland auf Grund meiner ehemaligen nachrichtendienstlichen Tätigkeit, die Nato, die Ukraine und das dazugehörige Umfeld sehr gut. Ich spreche russisch und habe Zugang zu Dokumenten, die nur wenige Menschen im Westen anschauen.

Sie sind ein Kenner der Situation in und um die Ukraine. Ihre berufliche Tätigkeit brachte Sie in die aktuelle Krisenregion. Wie nehmen Sie das Geschehen wahr?

Es ist verrückt, man kann sagen, es herrscht eine regelrechte Hysterie. Was mir auffällt und was mich sehr stört, ist, dass niemand die Frage stellt, warum die Russen einmarschiert sind. Niemand wird einen Krieg befürworten, ich sicher auch nicht. Aber als ehemaliger Chef der «Friedenspolitik und Doktrin» des Uno-Departements für friedenserhaltende Operationen in New York während zwei Jahren stelle ich mir immer die Frage: Wie ist man zu diesem Punkt gekommen, Krieg zu führen?

Was war Ihre Aufgabe dort?

Es ging darum zu erforschen, wie es zu Kriegen kommt, welche Elemente zu Frieden führen, und was man tun kann, um Opfer zu vermeiden bzw. wie man einen Krieg verhindern kann. Wenn man nicht versteht, wie ein Krieg entsteht, dann kann man keine Lösung finden. Wir sind genau in dieser Situation. Jedes Land erlässt seine eigenen Sanktionen gegen Russland, und man weiss genau, das führt nirgends hin. Was mich dabei besonders schockiert hat, ist die Äusserung des Wirtschaftsministers in Frankreich, man wolle die Wirtschaft Russlands zerstören mit dem Ziel, die russische Bevölkerung leiden zu lassen. Das ist eine Aussage, die mich äusserst empört.

Russlands Ziel der Entmilitarisierung und Entnazifizierung

Wie beurteilen Sie den Angriff der Russen?

Wenn ein Staat einen anderen angreift, dann ist das gegen das Völkerrecht. Aber man sollte auch die Hintergründe dafür ins Auge fassen. Zunächst muss klargestellt werden, dass Putin weder verrückt ist noch die Realität verloren hat. Er ist ein Mensch, der sehr methodisch, systematisch, also sehr russisch ist. Ich bin der Meinung, dass er sich der Konsequenzen seines Handelns in der Ukraine bewusst ist. Er hat – offensichtlich zu Recht – beurteilt, dass egal, ob er eine «kleine» Operation zum Schutz der Donbas-Bevölkerung oder eine «massive» Operation zugunsten der nationalen Interessen Russlands und der Donbas-Bevölkerung durchführte, die Konsequenzen gleich sein würden. Er ist dann auf die Maximallösung gegangen.

Worin sehen Sie das Ziel?

Es ist sicher nicht gegen die ukrainische Bevölkerung gerichtet. Das wurde von Putin immer wieder gesagt. Man sieht es auch an den Fakten. Russland liefert immer noch Gas in die Ukraine. Die Russen haben das nicht gestoppt. Sie haben das Internet nicht abgestellt. Sie haben die Elektrizitätswerke und die Wasserversorgung nicht zerstört. Natürlich gibt es gewisse Gebiete, in denen gekämpft wird. Aber man sieht einen ganz anderen Ansatz als bei den Amerikanern z. B. in Ex-Jugoslawien, im Irak oder auch in Libyen. Als westliche Länder diese angriffen, zerstörten sie zuerst die Strom- und Wasserversorgung und die gesamte Infrastruktur.

Warum geht der Westen so vor?

Das Vorgehen der westlichen Länder – es ist auch interessant, das von der Einsatzdoktrin her zu sehen – wird genährt von der Idee, dass es, wenn man die Infrastruktur zerstört, von der Bevölkerung einen Aufstand gegen den missliebigen Diktator geben wird und man ihn so los wird. Das war auch die Strategie während des Zweiten Weltkriegs, als man die deutschen Städte bombardiert hat wie Köln, Berlin, Hamburg, Dresden etc. Man hat direkt auf die Zivilbevölkerung gezielt, damit es zu einem Aufstand kommt. Die Regierung verliert durch einen Aufstand ihre Macht, und man hat den Krieg gewonnen, ohne eigene Truppen zu gefährden. Das ist die Theorie.

Wie ist das Vorgehen der Russen?

Das ist völlig anders. Sie haben ihr Ziel klar bekannt gegeben. Sie wollen eine «Entmilitarisierung» und «Entnazifizierung». Wenn man die Berichterstattung ehrlich verfolgt, ist es genau das, was sie machen. Natürlich, ein Krieg ist ein Krieg, und bedauerlicherweise gibt es dabei immer Tote, aber es ist interessant zu sehen, was die Zahlen sagen. Am Freitag (4.3.) zog die Uno eine Bilanz. Sie berichtete von 265 getöteten ukrainischen Zivilisten. Am Abend hat das russische Verteidigungsministerium die Anzahl der toten Soldaten mit 498 angegeben. Das heisst, es gibt mehr Opfer beim russischen Militär als unter den Zivilisten auf der ukrainischen Seite. Wenn man das jetzt mit Irak oder Libyen vergleicht, dann ist es bei der westlichen Kriegsführung genau umgekehrt.

Das widerspricht der Darstellung im Westen?

Ja, in unseren Medien wird es so dargestellt, dass die Russen alles zerstören würden, aber das stimmt offensichtlich nicht. Auch stört mich die Darstellung in unseren Medien über Putin, dass er plötzlich entschieden habe, die Ukraine anzugreifen und zu erobern. Die USA haben über mehrere Monate gewarnt, es werde einen Überraschungsangriff geben, aber es geschah nichts. Übrigens, Nachrichtendienste und die ukrainische Führung haben mehrmals die amerikanischen Aussagen dementiert. Wenn man die militärischen Meldungen anschaut und die Vorbereitungen, dann sieht man ziemlich klar: Putin hatte bis Mitte Februar keine Absicht, die Ukraine anzugreifen.

Warum hat sich das geändert? Was ist geschehen?

Dazu muss man ein paar Dinge wissen, sonst versteht man das nicht. Am 24. März 2021 hat der ukrainische Präsident Selenskyj ein Dekret erlassen, dass er die Zurückeroberung der Krim beabsichtigt. Daraufhin begann er, die ukrainische Armee nach Süden und Südosten zu verschieben, in Richtung Donbas. Seit einem Jahr also hat man einen ständigen Aufbau der Armee an der südlichen Grenze der Ukraine. Das erklärt, warum Ende Februar keine ukrainischen Truppen an der russisch-ukrainischen Grenze waren. Selenskyj hat immer den Standpunkt vertreten, dass die Russen die Ukraine nicht angreifen werden. Auch der ukrainische Verteidigungsminister hat das immer wieder bestätigt. Ebenso bestätigte der Chef des ukrainischen Sicherheitsrats im Dezember und im Januar, dass es keine Anzeichen für einen russischen Angriff auf die Ukraine gebe.

War das ein Trick?

Nein, sie sagten das mehrmals, und ich bin sicher, dass Putin, der das übrigens auch wiederholt sagte, nicht angreifen wollte. Offenbar gab es Druck aus den USA.
Die USA haben an der Ukraine selbst wenig Interesse. Zum jetzigen Zeitpunkt wollten sie den Druck auf Deutschland erhöhen, North-Stream II abzustellen. Sie wollten, dass die Ukraine Russland provoziert und dass, wenn Russland darauf reagiert, North-Stream II auf Eis gelegt wird. Ein solches Szenario wurde anlässlich des Besuches von Olaf Scholz in Washington angetönt, und Scholz wollte klar nicht mitmachen. Das ist nicht nur meine Meinung, es gibt auch Amerikaner, die das so sehen: Das Ziel ist North-Stream II. Dabei darf man nicht vergessen, dass North-Stream II auf Anfrage der Deutschen gebaut worden ist. Es ist grundsätzlich ein deutsches Projekt. Denn Deutschland braucht mehr Gas, um seine Energie- und Klimaziele zu erreichen.

In einem Nuklear-Krieg wäre Europa das Schlachtfeld

Warum haben die USA darauf gedrängt?

Seit dem Zweiten Weltkrieg war es immer die Politik der USA, zu verhindern, dass Deutschland und Russland bzw. die UdSSR enger zusammenarbeiten. Das, obwohl die Deutschen eine historische Angst vor den Russen haben. Aber das sind die beiden grössten Mächte Europas. Historisch gesehen gab es immer wirtschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Das haben die USA immer versucht zu verhindern. Man darf nicht vergessen, dass in einem Nuklear-Krieg Europa das Schlachtfeld wäre. Das heisst, dass in so einem Fall die Interessen Europas und der Vereinigten Staaten nicht unbedingt dieselben wären. Das erklärt, warum in den 1980er Jahren die Sowjetunion pazifistische Bewegungen in Deutschland unterstützt hat. Eine engere Beziehung zwischen Deutschland und Russland würde die amerikanische Nuklearstrategie nutzlos machen.

Die USA haben immer die Energieabhängigkeit kritisiert?

Es ist eine Ironie, dass die USA die Energieabhängigkeit Deutschlands bzw. Europas von Russland kritisieren. Russland ist der zweitgrösste Öllieferant an die USA. Die USA kaufen ihr Öl hauptsächlich von Kanada, dann von Russland, gefolgt von Mexiko und Saudi-Arabien. Das heisst, die USA sind abhängig von Russland. Das gilt zum Beispiel auch für Raketenmotoren. Das stört die USA nicht. Aber es stört die USA, dass die Europäer von Russland abhängig sind.

Während des Kalten Krieges hat Russland, also die Sowjetunion, immer alle Gas-Verträge eingehalten. Die russische Denkweise ist diesbezüglich sehr ähnlich wie die schweizerische. Russland befolgt die Gesetze, es fühlt sich an die Regeln gebunden wie die Schweiz. Man ist zwar emotional, aber die Regeln gelten, und man setzt diese Regeln durch. Während des Kalten Krieges hat die Sowjetunion nie eine Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik gemacht. Die Auseinandersetzung in der Ukraine ist eine rein politische Auseinandersetzung.

Die Theorie Brzezińskis, dass die Ukraine der Schlüssel zur Beherrschung Asiens sei, spielt hier auch eine Rolle?

Brzeziński war sicher ein grosser Denker und beeinflusst das strategische Denken der USA nach wie vor. Aber dieser Aspekt ist meiner Ansicht nach nicht so zentral in dieser Krise. Die Ukraine ist sicher wichtig. Aber die Frage, wer die Ukraine beherrscht oder kontrolliert, steht nicht im Zentrum. Die Russen verfolgen nicht das Ziel der Kontrolle der Ukraine. Das Problem für Russland mit der Ukraine ist wie auch für andere Länder ein militärstrategisches.

Was heisst das?

In der ganzen Diskussion, die im Moment überall geführt wird, wird Entscheidendes ausser Acht gelassen. Gewiss, man redet von Nuklearwaffen, aber etwa so wie in einem Film. Die Realität ist etwas anders. Die Russen wollen einen Abstand zwischen Nato und Russland. Das Kernelement der Nato ist die US-amerikanische Nuklearmacht. Das ist die Essenz der Nato. Als ich bei der Nato gearbeitet habe, hat Jens Stoltenberg – er war bereits mein Chef – immer gesagt: «Die Nato ist eine Nuklearmacht». Heute, wenn die USA in Polen und Rumänien Raketensysteme stationieren, dann sind das die sogenannten MK-41 Systeme.

Sind das Defensivwaffen?

Die USA sagen natürlich, sie seien rein defensiv. Man kann tatsächlich Defensivraketen von diesen Abschussrampen loslassen. Aber man kann mit dem gleichen System auch Nuklearraketen verwenden. Diese Rampen sind ein paar Minuten von Moskau entfernt. Wenn in einer Situation der erhöhten Spannung in Europa etwas passiert und die Russen aufgrund von Satellitenbildern merken, dass es bei den Abschussrampen Aktivitäten gibt und irgendetwas vorbereitet wird, werden sie dann abwarten, bis möglicherweise Atomraketen Richtung Moskau abgeschossen werden?

Wohl kaum…

…natürlich nicht. Sie würden sofort einen Präventivangriff starten. Die ganze Zuspitzung entstand, nachdem die USA aus dem ABM-Vertrag ausgetreten waren [Vertrag zur Begrenzung von Systemen zur Abwehr von ballistischen Raketen]. Unter der Gültigkeit des ABM-Vertrags hätten sie ein solches System nicht in Europa stationieren können. Wenn es um eine Auseinandersetzung geht, braucht man immer eine gewisse Reaktionszeit. Nur schon, weil Fehler passieren könnten.

So etwas haben wir während des Kalten Krieges auch gehabt. Je grösser die Distanz zu den Stationierungsorten ist, um so mehr Zeit hat man, um zu reagieren. Wenn die Raketen zu nahe am russischen Territorium stationiert sind, gibt es bei einem Angriff keine Zeit mehr, darauf zu reagieren und man läuft viel schneller Gefahr, in einen Atomkrieg zu geraten. Das betrifft alle Länder rundherum. Die Russen haben das natürlich realisiert, und auf Grund dessen den Warschauer Pakt gegründet.

Die Bedeutung der Nuklear-Waffen wird grösser

Zuerst war doch die Nato da…

Die Nato wurde 1949 gegründet und erst sechs Jahre später der Warschauer Pakt. Der Grund dafür war die Wiederbewaffnung der BRD und ihre Aufnahme in die Nato 1955. Wenn man die Karte von 1949 anschaut, dann sieht man einen sehr grossen Abstand zwischen der Nuklearmacht Nato und der UdSSR. Als die Nato durch den Beitritt Deutschlands weiter Richtung russische Grenze vorrückte, gründete Russland den Warschauer Pakt. Die osteuropäischen Staaten waren bereits alle kommunistisch, und die KP war in allen Ländern sehr stark. Fast schlimmer als in der UdSSR. Die UdSSR wollte einen Sicherheitsgürtel um sich herumhaben, deshalb kreierte sie den Warschauer Pakt. Sie wollte ein Vorfeld sicherstellen, um möglichst lang einen konventionellen Krieg führen zu können. Das war die Idee: so lange wie möglich im konventionellen Bereich zu bleiben und nicht unmittelbar in den nuklearen zu geraten.

Ist das heute auch noch so?

Nach dem Kalten Krieg hat man die Nuklearrüstung etwas vergessen. Sicherheit war nicht mehr eine Frage der Nuklearwaffen. Der Irak-Krieg, der Afghanistan-Krieg waren Kriege mit konventionellen Waffen, und die nukleare Dimension geriet etwas aus dem Blickfeld. Aber die Russen haben das nicht vergessen. Sie denken sehr strategisch. Ich besuchte seinerzeit in Moskau in der Woroschilowsk-Akademie den Generalstab. Dort konnte man sehen, wie die Menschen denken. Sie überlegen strategisch, so wie man in Kriegszeiten denken sollte.

Kann man das heute erkennen?

Das sieht man heute sehr genau. Putins Leute denken strategisch. Es gibt ein strategisches Denken, ein operatives und ein taktisches Denken. Die westlichen Länder, das hat man in Afghanistan oder im Irak gesehen, haben keine Strategie. Das ist genau das Problem, das die Franzosen in Mali haben. Mali hat hat nun verlangt, dass sie das Land verlassen, denn die Franzosen töten Menschen ohne Strategie und ohne Ziel. Bei den Russen ist das ganz anders, sie denken strategisch. Sie haben ein Ziel. So ist es auch bei Putin.

In unseren Medien wird immer wieder berichtet, dass Putin Atomwaffen ins Spiel gebracht habe. Haben Sie das auch gehört?

Ja, Wladimir Putin hat am 27. Februar seine Nuklearkräfte in den Alarmzustand Stufe 1 gesetzt. Das ist aber nur die Hälfte der Geschichte. Am 11./12. Februar fand die Sicherheitskonferenz in München statt. Selenskyj war dort. Er äusserte, dass er Nuklearwaffen beschaffen möchte. Das wurde als eine potenzielle Bedrohung interpretiert. Im Kreml ging natürlich die rote Lampe an. Um das zu verstehen, muss man das Abkommen von Budapest 1994 im Hinterkopf haben. Dabei ging es darum, die Atomraketen in den ehemaligen Sowjetrepubliken zu vernichten und nur Russland als Atommacht bestehen zu lassen. Auch die Ukraine übergab die Atomwaffen an Russland, und Russland sicherte als Gegenleistung die Unverletzlichkeit der Grenzen zu. Als die Krim zurück an Russland ging, 2014, sagte die Ukraine, sie würde sich auch nicht mehr an das Abkommen von 1994 halten.

Zurück zu den Atomwaffen. Was hat Putin wirklich gesagt?

Falls Selenskyj Nuklearwaffen zurückhaben wollte, wäre das für Putin sicher ein inakzeptabler Weg. Wenn man direkt an der Grenze Nuklearwaffen hat, dann gibt es nur sehr wenig Vorwarnungszeit. Nach dem Besuch von Macron gab es eine Pressekonferenz, und Putin sagte dort unmissverständlich, dass wenn der Abstand zwischen der Nato und Russland zu gering sei, dies ungewollt zu Komplikationen führen könne. Aber das entscheidende Element lag am Anfang des Krieges gegen die Ukraine, als der französische Aussenminister Putin drohte, indem er betonte, dass die Nato eine Nuklearmacht sei. Darauf reagierte Putin und versetzte seine Atomstreitkräfte in eine erste Alarmbereitschaft. Die Presse erwähnte das natürlich nicht. Putin ist ein Realist, er ist bodenständig und zielgerichtet.

Was hat Putin veranlasst, jetzt militärisch einzugreifen?

Am 24. März 2021 hat Selenskyj das Dekret erlassen, das besagt, dass er die Krim zurückerobern werde. Er hat Vorbereitungen dazu getroffen. Ob das seine Absicht war oder nur ein politisches Manöver, das weiss man nicht. Was man aber gesehen hat, ist, dass er die ukrainische Armee im Donbas-Gebiet massiv verstärkt und im Süden Richtung Krim zusammengezogen hat. Den Russen ist das natürlich aufgefallen. Gleichzeitig hat die Nato im April letzten Jahres ein sehr grosses Manöver zwischen Baltikum und Schwarzem Meer durchgeführt. Das hat die Russen verständlicherweise aufgeschreckt. Sie haben im südlichen Militärbezirk Übungen abgehalten, um Präsenz zu markieren. Danach ist alles etwas ruhiger geworden, und im September hat Russland schon lange geplante «Zapad 21»-Übungen abgehalten. Diese Übungen werden alle vier Jahre durchgeführt. Am Ende des Manövers sind einige Truppenteile in der Nähe von Belarus geblieben. Das waren Truppen aus dem östlichen Militärbezirk. Es wurde vor allem Material dort zurückgelassen, denn es war auf Anfang dieses Jahres ein grosses Manöver mit Belarus geplant.

Wie hat der Westen darauf reagiert?

Europa und vor allem die USA interpretierten das als eine Verstärkung der Angriffskapazität auf die Ukraine. Unabhängige militärische Experten, aber auch der Chef des ukrainischen Sicherheitsrats sagten, dass keine Kriegsvorbereitungen im Gange seien. Russland liess das Material vom Oktober für die Übungen mit Belarus zurück – das war nicht geplant für einen Angriff. Sogenannte westliche Militärexperten vor allem aus Frankreich bezeichneten das sofort als Kriegsvorbereitung und stellten Putin als verrückten Diktator hin. Das ist die ganze Entwicklung, die es von Ende Oktober 2021 bis Anfang dieses Jahres gegeben hat. Die Kommunikation der USA und der Ukraine zu diesem Thema war sehr widersprüchlich. Die einen sprachen von geplantem Angriff, die anderen dementierten. Es war ein ständiges Hin und Her im Sinne von ja und nein.

Die OSZE berichtet schweren Beschuss der Volksrepubliken Lugansk und Donezk im Februar durch die Ukraine

Was geschah im Februar?

Ende Januar scheint sich die Situation zu ändern und es scheint, dass die USA mit Selenskyj gesprochen haben, denn dann gab es eine Veränderung. Ab Anfang Februar haben die USA immer wieder gesagt, die Russen stünden unmittelbar davor, anzugreifen. Sie haben Szenarien von einem Angriff verbreitet. So hat Antony Blinken vor dem Uno-Sicherheitsrat gesprochen und dargelegt, wie sich der Angriff der Russen abspielen wird. Er wisse das von den Nachrichtendiensten. Das erinnert an die Situation 2002/2003 vor dem Angriff auf den Irak. Auch hier hat man sich angeblich auf die Analyse der Geheimdienste abgestützt. Das stimmte auch damals nicht. Denn die CIA war nicht überzeugt von der Präsenz von Massenvernichtungswaffen im Irak. Rumsfeld stützte sich also nicht auf die CIA ab, sondern auf eine kleine vertrauliche Gruppe innerhalb des Verteidigungsministeriums, die eigens für diese Situation kreiert worden war, um so die Analysen der CIA zu umgehen.

Wo kommen denn heute die Informationen her?

Im Zusammenhang mit der Ukraine hat Blinken genau das Gleiche getan. Man kann es daran feststellen, dass sich niemand aus der CIA dazu geäussert hat. US-amerikanische Analytiker haben gemerkt, dass die Nachrichtendienste in diesem Zusammenhang nicht in Erscheinung getreten sind. Alles, was Blinken erzählte, kam aus einer Gruppe, die er selbst zusammengerufen hatte, innerhalb seines Departements – ein sogenanntes Tiger-Team. Diese Szenarien, die man uns vorgelegt hat, kommen nicht aus nachrichtendienstlichen Erkenntnissen. Sogenannte Experten haben also ein gewisses Szenario mit einer politischen Agenda erfunden. So entstand das Gerücht, die Russen würden angreifen. Joe Biden sagte also, er wisse, dass die Russen am 16. Februar angreifen würden. Als er gefragt wurde, woher er das wisse, antwortete er, dass die USA gute nachrichtendienstliche Kapazitäten hätten. Er erwähnte weder die CIA noch den nationalen Nachrichtendienst.

Ist denn am 16. Februar etwas geschehen?

Ja, an diesem Tag sehen wir eine extreme Zunahme von Waffenstillstandsverletzungen durch das ukrainische Militär entlang der Waffenstillstandslinie, der sogenannten Kontaktlinie. Es gab in den letzten acht Jahren immer wieder Verletzungen, aber seit dem 12. Februar hatten wir eine extreme Zunahme, und zwar an Explosionen besonders im Gebiet von Donezk und Lugansk. Das ist nur bekannt, weil alles von der OSZE-Mission im Donbas protokolliert wurde. Man kann diese Protokolle in den «Daily reports» der OSZE nachlesen.

Was wollte das ukrainische Militär damit erreichen?

Es handelte sich sicher um den Anfang einer Offensive gegen den Donbas. Als der Artilleriebeschuss immer stärker wurde, begannen die Behörden der beiden Republiken, die Zivilbevölkerung zu evakuieren und nach Russland zu bringen. Sergej Lawrow sprach in einem Interview von 100 000 Geflüchteten. In Russland sah man die Anzeichen einer grossangelegten Operation.

Was waren die Folgen?

Dieses Vorgehen des ukrainischen Militärs hat im Grunde genommen alles ausgelöst. Zu diesem Zeitpunkt war für Putin klar, dass die Ukraine eine Offensive gegen die beiden Republiken durchführen will. Am 15. Februar hatte das russische Parlament, die Duma, eine Resolution angenommen, die vorschlägt, die beiden Republiken anzuerkennen. Putin reagierte zunächst nicht darauf, doch als die Angriffe immer stärker wurden, entschied er sich am 21. Februar, die Forderung der parlamentarischen Resolution umzusetzen.

Ursachen des Rechtsextremismus in der Ukraine

Warum hat Putin diesen Schritt vollzogen?

In dieser Situation hatte er kaum eine andere Wahl, als das zu tun, weil die russische Bevölkerung kaum verstanden hätte, wenn er nichts zum Schutz der russischstämmigen Bevölkerung im Donbas getan hätte. Für Putin war klar, dass, wenn er darauf reagiert und interveniert, der Westen mit massiven Sanktionen reagieren wird, ganz unabhängig davon, ob er nur den Republiken hilft oder die ganze Ukraine angreift. Im ersten Schritt anerkannte er die Unabhängigkeit der beiden Republiken. Am gleichen Tag schloss er mit den beiden Republiken ein Abkommen über Freundschaft und Zusammenarbeit ab. Dadurch hat er gemäss Kapitel 51 der Uno-Charta im Sinne der kollektiven Verteidigung und der Selbstverteidigung das Recht, den beiden Republiken zu helfen. Damit schuf er die rechtliche Grundlage, mit militärischen Mitteln den beiden Republiken zu Hilfe zu kommen.

Aber er hat nicht nur den Republiken geholfen, sondern die ganze Ukraine angegriffen…

Putin hatte zwei Möglichkeiten: Erstens mit der russischsprachigen Bevölkerung im Donbas zusammen gegen die Angreifer, also die ukrainische Armee, zu kämpfen; zweitens an mehreren Stellen die Ukraine anzugreifen, um die ukrainischen Militärkapazitäten zu schwächen. Putin hat auch einkalkuliert, dass es, egal was er macht, Sanktionen hageln wird. Deshalb hat er sich sicher für die Maximalvariante entschieden, wobei man ganz klar sagen muss, dass Putin nie davon gesprochen hat, die Ukraine in Besitz nehmen zu wollen. Seine Zielsetzung ist klar und deutlich: Entmilitarisierung und Entnazifizierung.

Was ist der Hintergrund dieser Zielsetzung?

Die Entmilitarisierung ist verständlich, denn die Ukraine hatte die ganze Armee im Süden zwischen Donbas und Krim zusammengezogen. Das heisst, mit einer schnellen Operation könnte er die Truppen einkesseln. Ein grosser Teil der ukrainischen Armee ist im Bereich Donbas, Mariupol und Saporoshje in einem grossen Kessel. Die Russen haben die Armee eingekreist und damit neutralisiert. Bleibt noch die Entnazifizierung. Wenn die Russen so etwas sagen, dann ist es meistens nicht einfach eine Erfindung. Es gibt starke Verbände von Rechtsradikalen. Neben der ukrainischen Armee, die sehr unzuverlässig ist, wurden seit 2014 starke paramilitärische Kräfte ausgebaut, dazu gehört zum Beispiel das bekannte Asow-Regiment. Aber es sind noch viel mehr. Es gibt sehr viele dieser Gruppen, die zwar unter ukrainischem Kommando stehen, aber nicht nur aus Ukrainern bestehen. Das Asow-Regiment besteht aus 19 Nationalitäten, darunter sind Franzosen, sogar Schweizer etc. Das ist eine Fremdenlegion. Insgesamt sind diese rechtsextremen Gruppen ungefähr 100 000 Kämpfer stark, laut Reuters.

Warum gibt es so viele paramilitärische Organisationen?

In den Jahren 2015/2016 war ich mit der Nato in der Ukraine. Die Ukraine hatte ein grosses Problem, sie hatte zu wenig Soldaten, denn die ukrainische Armee hat eine der höchsten Selbstmordraten. Die meisten Toten hatte sie wegen Selbstmord und Alkoholproblemen. Sie hatte Mühe, Rekruten zu finden. Ich wurde wegen meiner Erfahrung an der Uno angefragt, dort mitzuhelfen. In diesem Zusammenhang war ich mehrmals in der Ukraine. Der Hauptpunkt war, dass die Armee in der Bevölkerung nicht glaubwürdig ist und auch militärisch keine Glaubwürdigkeit besitzt. Deshalb förderte die Ukraine die paramilitärischen Kräfte immer stärker und baute sie aus. Das sind Fanatiker mit einem starken Rechtsextremismus.

Woher kommt der Rechtsextremismus?

Dessen Entstehung geht auf die 1930er Jahre zurück. Nach den extremen Hungerjahren, die als Holodomor in die Geschichte eingingen, bildete sich ein Widerstand gegen die sowjetische Macht. Um die Modernisierung der UdSSR zu finanzieren, hatte Stalin die Ernten konfisziert und so eine nie dagewesene Hungersnot provoziert. Es war der NKWD, der Vorgänger des KGB [sowjetischer Geheimdienst], der diese Politik umsetzte. Der NKWD war territorial organisiert und in der Ukraine hatten zahlreiche Juden hohe Kommandoposten inne. Dadurch vermischten sich die Dinge miteinander: der Hass auf die Kommunisten, der Hass auf die Russen und der Hass auf die Juden. Die ersten rechtsextremen Gruppen stammen aus dieser Zeit, und es gibt sie immer noch. Während des Zweiten Weltkriegs brauchten die Deutschen diese Rechtsextremisten wie die OUN von Stepan Bandera, die ukrainische Aufstandsarmee, und andere, um sie als Guerilla gegen die Sowjets einzusetzen. Damals betrachtete man die Streitkräfte des 3. Reiches als Befreier, so wird zum Beispiel die 2. Panzerdivision der SS, «Das Reich», die Charkow 1943 von den Sowjets befreit hatte, heute noch verehrt in der Ukraine. Das geografische Zentrum des rechtsextremen Widerstands war in Lwow, heute Lwiw, das ist in Galizien. Diese Region hatte sogar ihre eigene 14. SS-Panzergrenadierdivision «Galizien», eine SS-Division, die ausschliesslich aus Ukrainern bestand.

Die OUN ist während des Zweiten Weltkriegs entstanden und hat die Zeit der Sowjetunion überlebt?

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Feind immer noch die Sowjetunion. Der Sowjetunion ist es nicht gelungen, diese antisowjetischen Bewegungen vollständig zu eliminieren. Die USA, Frankreich und Grossbritannien realisierten, dass die OUN nützlich sein konnte und unterstützten sie im Kampf gegen die Sowjetunion mittels Sabotage und mit Waffen. Bis anfangs der 60er Jahre wurden diese Organisationen vom Westen her unterstützt. Insbesondere durch die Operationen Aerodynamic, Valuable, Minos, Capacho, und andere. Seit dieser Zeit gab es in der Ukraine immer Kräfte, die einen engen Bezug zum Westen und zur Nato hatten. Heute ist es die Schwäche der ukrainischen Armee, die dazu geführt hat, dass man auf diese fanatischen Gruppierungen zurückgreift. Sie als Neonazis zu bezeichnen, stimmt für mich nicht ganz. Sie sympathisieren mit dem Gedankengut, sie haben die Abzeichen, aber sie haben weder eine politische Doktrin noch einen politischen Plan.

Nach 2014 wurden zwei Abkommen vereinbart, um die Situation in der Ukraine zu befrieden. Welche Bedeutung haben die Abkommen im Zusammenhang mit der jetzigen Auseinandersetzung?

Ja, das ist wichtig zu verstehen, denn die Nichterfüllung dieser beiden Abkommen hat im Grunde genommen zum Krieg geführt. Seit 2014 gäbe es eine Lösung für den Konflikt, das Minsker Abkommen. Im September 2014 war offensichtlich, dass die ukrainische Armee eine sehr schlechte Kriegsführung hatte, obwohl sie von der Nato beraten wurde. Sie hatte ständig Misserfolge. Deshalb musste sie in das Minsker Abkommen I im September 2014 einwilligen. Es war ein Vertrag zwischen der ukrainischen Regierung und den Vertretern der beiden selbsternannten Republiken Donezk und Lugansk mit den europäischen und russischen Garantiemächten.

Doppelspiel der EU und der USA

Wie kam es damals zu der Gründung dieser beiden Republiken?

Um das zu verstehen, müssen wir in der Geschichte noch etwas zurückgehen. Im Herbst 2013 wollte die EU ein Handels- und Wirtschaftsabkommen mit der Ukraine abschliessen. Die EU bot für die Ukraine eine Garantie für Entwicklung mit Subventionen, mit Export und Import etc. Die ukrainischen Behörden wollten das Abkommen abschliessen. Doch es war nicht ganz unproblematisch, denn die ukrainische Industrie und die Landwirtschaft waren bezüglich Qualität und Produkte auf Russland ausgerichtet. Die Ukrainer haben Motoren für russische Flugzeuge entwickelt, nicht für europäische oder amerikanische. Die allgemeine Ausrichtung der Industrie war Richtung Osten und nicht nach Westen. Qualitativ konnte die Ukraine im Wettbewerb mit dem europäischen Markt schwer bestehen. Deshalb wollten die Behörden mit der EU kooperieren und gleichzeitig die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland aufrechterhalten.

Wäre das möglich gewesen?

Russland hatte seinerseits kein Problem mit den Plänen der Ukraine. Aber Russland wollte seine Wirtschaftsbeziehungen zur Ukraine behalten. Deshalb schlug es, mit einer trilateralen Arbeitsgruppe zwei Abkommen zu erstellen: eines zwischen der Ukraine und der EU und eines zwischen der Ukraine und Russland. Ziel war es, die Interessen von allen Beteiligten abzudecken. Es war die Europäische Union, in der Person von Barroso , die von der Ukraine verlangt hat, sich zwischen Russland und der EU zu entscheiden. Die Ukraine hat sich daraufhin Bedenkzeit ausbedungen und eine Pause im ganzen Prozess verlangt. Danach spielten die EU und die USA kein ehrliches Spiel.

Warum?

Die westliche Presse titelte: «Russland übt Druck auf die Ukraine aus, um den Vertrag mit der EU zu verhindern». Das war falsch. Das war nicht der Fall. Die Regierung der Ukraine bekundete weiterhin Interesse an dem Vertrag mit der EU, aber sie wollte noch mehr Bedenkzeit und die Lösungen für diese komplexe Situation genau prüfen. Aber das sagte die Presse in Europa nicht. Am nächsten Tag tauchten Rechtsextreme aus dem Westen des Landes auf dem Maidan in Kiew auf. Was sich dort alles mit Billigung und Unterstützung des Westens abgespielt hat, ist grausig. Aber das alles aufzurollen, würde unseren Rahmen sprengen.

Was geschah, nachdem Janukowitsch, der demokratisch gewählte Präsident, gestürzt worden war?

Die neue provisorische Regierung – hervorgegangen aus der nationalistischen extremen Rechten – hat sofort, als erste Amtshandlung, das Gesetz über die offizielle Sprache in der Ukraine geändert. Das beweist auch, dass dieser Umsturz nichts mit Demokratie zu tun hatte, sondern es waren Nationalisten, und zwar Hardliner, die den Aufstand organisiert hatten. Diese Gesetzesänderung löste in den russischsprachigen Gebieten einen Sturm aus. Man organisierte in allen Städten des Südens, in Odessa, in Mariupol, in Donezk, in Lugansk, auf der Krim etc. grosse Demonstrationen gegen das Sprachgesetz. Darauf reagierten die ukrainischen Behörden sehr massiv und brutal, und zwar mit der Armee. Kurzfristig wurden autonome Republiken ausgerufen, in Odessa, Charkow, Dnjepropetrowsk, Lugansk, Donezk und weitere. Diese wurden äusserst brutal bekämpft. Zwei sind geblieben, Donezk und Lugansk, die sich zu autonomen Republiken erklärt haben.

Wie haben sie ihren Status legitimiert?

Sie haben im Mai 2014 ein Referendum durchgeführt. Sie wollten Autonomie, und das ist sehr, sehr wichtig. Wenn sie in die Medien der letzten Monate schauen, hat man immer von Separatisten gesprochen. Aber damit kolportierte man seit acht Jahren eine totale Lüge. Man sprach immer von Separatisten, – das ist völlig falsch, denn das Referendum hat ganz klar und deutlich immer von einer Autonomie innerhalb der Ukraine gesprochen, sie wollten sozusagen eine Schweizer Lösung. Sie waren also autonom und baten um die Anerkennung der Republiken durch Russland, aber die russische Regierung unter Putin lehnte das ab.

Der Unabhängigkeitskampf der Krim

Die Entwicklung auf der Krim steht doch auch in diesem Zusammenhang?

Man vergisst, dass sich die Krim für unabhängig erklärt hat, bevor die Ukraine unabhängig wurde. Im Januar 1991, also noch während der Zeit der Sowjetunion, hat die Krim ein Referendum durchgeführt, um zu Moskau zu gehören und nicht mehr zu Kiew. So ist sie eine autonome sozialistische Sowjetrepublik geworden. Die Ukraine hatte erst 6 Monate später ein Referendum durchgeführt, im August 1991. Zu diesem Zeitpunkt betrachtete die Krim sich nicht als Teil der Ukraine. Aber die Ukraine akzeptierte dies nicht. Zwischen 1991 und 2014 war es ein ständiges Tauziehen zwischen den beiden Einheiten. Die Krim hatte ihre eigene Verfassung mit ihren eigenen Behörden. 1995, ermutigt durch das Memorandum von Budapest, stürzte die Ukraine die Regierung der Krim mit Spezialeinheiten und erklärte ihre Verfassung für ungültig. Aber das wird nie erwähnt, denn es würde die heutige Entwicklung in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.

Was wollten die Menschen auf der Krim?

Sie verstanden sich tatsächlich immer als unabhängig. Ab 1995 wurde die Krim per Dekret von Kiew aus regiert. Das stand im völligen Widerspruch zum Referendum von 1991 und erklärt, warum die Krim 2014, nachdem durch den illegalen Putsch eine neue ultra-nationalistische Regierung, die total antirussisch war, in der Ukraine an die Macht gekommen war, ein erneutes Referendum abhielt. Das Resultat war sehr ähnlich wie 30 Jahre zuvor. Nach dem Referendum fragte die Krim an, ob sie in die Russische Föderation eintreten könne. Es war nicht Russland, das die Krim erobert hat, sondern die Bevölkerung hat die Behörden ermächtigt, Russland um die Aufnahme zu bitten. Es gab 1997 auch ein Freundschaftsabkommen zwischen Russland und der Ukraine, in dem die Ukraine die kulturelle Vielfalt der Minderheiten im Land gewährleistet. Als im Februar 2014 die russische Sprache verboten wurde, war das eine Verletzung dieses Vertrags.

Jetzt wird klar, dass man, wenn man das alles nicht kennt, Gefahr läuft, die Situation falsch einzuschätzen.

Zurück zum Minsker Abkommen. Es waren neben der Ukraine und den autonomen Republiken auch Garantiemächte anwesend wie Deutschland und Frankreich auf der Seite der Ukraine und Russland auf der Seite der Republiken. Deutschland, Frankreich und Russland haben das als Vertreter der OSZE gemacht. Die EU war daran nicht beteiligt, das war eine reine Angelegenheit der OSZE. Direkt nach dem Minsk I Abkommen löste die Ukraine eine Antiterroroperation gegen die beiden autonomen Republiken aus. Die Regierung ignorierte das Abkommen also vollständig und führte diese Operation durch. Aber es gab wieder eine totale Niederlage der ukrainischen Armee in Debaltsewo. Es war ein Debakel.

Fand dies auch mit Unterstützung der Nato statt?

Ja, und man muss sich schon fragen, was die Militärberater der NATO dort eigentlich gemacht haben, denn die Streitkräfte der Republiken haben die ukrainische Armee völlig besiegt.

Das führte zu einem zweiten Abkommen, Minsk II, das im Februar 2015 unterzeichnet wurde. Es diente als Grundlage für eine Resolution des Uno-Sicherheitsrats. Damit ist dieses Abkommen völkerrechtlich verpflichtend: Es muss umgesetzt werden.

Hat man das auch von der Uno her kontrolliert?

Nein, niemand kümmerte sich darum, und ausser Russland verlangte niemand die Einhaltung des Minsk II Abkommens. Man sprach plötzlich nur noch vom Normandie-Format. Aber das ist völlig unbedeutend. Das kam zustande an der Feier des D-Day im Juni 2014. Die Veteranen des Krieges, die Staatsoberhäupter der Alliierten waren eingeladen sowie Deutschland, die Ukraine und die Vertreter anderer Staaten. Im Normandie-Format waren nur die Staatschefs vertreten, die autonomen Republiken sind dort natürlich nicht dabei. Die Ukraine will nicht mit den Vertretern von Lugansk und Donezk reden. Wenn man aber die Minsker Abkommen anschaut, dann muss es eine Absprache zwischen der ukrainischen Regierung und den Republiken geben, damit die ukrainische Verfassung angepasst werden kann. Das ist ein Prozess, der innerhalb des Landes geschieht, aber das wollte die ukrainische Regierung nicht.

Aber die Ukrainer haben das Abkommen ebenfalls unterschrieben…

… ja, aber die Ukraine wollte das Problem immer Russland zuschieben. Die Ukrainer behaupteten, Russland habe die Ukraine angegriffen, und deshalb gebe es diese Probleme. Aber das war klar, es war ein internes Problem. Seit 2014 haben OSZE-Beobachter nie irgendwelche russischen Militäreinheiten gesehen. In beiden Abkommen ist ganz klar und deutlich formuliert: Die Lösung muss innerhalb der Ukraine gefunden werden. Es geht um eine gewisse Autonomie innerhalb des Landes, und das kann nur die Ukraine lösen. Das hat mit Russland nichts zu tun.

Dazu braucht es die festgelegte Anpassung der Verfassung.

Ja, genau, aber die wurde nicht gemacht. Die Ukraine hat keinen Schritt getan. Auch die Mitglieder des Uno-Sicherheitsrats setzten sich nicht dafür ein, im Gegenteil. Die Lage verbesserte sich überhaupt nicht.

Wie hat sich Russland verhalten?

Die Position von Russland war immer dieselbe. Es wollte, dass die Minsker Abkommen umgesetzt werden. Diese Position hat es während acht Jahren nie geändert. Während dieser acht Jahre gab es natürlich verschiedene Grenzverletzungen, Artilleriebeschuss usw., aber das Abkommen hat Russland nie in Frage gestellt.

Wie ist die Ukraine weiter vorgegangen?

Die Ukraine hat anfangs Juli letzten Jahres ein Gesetz erlassen. Es war ein Gesetz, das besagte, dass die Leute je nach Abstammung andere Rechte haben. Es erinnert sehr an die Nürnberger Rassengesetze von 1935. Nur die richtigen Ukrainer sind im Besitz aller Rechte, alle übrigen haben nur eingeschränkte Rechte. Daraufhin hat Putin einen Artikel geschrieben, indem er die historische Entstehung der Ukraine erklärt. Er hat kritisiert, dass man zwischen Ukrainern und Russen unterscheidet usw. Seinen Artikel schrieb er als Antwort auf dieses Gesetz. Aber in Europa interpretierte man das so, dass er die Ukraine als Staat nicht anerkennt. Das sei ein Artikel, um eine mögliche Annexion der Ukraine zu rechtfertigen. Im Westen wird das alles geglaubt, obwohl niemand weiss, weder warum Putin den Artikel geschrieben hat, noch was wirklich darinsteht. Es ist offensichtlich, dass im Westen das Ziel bestand, ein möglichst negatives Bild von Putin zu zeichnen. Ich habe den Artikel gelesen, er ist absolut sinnvoll.

Hätten die Russen nicht auch von ihm erwartet, dass er dazu Stellung nimmt?

Natürlich, es gibt so viele Russen in der Ukraine. Er musste etwas machen. Es wäre den Leuten gegenüber (aber auch völkerrechtlich, mit der Verantwortung zu schützen) nicht richtig gewesen, wenn man das stillschweigend akzeptiert hätte. Alle diese kleinen Details gehören unbedingt dazu, sonst versteht man nicht, was sich abspielt. Man kann das Verhalten Putins nur so einordnen, und man sieht, dass der Krieg immer mehr provoziert wurde. Ich kann nicht sagen, ob Putin gut oder schlecht ist. Aber so, wie er im Westen beurteilt wird, ist es falsch.

Schweiz verlässt den Status der Neutralität

Wie beurteilen Sie die Reaktion der Schweiz vom letzten Wochenende?

Es ist furchtbar, es ist eine Katastrophe. Russland hat eine Liste mit 48 «unfreundlichen Staaten» erstellt, und stellen Sie sich vor, die Schweiz ist auch darauf. Das ist jetzt wirklich eine Zeitenwende, die die Schweiz aber selbst zu verantworten hat. Die Schweiz war immer «the man in the middle». Wir haben mit allen Staaten den Dialog geführt und haben den Mut gehabt, in der Mitte zu stehen. Das ist eine Hysterie bezüglich der Sanktionen. Russland ist auf diese Situation sehr gut vorbereitet, es wird darunter leiden, aber es ist darauf eingestellt. Das Prinzip der Sanktionen ist aber völlig falsch. Heute haben die Sanktionen die Funktion der Diplomatie ersetzt. Das hat man bei Venezuela gesehen, bei Kuba, beim Irak, beim Iran etc. Die Staaten haben nichts getan, aber ihre Politik gefällt den USA nicht. Das ist ihr Fehler. Als ich gesehen habe, dass man die Behindertensportler bei den Para-Olympics gesperrt hat, fehlten mir tatsächlich die Worte. Das ist so inadäquat. Das trifft einzelne Menschen, das ist einfach gemein. Das gehört in die gleiche Kategorie, wenn der französische Aussenminister sagt, das russische Volk soll unter den Sanktionen leiden. Wer so etwas sagt, der hat für mich keine Ehre. Es ist nichts Positives, einen Krieg anzufangen, aber so zu reagieren, ist schlicht schändlich.

Wie sehen Sie das, dass die Menschen auf die Strasse gehen gegen den Krieg in der Ukraine?

Ich frage mich natürlich: Was macht den Krieg gegen die Ukraine schlimmer als den Krieg gegen den Irak, gegen Jemen, gegen Syrien oder Libyen? Hier gab es bekanntlich keine Sanktionen gegen den Aggressor, die USA oder diejenigen, die Waffen lieferten, die gegen die Zivilbevölkerung verwendet wurden. Ich frage mich: Wer macht Demonstrationen für den Jemen? Wer hat für Libyen demonstriert, wer hat für Afghanistan demonstriert? Man weiss nicht, warum die USA in Afghanistan waren. Ich weiss aus nachrichtendienstlichen Quellen, dass nie irgendwelche Hinweise existiert haben, dass Afghanistan oder Osama bin Laden an den Anschlägen des 11. Septembers 2001 beteiligt waren, aber man hat trotzdem Krieg in Afghanistan geführt.

Warum?

Am 12. September 2001, am Tag nach den Anschlägen, wollten die USA Vergeltung üben und haben entschieden, Afghanistan zu bombardieren. Der Generalstabschef der US-Luftwaffe sagte, dass es nicht genügend Ziele in Afghanistan gebe. Daraufhin meinte der Verteidigungsminister: «Wenn wir nicht genügend Ziele in Afghanistan haben, dann bombardieren wir den Irak.» Das ist nicht von mir erfunden, es gibt Quellen, Dokumente und Menschen, die dabei waren. So sieht die Realität aus, aber wir werden mit Propaganda und Manipulation auf die «richtige» Seite gezogen.

Wenn ich nach diesem Gespräch resümieren darf, dann wurde durch Ihre Antworten klar, dass der Westen schon längere Zeit immer wieder Öl ins Feuer gegossen und Russland provoziert hat. Diese Provokationen finden aber in unseren Medien selten Niederschlag, doch die Antworten Putins werden nur teilweise oder verfälscht wiedergegeben, um möglichst das Bild des Kriegstreibers und Unmenschen aufrecht zu erhalten.

Mein Grossvater war Franzose, er war als Soldat im Ersten Weltkrieg und hat mir oft davon erzählt. Und ich muss feststellen, die Hysterie und die Manipulation sowie das unreflektierte Verhalten der westlichen Politiker erinnert mich heute sehr daran, und das macht mir tatsächlich grosse Sorgen. Wenn ich sehe, wie unser neutrales Land nicht mehr in der Lage ist, eine von der EU und den USA unabhängige Position einzunehmen, dann schäme ich mich. Es braucht einen klaren Kopf und die Fakten, die hinter der ganzen Entwicklung stehen. Nur so kann die Schweiz eine vernünftige Friedenspolitik betreiben.

Herr Baud, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview wurde von Thomas Kaiser geführt und erschien erstmals auf Zeitgeschehen im Fokus. Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Publikation.
Dieser Artikel ist copyrightgeschützt und darf nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Redaktion von Zeitgeschehen im Fokus übernommen werden.